Aufrufe
vor 10 Monaten

DIE FURCHE 20.07.2023

  • Text
  • Foto
  • Lewinsky
  • Frau
  • Gesellschaft
  • Welt
  • Zeit
  • Menschen
  • Juli
  • Treue
  • Furche

DIE

DIE FURCHE · 29 10 Gesellschaft 20. Juli 2023 Aufgezeichnet von Andrea Burchhart wollten wir diesen Sommer heiraten. Ich hatte geplant, 2023 „Eigentlich den Mann zu heiraten, in den ich mich vor 15 Jahren verliebt habe. Aber Martin* hat mir schon vor einigen Jahren gesagt, dass er das sicher nicht tun wird. Ich sei nach der Geburt unseres Sohnes zu fett geworden. Zu dumm, zu langweilig, zu anstrengend – das war ich in seinen Augen wohl schon immer. Meine Familie und Freunde haben schon am Anfang unserer Beziehung hin und wieder irritiert reagiert, aber ich habe seine verbalen Herabsetzungen, die als Schmähs getarnt waren, immer entschuldigt. Mehr noch, ich habe geglaubt, dass er Recht hat. Es gab nie einen Zweifel daran, dass er nicht Recht haben könnte. Ein Lebenskünstler, äußerst eloquent, großzügig, charismatisch, selbstbewusst, charmant. Am Anfang überhäufte er mich mit Komplimenten, Geschenken, Liebesschwüren, trug mich auf Händen, versprach mir den Himmel auf Erden. Wann genau der Narzisst in ihm die Oberhand gewann, kann ich heute nicht mehr sagen. Nur Martins Meinung zählte. Er konnte nicht zuhören, eine Diskussion mit ihm war unmöglich. Bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit reagierte er völlig überzogen. Oft sprach er einfach kein Wort Lesen Sie zum Thema häusliche Gewalt auch „Der Feind in ihrem Bett“ (10.8.2006) von Doris Helmberger-Fleckl auf furche.at. Karin* (42 Jahre), diplomierte Krankenschwester und Mutter eines sechsjährigen Sohnes, lebt 15 Jahre lang mit einem gewalttätigen Mann zusammen. Dann schafft sie es, sich zu trennen. Hier erzählt sie ihre Geschichte. „Bin ich die Nächste?“ mehr mit mir und ignorierte mich für einige Zeit. Manchmal knallte er auch einfach die Tür hinter sich zu und verschwand tagelang. Alkohol- und Drogenexzesse waren an der Tagesordnung. Wahrscheinlich gab es in den letzten Jahren keinen einzigen Tag, an dem er nicht getrunken hat. Viel zu lange habe ich versucht, den Schein zu wahren und ihn zu unterstützen. Ich habe Auftraggeber(innen) und Kund(inn)en für ihn angelogen, ihn bei Familie und Freunden entschuldigt, wenn er mal wieder nicht zu vereinbarten Terminen erscheinen konnte. „Das ist nur eine Phase, das geht vorbei“, dachte ich. „Verzeih mir! Ich liebe dich! Ich brauche dich! Ohne dich kann ich nicht leben!“ Eine Postkarte mit diesen Zeilen schob er mir eines Morgens unter der Schlafzimmertür durch. Am Abend zuvor hatte er mich, die ich im neunten Monat schwanger war, an den Haaren gezogen und brutal aus dem Bett gestoßen. Dabei war ich nur müde und wollte schlafen, „ Ich schreie um Hilfe, aber niemand glaubt mir. Ich werde bedroht, aber die Beamten auf der Polizeistation lachen mich aus. “ Der Mut, zu hoffen Für Frauen in einer Gewaltbeziehung ist eine Trennung ein mutiger Schritt in ein besseres Leben. Dazu braucht es aber auch staatliche Unterstützung. Foto: iStock/ Geber86 ich hatte mich, angewidert von seinem Bier- und Zigarettengestank, demonstrativ von ihm abgewandt. Zu viel für sein Ego. Es war das erste Mal, dass er mich körperlich misshandelte. Ich war so beschämt und schockiert, wie gelähmt und nicht in der Lage, jemandem davon zu erzählen. Zehn Tage später sind wir Eltern geworden. Wir haben nie wieder über seine Gewalttat gesprochen. In den ersten drei bis vier Jahren hat sich mein Ex-Partner kaum um unseren Sohn Felix* gekümmert. Er hat sich zwar als Super-Daddy, inszeniert, wenn wir mit befreundeten Familien auf dem Spielplatz waren, aber sobald wir zu Hause waren, war ihm der Bub meist anstrengend. Wenn ich die beiden für kurze Zeit alleine lassen musste, hatte ich oft ein mulmiges Gefühl. Wenn ich Nachtdienst hatte, brachte ich Felix anfangs immer zu meinen Eltern. Je älter Felix wurde, desto besser wurde es aber. Martin war sehr stolz auf unseren Sohn und wollte auch ein guter Vater sein. Doch nicht nur einmal ist er betrunken vor dem Kindergarten gestanden. Da er ein Meister der Manipulation und Schauspielerei ist, merkten die anderen nichts davon. Die meisten Mütter mochten ihn sehr. Es kam nicht selten vor, dass er eine von ihnen spontan bat, auf unseren Sohn aufzupassen, während er ein paar Bier trank, anstatt zu arbeiten, wie er vorgab. Arbeit und Wirtschaft waren für ihn generell schwierig. Als Fotograf sah er sich mehr als Künstler denn als Dienstleister. Der Durchbruch als Fotokünstler blieb aus und sein Einkommen reichte eigentlich nie aus, um die ständig steigenden Lebenshaltungskosten zu decken. Im Mietvertrag unserer Wohnung stehen wir beide, bezahlt habe ich sie immer allein. Von meinem Gehalt als Krankenpflegerin. Niemand weiß, wo ich bin Zigmal wollte ich mich trennen, aber ich hatte nicht den Mut dazu. Da war das schlechte Gewissen Martin gegenüber, ich wollte ihn nicht im Stich lassen. Und dann gab es auch die schönen Momente. Die Momente, in denen es unkompliziert und lustig war. Ich habe lange gehofft, dass wir zusammen glücklich werden. Wir haben sogar über ein zweites Kind gesprochen, über eine größere Wohnung, eben über Heirat. Aber mit jedem Streit, mit jeder Demütigung und jedem Rausch wurde mir mehr bewusst, dass ich Verantwortung für mich und meinen Sohn übernehmen muss. Ich hatte nicht mehr die Kraft, zuzusehen, wie er sich selbst zerstört. Meine Bedingung, dass wir bleiben, war, dass er eine Therapie macht und sein Suchtproblem in den Griff bekommt. Er hat die Therapie nicht gemacht. Aber ich. Es war schmerzhaft, aber überlebensnotwendig. Ich habe gelernt, dass es nicht meine Aufgabe ist, die Sucht meines Partners zu besiegen. Das ist allein seine Sache. Im Mai fasste ich den Mut, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Ich vertraute darauf, dass sich alles zum Guten wenden würde. Dass er einsehen würde, dass unsere Beziehung am Ende ist und wir so nicht weitermachen können. Ich hatte Felix vorher zu meinen Eltern gebracht. Das Gespräch verlief ruhig und

DIE FURCHE · 29 20. Juli 2023 Gesellschaft 11 Krisenzeiten befeuern Frauenmorde. Um sie zu verhindern, ringen Experten um zielgerichtete Maßnahmen. Diese scheitern nicht zuletzt auch an fehlenden Daten. Über Zahlen der Ohnmacht. Femizide ohne Ende vernünftig. Er zeigte sich traurig und enttäuscht, lenkte aber ein und versicherte, keinen Rosenkrieg anzufangen. Ich fuhr zurück zu meinen Eltern und dachte, dass alles gut werden würde. Ich hatte vergessen, wie manipulativ Martin sein kann. Niemand weiß, wo ich gerade bin. Nicht einmal meine Eltern, nicht einmal meine engsten Freundinnen. Ich will nicht, dass jemand für mich lügen muss. Ich weiß, dass ich mich nicht ewig verstecken kann, aber wir brauchen jetzt diese Pause. Ich bin zu Hause nicht mehr sicher und muss mich und mein Kind schützen. „ In der Schlichtungsstelle belehrt mich der Richter, dass vier bis fünf Bier bei der Statur meines Ex-Partners im Rahmen seien und er keine Suchtproblematik sehe. Ich fühle mich gedemütigt. “ Meine Rechtsanwältin ist aus allen Wolken gefallen. Sie hatte mir eindringlich geraten, niemals, auf keinen Fall aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Und auf keinen Fall dürfe ich mein Kind mitnehmen! Aber was tun? Er weigert sich zu gehen! Jeden Tag lese ich von Femiziden in Österreich und denke mir, wer weiß, vielleicht bin ich die Nächste? Ich schreie um Hilfe, aber niemand glaubt mir. Ich werde bedroht, aber die Beamten auf der Polizeistation lachen mich aus. Eine Wegweisung, nur weil ich sage, dass er gedroht hat, sich und uns umzubringen? Das reicht doch nicht, das kann doch jeder behaupten! Er lügt eiskalt, erzählt seine Geschichte, stellt mich als Verrückte dar, die ihm seinen Sohn wegnehmen will. In der Schlichtungsstelle belehrt mich der zuständige Richter, dass vier bis fünf Bier bei der Statur meines Ex-Partners durchaus im Rahmen seien und er keine Suchtproblematik sehe. Ich fühle mich gedemütigt und erniedrigt. Was muss passieren? Wann werde ich endlich aus diesem Albtraum erwachen?“ *Namen von der Redaktion geändert. Wenn Sie misshandelt werden und sich bedroht fühlen, wenden Sie sich bitte an ein Frauenhaus, ein Gewaltschutzzentrum, eine Beratungsstelle oder die Frauenhelpline 0800/222 555. Grafk: Rainer Messerklinger (Quelle: Openpolis/EDJNet/2020) Vorsätzliche Tötung von Frauen pro 100.000 der Bevölkerung PT / IE / ES 0,32 Von Victoria Schwendenwein Die 50-jährige Niederösterreicherin Silvia K. steht mitten im Leben, als sie am Abend des 9. Jänners 2019 Teil einer traurigen Statistik wird. Die Mutter eines Jugendlichen wird anderthalb Jahre nach der Trennung durch mehrere Messerstiche von ihrem Ex-Partner getötet. Die Polizei wird später von einer „reinen Beziehungstat“ sprechen. Ein Fall, wie er hierzulande laut Statistik der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) etwa zweimal im Monat vorkommt. Es handelt sich laut Definition der AÖF um einen Femizid, also die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen (Ex-)Partner. Gerechnet auf die Einwohnerzahl wird Österreich dadurch zu einem der Länder mit der prozentuell höchsten Femizidrate. Daten sind kaum vergleichbar FR 0,43 Auffällig ist das vor allem deshalb, weil die Mordrate mit 0,7 pro 100.000 Einwohner (Stand 2022) zwar insgesamt gering, der Anteil an Frauen unter den Getöteten aber mit mehr als 50 Prozent sehr hoch ist. Zum Vergleich: Im EU- Schnitt wird von einer Mordrate von 0,7 ausgegangen, 36 Prozent davon sind Frauen. Die polizeiliche Kriminalstatistik in Österreich (PKS) verzeichnet 312 Morde, die zwischen 2010 und 2020 in Österreich an Frauen verübt wurden. In 80 Prozent der Fälle liegt eine familiäre Beziehung oder ein nahes Bekanntschaftsverhältnis zwischen Opfer und Täter vor. In wie vielen dieser Fälle die Frauen aber tatsächlich eine Paarbeziehung mit ihren späteren Mördern hatten, erfasst die österreichische Kriminalstatistik nicht. Österreichs Zahlen sind dadurch nur teilweise mit jenen anderer Länder vergleichbar. Hier entsteht aus Sicht von Experten eine Datenlücke. Das ist einer der Gründe, wieso das AÖF mittels Medienbeobachtung eine eigene Statistik führt. 14 von 16 Frauenmorden im ersten Halbjahr 2023 werden als Femizid eingestuft, dazu kommen 24 versuchte Morde an Frauen. „In Krisen steigt die Gewalt“, sagt AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer. Zuletzt habe man das in der Pandemie beobachtet. NL 0,45 DE 0,53 SW 0,25 IT 0,32 CZ 0,42 AT 0,60 SLO 0,57 HR 0,67 PL / SI / HU 0,57 SF / EE / LV 2,14 LT 0,87 GR 0,16 Während der Lockdowns hätten Männer mehr Kontrolle über ihre Partnerinnen ausüben können, danach hätten diverse Gründe wie etwa Arbeitslosigkeit oder finanzielle Unsicherheit zu höherer Gewalt geführt. Dieses Phänomen betrifft laut „European Data Journalism Network“ ganz Europa. Die Plattform stellte die Frage, ob häusliche Gewalt und Femizide durch die Pandemie gestiegen sind. Da es auf europäischer Ebene keine offizielle Statistik nach 2018 gibt, sammelte und analysierte die Plattform vorhandene Daten und inoffizielle Statistiken wie jene der AÖF. Das Ergebnis: Vor allem Griechenland, Slowenien, Deutschland und Italien verzeichnen einen deutlichen Anstieg von Femiziden. Allerdings: Viele Länder veröffentlichen nur sehr lückenhafte Datensätze (siehe Grafik oben). „ Männer sollten verpflichtet werden, die Wohnungen zu verlassen. Wegweisungen alleine reichen nicht. Jede Frau sollte sicher in ihrem Zuhause leben können. “ Maria Rösslhumer RO / BG / Griechenland meldet die niedrigste Femizid- Rate Europas, erlebte laut Zahlen zeitgleich mit Schweden aber den höchsten Anstieg seit 2018. Lettland hält die höchste Femizid-Rate. Vergleichbar sind diese Zahlen aufgrund lückenhafter Daten kaum. Das europäische Netzwerk für Datenjournalismus schätzt die Zahl der Frauenmorde daher anhand der Kategorie „häusliche Tötung“. Im Jahr 2020 waren das in den 15 Staaten, für die Informationen vorliegen, 745 solcher Tötungsdelikte. Allerdings haben 12 Länder für diesen Zeitraum keine derartigen Daten veröffentlicht. Eine europaweite Studie wird erst für das Jahr 2024 erwartet. (vs) Die Vergleichbarkeit von Daten wird von Expertenseite aber als wichtig erachtet, um bessere Schlüsse für die Präventionsarbeit ziehen zu können. In Österreich habe die Regierung in den letzten Jahren diesbezüglich zu wenig Wirksames getan, meint Maria Rösslhumer. Sie sieht auch den Vorstoß von Justizministerin Alma Zadic (Die Grünen) kritisch, Gewaltambulanzen zu etablieren. Zadic will damit im Falle einer Anzeige Beweise sichern und die Verurteilungsrate erhöhen. „Es hilft nichts, noch so viele Beweise zu haben, wenn sie nicht angewendet werden“, sagt Rösslhumer. Bis Gewaltambulanzen effektiv sein können, werde es Jahre brauchen, fürchtet sie und plädiert dafür, dass alle niedergelassenen Ärzte darauf geschult werden, die Auswirkungen von Gewalt zu dokumentieren. Das könne auch die Hemmschwelle Betroffener, sich zu öffnen, senken. Gesamtgesellschaftlich fehle es immer noch an Sensibilität, etwa bei Behörden, wo zu wenig Wissen über Täterstrategien vorhanden sei. „Nicht Frauen, die in der Beziehung Gewalt und Bedrohung erlebt haben, sollten in Frage gestellt werden, sondern die Männer“, sagt Rösslhumer über den Umgang von Behörden mit Betroffenen. Die Gründe dafür sind für sie tief in der Gesellschaft verankert. Frauen werden laut ihr als die Sorgetragenden sozialisiert, Männer als die Umsorgten, die mit Zurückweisung schlecht zurechtkommen. Das sei ein globales Problem und könne auch nicht Menschen mit anderen Herkunftsländern übergestülpt werden, wie das in der breiten Öffentlichkeit gerne getan werde. „Das ist nur eine Strategie, die Verantwortung abzuschieben, denn das Patriarchat sitzt so tief – und es gibt keine Konsequenzen dafür“, sagt Rösslhumer. Für sie ist daher alarmierend: Laut einer deutschen Studie ist jeder dritte junge Mann gewaltbereit. „Wir sind in unseren Werten immer noch nicht weitergekommen.“ Ein Indiz dafür ist auch, dass Österreichs Frauenhäuser laut der AÖF-Geschäftsführerin permanent ausgelastet sind. Das größte Problem liege derzeit darin, leistbare Übergangswohnungen für die betroffenen Frauen zu finden, damit sie nicht zu ihren Misshandlern zurückmüssen. Hier wünscht sich Rösslhumer eine Arbeit in eine andere Richtung. So sollten betreffende Männer verpflichtet werden, Anti-Gewalttrainings zu besuchen und die Wohnungen zu verlassen. Wegweisungen alleine reichen nicht. „Jede Frau sollte sicher in ihrem Zuhause leben können“, sagt Rösslhumer. Lesen Sie auf furche.at, was BKA Kriminalpsychologe Werner Schlojer zu den Frauenmorden in Österreich sagt (19.4.2021).

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023