Dass Facebook an Popularität verliert, ist kein Geheimnis. Doch die Konsequenzen des Untergangs eines Giganten könnten weitreichend sein. Von Adrian Lobe eulich auf Facebook, nachdem man eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr vorbeigeschaut hat: Auf der Startseite wird der Gelegenheitsnutzer an den Urlaub vor elf Jahren erinnert (fast schon vergessen!), im Newsfeed erscheint ein diffuser Strom an Informationen: Lustige Memes und Videoclips mischen sich zwischen ernste Nachrichten, die Urlaubsfotos des auf Kuba weilenden Cousins tauchen zwischen Comics und Oma-Rezepten auf, statt Wohnungsgesuchen sieht man Anzeigen von Immobilienmaklern. Man hat den Eindruck, als würde man zu einer Party kommen, die schon seit Jahren beendet ist, für die aber immer noch Flyer gedruckt werden. Von den 500 Facebook- „Freunden“ ist gerade einmal eine Handvoll online. Der Schulkamerad, von dem man seit Jahren nichts mehr gehört hat? Längst abgemeldet! Der Stammtisch? Inaktiv. Der Kommilitone, der auf seinem Profil noch jung und dynamisch wirkt? Inzwischen Familienvater und ergraut. Beim Blick auf die Erasmus-Gruppe, der man vor 13 Jahren beigetreten war, merkt man selbst, dass man älter geworden ist: „Dein letzter Besuch liegt elf Jahre zurück“, steht da. Mehr tote als lebende Nutzer im Jahr 2070 20 Jahre, nachdem der Harvard-Student Mark Zuckerberg im Studentenwohnheim die Webseite TheFacebook freischaltete, wirkt die Plattform aus der Zeit gefallen: Blutleer, wie eine Geisterstadt. Dazu passt auch eine Studie des Oxford Internet Institute: Demnach wird 2070 auf Facebook die Zahl der toten Nutzer die der lebenden übersteigen. Zuckerberg hatte immer die Vision, aus seiner Plattform einen digitalen Marktplatz zu machen. Nachdem sich dort aber Scharfmacher und Verschwörungstheoretiker tummelten, entschied sich das Management, an den Algorithmen zu drehen und Facebook zum Wohnzimmer zu machen. Friends and family come first, lautete die Losung, die Facebooks damaliger Produktchef und heutiger Instagram-Boss Adam Lesen Sie auch „Nerd, Visionär, Viehzüchter: Mark Zuckerberg wird 40“ (10.5.24) von Manuela Tomic auf furche.at. jedermann zugänglich sind. Diskussionen finden zunehmend in geschlossenen Öko- Systemen wie auf Whatsapp oder Telegram statt. Deren Gruppen beziehungsweise Kanäle sind eine Art unregulierter Sender. Facebook ist derweil zu einer Art Dauerwerbefernsehen verkommen, das zunehmend die Kontrolle über seine Inhalte verliert. So kursierten vor einigen Wochen KI-generierte Jesus-Figuren, wo der Gottessohn unter anderem in Gestalt von Garnelen dargestellt wurde. Die Nutzer nahmen die bizarren Jesus-Darstellungen mit Humor – und kommentierten diese frömmelnd mit „Amen“. Doch für Facebook war dies ein peinlicher Vorfall – nicht nur, weil das Management großen Wert darauf legt, die Gefühle religiöser Menschen nicht zu verletzen, sondern auch, weil es die Attraktivität als Werbeplattform schmälert. Anzeigen machen 97,5 Prozent des Konzernumsatzes aus, das Geschäftsmodell ist wenig diversifiziert. 2020 hatten namhafte Konzerne unter dem Motto #StopHateFor- Profit zu einem Werbeboykott aufgerufen, weil Facebook aus ihrer Sicht nicht entschlossen gegen Hassrede vorginge. Das hat die Plattform X bereits zu spüren bekommen, wo zahlreiche Unternehmen ihre Werbekampagne eingestellt haben, seitdem der Eigner Elon Musk wie wild an den Algorithmen herumdreht und damit die Verbreitung von Verschwörungstheorien befeuert. KI-Müll, Hassrede, Fake News: Ist die Party in sozialen Medien vorbei? Die Zukunft: Ideologische Bunker Das Ende von Social Media wurde schon oft herbeigeraunt. In gewisser Weise gehört die Untergangsstimmung auch zum guten Ton im Silicon Valley. Dort hat man schon viele Start-ups kommen und gehen sehen. Soziale Netzwerke wie Friendster, MySpace oder Google+ liegen heute ebenso auf dem Internet-Friedhof begraben wie studiVZ und schülerVZ, die 2022 endgültig abgeschaltet wurden. Doch ein Abgesang wäre verfrüht und leichtfertig, denn dafür vereinen die Konzerne zu viel soziales Kapital auf sich. Viel spricht für die These, dass sich die Social-Media-Landschaft in zwei Teile mit unterschiedlichen Funktionslogiken aufspaltet: Social und Media. Im öffentlichen Media-Teil bespielen Parteien, Unternehmen und Stars die Kanäle. Im privaten Social-Teil tauschen sich Nutzer und Nutzerinnen untereinander aus. Das hat Implikationen für die digitale Öffentlichkeit, weil Ideen nicht mehr frei Mosseri mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ausgab. Freunde und Fa- Community der Welt und hat mit drei Mil- seiner ideologischen Wagenburg ein. Ein Zwar ist Facebook weiterhin die größte flottieren können: Jeder bunkert sich in milien zuerst. Doch auch in den virtuellen Wohnstuben herrscht gähnende Leere. Katholische Kirche (1,3 Milliarden). Doch den Menschen angemeldet sind, war aber liarden Nutzern mehr Mitglieder als die soziales Netzwerk, in dem drei Milliar- Und Langeweile. Die Musik spielt woanders: Die Generation Z tanzt auf TikTok, die posten weniger. So zeigt eine Analyse der entgegen sozialen Interaktionen struktu- die Nutzer werden älter und passiver – und schon seit jeher überdimensioniert und Spät-Millennials sind zu Instagram, Snapchat oder Telegram abgewandert. Zurück dass die Zahl der US-Amerikaner, die ihr dern, wie Studien belegen, zwischen drei Marktforschungsgesellschaft Gartner, riert: Kein Mensch hat 500 Freunde, son- bleiben die Boomer, die sich via Facebook Leben online teilen, seit 2020 von 40 auf 28 und sechs echte Freunde. Insofern differenziert sich hier etwas aus, was von An- aus dem Urlaub melden. Prozent gesunken ist. Ein enormer Rückgang, der auch mit einem sich ändernden fang an ein dysfunktionales soziales Sys- Facebooks wenig innovative Strategie bestand darin, Mitbewerber aufzukaufen (Instagram, Whatsapp) oder deren Features zu nen und Nutzer sind zurückhaltender mit „Die Zukunft von Social Media ist deut- sozialen Klima zu tun hat: Die Nutzerintem war. kopieren (Snapchat). Doch gegenüber dem Postings, weil das Publikum sensibler geworden ist. Nicht jedem gefällt ein Macho- Times im vergangenen Jahr. Damit ist nicht lich weniger Social“, schrieb die New York dynamischeren Wettbewerber TikTok sieht der blaue Riese alt aus. „Die Lichter auf dem Video, und bevor man einen Shitstorm erntet, teilt man es lieber in der privaten Whatssozialer oder gar asozial werden, sondern gemeint, dass Social-Media-Plattformen un- Marktplatz sind erloschen“, kommentierte das Magazin Economist in seiner Titelgeschichte (The end of the social network). prognostizieren die Gartner-Analysten, me verlagern. So erfreut sich die hyperlokaapp-Fußball-Gruppe. Im kommenden Jahr, soziale Interaktionen sich in kleinere Räu- wird die Hälfte der Social-Media-User ihre le App Nextdoor, eine Art digitale Nachbarschaftshilfe, wo in den USA 42 Millionen Accounts entweder aufgeben oder ihre Nutzung deutlich herunterfahren. Nutzer aktiv sind, wachsender Beliebtheit: In der Meta-Zentrale haben sie die Änderung des Kommunikationsverhaltens be- gegenseitig helfen, zum Beispiel Babysit- Dort können sich Nachbarn vernetzen und reits registriert: So teilte Instagram-Chef ter organisieren, Möbel aufbauen oder mit Mosseri im vergangenen Juli mit, dass Nutzer Fotos und Videos vermehrt in Direkt- Leben spielt also draußen vor der Tür – und dem Hund spazieren gehen. Das wahre nachrichten und Stories teilen, die nicht für nicht im Netz. Von Markus Schauta s waren rund tausend Männer, die am 27. April durch die Straßen Hamburgs zogen. Und drei Dutzend Frauen marschierten – getrennt von ihnen und verschleiert – mit. Ihr großes Ziel hatte die Gruppe „Muslim Interaktiv“ ganz unverblümt auf Schildern formuliert: „Kalifat ist die Lösung“, stand darauf zu lesen, begleitet von Rufen gegen eine vermeintliche „deutsche Wertediktatur“. Die Empörung war groß. Sollte es wirklich erlaubt sein, in einem liberalen, demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland eine Herrschaftsform unter einem religiösen Führer und unter Geltung der Scharia zu fordern? „Schwer erträglich“ nannte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Demonstration, doch habe es „keine Rechtsgrundlage“ für ein Versammlungsverbot gegeben. Zwei Wochen später kam es zur nächsten Demo mit nun 2300 Teilnehmern – diesmal allerdings ohne Rufe nach einem Kalifat. Die Behörden hatten dies in Wort, Bild und Schrift untersagt. Ebenso Aufrufe zu Hass und Gewalt sowie Geschlechtertrennung. So klar das Ziel der Hamburger Islamisten scheint, so historisch uneindeutig ist der von ihnen verwendete Begriff „Kalifat“. Sein Spektrum reicht vom politisch starken Kalifat in Bagdad des 9. Jahrhunderts über das rein repräsentative, wie es etwa in Istanbul der 1920er-Jahre existierte, bis zum aktuellen Kalifat der Gewalt, das Abu Bakr al-Baghdadi mit dem Islamischen Staat in Syrien und Irak errichtete. Geistige Führung oder politische Macht? Auch für die europaweit zehntausenden Anhänger der „Ahmadiyya“ (siehe unten) ist das Kalifat längst Realität – wenn auch deutlich anders, als in Hamburg herbeifantasiert. Während die Organisation Hizb ut- Tahrir, der die Hamburger Islamisten angehören, die Demokratie abschaffen und durch einen islamischen Gottesstaat inklusive Alkoholverbot, Verhüllungsvorschriften und Körperstrafen ersetzen will, haben die Ahmadis keine politischen Ambitionen und glauben an die Trennung von Religion und Staat. „Der Kalif ist unser geisti- darauf hin, dass sich hier der Sitz der Isla- mit dem weißbärtigen Kalifen zeigt. Ob- durchaus verständlich. Umso wichtiger sei liches Wohnhaus aus. Nur ein Schild weist rahmtes Foto, das den Imam gemeinsam tesstaat für Empörung sorgt, ist für Ashraf ger Vater“, sagt Imam Muhammad Ashraf, mischen Ahmadiyya-Gemeinschaft Österreich (AMJÖ) befindet. Mit insgesamt rund britannien lebt, ist er für die Ahmadis in Schauplatzwechsel. Im Jahr 1984 verlegwohl dieser seit den 1980er-Jahren in Groß- Differenzierung, betont er. leitender Obmann und Missionar der Ahmadiyya-Gemeinde in Österreich. „Auch Verfolgungen in 300 Personen ist die Gemeinde überschau- Österreich überaus präsent. Seine Predigte die Ahmadiyya den Sitz ihres Kalifen Wegen blutiger Muslime waren daher von den Hamburger Aufrufen verunsichert.“ Nicht zuletzt Kalif der Ahma- die meisten Mitglieder aus Pakistan und trum übertragen. Das Oberhaupt spreche ge Verfolgungen von Ahmadis in Pakistan, Pakistan ging der bar. Wie überall sonst in Europa stammen ten werden jeden Freitag live im Gebetszen- nach Großbritannien. Grund waren bluti- die Ahmadis selbst, die von Hizb ut-Tahrir diyya 1984 ins Exil Bangladesch, die Zahl der hiesigen Konvertiten ist einstellig. Neben dem Gebetszen- hammad, rufe zu einem friedlichen Mitei- Heute leben rund 50.000 Ahmadis im In- darin über das Leben des Propheten Mu- wo die Kalifen bis dahin residiert hatten. als Häretiker angesehen werden. Doch was nach Großbritannien. 2003 eröff- trum in Wien Gerasdorf gibt es noch zwei nander auf oder kommentiere aktuelle poselstaat. 2003 eröffneten sie in einem süd- will diese Gruppe, die sich selbst als islamische Reformbewegung versteht? nete man in London den größten Muhammad Ashraf trägt zu Hemd und der so rasch als möglich beendet werden den größten Moschee-Komplex Westeuro- weitere Zentren in Linz und Salzburg. litische Ereignisse, wie den Krieg in Gaza – lichen Bezirk Londons namens „Morden“ Das Wiener Zentrum der Ahmadis befindet sich in Gerasdorf. Von außen sieht Moschee-Komplex Sakko die traditionelle pakistanische Kappe. Hinter seinem Schreibtisch steht ein ge- Hamburger Forderungen nach einem Got- solle, betont Ashraf. Dass die lautstarken pas mit Platz für mehr als 10.000 Gläubige. das blassgrüne Gebäude wie ein gewöhn- Westeuropas (s.o.). Die Stimme des Kalifen Eine Autostunde weiter südlich von London – die Landstraße führt durch Wälder, vorbei an alten Kirchen und über Steinbrücken – überrascht wiederum eine Ortstafel mit der Aufschrift „Islamabad“. Sie Ursprünglich stammt die islamische Strömung der Ahmadiyya aus Britisch-Indien. Nach markiert die Zufahrt zu einem weitläufigen Gelände, wo seit 2019 der fünfte Kalif der Teilung des Subkontinents lebte die Mehrheit der Ahmadis im neu gegründeten, mehrheitlich muslimischen Pakistan. Ihr Gründer Mirza Ghulam Ahmad (1835–1908) trat als der Ahmadiyya residiert. Wie bei den Ahmadis üblich, wurde er von einem interna- Erneuerer des Islam auf und erklärte sich zum Messias und Propheten. Nach dem Tod des Gründers spaltete sich die Bewegung. Während sich die Islamische tional besetzten Wahlkomitee auf Lebenszeit gewählt. Das etwa zehn Hektar große, Ahmadiyya-Gemeinschaft (AMJ), um die es in diesem Artikel geht, zahlenmäßig durchsetzte, spielt der Lahore Zweig, der das Kalifat nicht anerkennt, heute nur mehr eine unter- abgeschirmte Areal nahe dem Dorf Tilford geordnete Rolle. 1974 erklärte eine Verfassungsänderung in Pakistan die Ahmadis zu einer beherbergt daneben auch noch Wohnhäuser und Sporteinrichtungen. Etwa ein Dut- nichtmuslimischen Minderheit, der verboten war, ihren Islam zu leben. Auf Zuwiderhandeln stehen schwere Strafen. Um ihre Religion frei ausüben zu können, flüchteten tausende zend Ahmadi-Familien leben hier. Ahmadis in den Westen. 1984 ging auch der Kalif ins Exil nach London. Anders als die Im Zentrum der Anlage befindet sich Ahmadiyya in Deutschland, die als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft anerkannt die Mubarak-Moschee. Kalif Mirza Masroor Ahmad – ein 73-Jähriger mit ge- ist, sind die Ahmadis in Österreich als Verein registriert. Ein Antrag auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft wurde bisher nicht gestellt, da ihnen dazu auch die notwendige pflegtem Bart und weißem Turban – leitet Anzahl an Mitgliedern fehlt. (Markus Schauta) Imam Muhammad Ashraf ist leitender Obmann der hier vor etwa 300 Gläubigen das Freitags- Ahmadiyya-Gemeinde in Österreich. gebet. Die Stimme des Kalifen ist eben- DIE FURCHE · 25 12 Diskurs 20. Juni 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Inhumane Szenarien Facebook stirbt, und das hat Folgen. Von Adrian Lobe sowie Wirklich Digital only? Von Rudolf Taschner Nr. 24, Seiten 12 und 13 Eigentlich müsste es längst Kritik, Diskussionen, Proteste, Abwehr etc. von gläubigen Menschen und aller Religionen gegen diese digitalen Entwicklungen geben. Und damit meine ich die ganze Thematik der Künstlichen Intelligenz, der Algorithmen, ChatGPT, Robotik usw. – dieses ganze Anbeten der heiligen Technik, Informatik. Aus menschlicher, ja, humanistischer Sicht sind diese Szenarien unfassbar. In Japan gibt es schon seit Jahrzehnten Pflegeroboter, ich bin auch in einem Restaurant nahe Ferlach von einem Roboterkellner bedient worden, fürs Erste war das wohl lustig, auch für Kinder, aber wo bleibt dabei das ist Menschliche? Wofür noch Kassiere im Supermarkt, wenn man selbst scannen und bestens bargeldlos zahlen kann? Nette Worte wie „schönen Tag“ oder „schönes Wochenende“ sind doch sinnlos, oder? Da wird der Mensch degradiert und abgestuft, ja zum ersetzbaren, teuren, fehlerhaften, ja unnützen Wesen. Kann ein Roboter einen alten Menschen streicheln, ihm Wärme geben? Auch beim Arbeitsamt werden längst Algorithmen eingesetzt, die über Menschen entscheiden. Befinden bald auch bei Gericht Maschinenrichter für schuldig oder nicht schuldig? Menschen lassen sich Chips in ihren Körper implantieren, um digital im Geschäft zu bezahlen, Tattoos nichts dagegen; Wanderer müssen am Berg gerettet werden, DIE FURCHE · 24 12 Gesellschaft 13. Juni 2024 Bald ganz ohne Freunde N Illustration: Rainer Messerklinger Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer werden immer älter und posten weniger, die Sehnsucht nach analogem Leben wächst. Ist die hohe Zeit der sozialen Netzwerke vorbei? Facebook stirbt, und das hat Folgen „ Die Generation Z tanzt auf Tiktok, die Spät-Millennials sind auf Instagram. Zurück bleiben die Boomer, die sich via Facebook aus dem Urlaub melden. “ weil ihr GPS-Gerät sie in die Schlucht geführt hat; von Datenschutz möchte ich nicht einmal reden. Die großen US-Tech-Konzerne feiern dies als grandiose Zukunft – und die Politik wie auch die Unis, Schulen und Medien machen brav mit. Ich halte diese, die Technik anbetende Entwicklung für brandgefährlich und überaus diskussionswürdig. Auch die nichtreale Welt des Metaverse, in dem sich Facebook-Gründer Zuckerberg als Messias geriert, gehört dringend diskutiert – und ja, auch im Vatikan oder in den einzelnen Diözesen. Zwar bin ich ein großer Anhänger und Nutzer des Internet, doch dieses Auswarten halte ich für überaus beängstigend. Gabriel Lauchard 9170 Ferlach Recht auf Religion Über den Vorstoß zur Abschaffung des verpflichtenden Religionsunterrichts siehe Seiten 6–7 dieser FURCHE Fassungslos und entsetzt lese ich die Forderung des Bildungsstadtrates und Vizebürgermeisters von Wien, Christoph Wiederkehr (Neos), der den Religionsunterricht als Pflichtfach abschaffen und durch einen Demokratie-Unterricht ersetzen will. Doch Kinder haben ein Recht auf Religion! Wenn wir (gerade jetzt) Gewalt abbauen und Menschenwürde aufbauen wollen, dann werden gerade Religionen dies unterstützen. Vieles bekommt der Staat/die Gesellschaft geschenkt, was er/sie selbst nicht „schaffen“ kann – sondern nur die Religion: Menschenfreundlichkeit und Nächstenliebe müssen gelehrt und „vorgelebt“ werden. Das Gespräch über und mit Gott gehört zum Menschen. Pfarrer em. Dr. Karl H. Salesny 1030 Wien Marienerscheinungen? Eine Grotte, eine Quelle und die Faszination von Wundern Von Brigitte Quint Nr. 24, Seite 3 Warum heißt es in diesem interessanten Artikel, dass die Seherin Bernadette Soubirous eine Marien erscheinung bloß „gehabt haben soll“? Warum keine faktische Aussage: „gehabt hat“? Andererseits berichten Sie über bestätigte Wunderheilungen! Das passt nicht zusammen. Mag. Dr. Alfred Racek via Mail Jesus und Mohammed Die Ahmadis: Das andere Kalifat. Von Markus Schauta Nr. 22, Seiten 8–9 Eine Ergänzung zu diesem Artikel: Mirza Ghulam Ahmad, geboren 1835 in Indien, wohlhabender Muslim und überzeugt, dass allein der Koran die rechte Gottesbotschaft für die gesamte Menschheit sei, war tief betroffen von den Erfolgen christlicher Missionare, die ohne Militärgewalt durch Krankenpflege, Sozialdienste und Predigt bei den Hindus wirkten, wohingegen die Missionstätigkeit der einst so erfolgreichen Muslime stagnierte. So sah er sich durch eine Offenbarung Allahs zum Propheten berufen, um den Koran wieder zum Zentrum islamischer Missionsverkündigung zu machen und um speziell auch die Christen zu dem Jesus zu führen, auf den der Koran DIE FURCHE · 22 8 Religion 29. Mai 2024 E HINTERGRUND Reformislam aus Indien Foto: Markus Schauta Platz für 10.000 Während Hamburger Extremisten von einem Kalifat träumen, hat die islamische Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya dieses schon verwirklicht – freilich fernab politischer Machtansprüche. Ein Lokalaugenschein in Wien und London. Die Ahmadis: Das andere Kalifat sich bezieht. Dieser Jesus sei zwar gekreuzigt worden, jedoch nicht gestorben, sondern im Koma vom Kreuz abgenommen und gesund gepflegt worden. Dann sei er nach Kaschmir geflüchtet, habe geheiratet und viele Nachkommen gezeugt. Er habe noch etwa 80 Jahre lang als Prophet und Vorläufer für Mohammed gewirkt, dessen Botschaft später dann auch gern in Kaschmir und in Nordindien angenommen wurde. Verstorben sei dieser Jesus, 120 Jahre alt, in Srinagar und daselbst begraben. (Die Grabinschrift ist aramäisch verfasst, doch seltsamerweise wurde für das Wort Prophet nicht der aramäische Ausdruck näbi verwendet, sondern das in Afghanistan übliche Wort paygamber.) Der neue Prophet Mirza Ghulam Ahmad konnte viele Muslime gewinnen für die Neuinterpretation des dschihad als Geisteskampf zu edler Charakterformung gemäß dem Koran und zur Überwindung der Legendenbotschaft der Evangelien durch Sozialarbeit und friedliche Missionspredigt. Die zu diesem Zweck gegründete Ahmadiyaa Gemeinschaft im Islam wird geleitet durch Kalifen des Propheten Mirza Ghulam Ahmad, die aber in keinem historischen Zusammenhang stehen mit dem Kalifat Mohammeds und deshalb vom traditionellen Islam nicht als Kalifen anerkannt werden P. Iwan Sokolowsky SJ Kardinal-König-Haus, 1130 Wien Bilder vom Altwerden Helfer in Fahrt „Quint-Essenz“ von Brigitte Quint Nr. 23, Seite 15 Meist lese ich mit Vergnügen die pointierten Beiträge von Brigitte Quint – danke dafür! Aber dieser Beitrag ärgert mich! Wenn das höfliche Angebot eines Sitzplatzes gleich zu einer rapiden Beschleunigung des Alterungsprozesses führt, ist es wohl an der Zeit, sich Gedanken über die eigene Einstellung zum Älter- und Altwerden zu machen! Außerdem: Bisher wurde doch immer beklagt, dass „die Jungen“ in den Öffis nicht aufstehen wollen, dass sie so unhöflich sind usw. Der brüsk zurückgewiesene junge Mann wird sich das Aufstehen vielleicht ein anderes Mal überlegen! Ich sehe keinen Grund, die Bekannte für ihr Verhalten noch zu feiern! Falls hier Ironie versteckt war, ist sie mir leider entgangen. Christine Kuhl via Mail Unpassend sarkastisch Das Kostümspiel Von Ilja Steffelbauer Nr. 20, Seite 19 sowie Der Frauenquote entkommen Von Angelika Walser Nr. 21, Seite 12 Der Sarkasmus, von dem diese beiden Artikel geprägt sind, verstört mich anhaltend. Für mich spricht daraus unterdrückte Aggression, deren Aufkommen ich nachvollziehen kann, die für mich aber in Beiträgen zu so ernsthaften Themen sehr unpassend ist. Besonders im Zusammenhang mit Kriegsgeschehen überschreitet dieser sarkastische, ebenso überhebliche (wie der vom Autor kritisierte studentische) Blickwinkel meine Grenze der Geschmacklosigkeit. Nicht Aggression, sondern Ausgleichendes, Annäherung, Ermöglichendes ist NOTwendig! Und zur Frauenquote: Verschärft nicht jedes Mitspielen der „Spielchen“ noch die Problematik? Angelika Delfs Bruck/Leitha Eine sehr wertvolle Familie Einmal „Ritsch“, einmal „Ratsch“ – also zweimal aufgerissen, dann dreimal aufgefaltet, und mit etwas Glück werden aus einem Euro 100.000 Euro, oder aus zwei Euro 120 mal 2.000 Euro, oder aus drei Euro gleich eine halbe Million. Die Rede ist von der Brieflos Familie und deren Hauptgewinnen. Der Weg zum Gewinn ist bei allen drei Spielarten des Briefloses der gleiche, aber ansonsten unterscheiden sie sich schon ganz wesentlich: Optisch natürlich, aber auch in Form und Größe und natürlich in Art und Höhe des Hauptgewinnes. Beim „normalen“ Brieflos gibt es für einen Euro die Chance auf 100.000 Euro. Wer den „Mega Gewinn“ will, entscheidet sich für das Mega Brieflos, bei dem für drei Euro Einsatz 500.000 Euro in Aussicht gestellt werden. Und wer das nächste Jahrzehnt etwas entspannter angehen will, der greift zu „10 fette Jahre“. Da gibt’s nämlich 2.000 Euro monatlich, und das zehn Jahre lang. Foto: Österreichische Lotterien Daneben gibt es natürlich jede Menge weitere Gewinne, die je nach Art des Loses vom Einsatz bis 10.000 Euro reichen. Und noch etwas haben alle drei Lose gemeinsam: Das Bonusrad als zweite Gewinnstufe, bei dem gleich in der Annahmestelle auf dem Spielterminal kleinere Gewinne erzielt werden können. Für jeden Geschmack das passende Brieflos, mit Hauptgewinnen von 100.000 Euro, 120 mal 2.000 Euro, oder eine halbe Million GESELLSCHAFT IN KÜRZE ■ Debatte über Abtreibung Für Diskussionen hat die Forderung von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) gesorgt, den bislang in den ersten drei Monaten straffrei gestellten Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. „Es bereitet uns Sorgen, dass der Gesundheitsminister ohne Not diesen bewährten Kompromiss, der alle Beteiligten achtet, aufgeben will“, erklärt Martina Kronthaler, Generalsekretärin des Vereins „Aktion Leben Österreich“, der dieser Tage 70-Jahr-Jubiläum feiert. Einmal mehr fordert man Fakten und Daten für eine „besonnene“ Diskussion sowie mehr Unterstützung zur Beratung von Frauen in Krisen. KULTUR ■ Katholische Kritik an „Sancta“ Deutliche Kritik an der Wiener-Festwochen-Produktion „Sancta“ der Performancekünstlerin Florentina Holzinger haben Vertreter der katholischen Kirche geäußert. Erzbischof Franz Lackner (Salzburg) und Bischof Hermann Glettler (Innsbruck) bezeichneten das Stück in einer Stellungnahme am 14. Juni als „respektlose Persiflage“. Der Wiener katholische Theologe Jan-Heiner Tück kritisierte die „auftrumpfende Einfallslosigkeit“ der Inszenierung. In der Produktion, die auf Paul Hindemiths Opern-Einakter „Sancta Susanna“ (1922) basiert, kommen u. a. als Nonnen verkleidete nackte Tänzerinnen vor. BILDUNG ■ Bericht „Brennpunkt Schule?“ Personalmangel, zu wenig Wertschätzung, fehlende Ressourcen für Herausforderungen der mentalen Gesundheit, mangelnde Chancenfairness und der unreflektierte Umgang mit Smartphones: Diese Hauptproblemfelder in der Schule zeigt ein soeben veröffentlichter Forschungsbericht. Befragt wurden 59 Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulsozialarbeiter aus allen Bundesländern im März 2024. Sie sind tätig in Volks-, Mittel-, Polytechnischen, Berufs- sowie Allgemeinbildenden höheren Schulen. Für den Bericht verantwortlich ist die MEGA-Bildungsstiftung, in deren Beirat unter anderem Matthias Strolz (ehemals NEOS) sitzt. DIE FURCHE EMPFIEHLT Science Talk: So früh wie möglich? Zum Thema „Frühkindliche Förderung aus wissenschaftlicher Sicht“ diskutieren Yvonne Anders (Uni Bamberg), Natascha J. Taslimi (PH Wien), Fabienne Becker-Stoll (Staatsinstitut für Frühpädagogik, Bayern) und Isabella Sarto-Jackson (Konrad Lorenz-Institut für Kognitionsforschung). Mod.: Doris Helmberger, FURCHE. Mo, 24. 6., 19 Uhr. Aula der Wissenschaften, 1010 Wien. science-talk.at
DIE FURCHE · 25 20. Juni 2024 Literatur 13 Jedes Jahr kürt die UNESCO eine „Welthauptstadt des Buches“. Von April 2024 bis April 2025 darf Straßburg diesen Titel tragen, ein besonders geschichts- und kulturträchtiger Ort. Von Ingeborg Waldinger Grenzstädte sind ein Brennspiegel der Geschichte. Sie spielen eine paradoxe Doppelrolle, fungieren als Bastion und Passage. Hier kreuzen sich Kulturen und Handelsströme, hier wird Nationalität zum ambivalenten Faktor. Straßburg ist ein solcher Platz. Lange Zeit Spielball des deutsch-französischen Kräftemessens, wurde die Stadt letztendlich zum Symbol transnationaler Aussöhnung, zur Hauptstadt Europas. Zu ihrer politischen Relevanz kommt ihre Bedeutung als geistig-kulturelles Zentrum. Straßburgs Wurzeln sind keltischer Natur. Dann kamen die Römer mit ihrem Latein, und nach ihnen die Germanen. 842 legten die Kaisersöhne Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle ihre „Straßburger Eide“ ab und leiteten damit die Teilung des Frankenreichs ein. Aus dem Ostteil wurde später das Heilige Römische Reich deutscher Nation, aus dem Westteil Frankreich. Ab dem frühen Mittelalter war Straßburg eine Bischofsstadt, ab 1262 eine Freie Reichsstadt. Ihre Geschicke lenkten nun mächtige Patrizierdynastien, an deren Sesseln die Zünfte kräftig sägten. Stadt des Glaubens Die Stadt war Wirkungsstätte namhafter Theologen. Meister Eckhart, Johannes Geiler von Kaysersberg oder Thomas Murner hielten hier ihre Kanzelreden, mit viel Volksnähe und zunehmend kirchenkritischem Geist. Auch der Humanist Sebastian Brant prägte das spätmittelalterliche Klima der Stadt. Als Rechtsgelehrter bekleidete er hohe Ämter im Magistrat, als Schriftsteller feierte er mit der Moralsatire „Das Narrenschiff“ große Erfolge. Das Werk stieß auch bei Geiler von Kaysersberg und Thomas Murner auf viel Echo. Murner bezog zudem gegen den Protestantismus Stellung, der in Straßburg auf fruchtbaren Boden fiel. Die Stadt nahm Glaubensflüchtlinge aus ganz Europa auf. Die reformierte Kirche unterstand dem Magistrat, Prediger und Buchdruck sorgten für die rasche Verbreitung von Luthers Lehre. Protestanten hinterließen auch im Bildungswesen ihre Spur. Jakob Sturm gründete ein Gymnasium von europaweitem Renommee; es wurde später zur Akademie erweitert und im 17. Jahrhundert zur Universität erhoben. An ihr wirkten unter anderem Louis Pasteur oder die Historiker Marc Bloch und Lucien Febvre, Begründer der Annales-Schule. Nach dem Dreißigjährigen Krieg annektierte Ludwig XIV. weite Teile des Elsass. Straßburg Hochburg des Buches wurde 1681 französisch und zur Garnison ausgebaut. Der Deutsch- Französische Krieg verschob die Grenzen erneut. Die Stadt gehörte wieder zum Deutschen Reich und bekam die sogenannte Neustadt hinzu. Das Architekturensemble aus Klassizismus und Jugendstil zählt – wie die Altstadt mit ihrem Münster und den Fachwerkhäusern – zum UNESCO-Weltkulturerbe. 1918 wurde Straßburg abermals französisch, 1940–1944 von den Deutschen besetzt. Nach der Befreiung wehte endgültig die Trikolore. In weiterer Folge fiel der Stadt eine übernationale Funktion zu – als Sitz wichtiger europäischer Institutionen: Europarat, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Europäisches Parlament, Eurokorps, Schengener Informationssystem, Europäisches Arzneibuch, der Kultursender Arte u. a. m. Die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft findet ihren jüngsten Ausdruck im grenzüberschreitenden „Garten der zwei Ufer“: Der an den Rheinufern von Straßburg und Kehl angelegte Park ist durch eine Fußgängerund Radfahrerbrücke verbunden. Das Wahrzeichen Straßburgs aber ist und bleibt das Münster. Der Grundstein wurde 1176 gelegt, zu Lebzeiten des legendären Gottfried von Straßburg. Das gotische Meisterwerk aus rosafarbenem Vogesen-Sandstein, dessen zweiter Turm nie gebaut wurde, war bis ins 19. Jahrhundert das höchste Gebäude der Christenheit. In der Reformationszeit wurde die Kathedrale den Protestanten zugewiesen; Ludwig XIV. gab sie den Katholiken unter Pomp zurück. Urmelodie der Marseillaise Während der Französischen Revolution prangte auf der Turmspitze des Münsters eine Phrygische Mütze. Domkapellmeister in jenen stürmischen Zeiten war übrigens der aus Ruppersthal (NÖ) stammende Komponist Ignaz „ Als Goethe seinen Namen auf der Münsterplattform einritzte, war ein anderer schon verewigt: Voltaire. “ Pleyel. Seine „Revolutions-Kantate“ rettete ihn angeblich vor der Guillotine. Den Revolutionären ging auch das „Kriegslied für die Rheinarmee“ ins Ohr, das Rouget de Lisle 1792 in Straßburg komponierte. Es ist – vermutlich – die Urmelodie der Marseillaise. Goethe traf bereits 1770 in Straßburg ein, um sein Jus-Studium zu beenden. Das Münster war seiner Vorstellung nach ein missgeformter Koloss, mit Gotik verband er Unnatürliches, Aufgeflicktes, Überladenes. Das Vorurteil verblasste rasch. Beeindruckt von der Harmonie des Bauwerks, Foto: iStock / Felix Kurschilgen Lesen Sie auch „Vergessene Grenzen“ von Christian Jostmann (25.5.2006) auf furche.at. griff Goethe zur Feder. Er pries den „Genius des großen Werkmeisters“ Erwin von Steinbach und wertete die Gotik als genuin deutschen Stil („Von deutscher Baukunst“). Seine „Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775“ (Titel des Prosahymnus) löste bei deutschen Romantikern eine Art Münster-Hype aus. Zeitgleich mit Goethe studierte J. M. R. Lenz in Straßburg, Georg Büchner kam Jahrzehnte später als Student bzw. als Exilant; alle drei entwickelten eine Schwäche für elsässische Pastorentöchter, mit unterschiedlichem Erfolg. Als Goethe seinen Namen auf der Münsterplattform einritzte, war ein anderer schon verewigt: Voltaire. Im 18. und 19. Jahrhundert zog es neben deutschen auch viele französische Autoren in die Stadt. Alexandre Dumas traf hier mit dem germanophilen Gerard de Nerval zusammen, Alfred de Vigny und (viel später) Saint-Exupéry salutierten in der Garnison auf, Prosper Mérimée kam als oberster Denkmalschützer. Balzac reiste mit seiner geliebten Ewelina Hanska an, Victor Hugo mit seiner Langzeitaffäre Juliette Drouet. Hugos Münsterbesuch fand Eingang in den Prosatext „Le Rhin“. Wiege des Buchdrucks Die Stadt am Rhein ist auch die Wiege des modernen Buchdrucks. Der Mainzer Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, entwickelte hier ab 1434 das Druckverfahren mit beweglichen Lettern, die Typografie. Zehn Jahre später war er zurück in Mainz, wo die lateinische Gutenberg-Bibel in Druck ging. Die erste deutschsprachige Bibel druckte der Straßburger Johannes Mentelin. Lang ist die Liste von Straßburgs großen Druckerei- und Verlagsbetrieben, auf ihr firmieren u. a. noch Johannes Grüninger, Johann Carolus (er gründete 1605 die erste Wochenzeitung der Welt, die Relation), Charles Fischbach oder G. L. Kattentidt, der Rilkes Gedichtsammlung „Leben und Lieder“ druckte. Die sehr alte, auf administrative Dokumente und Lehrbücher spezialisierte „Straßburger Druckerei“ (später „ISTRA“) schloss ihre Tore 2010. Die Zeitung Dernières Nouvelles d’Alsace erscheint bis heute, sie feiert bald ihr 150-Jahr-Jubiläum. Große Tradition hat in Straßburg auch die Illustration von Büchern. Zu den berühmten Graveuren und Zeichnern zählen Hans Baldung Grien, Wendel Dietterlin oder Gustave Doré. Dem antipädagogischen Jugendbuchillustrator Tomi Ungerer ist ein eigenes Museum gewidmet, und der hochprämierte Blutch (Christian Hincker) glänzt als vielseitiger Vertreter des Comic-Genres. Das Medium Buch ist ein zentraler Faktor der Straßburger Kulturgeschichte. Aktuell zählt die Stadt 30 Verlagshäuser, 25 Buchhandlungen und 59 Bibliotheken. Und sie trägt 2024 das UNESCO- Label „Welthauptstadt des Buches“. Ein ganzes Jahr lang (bis April 2025) wird dem Buch in Veranstaltungen und Ausstellungen gehuldigt. In den Fokus rücken dabei der demokratische Dialog, die Medien erziehung, Kreativität und Interkulturalität, aber auch die Wiederkehr von Analphabetismus und Zensur in Europa. Ein weiteres Schlaglicht fällt auf die Literatur Brasiliens: Rio de Janeiro wird 2025 Straßburgs Nachfolger als „Welthauptstadt des Buches“.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE