DIE FURCHE · 16 6 Politik 20. April 2023 Wohnen wählen So wie das Grazer KP-Vorbild setzen auch die Salzburger Kommunisten auf das Schlüsselthema Wohnen – und haben damit nach 75 Jahren erstmals wieder eine Chance, in den Landtag zu kommen. Foto: APA / Franz Neumayr Von Wolfgang Machreich Der kommunistische Spitzenkandidat lädt zum Treffen ins Schloss. Das Bürokammerl, in dem sich Kay-Michael Dankl und ein Mitarbeiter den Schreibtisch teilen, gehörte in den fürsterzbischöflichen und darauffolgenden aristokratischen Zeiten von Schloss Mirabell aber zum Dienstbotentrakt. Ende der 1940er Jahre wurde Mirabell zum Sitz der Stadtgemeinde Salzburg umgewidmet. Seit 1949 hat es auch die KPÖ nicht mehr in den Salzburger Landtag geschafft. Bei den Wahlen am kommenden Sonntag könnte der Wiedereinzug ins Landesparlament aber nach 75 Jahren wieder gelingen: Umfragen sehen das Wahlergebnis der KPÖ plus über der Fünfprozenthürde. Salzburg wäre damit nach der Steiermark das zweite Bundesland mit der KPÖ im Landtag. Und wie in der Steiermark führt auch der (Wahl-) Erfolgsweg der Salzburger Kommunisten über die Stadtpolitik. Bei der Gemeinderatswahl 2019 erreichte Spitzenkandidat Dankl 3,7 Prozent der Stimmen, ein Gemeinderatsmandat und den Einzug in Mirabell. Wohnsorgen-Ombudsmann Die steile Wendeltreppe hinauf in sein Büro und die beengten Platzverhältnisse spiegeln recht gut die prekäre Wohnungssituation in Stadt und Land Salzburg wider. „Einer fürs Wohnen“, bewerben die KPÖ-Wahlplakate den Spitzenkandidaten. Über 500 Salzburgerinnen und Salzburger sind in den vergangenen vier Jahren ins Dankl-Büro gekommen und haben ihn im Rahmen seiner Sprechstunden um Rat, rechtliche und finanzielle Unterstützung in Wohnungsnöten gefragt. So wie in Graz ist auch in Salzburg Wohnen „unser Schlüsselthema“, sagt Dankl und nennt daran anschließend seine beste Wahlhelferin: „Die Realität ist unsere beste Verbündete.“ Wie In der Wahldiskussion „Pazifismus ist Realpolitik“ am 21. November 2002 zwischen den damaligen Parteichefs von KPÖ und LIF zeigten sich erstaunlich viele Übereinstimmungen. Bei den Salzburger Landtagswahlen am kommenden Sonntag könnte es die KPÖ ins zweite österreichische Landesparlament schaffen. Ein Warnsignal an die SPÖ im Links-rechts-Richtungsstreit? Nervensäge für die linke Lücke realistisch sieht es aber der Spitzenkandidat selbst, dass er nach dem 23. April neben der politischen Orgel im Gemeinderat das Wohnungsthema auch im Landtag rauf und runter spielen kann? Dazu müsste die KPÖ ihr Ergebnis im Vergleich zu den Landtagswahlen vor fünf Jahren verzwölffachen – oder gegenüber den Gemeinderatswahlen 2019 immer noch versechsfachen. Dankl nennt die Umfragen „ermutigend“ und sieht darin eine Hilfestellung: „Wenn es knapp wird, macht bei uns jede Stimme einen Unterschied, ist keine verlorene Stimme. Das könnte einigen einen Anreiz geben, erstmals KPÖ plus zu wählen.“ „ Wenn die SPÖ nach rechts rückt oder nicht pointiert linke Positionen vertritt: Dann verliert sie nach links. “ Für Politikwissenschafter Eric Miklin kommen die Erfolgsaussichten für die Salzburger Kommunisten „einerseits überraschend“, sagt er. „Andererseits ist die aktuelle politische Themenlage für das Programm der KPÖ plus sehr günstig: Die Teuerung sowie die steigenden Wohn- und Energiekosten schaffen ein Wählerpotenzial, das von der KPÖ zurzeit als einziger Partei sehr offensiv angesprochen wird.“ Miklin ist Professor für österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive an der Universität Salzburg. Die politische, wirtschaftliche und soziale Gemengelage in Salzburg sei vergleichbar mit Graz, sagt Miklin: „Wohnen in Salzburg ist wahnsinnig teuer geworden, in der Stadt sowieso, aber auch im Umland wird das Problem immer größer. So wie in Graz deckt die KPÖ in Salzburg diese Wohnproblematik seit Jahren recht gut ab.“ Zu sagen, Dankl habe das erfolgreiche „Kahr-PÖ“-Modell, benannt nach der Grazer Bürgermeisterin, nur nach Salzburg Foto: Wolfgang Machreich transferiert, greift für Miklin zu kurz: „Die KPÖ in Salzburg hängt noch mehr an der Person Kay-Michael Dankl als die KPÖ in Graz an Elke Kahr.“ In Graz gebe es eine längere kommunistische Tradition, begründet Miklin seine Meinung: „Dankl gibt sich sehr bürgernah, spendet Teile seines Gemeinderatsgehalts, arbeitet also mit denselben Instrumenten wie Kahr in Graz, aber in Salzburg wird die KPÖ allein mit seiner Person verbunden.“ Kleine Ironie der Parteigeschichte: Kay-Michael Dankl wurde 1988 in Graz geboren. Aufgewachsen ist er im Salzburger Pinzgau. Er studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Salzburg, politisch engagierte er sich bei den Jungen Grünen. Nach dem Konflikt der Parteijugend mit der grünen Parteiführung 2017 wurde Dankl parteipolitisch heimatlos. „Wir wollten die große Lücke, die es in Salzburg links von der SPÖ gibt, irgendwie füllen“, beschreibt er die Motivation von ihm und Gleichgesinnten, „gemeinsam mit der KPÖ zu schauen, ob wir da nicht mehr schaffen können“. Ergebnis dieser politischen Herbergssuche ist die Salzburger KPÖ plus, deren personelle Erweiterung sich seither auch in einem Wählerstimmenplus niederschlägt. „Schlossherr“ Dankl in seinem Mirabell-Büro, wo er als Gemeinderat über 500 Salzburger in Wohnungsnöten empfangen sowie rechtlich und finanziell unterstützt hat.
DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Politik 7 Die Ideen der Grazer Bürgermeisterin für einen „neuen Kommunismus“ erscheinen in Buchform. Elke Kahrs Lösungsvorschläge für aktuelle Missstände klingen verlockend. Doch sie bleiben eine Utopie. Marxismus auf Steirisch „Die schwierige Situation der SPÖ hilft da sicher mit“, erklärt Politikwissenschafter Miklin einen weiteren Grund für das KP-Morgenlüfterl in Salzburg. Neben einem Glaubwürdigkeitsproblem der SPÖ, die vor nicht allzu langer Zeit noch die Landeshauptfrau und den Bürgermeister der Stadt Salzburg gestellt hat, „tritt jetzt genau das ein, was passiert, wenn die SPÖ nach rechts rückt oder nicht pointiert linke Positionen vertritt: Dann verliert sie nach links. Das können die Grünen sein oder in dem Fall die KPÖ, die hier schon eine etablierte Marke ist.“ In Salzburg profitierten Dankl und sein KP-Team auch davon, dass SP-Spitzenkandidat David Egger bei der Landtagswahl dem (rechten) Doskozil-Flügel in der Sozialdemokratie zugerechnet werde. Die Grünen sind sowohl im Land als auch im Bund in der Regierung, sagt Miklin, sie könnten deswegen bei diesen Wahlen „nicht den Oppositionsbonus, wo man einfach alles fordern kann, für sich beanspruchen“. Eine Art KPÖ-Babler? KP-Spitzenkandidat Dankl nimmt für sich in Anspruch, „immer noch die gleichen Grundsätze zu vertreten, die ich vor fünfzehn Jahren vertreten habe: Dazu gehört, dass manche Lebensbereiche zu wichtig sind, um sie der kapitalistischen Kosten-Nutzen- Rechnung zu überlassen. Da ist Wohnen das beste Beispiel.“ Die Grazer Bürgermeisterin Kahr schreibt in ihrem Buch, dass sie sich nicht über SPÖ-Verluste freut (siehe rechts). „Die Lücke, die die SPÖ hinterlässt, ist riesengroß“, sagt auch Spitzenkandidat Dankl: „Viele wenden sich enttäuscht von der SPÖ ab, gehen nicht mehr wählen. Wir wollen der größten Partei, der Nichtwählerpartei, Stimmen wegnehmen.“ Gefragt nach Parallelen zwischen der linken Parteihoffnung im Vorsitzendenwahlkarussell der SPÖ, Andreas Babler, und dem KPÖ-Spitzenkandidaten in Salzburg betont der Politikexperte Miklin vor allem die Unterschiede: „Babler redet noch, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, trägt sein Herz auf der Zunge. Bei Dankl wirkt die Kommunikation professioneller. Die Werbebotschaften sind sehr stark geformt: ‚Kümmern statt abkassieren!‘, ‚Wohnräume statt Investorenträume!‘. Die KPÖ greift da in die Kiste, aus der auch Rechtspopulisten ihre Slogans nehmen: Die anderen sind gegen euch, wir sind für euch!“ Darauf angesprochen, zitiert Dankl Plakatsprüche der anderen Parteien, die allesamt keine Beispiele für gekonnte Differenzierung darstellen. Er habe auch kein Problem mit unterschiedlichen Wahlprogrammen – „auch andere Parteien haben gute Vorschläge“. Das Problem sei, „dass diese nach der Wahl nicht umgesetzt werden“. Sollte die KPÖ in den Landtag kommen, möchte Dankl vor allem „Nervensäge“ für die anderen Parteien sein: „Die vielen Wahlversprechen brauchen nach der Wahl jemanden, der lästig ist!“ Von Brigitte Quint dir vor, es gäbe keinen Besitz mehr, ich frage mich, ob du das kannst. Keinen Grund für Gier oder Hunger, ei- „Stell ne Menschheit in Brüderlichkeit“ („Imagine“, John Lennon) – eines von zahlreichen Zitaten aus Lennon-Songs, die Elke Kahr in das aktuelle Buch „Es geht auch anders“ einflechten ließ. In dem aktuellen Band – der auf Basis von Interviews mit der Autorin Silvia Jelincic entstand – vertritt sie unter anderen die These, dass „echte kommunistische Politik“ auch Friedenspolitik sei. Das wiederum bedeute, dass Konflikte stets in engem Zusammenhang mit wirtschaftlicher Macht und einem ausbeuterischen System einhergingen. Gebilde, die ein friedliches Zusammenleben konterkarierten. Kahr stützt sich in ihrer Argumentation bewusst auf die Schriften von Marx und Engels, die ihre eigene Weltanschauung am besten umreißen würden. Mit einem Unterschied: Sie ruft nicht zur Revolution auf, und sie scheint auch nicht davon auszugehen, dass der Kapitalismus zwangsläufig zusammenbrechen muss. Stattdessen regt sie an, dessen Negativfolgen mit einer gerechteren Politik zu begegnen. „ Eine breite Akzeptanz dürfte sie für ihren gelebten Gerechtigkeitssinn erfahren. Von ihrem Gehalt (8300 Euro) behält sie nur 2000 Euro, unterstützt mit dem Rest Bedürftige. “ Ganztagsschule und 30-Stunden-Woche An dieser Stelle würde man sich wünschen, sie wäre tiefer in die Theorie des Marxismus eingestiegen, hätte den Versuch unternommen, die zahlreichen Argumente, dieser sei widerlegt, zu entkräften. Das hätte zwangsläufig mit sich gebracht, sich damit auseinanderzusetzen, wie technischer Fortschritt, Innovation und Unternehmerinitiative auch gelingen können, wenn sich der Staat der Wirtschaft vermehrt und umfänglich annimmt. Wer Fehler in Kahrs Argumentationslinie sucht, findet sie an Stellen, wo sie über philosophische Fragestellungen oberflächlich hinwegfegt. Dennoch ist das kein Grund, ihre Analyse zum Status quo zu zerreißen. Tatsächlich ist diese sehr schlüssig und mit nachvollziehbaren Praxisbeispielen untermauert. Kahr sieht die Bereiche Arbeit, Bildung, Wohnen, Gesundheit, Umwelt, Umverteilung sowie Demokratie als ganz zentral für Zukunft und Gegenwart und schlägt ihren Leserinnen und Lesern, den Entscheidungsträgern der etablierten Parteien vor, jene aus anderen Blickwinkeln zu betrachten: „Wir brauchen nicht nur das Einkommen, das wir mit Arbeit erzielen, sondern die damit verbundenen Begegnungen und die Anerkennung. Immer mehr Menschen arbeiten bis zum Umfallen, während andere keine Chance auf eine geregelte, bezahlte Arbeit bekommen.“ Kahr bezieht sich hier etwa auf ältere Arbeitssuchende, Menschen mit Beeinträchtigungen, sogenannte Geringqualifizierte. Sie spricht sich dagegen aus, beim Thema Arbeit den Leistungsgedanken in den Vordergrund zu stellen, fordert stattdessen ein Umdenken in Richtung Arbeitszeitverkürzung. „Dreißig statt vierzig Stunden die Woche, bei gleichbleibender Bezahlung, das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit.“ Den Königsweg in puncto Bildung ortet sie im Konzept der Gesamtschule. Erstens weil diese der frühen Selektion von Jugendlichen entgegenwirke. Zweitens weil innerhalb dieser Schulform alle Fähigkeiten und Fertigkeiten Berücksichtigung fänden. Drittens weil junge Erwachsene über ihren Lebensweg autonomer entscheiden könnten. Ein vom Kapitalismus geprägtes Bildungssystem, wie es laut Kahr in Österreich vorzufinden sei, wolle die Mädchen und Buben früh nach seinem Leistungsprinzip sortieren und effizient gemäß seinem Bedarf qualifizieren. „Viel zu früh konfrontieren wir heute junge Menschen mit den Problemen der Welt und trimmen sie auf Leistung. […] Lehrkräfte sowie Eltern sind überfordert und an öffentlicher Unterstützung mangelt es zunehmend.“ Kinder aus bildungsfernen Gruppen seien auf die Art stets im Nachteil. Dass Letzteres der Realität entspricht, ist längst erwiesen. Auch schlägt Kahr das Schulfach „Friedenserziehung“ vor. Warum nicht? Es gab schon schlechtere den Lehrplan betreffende Ideen. Dass nicht nur die Schule Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes hat, sondern auch die Haltung der Herkunftsfamilie, bleibt unerwähnt. Umweltschutz und eine gewisse Form von Protektionismus scheinen sich für die Grazer Bürgermeisterin gegenseitig zu befeuern. Sie rät (den Bürgern, aber vor allem dem Staat), auf heimische Produktion zu setzen und Außenhandelsbeziehungen kritischer zu sehen. Globale „Konzerne, die für ihre Profite weiterhin ausbeuten und zerstören“, gelte es zu bekämpfen, da sie die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen zerstörten. „China“ als Variable bleibt außen vor Ein hehres Ziel, dem wohl viele etwas abgewinnen können. Auch weil sie ihre Visionen mit Projekten untermauert, die in Graz bereits umgesetzt wurden. Allerdings lassen sich stadtpolitische Maßnahmen nicht einfach eins zu eins in bundespolitische, europapolitische oder gar geopolitische übertragen. Dafür ist die Welt zu komplex, was in Kahrs Buch zu kurz kommt. Wer mächtige Konzerne in die Schranken weisen will, der sollte Va ria blen wie „China“, „Indien“ oder die „friedenspolitischen Aspekte von Freihandelsabkommen“ zumindest mitdenken. Eine breite Akzeptanz dürfte die Steirerin für ihren gelebten Gerechtigkeitssinn erfahren, den sie von all ihren Kolleginnen und Kollegen einfordert: Von ihrem Bürgermeistergehalt (8300 Euro netto) behält sie nur 2000 Euro und unterstützt mit dem restlichen Geld Bedürftige. Es ist wenig verwunderlich, dass sie als bundespolitische Entscheidungsträgerin alle Gutverdiener in die Pflicht nehmen würde bzw. sich für eine Vermögenssteuer ausspricht. Würde Österreich von der KPÖ regiert, ginge es dann menschlicher zu? Elke Kahr würde das bejahen. Empirisch bestätigen kann sie das freilich nicht. Dennoch ist ihre Sicht auf die Welt mitunter erhellend, regt zum Nachdenken an. Es ist eine Utopie, das Bild einer Gesellschaft, die es vermutlich nie geben wird. Von Lennons „Imagine“ heißt es ja, das Lied habe geholfen, starre Gedankengänge zu belüften. Es ginge auch anders. Ganz sicher. Foto: APA / Erwin Scheriau Am 26. September 2021 wurde die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) zur stärksten Kraft und Elke Kahr in der Folge zur Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Graz gewählt. Es geht auch anders Wie das Leben für uns alle wieder lebenswert wird Von Elke Kahr und Silvia Jelincic edition a 2023 128 S., geb., € 20,–
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