DIE FURCHE · 25 14 Musik & Literatur 20. Juni 2024 VOLKSOPER Eine Passion der anderen Art Die besten Opernführer sind längst Programmbücher. Allerdings, erst wenn man sie gelesen hat, versteht man so manches, was einem zuvor auf der Bühne verschlossen geblieben ist. Das ist auch bei der jüngsten Produktion der Volksoper Wien nicht anders: „The Gospel According to the Other Mary“. Librettist Peter Sellars bezeichnet es als Passionsoratorium. Genauso gut lässt sich dieser Zweiakter als Opernoratorium ansprechen. Ausgehend von anskizzierten Szenerien aus dem biblischen Passionsgeschehen, angereichert mit Texten verschiedener Dichterinnen und Aktivistinnen aus mehreren Jahrhunderten, geht es in diesen drei Stunden um ein buntes Panorama einer Welt von Gewalt, Unterdrückung, zuweilen auch Hoffnung. Vor allem gespiegelt um die aus dem Gefängnis entlassene (warum eigentlich?) Maria (exzellent Wallis Giunta), ihre Schwester Martha (Jasmin White), die beide ein Heim für obdachlose Frauen führen, und deren in der Untersuchungshaft misshandelten Bruder Lazarus (souverän Alok Kumar). Dabei wird auch versucht, den Wandel des Frauenbilds im Laufe der Jahrhunderte zu reflektieren. Eine in einem Holzkubus untergebrachte Obdachunterkunft bildet das Ambiente des ersten Aktes. Ein offener Raum, was wohl als Wunsch für eine für alle offene Welt zu deuten ist, die Bühnenarchitektur (Sarah Nixon, Hendrik Walther) für den zweiten Akt. Unterschiedliche Herausforderungen für die Regie (Lisenka Heij boer- Castanón), um die inhaltlichen Stränge zu entwirren, zusätzlich die Charaktere halbwegs zu zeichnen. Genau darin liegt die Schwäche dieses Musiktheaters: dass es zu viel auf einmal, und dies unterschiedlich exakt, transportieren will, oft nicht recht weiß, soll es den Blick auf das Schicksal einzelner Personen lenken oder Umstände anprangern, die sich im Laufe der Zeit kaum verändert haben. Mit noch so beredten, zuweilen aus der Kunstgeschichte entlehnten Bildern und Symbolen, lässt sich dies nur ansatzweise schaffen. Da bietet schon John Adams’ aus verschiedensten Inspirationsquellen gespeiste, differenzierte, vom Orchester unter Nicole Paiement höchst engagiert realisierte Musik den ungleich besseren Kompass durch dieses Assoziationsdickicht in Englisch, Spanisch und Latein mit deutschen und englischen Übertiteln. (Walter Dobner) The Gospel According to the Other Mary Volksoper Wien, 21., 24., 30.6. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Mit einer problematischen „CosÌ fan tutte“ vollendet die Staatsoper ihren im Dezember 2021 begonnenen neuen Mozart-Da-Ponte-Zyklus. Darf’s ein bisschen anders sein? Regisseur Barrie Kosky versetzt Mozarts Opernhandlung ins Theater. Mit Emily D’Angelo (Dorabella), Peter Kellner (Guglielmo), Federica Lombardi (Fiordiligi) und Filipe Manu (Ferrando). Von Walter Dobner Mozart ist schwierig. Das weiß man. Erst recht seine „Così“. Seit acht Jahren stand dieser Zweiakter nicht mehr auf dem Programm der Staatsoper. Der von dem früheren Direktor Dominique Meyer angestrebte Mozart-Da-Ponte-Zyklus musste nach den auf wenig Gegenliebe stoßenden Neuproduktionen von „Le nozze di Figaro“ und „Don Giovanni“ abgebrochen werden. Wobei das bei diesem Zyklus ohnedies so eine Sache ist, denn Mozart und seinem genialen Librettisten Lorenzo da Ponte schwebte bei diesen drei Opern keineswegs ein solcher vor. Sie betrachteten diese Opern als Einzelwerke. Dennoch hat sich in den letzten Jahrzehnten diese Zyklusidee etabliert, die nicht nur bei den Salzburger Festspielen, sondern in zahlreichen Opernhäusern in immer wieder neuen musikalischen und szenischen Varianten gepflegt wird. Meist setzt man für ein solches Unterfangen auf ein und dasselbe leading team, wie auch der gegenwärtige Wiener Staatsoperndirektor: Er hat dieses auf mehrere Spielzeiten verteilte, dreiteilige Projekt federführend seinem Musikdirektor Philippe Jordan und dem früheren Co-Direktor des Wiener Schauspielhauses wie Intendanten der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky als Regisseur überantwortet. Dieser verortete „Don Giovanni“, der noch in der Coronazeit, damit ohne Publikum, im Dezember 2021 Premiere hatte, in einer Felslandschaft, machte Leporello zum ebenso testosterongesteuerten Alter Ego Don Giovannis, behandelte die Frauen bloß als Nebensache. Mit nicht gerade großen Stimmen wartete auch der erstmals im März 2023 über die Staatsopernbühne gehende neue „Figaro“ auf. Ihn ließ Barrie Kosky auf einer Art Puppenbühne ablaufen. Die in Kostüme der 1970er Jahre gekleideten Protagonisten fanden sich im Finale nicht wie erwartet in einem Park, sondern auf dem kargen Dachgarten eines Palais. Und „Così fan tutte“, diese „Schule der Liebenden“, wie es im meist unvollständig zitierten Titel dieser Oper heißt? Diesem Sujet versucht der australische Regisseur mit einer Probensituation beizukommen. Kosky deutet den Philosophen Don Alfonso zu einem Regisseur um, zwingt sämtlichen Darstellern wiederholt Verkleidungen auf. Im zweiten Akt erscheinen Ferrando und Guglielmo in Gianluca Falaschis Probengestänge in Frauenkleidern. Eine Travestieparodie? Wie ist es mit den Paaren überhaupt? Waren sie einander jemals in Liebe zugetan? Sind sie einander lästig, fühlt sich die eine oder andere gar dem anderen Geschlecht zugetan? „Così“ als dem Augenblick geschuldetes Spiel mit Geschlechtern, dessen Ausgang bewusst offengelassen wird, um dann Wutanfälle zu provozieren? Wohl nur so lässt sich erklären, dass am Ende die Sängerinnen und Sänger ihrem Regisseur die Klavierauszüge dieser Mozart-Oper auf dessen Regietisch knallen, dass es nur so kracht. Für Erotik, gar Liebe bleibt in dieser überspitzt-unbewältigten Lesart kein Platz. Dabei kündet die Musik gerade davon. Gleich zwei Ferrandos „ Kosky deutet den Philosophen Don Alfonso zu einem Regisseur um, zwingt sämtlichen Darstellern wiederholt Verkleidungen auf. Eine Travestieparodie? “ Luftröhrenprobleme zwangen Filipe Manu, sein Staatsoperndebüt nur zum Teil zu absolvieren. Er gab den Ferrando zwar auf der Bühne und gestaltete die Rezitative, bei den Arien ersetzte ihn Bogdan Volkov mehr routiniert als inspiriert aus dem Orchestergraben. Federica Lombardis Fiordiligi fehlte es vielfach an Selbstbewusstsein und Glanz, Emily D’Angelos Dorabella an gestalterischer Intensität und Noblesse. Mehr Profundheit hätte Peter Kellners Guglielmo gut vertragen. Ist Despina tatsächlich ein so einfaches, ordinäres Geschöpf, wie es bei Kate Lindsey wiederholt durchschien? Christopher Maltmans Don Alfonso hielt schließlich nicht, was er anfangs versprach. Dabei hatten sie alle in Philippe Jordan an der Spitze des differenziert musizierenden Orchesters einen mitfühlenden Begleiter. Zudem sorgte er für einen stimmigen musikalischen Fluss, verlor dabei auch die unverständlicherweise ins Off verbannten Choristen nie aus dem Fokus. Così fan tutte Wiener Staatsoper, 22., 24., 26., 28.6. GANZ DICHT VON SEMIER INSAYIF Widerständige Weichheit & existenzielle Poesophie Zwischenlandung kann man planen aber nicht vorhersehen“, so lautet die erste Verszeile des ersten Gedichtes aus dem „eine Debütgedichtband „weich werden“ von Anja Bachl. Es sind 61 sechszeilige Gedichte, ungereimt und ohne festes Metrum, die jeweils linksbündig am untersten Rand der rechten Seite platziert sind. Die gegenüberliegende linke Buchseite ist immer unbedruckt, also weiß. „wellenförmig Gebundenes ist in sich beweglich und stabil“, heißt es an einer anderen Stelle. Und das könnte man auch zu diesem Gedichtband bemerken. Inhaltlich stellen die Gedichte ein bewegliches Fluidum dar, das gleichzeitig äußerlich durch seine überzeugend klar gewählte Form eine offensichtliche Stabilität erzeugt. Man erfährt von fantastisch-märchenhaften Imaginationen und von Sprachverwandlungen: „eine Fangfrage werden und das unvorangekündigt“. Bachls Gedichte changieren vom Individuum zur Gesellschaft, von der Narbe zur Liebkosung, von weich zu hart und wieder zurück. Im letzten Gedicht heißt es: „… / weich werden ist / Zärtlichkeit und Widerstand leisten zur selben Zeit / wenn es wackelt / krame ich nach Courage und forme mich anhand der Erdrotation“. „Brot und Speer“ lautet der Titel des neuen Gedichtbandes von Christian Zillner. Darin sind zwei Verszeilen zu finden, die etwas hörbar machen, was wohl der ganzen Dichtkunst zugrunde liegt. „Singend jene Fragen suchen, / auf die niemand Antwort weiß.“ Die Gedichte Zillners singen, summen und schweigen manchmal auch auf der Suche nach dem Unaussprechlichen, dem Unaussprechbaren. Und sie tun das, indem sie eine weite Perspektive auf das Menschsein eröffnen. Einerseits werden individuelle Blicke und Momente gezeigt und andererseits kollektiv historische Dimensionen angesprochen, die philosophisch abstrakte Überlegungen über das Sein an sich erfahrbar machen, bis zu den Sternen und darüber hinaus. „Licht, Atem der Sterne / fällt durch das All. // Im Fallen atmen wir / lautlos im Dunklen.“ Es sind 78 Gedichte, ungebunden, ohne festes Metrum, in zwei Kapiteln versammelt, die oft durch Alliterationen, manchmal auch mittels Reimen rhythmisierte Forschungsbewegungen vollziehen. Das letzte Gedicht evoziert multiple Assoziationen. Das reicht von Ecos „Der Name der Rose“ bis zu Rilkes Grabspruch. Da heißt es: „Alle verschwinden / im Duft der Rose, // einmal noch wispern / sie ihren Namen.“ „ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in der Alten Schmiede (nächstes: 20.6.2024) Lyrik vor. weich werden Gedichte von Anja Bachl Haymon 2022 132 S., geb., € 22,90 Brot und Speer Lyrik von Christian Zillner Limbus 2023 96 S., geb., € 15,–
DIE FURCHE · 25 20. Juni 2024 Geschichte 15 Roma und Sinti galten selbst 1948 noch nicht als ganze Menschen: Nachsicht und Hohn begleiteten eine Reihe von NS-Strafprozessen nach dem Krieg. Und heute? Über das Grauen von einst darf nicht geschwiegen werden. Im Gegenteil. Hotspot der falschen Milde Von Hellmut Butterweck Rosa Schneeberger am Tag der Freude auf dem Wiener Heldenplatz am Rednerpult: ein berührendes Ereignis, aber auch ein wichtiges. Rosa Schneeberger kam als Fünfjährige ins „Zigeunerlager Lackenbach“ und wurde als Neunjährige befreit, sie hat Unbeschreibliches erlebt, viele Familienmitglieder wurden ermordet. Doch im Bewusstsein vieler Österreicherinnen und Österreicher ist noch immer nicht ganz angekommen, was die Nationalsozialisten den Roma und Sinti angetan haben. Ihr Holocaust steht im Schatten des anderen, des Holocaust der Juden. Die Juden waren von Anbeginn das primäre Hassobjekt, nicht nur der Nationalsozialisten, sondern auch ihrer geistigen Vorfahren in den deutschvölkischen Bewegungen. Die Wahnsinnsidee, sie auszurotten, ein ganzes Volk von der Erde verschwinden zu lassen, entstand nicht in Hitlers Kopf, sie spukte längst auch in manchem hoch- und höchstgestellten Gehirn. Man sollte jedoch den Antisemitismus nicht mit den eugenischen Ideen des 19. Jahrhunderts verwechseln. Die Juden waren kein „lebensunwertes Leben“, sondern sie wurden gehasst. Sie waren der Teufel und des Teufels. Die Idee, dass es wertvolle, weniger wertvolle und wertlose Menschen gebe und dass die Wertvollen das Recht hätten, die Wertlosen zu beseitigen, war auch in Amerika, in Großbritannien, in Skandinavien, in Frankreich nicht nur bei den Antisemiten weit verbreitet. Die Roma und Sinti wurden ohne Hass ermordet, um nicht zu sagen: geschäftsmäßig, so wie auch die Geisteskranken oder hilflose Alte. Auch für Letzteres gibt es Belege. Spott im Spiegel der Gräueltaten Rosa Schneebergers Leidensgeschichte hat aber eine Kehrseite, an die ebenfalls erinnert werden muss, denn wo in jener Zeit Opfer waren, dort waren stets auch Täter. Die Kehrseite von Frau Schneebergers Schicksal hieß Franz Langmüller, Lagerkommandant. Der einstige österreichische Kriminalbeamte hatte im Sommer 1941 das Kommando des Arbeits- und Anhaltelagers Lackenbach für „Zigeuner“ übernommen und stand am 15. Oktober 1948 vor dem Richter Wagner-Löffler des Volksgerichtes Wien. Er war wegen Quälerei und Misshandlung sowie Verletzung der Menschlichkeit und Menschenwürde angeklagt, mehrere Wiener Zeitungen berichteten über den Prozess. Bei den geringsten Verfehlungen wurden Häftlinge mit Stockhieben bestraft, der Lagerälteste und eigens dazu eingesetzte Kapos mussten die Prügelstrafe an ihren Leidensgefährtinnen und -gefährten vollziehen. Die Lagerinsassen mussten in strenger Winterkälte barfuß durch tiefen Schnee waten, Männer und Frauen mit bloßen Händen die Latrinen ausschöpfen und andere ekelerregende Arbeiten ausführen. Mehrere Zeugen hatten gesehen, wie Langmüller mit Stock und Ochsenziemer die wehrlosen Zwangsarbeiter prügelte. Auf seinen Befehl mussten sich die Frauen im Winter vollständig entkleiden und im Schnee wälzen. Nachdem ein Kind auf der Landstraße seine Notdurft verrichtet hatte, mussten Gefangene auf dem Bauch kriechend mit der Nase die Exkremente wegputzen. Infolge der furchtbaren sanitären Verhältnisse, die er verschuldete, entstand eine Flecktyphusepidemie, der in kurzer Zeit 287 Personen zum Opfer fielen. Langmüller wurde zu einem Jahr schwerem Kerker verurteilt. Ein so mildes Urteil, Foto: Wikipedia/ Hadinger (cc by-sa 3.0 at) so die Arbeiter-Zeitung, „hatte selbst der Angeklagte nicht erwartet“. Die Begründung war fadenscheinig, schwere gesundheitliche Nachteile seien aus den Misshandlungen „erwiesenermaßen“ nicht entstanden, der Angeklagte habe sich eben in einer Zwangslage befunden. Derselbe Vorsitzende Wagner-Löffler hatte bereits im Februar 1948 im Skandalprozess gegen die Mitglieder der „Heeresstreife Groß-Wien“ die zahlreichen Nazi-Zwischenrufe geflissentlich überhört. Als der „Zigeuner“ Nitsch dem Gericht erzählte, siebzig seiner Angehörigen seien in Auschwitz vergast worden, gab es bei den Nazis im Saal ein lautes Gelächter, das vom Vorsitzenden ebenfalls überhört wurde. Auf den Zwischenruf eines Zuhörers, „Ist das so lächerlich? Sind die Todesopfer schon vergessen?“, reagierte Wagner-Löffler aber sofort mit der Drohung: „Ruhe, sonst lasse ich den Saal räumen!“ In der NS-Zeit waren die Roma und Sinti keine Menschen. Offenbar waren sie es auch 1948 noch nicht. Noch nicht ganz, nicht für jeden. Und wie sieht es damit heute aus? „ Antisemiten und Antisemitismus von seinen subtilsten bis zu drastischen Formen gab es auch unter Nazigegnern und -opfern: ein verschwiegenes Kapitel, nicht nur der österreichischen Zeitgeschichte. “ Viele Juristen an den Volksgerichten waren erzkonservativ sozialisiert. Ein jüdischer Theaterdirektor, der in Auschwitz/ Blechhammer als Kapo seine Mitgefangenen gequält haben soll, wurde ohne die Spur eines Beweises schuldig gesprochen. Antisemiten und Antisemitismus von seinen subtilsten bis zu drastischen Formen gab es auch unter Nazigegnern und -opfern: ein verschwiegenes Kapitel, nicht nur der österreichischen Zeitgeschichte. FEDERSPIEL Niemals vergessen Heute erinnert ein Mahnmal an die Opfer des Lagers in Lackenbach. Es war 1940 eingerichtet worden und diente der Inhaftierung und Ausbeutung von Roma und Sinti durch Zwangsarbeit. Salzburger Küche Das Wissen über die Grausamkeit losgelassener Größenwahnsinniger ist manchmal nicht auszuhalten. Fahret zur Hölle! Der Krieg, der erst vor zwei Jahren begonnen hat, setzt nun das Warten auf die No-win-no-win- Situation in Gang. Die Hoffnung auf den Prozess einer Lösung als schlechte Lösung für die schlechtere Lösung stirbt zuletzt, während Putin den Fleischwolf ankurbelt, um Generationen junger Männer und Frauen zu vernichten. Es wird kein gutes Ende nehmen. Das sickert mir ins Bewusstsein auf der Lesereise während der Friedenskonferenz gegen das Andauern des Krieges. Der, durch dieses oder jenes Regime, verlangte blinde Gehorsam setzt zusätzlich zu. Die Tortur. Die Gemeinheit. Der Sadismus. Nur Ohnmacht dagegenzusetzen, verletzt. Ich tröste mich mit einem Gericht. Nicht in Den Haag, sondern in Salzburg. Ein peruanisches Restaurant hat auf. Das Anagramm Lazarett lässt sich aus seinem zarten Namen bilden. Das Lokal ist klein, effizient, gehört einem älteren peruanischen Chef. Sein Küchengehilfe ist ein sehr junger Bur- Lesen Sie auch „Wiener Volksgericht 1945: Österreichs janusköpfige NS-Justiz“ von Hellmut Butterweck (12.8.2020) auf furche.at. Der Senat, der den Kommandanten von Lackenbach mit einem Jahr davonkommen ließ, erwies sich immer wieder als wahrer Hotspot der falschen Milde, und er war nicht der einzige. Auch die Kunsthandwerkerin Monika N., welche die verheimlichte jüdische Abstammung ihrer Vermieterin entdeckte, sich in den Besitz der großen Wohnung auf dem Opernring setzte, indem sie für den Abtransport der Frau nach Auschwitz sorgte und bei einem anderen Senat ebenfalls mit einem Jahr davonkam, schönte die Bilanz der österreichischen Nachkriegsjustiz. Unter den 13.607 Schuldsprüchen (30 vollstreckte Todesurteile inklusive) in über 23.000 Prozessen waren nämlich allzu viele Strafen, die „ein schlimmerer Hohn als ein Freispruch“ waren, wie die Arbeiter-Zeitung damals in ihrem Bericht über den Lackenbach-Prozess schrieb. Der Autor schrieb u. a.: „Verurteilt und Begnadigt – Österreich und seine NS-Straftäter“ (Wien 2003), „Tote im Verhör“, Roman (Wien 2008), „Nationalsozialisten vor dem Volksgericht Wien – Österreichs Ringen um Gerechtigkeit 1945–1955 in der zeitgenössischen Wahrnehmung“ (Innsbruck 2016). sche. Der Ukrainer konnte sich vor dem Fleischwolf retten. Ich wünsche einen steilen Aufstieg in der österreichischen Sozietät. Was denkt er über die Welt im peruanischen Lokal? Er macht sich nützlich. Als Gast fühle ich mich verpflichtet, alles zu kosten. Die Küche Perus ist Weltspitze. Die Ukrainische kann es auch sein. Ich kenne sie aus New York. Putin wäre selbst durch diese Gerichte provoziert? Ein Verbrecher ist immer provoziert. Der junge Mann spricht nicht viel über Politik im Angesicht seines Arbeitgebers. Ich spüre ein Unbehagen. Warum ist der Mann aus Peru hier gelandet, frage ich. Was für Pläne gibt es noch im Leben, als das Essen der Heimat zu zelebrieren? Ein Buch schreiben. Über die Österreicher, aus der Sicht eines Peruaners in seinem Salzburger Lokal. Ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht und fühlte mich heimisch. Die Autorin ist Schriftstellerin. Von Lydia Mischkulnig
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