DIE FURCHE · 16 24 Kunst 20. April 2023 Selbst ist die Frau Artemisia Gentileschi (1593‒1654): Sie war selbstbewusst, geschäftstüchtig und betrieb ihre eigene Malerwerkstatt. Für die Barockzeit war das sehr ungewöhnlich. Selbstbildnis als Lautenspielerin, Öl auf Leinwand, um 1615‒1617. Von Angela Huemer Eine neue Biografie beleuchtet das Leben der Barockmalerin Artemisia Gentileschi und rückt ihr Werk damit aus dem Schatten der Geschichte. Zeit zu würdigen Zwei Frauen sind angestrengt und konzentriert bei der Arbeit. Das Gesicht der Magd verrät die gewaltige Anstrengung, mit der sie den Arm des kräftigen Mannes nach unten zu drücken versucht. Neben ihr steht Judith. Mit einem großen Schwert hat sie soeben begonnen, Holofernes zu köpfen, sein Blut spritzt in alle Richtungen. In einem letzten Versuch, sich zu wehren, ragt sein rechter Arm nach oben, seine geballte Faust ist fast größer als das Gesicht der Magd. Die Geschichte aus dem Alten Testament ist ein beliebtes Motiv, besonders der barocken Malerei: Die Witwe Judith rettet mit diesem Gewaltakt ihre Stadt vor dem General Holofernes und seinen Truppen. Die beschriebene Darstellung hat die 1593 in Rom geborene Artemisia Gentileschi circa 1612/13 und ein zweites Mal 1613/14 gemalt. Kein Wunder, dass Susanna Partsch ihre kluge und sehr gut lesbare Biografie dieser herausragenden Malerpersönlichkeit mit einer Analyse ebendieser beiden Bilder beginnt: Noch nie, schreibt Partsch, ist dieses Motiv so gewalttätig und kaltblütig dargestellt worden. Gut zehn Jahre zuvor malte Caravaggio sein berühmtes Bild „ Zeitlebens und noch lange danach war sie bekannt und sehr gerühmt. Das änderte sich erst im 19. Jahrhundert. “ Foto: imago / United Archives International von Judith und Holofernes. Von ihm übernahm Artemisia Gentileschi die Art der Lichtführung – wie mit einem Scheinwerfer beleuchtet, treten die Figuren aus dem Hintergrund hervor. Ihre Fassung ist jedoch um einiges realistischer – bei Caravaggio ist die Magd eine alte Frau, und die fast zögerlich und ängstlich wirkende Judith sieht nicht so aus, als ob sie diesen kräftigen Mann überwinden, geschweige denn köpfen könnte. Als älteste Tochter von Orazio Gentileschi, einem bedeutenden Barockmaler, der Caravaggio kannte, war Artemisia seit ihrer frühen Kindheit mit Caravaggios Kunst vertraut. Artemisias Mutter Prudenzia Montoni starb Ende 1605 im Kindbett, da war Artemisia erst zwölf Jahre alt. Begraben wurde sie in der römischen Kirche Santa Maria del Popolo. Zu diesem Zeitpunkt hingen dort zwei Meisterwerke Caravaggios: die Bekehrung des heiligen Paulus und die Kreuzigung des heiligen Petrus. Schon früh arbeitete Artemisia in der Werkstatt ihres Vaters – spätestens 1607, 1610 signierte sie ihr erstes Bild. Orazio förderte sie, so gut er konnte. Artemisia hatte fünf Brüder, von denen nur drei das Erwachsenenalter erlebten. Susanna Partsch beginnt ihre exzellente Biografie auch deshalb mit den Judith-und-Holofernes-Bildern, da kurz vor deren Entstehung Artemisia die wohl schwierigste Zeit ihres jungen Lebens bewältigen musste. Im Mai 1611 vergewaltigte der römische Maler Agostino Tassi die erst 17-Jährige. Ab März 1611 arbeitete Tassi mit Orazio im Quirinalspalast. Kurz vor der Vergewaltigung hatte er einen Monat im Gefängnis verbracht, da er sich an seiner Schwägerin vergangen hatte. Ein knappes Jahr später, im März 1612, erstattete Orazio Anzeige gegen Tassi wegen „Stupro“, also Entjungferung, die einzige Form der Vergewaltigung, die damals gerichtlich belangt werden konnte – vermutlich deswegen, weil Tassi sein nach der Vergewaltigung gegebenes Heiratsversprechen nicht eingehalten hatte. Die Prozessakten haben sich erhalten. Mutig und konkret schildert Artemisia darin die Vergewaltigung. Zudem wurde sie einer Folter unterzogen, um zu prüfen, ob sie die Wahrheit sagte. Dabei zog man eine Kordel um die einzelnen Finger und zog so daran, dass die Finger zwar gequetscht, aber nicht verletzt wurden. Tassi wurde verurteilt. Nur einen Tag nach der Urteilsverkündigung heiratete Artemisia Pierantonio Stiattesi, einen Apotheker aus Florenz. Wenig später zogen die beiden dorthin. „Häufig wurden Hochzeit und Umzug nach Florenz als Flucht aus Rom interpretiert, davon ausgehend, dass der Prozess und die Schande der Defloration in aller Munde waren. Doch fanden solche Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.“ Artemisia war, so Partsch, „weder in Rom noch in Florenz mit einem kaum wiedergutzumachenden Makel belegt“. Durch die oftmals allzu sehr biografische Deutung ihres Werks würden Artemisia Fähigkeiten und Besonderheiten nicht angemessen gewürdigt. Natürlich bietet es sich an, die brutale Köpfung Holofernes’ als eine Art künstlerischer Rache zu deuten; ebenso wie ihr Bild „Susanna und die Alten“, in dem es um sexuelle Belästigung geht. Beide Sujets waren äußerst populär in der Barockmalerei. In Florenz brachte Artemisia in nur sieben Jahren fünf Kinder zur Welt, nur eine Tochter überlebte bis ins Erwachsenenalter. Nach Florenz lebte Artemisia kurz in Prato, erneut in Rom, Venedig, Neapel und sogar ein Jahr in London. In den erhaltenen Briefen an Auftraggeber zeigte sie sich selbstbewusst und geschäftstüchtig. Einem Mäzen versicherte sie, er finde bei ihr „einen kämpferischen Geist im Herzen einer Frau“. Sie arbeitete großformatig und legte sich keine Beschränkungen in Hinblick auf Motive und Genres auf. Selbstbewusst stellte sie sich mehrmals selbst dar, als Märtyrerin Caterina, aber auch als Verkörperung der Malerei. Und: In Neapel betrieb sie eine eigene Werkstatt, was für eine Malerin damals sehr ungewöhnlich war. Wann genau sie starb, ist nicht bekannt, vermutlich fiel sie in Neapel der Pest zum Opfer. Ihre Sicht auf Frauen ist denen ihrer Zeitgenossen überlegen. Zeitlebens und noch lange danach war sie bekannt und sehr gerühmt. Das änderte sich erst, als die Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert zur Wissenschaft wurde. Wie so viele andere Künstlerinnen wurde sie nicht mehr erwähnt und schlicht vergessen. In Wien kann man ab 22. April im Dorotheum ein neu entdecktes Werk von Gentileschi bewundern, „Abraham und die drei Engel“, entstanden in Neapel, circa 1645. Schätzpreis 150.000 bis 200.000 Euro. Denn: Neben den „Old Masters“ widmen sich die Auktionshäuser nun endlich auch den „Old Mistresses“. Artemisia Gentileschi Von Susanna Partsch Molden 2023 256 S., geb., € 30,– DER CHANCEN PODCAST Warum es eine klimasoziale Migrationspolitik braucht Mittlerweile sind viele Menschen auf der Flucht, ob vor Klimakatastrophen, Hunger oder Kriegen: Der Faktor Mi gra tion ist eine wichtige Säule, um auch den Klimaschutz voranzutreiben, sagt die Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger. Im Gespräch mit Manuela Tomic erklärt sie, warum Klimaschutz und eine progressive Migrationspolitik Hand in Hand gehen. furche.at/chancen
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