DIE FURCHE · 16 18 Literatur 20. April 2023 Mit „Kochen im falschen Jahrhundert“ entwirft Teresa Präauer eine kulinarische Entwicklungsgeschichte, in der sie beiläufig über Klasse schreibt, ohne sie großartig zu thematisieren. Salamibrot und Brockhaus Von Veronika Schuchter #Homec o o k i n g #Friends … #Dinnerparty Die Hashtags, die von den Protagonisten in Teresa Präauers neuem Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ verwendet werden, um die obligatorischen Instagram-Fotos zu taggen, mit denen sie der Welt, zumindest jenem Teil, der sich in den sozialen Medien tummelt, ihre Aktivitäten präsentieren, lassen Langeweile erwarten, und tatsächlich kann man sich kaum ein faderes Thema vorstellen: eine Einladung zum Abendessen bei Freunden, fünf Menschen, drei Männer, zwei Frauen, zwei Paare, ein Einzelner. Es ist noch nicht ein- FEDERSPIEL Teresa Präauer Seit 2009 veröffentlicht die österreichische Autorin und Künstlerin (*1979) Romane, Kurztexte und Essays, für die sie unter anderem mit dem Erich-Fried- Preis (2017) ausgezeichnet wurde. Wie soll das heilen? Ich sei immer so distanziert. Im Federspiel und im Leben. Abstrakt sei ich, meine Figuren nicht greifbar. Ich sei nicht, was ich schreibe, und schriebe nicht, wer ich bin. Das macht im Prinzip nichts. Ich bin eine Annäherung. Im Publikum sitze ich lieber als auf der Bühne. Geschichten begreife ich schneller als Geschichte. Wir waren eingeladen. Der Kollege aus Iwano-Frankiwsk war pünktlich. Die Kollegin aus Hamburg kam mit Verspätung an. Ja. So sei die deutsche Bahn. Das Innsbrucker Prosafestival offerierte abends eine Schiffsgeschichte und das Dilemma eines Barrikadenmusikers. Juri Andruchowytsch, der einmal die Ukraine als taumelnden Betrunkenen beschrieben hatte, weil sie 1991 in Unabhängigkeit entlassen, ihre Identität suche, zapfte mit Simone Buchholz das Fass der Geschichten und Geschichte an. Ihre Figuren wankten auf ungleichen Böden um das Weh des Menschseins. Realität ragte in die Literatur. Die politische Lage. Gaskrieg mit Russland, orangene Revolution, Invasion, Besetzung der Ukraine. Andruchowytschs Text bot mal Drama vorprogrammiert, wie in einem Yasmina-Reza-Stück, wo von Beginn an klar ist, dass am Schluss die Emotionen hochgehen werden und alles eskaliert. Nach einem Gemetzel sieht es hier so gar nicht aus, eher nach gepflegter Langeweile. Namen gibt es keine, sondern Funktionen oder Herkunftsangaben, so gibt es die Gastgeberin, den Schweizer oder den Ehemann. Es erwartet den Leser also auch kein Psycho-, sondern ein Soziogramm, Typen und keine Individuen. Dabei gerieren „ Während die scheinbare Überwindung von Klasse nonverbal zelebriert wird, läuft die soziale Herkunft im Hintergrund unüberwindbar immer mit. “ sich doch alle so individuell: Gefeiert wird die Einweihung des neuen dänischen Esstischs der Gastgeberin, doch eigentlich feiert man sich selbst und die eigene Kultiviertheit. Die anfänglichen Hashtags werden abgelöst von #Best Friends Forever, Foodporn, Winelovers, was nicht weniger fad, aber schon ein bisschen ehrlicher ist. Während Homecooking noch Vorstellungen von Self-Care und Gemütlichkeit evozieren sollte, sind dem Foodporn der Konsum und das Zurschaustellen eingeschrieben. Pornografie lebt von der Beobachtung und der Performance, jede Essenseinladung wird dabei zur Inszenierung. Getrunken wird natürlich kein Sekt, sondern Crémant, im Hintergrund läuft die Playlist „Women of Jazz“. Was soll man da schon Momente der Berührung. Auch die Wärme, die Buchholz ihren Figuren entgegenbringt, fand ich überzeugend. Was aber ergriff mich? Ich fühle mich wie ein Attentäter auf Literaturen, wenn ich die eine mit der anderen vergleiche. Es ist mir einerlei, ich war aufsaugendes Publikum und hörte nur zu. Getroffen war ich dann vom kleinen Bericht, der im Gespräch mit dem Initiator Robert Renk auftauchte. Vom kleinen Flughafen in Iwano-Frankiwsk. Ich kann mir kleine Flughäfen gut vorstellen. Die Formulierung „unser, lieber, kleiner, Flughafen“ mit einem lakonisch gesetzten „sowjetisch“ traf mich ins Herz. Putin hatte den Flughafen am 24. Februar 2022 bombardiert und für amerikanisch erklärt. Schwarzer Rauch stieg auf, dicke Walzen begruben den Nachthimmel, kein Himmel mehr im Himmel. Das war keine metaphorische Rede, sondern die Wirklichkeit des Fleischwolfs. Die Autorin ist Schriftstellerin. Von Lydia Mischkulnig Foto: Martin Stöbich DIE FURCHE EMPFIEHLT falsch machen? Zum Essen werden Quiche Lorraine und ein sommerlicher Salat serviert: „Für den Sommersalat mischte sie Romana, Rucola und Eichblattsalat, halbierte Kirschtomaten und schnitt eine kleine Salatgurke in Scheiben. Sie würfelte rote und gelbe Paprika und zerkleinerte Frühlingszwiebeln.“ In die Vinaigrette kommt natürlich nicht nur scharfer Senf, sondern auch ein Teelöffel Honig und frische Kräuter: Petersilie, Schnittlauch und Basilikum. Die Message ist klar: Wir haben Stil, unsere Möbel kommen aus Kopenhagen und nicht von Ikea, wir kochen mit ausgewählten Produkten, aber keine Sieben-Gänge-Menüs mit Schäumchen an und auf Ganache von irgendwas. Der Titel verkündet es schon: Es geht ums Essen und Kochen, das ausführlich beschrieben wird. Essen als Distinktionsmerkmal, neu ist das nicht, aber Präauer geht dabei klug und humorvoll zugleich vor. Die satirische Kritik an einer von Social Media geprägten Gruppe von Menschen, die keine Scheibe Brot mehr toasten kann, ohne ein Bild davon auf Instagram zu posten, ist amüsant geschrieben. Da stört es nicht, dass man das nun schon zur Genüge gelesen hat. Spannend ist aber etwas anderes, nämlich wie Präauer beiläufig eigentlich einen Roman über Klasse schreibt, ohne das großartig zu thematisieren: „Als du etwa zwanzig Jahre alt warst, hast du angefangen, darüber nachzudenken, in welcher Art von Tasse du gern deinen Kaffee trinken möchtest. Du warst bei einer Kommilitonin zu Besuch. Sie goss kochendes Wasser in eine Tasse aus der Mensa und streute ein Tütchen Cappuccino in Pulverform ein. Das erste Mal verging dir ein wenig die Lust auf eine Einladung. Essen war ab da auch das, ja, Geschmack, Wissen, Erfahrung, Abgrenzung, Distinktion. Oder war es das immer schon gewesen, nur eben weniger bewusst?“ Das Fehlen eines Klassikers ... Vom Salamibrot mit der Schwester vor dem Fernseher zur französischen Quiche auf dem dänischen Esstisch: Präauer präsentiert eine kulinarische Entwicklungsgeschichte, begleitet von anderen sozialen Herkunftsmarkern. Während die scheinbare Überwindung von Klasse nonverbal zelebriert wird, mit Möbeln, Rezepten, Kleidung und nicht zuletzt der geschickt eingesetzten Musik, läuft die soziale Herkunft im Hintergrund unüberwindbar immer mit. Das Fehlen des Brockhaus im elterlichen Regal reicht, um die nervöse Gastgeberin sozial einzustufen. Dass Präauer ihren Roman entgegen der klimatischen Erwartung nicht zur Eskalation treibt, ist so überraschend wie – passend zum Thema – stilvoll. Nur die philosophischen, erklärenden Einschübe, die sich gegen Ende des Romans mehren, hätte es nicht gebraucht. Dafür gibt es ja Bourdieu. Kochen im falschen Jahrhundert Roman von Teresa Präauer Wallstein 2023 198 S., geb., € 22,70 Stichwort: immer möglich LITERATUR 1935 erzählt der Amerikaner Sinclair Lewis in „Das ist bei uns nicht möglich“, wie Demokratie ausgehebelt werden kann. 2006 verlegt der Russe Vladimir Sorokin seine Romanhandlung von „Der Tag des Opritschniks“ in eine nahe Zukunft, in der Russland ein System des unbedingten Gehorsams entwickelt hat. Lydia Mischkulnig, Brigitte Schwens-Harrant und Christa Zöchling diskutieren zwei Bücher, zwei Epochen, zwei Kulturkreise und die Frage: Was ist alles immer möglich? 24. April 2023, 19 Uhr, Alte Schmiede, Wien. alte-schmiede.at
DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Theater 19 Mit Lust am Spiel, der richtigen Balance zwischen komödiantischem Feinsinn und schriller Überzeichnung und einer Inszenierung, die Gesellschaftsnormen umkehrt, überzeugt „Der Raub der Sabinerinnen“ in der Regie von Anita Vulesica im Akademietheater. Gegen den Strich gebürstet Von Christine Ehardt Schwere Zeiten verlangen nach leichter (Theater-)Kost: Das mag ein Allgemeinplatz sein, doch ist die Lust am Lustspiel in dieser Theatersaison unübersehbar. Komödiantisches, Fantasievolles und Heiteres beherrschen derzeit die Wiener Bühnen und finden großen Anklang bei einem Publikum, das erst langsam wieder in die Theaterhäuser zurückkehrt. Am Burgtheater konnten zuletzt Herbert Fritsch (mit Ferdinand Raimunds „Die gefesselte Phantasie“), Tina Lanik (mit William Shakespeares „Wie es euch gefällt“) und Rieke Süßkow (mit Peter Handkes „Zwiegespräch“ im Akademietheater) durch leichtfüßige Inszenierungen reüssieren. Ebenso beschwingt und humorvoll gibt sich nun die jüngste Premiere von „Der Raub der Sabinerinnen“ am Akademietheater. Der absurde Schwank in vier Akten aus dem Jahr 1883 zählte lange Zeit zu den meistgespielten Stücken, wurde vielfach verfilmt und als Musical adaptiert. In der Regie der Nestroypreisträgerin Anita Vulesica knüpft der Bühnenklassiker des österreichischen Brüderpaars Franz und Paul von Schönthan mit seinem grandiosen Dialogwitz und verschmitzten Verwechslungsgeschichten an die Blütezeit deutschsprachiger Komödien an. Mit seinen gegen den Strich gebürsteten Gesellschaftsnormen und absurden Slapstickeinlagen erinnert Vulesica aber auch an Filmarbeiten der Farrelly-Brüder, deren US-Blockbuster wie „Verrückt nach Mary“ oder „Dumm und Dümmer“ ebenfalls keinen derben Gag auslassen und doch auf liebevolle Weise den magischen Zauber leichter Unterhaltung versprühen. Renaissance eines Bühnenklassikers Star des Abends über die Nöte einer maroden Wandertheatertruppe, die für reichlich Wirbel in einer kleinstädtischen Familie sorgt, ist Birgit Minichmayr als formidabler Theaterdirektor Emanuel Striese. Minichmayr (zuletzt mit dem deutschen Shakespeare-Preis ausgezeichnet) gibt einen clownesken Theatermann mit Bart und Hut, der irgendwo zwischen bayrischem Kleinganoven und Wiener Jesse-James-Verschnitt angesiedelt ist. Mit Verve überredet sie den verklemmten Professor Gollwitz (Sabine Haupt), ihr sein Theaterstück „Der Raub der Sabinerinnen“ zu überlassen. Ein heikles Unterfangen, ist doch die Dame des Foto: Marcella Ruiz Cruz Hauses, Friederike (einfach wunderbar: Dietmar König im schimmernden Outfit), eine ausgewiesene Theaterhasserin. Zum Glück weilt die Ehefrau jedoch gerade auf Urlaub am Wolfgangsee oder vielleicht mit „Wolfgang am See“, wie einige diesbezügliche Versprecher nahelegen. Wild gemischt sind nicht nur Kostüme und Handlung, sondern die gesamte Bühnenausstattung (Henrike Engel): Von vergilbtem Löwinger-Bühnen-Charme über Crossdressing Mit vertauschten Geschlechterrollen und Kostümen werden die überholten Rollenbilder des Stücks konterkariert: Dietmar König (Friederike) und Sabine Haupt (Professor Gollwitz). „ Von vergilbtem Löwinger-Bühnen-Charme über heruntergekommenen Broadway glitzer bis hin zu einer blinkenden Kinoleuchtreklame ist an Deko alles dabei. “ heruntergekommenen Broadwayglitzer bis hin zu einer blinkenden Kinoleuchtreklame (mit der Aufschrift „Today Death and Glory. The Empress her Daughters“) ist an Deko alles dabei, und selbst der goldene Volantbühnenvorhang fehlt nicht. Vor diesem lugen gleich zu Beginn die Schauspieler der „Striese und Striese Company“ schamgebeugt hervor und beweinen von schrillen Pfiffen begleitet bitterlich die bevorstehende Blamage. Denn Gollwitzʼ Werk ist zwar für die empathische Haushälterin (Dorothee Hartinger) ein Hit („Ich muss schon weinen, wenn ich nur den Umschlag sehe“), bei der Uraufführung will die römische Tragödie aber nicht recht zünden, und die übereifrige Papageiensouffleuse (Annemarie Fischer) gibt dem überzogenen Drama noch den Rest. Zu allem Überfluss kehrt Friederike vorzeitig zurück, und eine geheimnisvolle Weinhändlerin (Rainer Galke) sucht ihren in Liebesnöten geratenen Sohn (Julian von Hansemann). Dessen Schandtaten schreibt die gelangweilte Tochter des Professors (Stefanie Dvorak) irrtümlicherweise ihrem gutmütigen Ehemann (Lukas Vogelsang) zu. Das daraus am Schluss doch ein Happy End wird, verdankt das illustre Ensem ble der unsichtbaren Frau des Theaterdirektors. Sie bereitet, wie Striese stolz berichtet, der Tragödie ein jähes Ende, um stattdessen den bewährten Schwank „Der Kaiserin ihre Töchter“ zum Besten zu geben. Was so einen Schwank aus alten Tagen auszeichnet, wird im Stück treffend beschrieben: „längst überholte Rollenbilder, festgezurrte patriarchale Familienstrukturen, eine hanebüchene Dramaturgie und gar kein Humor“. All das wirft Vulesica genussvoll mittels vertauschter Geschlechterrollen, Crossdressing, Wortwitz und körperbetonter Situationskomik in dieser charmanten Inszenierung über Bord. Es ist eine bunte und aberwitzige Hommage an die Kraft des Theaters, die mit Lust am Spiel immer in der richtigen Balance zwischen komödiantischem Feinsinn und schriller Überzeichnung bleibt und mit frenetischem Applaus des Premierenpublikums belohnt wurde. Der Raub der Sabinerinnen Akademietheater, 20., 22.4., 1., 21., 28.5. ORIENTIERUNG DER UMSTRITTENE MONSIGNORE SO 23. APRIL 12:30 Der langjährige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., Monsignore Georg Gänswein, hat schon zu Lebzeiten des verstorbenen Papstes Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seine Ähnlichkeit mit Dornenvögel-Hauptdarsteller Richard Chamberlain machte ihn auch für die Regenbogenpresse attraktiv. Sein Buch „Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.“ befeuert nun den innerkirchlichen Konflikt zwischen Reformkräften und Bewahrern. In der „Orientierung“ spricht Georg Gänswein über seine Rolle zwischen zwei Päpsten und seine persönliche Zukunft. religion.ORF.at Furche23_KW16.indd 1 12.04.23 13:22
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