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DIE FURCHE 20.04.2023

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DIE FURCHE · 16 20 Film 20. April 2023 DOKUMENTARFILM Im Geist von Agitprop Zwar ist der Dokumentarfilm „Rise Up“ erst ab 14 Jahren freigegeben, in seiner Didaktik ist er für Zehnjährige adä quat. Das soll sein Anliegen nicht schmälern, zum „aktiven Widerstand“ aufzurufen. Wogegen? Vor allem „das kapitalistische System“ machen die vier Filmemacher(innen) Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel für die Misere(n) dieser Welt verantwortlich. Selbstverständlich haben sie damit recht. Alternativen präsentieren aber auch sie keine. Im Geist von Agitprop kombinieren sie kontrastreiche, farbintensive Bilder von Protesten, „Konsumtempeln“ und Jugendlichen mit einer in Schlagwortkapitel unterteilten Dramaturgie, die von einer jungen, weiblichen Ich-Erzählerin und pathetischem, Pamphlet-tauglichem Text geleitet ist. Als role models des aktiven politischen Widerstands präsentieren sie fünf zeitgenössische Aktivist(inn)en: Shahida Issel, eine der wichtigsten Kämpfer(innen) gegen die Apartheid in Südafrika; Judith Braband, die zu den führenden Köpfen der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR zählt; Kali Akuno, der seit Langem Menschen in den USA für die Selbstermächtigung rassistisch benachteiligter Afroamerikaner organisiert; Camila Cáceres, die in Chile regelmäßig gegen wirtschaftliche Ausbeutung und für feministischen Fortschritt auf die Straße geht; und Marlene Sonntag, die in der kurdischen Frauenbewegung aktiv ist. Wenn der Film diese fünf für sich sprechen lässt, ist er übrigens am besten. (Alexandra Zawia) Rise Up D 2022. Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel Polyfilm. 89 Min. Role models der Selbstermächtigung will „Rise Up“ vor den Vorhang holen. Von Otto Friedrich Mit „Unser täglich Brot“ lieferte der Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter schon vor 17 Jahren den Aufweis, dass er mit eindringlichen Bildern von jenen Taten des Menschen erzählen kann, welche nie und nimmer in eine glorreiche Geschichtsschreibung Eingang gefunden haben: Die ungleiche Verteilung von Nahrung auf der Welt und die Kommerzialisierung des Essens trafen damals schon einen Nerv. In vielen Arbeiten seither ist sich der österreichische Filmemacher solchem Credo treu geblieben – etwa auch in „Erde“ (2019), wo er anhand von Erdbewegungen dem Raubbau am Planeten mit atemberaubenden wie atemraubenden Bildern zu Leibe rückte. Nun kommt Geyrhalters nächster Hammer an Dokumentarfilm in die Kinos. „Matter Out of Place“ ist ein geradezu harmloser Titel für den Wahnsinn, dessen sich die aktuelle Zivilisation befleißigt: Materie, die nicht hierhergehört, so die ungefähre Übersetzung des Geyr halter-Titels, und es geht diesem Propheten der globalen Frevel um den Müll, der lokal wie weltweit zu einem erstrangigen Problem der Menschheit geworden ist. Geradezu unschuldig beginnt der Film auf einem Feld im schweizerischen Solothurn, wo ein Bagger gleich unterhalb der Grasnarbe auf Abfälle von Reifen bis zu Glasflaschen und Plastik stößt. Eine friedliche Wiese grünt über einer ehemaligen Deponie – und man muss nur ein wenig am Lack der Zivilisation kratzen, um „ In der Bildgewalt Geyrhalters wird die Bedrohung durch Müll erst recht greifbar für alle, die sich davon ergreifen lassen wollen. “ zu sehen, was sich darunter verbirgt. Grausliches. Man weiß das zwar längst, aber in der Bildgewalt Geyrhalters wird die Bedrohung durch Müll erst recht greifbar für alle, die sich davon ergreifen lassen wollen. Durch die Welt gefahren Der Filmemacher ist wieder einmal durch die Welt gefahren – so schaut er in Nepal zu, wie Müllberge aus den Städten in die gar nicht mehr unberührte Natur verbracht werden; auf den Malediven sieht man die Einheimischen, wie sie die Traumstrände mühselig und penibel säubern, um den Dreck dann auf einer nicht touristisch genutzten Insel abzuladen. In Graz folgen die Kameras dem Weg des Mülls durch die Aufbereitungsanlage der Abfallfirma Saubermacher – auch dies alles andere als ein Idyll, aber wenigstens gibt es hier eine professionalisierte Entsorgung, und der Zivilisationsunrat wird nicht anderen Weltgegenden oder Gesellschaften aufgelastet – auch das soll bekanntlich ja schon vorgekommen sein ... In Albanien oder Griechenland tut sich der Film ebenso um, wie – last, but not least – Zweierlei Berge Was es heißt, Müllberge zu produzieren, macht Nikolaus Geyrhalter dadurch anschaulich, dass er einen Müllberg gleichzeitig mit einem „echten“ Berg filmt. In seinem neuen Dokumentarfilm „Matter Out of Place“ macht der österreichische Filmemacher Nikolaus Geyrhalter das globale Müllproblem auf eine beklemmende Weise drastisch sichtbar. Blätternder Lack der Zivilisation bei den Überbleibseln des „Burning Man“-Festivals in der Wüste von Nevada einer Landschaftsputztruppe zuzuschauen, wie sich diese müht, auch kleinste Verunreinigungen (Zahnseide usw.) aus dem Unratskreislauf herauszubringen. Disgusting. Aber nötig. Einmal mehr setzt Geyrhalter auch in „Matter Out of Place“ auf die Kraft des Gefilmten. Er kommt erneut ohne Kommentierung und Töne aus dem Off aus: Den Kommentar liefern die Zustände, die da gezeigt werden, ganz von selbst. Ob dieser Film an den Müllbergen der Welt etwas ändern wird? Kaum. Aber dennoch ist er notwendig und in seiner Bildsprache auch legitim, weil er jedenfalls sein Publikum nicht in Ruhe lässt. Schon klar, dass das Müll pro blem komplex ist. Aber es braucht Beobachter wie Nikolaus Geyrhalter, deren Genie darin besteht, die Dimension des Problems so in Bilder zu fassen, dass es auch dem verstocktesten Müllverursacher kalt über den Rücken läuft. Matter Out of Place A 2022. Regie: Nikolaus Geyrhalter. Stadtkino. 106 Min. SPIELFILM Roger Deakins setzt sich selbst ein Denkmal Filme, welche die Magie des Kinos beschwören, gibt es nicht erst seit „Cinema Paradiso“ (1988) und tauchen nach wie vor regelmäßig in unseren Lichtspielhäusern auf. Nach Steven Spielbergs „Fabelmans“ läuft nun mit Sam Mendes’ „Empire of Light“ heuer bereits der zweite (autobiografisch gefärbte) Versuch einer Liebeserklärung an die Welt der bewegten Bilder an. Die alleinstehende und kinderlose Hilary (furios: Olivia Colman) arbeitet als Managerin in einem Kino an der südenglischen Küste Anfang der 80er Jahre. Ihr Alltag besteht aus Gelegenheitssex mit ihrem Vorgesetzten (Colin Firth), Arztbesuchen und dem Saubermachen der Sitzreihen. Dass Hilary wegen psychischer Probleme für ein Jahr im Krankenstand war, erfahren wir nur in Andeutungen. Als sie eine Affäre mit dem neuen schwarzen Mitarbeiter Stephen (Micheal Ward) beginnt, stellt sie das fragile soziale Gefüge der kleinen Kinogemeinschaft auf die Probe – ein Gefüge, das zusätzlich durch politische Unruhen im Land erschüttert wird. Das Drehbuch zu „Empire of Light“ entstand im Lockdown und Micheal Ward und Olivia Colman in „Empire of Light“, Sam Mendes’ Liebeserklärung ans Kino. ist vom Kino als imaginativem Sehnsuchtsort geprägt. Allerdings hat es Mendes mit der Fülle an Sujets etwas übertrieben. Der Film will gleichzeitig eine glaubhafte Darstellung psychischer Krankheit und des rassistischen Klimas im England der 80er Jahre sein. Zusammengehalten wird „Empire of Light“ jedenfalls von Roger Deakins’ Kameraarbeit: Es sind die überlegten Bildkompositionen, welche die Figuren meist als Silhouetten vor großflächigen Hintergründen abheben und die dem Film zumindest auf ästhetischer Ebene Kohärenz geben. Wie es der Filmvorführer (Toby Jones) einmal auf den Punkt bringt: Die Magie des Kinos werde durch Licht erzeugt und bestehe darin, die Dunkelheit zwischen den Bildern vergessen zu machen. Damit gibt sich „Empire of Light“ quasi sein eigenes Motto vor: Die gelungene Bildsprache lässt uns so manchen narrativen Makel vergessen. (Philip Waldner) Empire of Light GB/USA 2022. Regie: Sam Mendes Mit Olivia Colman, Micheal Ward, Colin Firth, Toby Jones, Tom Brooke Disney. 115 Min.

DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Film & Medien 21 Die Prinzessin und der Häuslbauer – oder: ein österreichischer Film zum Fremdschämen: „Hals über Kopf“. Ein Abklatsch jetzt online mit Auch Otto Jaus (links, ohne seinen Duo-Partner Paul Pizzera ...) rettet „Hals über Kopf“ nicht. Seicht ist nicht nur der Teich, über den die Braut zu Beginn – unfassbarerweise – unbemerkt flüchtet, sondern auch der Rest der österreichischen Komödie „Hals über Kopf“. Die Societyhochzeit des Jahres platzt, weil Ella Beweise gefunden hat, dass ihr Zukünftiger Einlagen ihrer Familienbank veruntreut hat (und da war er nicht der Einzige). Sie schafft es bis ANIMATIONSFILM Er war die karikaturmäßige Personifikation des deutschen Wirtschaftswunders: Die Zeichnungen und Trickfilme des vor zwölf Jahren verblichenen Vicco von Bülow prägten in Prägnanz wie Hinterfotzigkeit das Cartoonund Trickfilmgeschehen Deutschlands der 1950er bis 1990er Jahre. Im November hätte Loriot seinen 100. Geburtstag gefeiert. Peter Geyer, von 1993 bis zu dessen Tod von Bülows Mitarbeiter, lässt in „Loriots großer Trickfilmrevue“ seines Meisters beste Stücke erstmals über Kinoleinwände flimmern: 31 Trickfilme zum Wiedersehen sind in diesem Kompendium versammelt – und man weiß im Nu, was das Land an Loriot gehabt hat (und bis heute vermisst): Dr. Klöbner und Herr Müller-Lüdenscheidt in der Badewanne – zum Schreien wie damals; ein mörderisches Adventgedicht, ob dem jedes Lächeln gefriert; oder der Durchschnittsdeutsche, der an der Volksdroge genest ...: Unnachahmlich! (Otto Friedrich) auf den Parkplatz, in den Kofferraum einer Luxuskarosse, die von Richie, einem genervten Caterer, gestohlen wird. Dessen Darmgeschwür, das sich immer rührt, wenn ihm etwas nicht behagt, ist noch einer der harmloseren Kalauer eines abgründigen Drehbuchs, das sich als Ventil des Grolls gegen heimische Korruption und „die da oben“ aufspielt. Großes Budget und namhafte Schauspielriege ändern nichts daran: Es wird eine Fremdschämorgie. Vielleicht liegt das an den Hochzeitshilfskräften, die unvermittelt in wildes Getanze ausbrechen, vielleicht daran, dass ein Rollstuhlmotor nicht unbedingt „lustig“ klingen muss, vielleicht am hier aufdringlich fleischgewordenen Film-Fernseh-Abkommen mit dem ORF. Vielleicht ist das Kinouniversum aber auch einfach nur zu klein, als dass ein abgebrannter Häuslbauer in den Abklatsch einer John-Woo-Actionszene geraten kann, in der statt einer Taube lediglich ein paar Federn fliegen. (Thomas Taborsky) Hals über Kopf A 2023. Regie: Andreas Schmied Mit Miriam Fussenegger, Otto Jaus, Ulrike Beimpold. Lunafilm. 84 Min. Loriot revisited – fürs Kino! Auch die „Herren im Bad“ kann man in Peter Geyers Loriot-Verschnitt wiedersehen. Loriots große Trickfilmrevue D 2023. Regie: Peter Geyer Einhorn. 79 Min. REISEN DURCH RAUM UND ZEIT. 3800 AUSGABEN DIGITALISIERT 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT 77 JAHRE ZEITGESCHICHTE VON 1945 BIS HEUTE MEDIEN IN DER KRISE Wir Hater explodieren vor Zorn Da durfte er also, Österreichs jüngster Altkanzler, als Experte für China und auch für sonst fast eh alles (wie eh und je) bei Claudia Reiterer „Im Zentrum“ parlieren. Schelme wie wir, die Böses denken, nahmen da ja bloß wahr, dass des früheren türkisen Frontmanns Einlassungen den Vorwand lieferten, sich vor dem ORF-Publikum als unschuldig Verfolgter darzustellen. „Litigations-PR“, so lautet der schöne Ausdruck auf Neudeutsch hierfür. Wenn wir uns an die seriöse Kommentierung des Vorkommnisses halten, dann dürfte die Kurz-Episode auf ORF 2 mäßig erfolgreich gewesen sein. So twitterte FURCHE- Kolumnist Peter Plaikner: „Sollte die Spekulation auf Einschaltquoten ein Grund für die Einladung von @sebastiankurz zu #imzentrum gewesen sein, ist das gründlich schiefgegangen. 354.000 Durchschnittsreichweite und 21 Prozent Marktanteil waren geradezu ein Absturz nach einer unspektakulären #ZIB2. @ORF“. Eingefleischten Bastianern raten wir, sich an Richard Schmitt vom unbeschreiblichen exxpress.at zu halten. Dieser twitterte nämlich zum selben Vorfall: „Gratulation an @reiterec – mit der Einladung von @sebastiankurz absoluten Talkshow-Hit gelandet: Fans jubeln, Hater explodieren vor Zorn. Super. Auge @volkspartei“. Na alsdann! (Otto Friedrich) ALLE BEITRÄGE SEIT 1945 JETZT ONLINE furche.at

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