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DIE FURCHE 20.04.2023

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15 · 13. April 2023

15 · 13. April 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– der Spitze, versteht sich. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass er (im Gegensatz zu den meisten seiner Amtskollegen) das Zeug zu dieser Führungsfigur hat. Nun aber sieht sich Macron mit dem Vorwurf konfrontiert, durch seine Rhetorik die guten transatlantischen Beziehungen Von Brigitte Quint ernsthaft zu gefährden. Weiter wirft man ihm vor, Wasser auf die Mühlen jener zu leiten, die Europa gespalten sehen wollen. ie Empörung ist wieder einmal nen Aussagen auch innenpolitisches Kapital schlagen wollte, ist selbstredend. Mithiltens seit Trump wird in den USA laut da- Hier werden Tatsachen verdreht. Spätes- riesig. Und sie kam so schnell, dass man geneigt ist zu bezweifeln, ob alle Kritikerinnen und hatte er seine umstrittene Pensionsreform (und finanzierbar) sei, weiter als Europas fe des Sonderartikels 49.3 der Verfassung rüber nachgedacht, ob es noch zeitgemäß Kritiker die Zeit fanden, Emmanuel Macrons Interview mit Les Echos mung. Die französische Bevölkerung tobt. tärische Hilfe, die in Richtung Ukraine durchgebracht – ohne Parlamentsabstim- Schutzmacht aufzutreten. Auch die mili- in Gänze zu lesen, bevor sie wütend in die Regelmäßige landesweite Demonstrationen und Streiks sind die Folge. ein Zankapfel. Gesetzt den Fall, der Konflikt fließt, – vor allem das Ausmaß – ist längst Twitter-Tasten hauten. Doch das ist einerlei. Der ehemalige Investmentbanker Macron um Taiwan eskaliert – die Prioritäten in Washington, D.C. würden sich binnen Stunden ist längst für viele das Feindbild par excellence – zu wirtschaftsliberal, zu abgeho- Die Rolle als vorausdenkender Strip- zuungunsten Europas verschieben. Auf Joe Atommacht am Zug ben, zu ehrgeizig. Nun scheint er auch noch penzieher auf der weltpolitischen Bühne kommt ihm daher zupass. Im Grunde gens: „Er liebt Europa. Andererseits ist er Biden angesprochen, meinte Macron übri- „von allen guten Geistern verlassen“, wie es der deutsche Christdemokrat Norbert Röttgen (der, der einst Angela Merkel beerben Medien aus: „Ich sehe zu, dass ich euch Logik […]. Ist es zu beanstanden? Nein. Aber richtete er seinen Landsleuten durch die Teil einer amerikanischen überparteilichen wollte) via Tweet verlautbaren ließ. die nächste Katastrophe vom Hals halte.“ wir müssen es integrieren.“ Was genau brachte die Empörungsmaschinerie in Gang? Macron hatte ange- grandeur – die französische Version von ein paar unangenehme Wahrheiten ausge- Und auch ein Hauch rendre à la France sa Was daran soll falsch sein? Macron hat merkt, dass es Europa tunlichst vermeiden sollte, sich in den Taiwan-Konflikt mit Again“) – schwang bei seinen Aussagen Zuvörderst in Osteuropa ist man auf die- Trumps „MAGA“ („Make America Great sprochen, die so mancher nicht hören will. hineinziehen zu lassen: „Irgendwann müssen wir uns die Frage nach unserem Interropas ist nur unter der Führung der einziter genau diese unterschiedlichen Sichten mit. Denn eine militärische Autonomie Eusem Ohr taub. In der Praxis sind es mitunesse stellen. […] Unsere Priorität ist es nicht, gen Atommacht in der EU bzw. Kontinentaleuropas – also Frankreichs – denkbar. menhalt gefährden. Ein starkes Europa auf die Welt, die den europäischen Zusam- uns in allen Regionen der Welt der Agenda anderer anzupassen.“ Andernfalls mutiere Es ist also nicht zu übersehen, dass sich würde die USA eher binden als vergraulen. die EU zum Vasallen (der USA). Anzustreben sei das Gegenteil: die strategische und Charles de Gaulle zu inszenieren versucht Etwas, das auf Twitter nicht vorgesehen ist. Emmanuel Macron als eine Art neuer Es wäre eine Beziehung auf Augenhöhe. militärische Autonomie. Damit hat er recht. und wie sein Vorbild an eine historische Dass der französische Präsident mit sei- Mission Frankreichs glaubt. Mit ihm an brigitte.quint@furche.at Die Realität ist dazu angetan, nach Beschönigung zu schreien. Sonst ist sie schwer zu ertragen. Im Zustand der Verliebtheit stellt sich dieser verklärende Blick freilich von selbst ein. Dass das in jedem Alter passieren kann, beschreiben Jana Reininger und Victoria Schwendenwein in ihrem Fokus „Durch die altrosa Brille“. Eine solche hatte Hans Kelsen wohl nicht auf der Nase, als er Österreichs Verfassung entwarf. Christoph Konrath und Robert Schütt würdigen ihn zum 50. Todestag. Welche Perspektiven sich heute in Salzburg auftun, zeigt das FURCHE-Interview mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Spoiler: Rosarot findet man auch dort wenig. Ebenso wenig im „Klartext“ von Julia Mourão Permoser über Asylpolitik. Weichzeichnerei war auch Huub Oosterhuis fremd: Otto Friedrich hat einen Nachruf auf den Erneuerer religiöser Sprache verfasst. Auch das Feuilleton beginnt mit einer Würdigung, diesfalls von Flo rian Jakowitsch, der als Künstler noch immer ein Geheimtipp ist. Und Heidi Lexe bespricht ein bezauberndes Gebetsbuch für Kinder. An Abgründe erinnert schließlich Otmar Lahodynsky anlässlich des 80. Jahrestags des Aufstands im Warschauer Ghetto – und Adrian Lobe befasst sich mit abgründiger Künstlicher Intelligenz. Nicht jede Realitätsbeschönigung ist schließlich erträglich. (dh) Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 DIE FURCHE · 16 16 Diskurs 20. April 2023 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Echter FURCHE-Wind Mission à la de Gaulle Von Brigitte Quint Nr. 15, Seite 1 Nach der Lektüre der FURCHE, die ich schon seit 1970 genieße, lege ich die Nr. 15 wieder zusammen, und mein Blick fällt auf Ihren geschätzten Leitartikel. Beim Lesen wurde mir warm ums Herz, spürte ich doch echten FURCHE-Wind wehen, mit Argumenten, die nicht zeitgeistig, sondern eigenständig sind, mit offenen Fragen, die zum Weiterdenken anregen – und mit Beurteilungen, die nachvollziehbar, aber nicht verurteilend sind – ein achtsamer Schreibstil, der (leider) seinesgleichen sucht. Liebe Grüße von einem sehr erfreuten Leser! Otto Bucher 6094 Axams Klares Statement wie oben Inzwischen ist der erste, unqualifizierte Aufschrei über Macrons Äußerung zum China-Konflikt mancherorts relativiert worden. Trotzdem: Gratulation zu diesem klaren Statement. Österreich braucht mehr davon, und Europa mehrere Macrons. Peter Parson Judenburg Hoffnung durch E-Fuels? „Svazek hat Kickl im Gepäck“ Interview mit Wilfried Haslauer Nr. 15, Seiten 6–7 Der Herr Landeshauptmann hat im Interview mit der FURCHE einige Aussagen getätigt, die Widerspruch provozieren. Er will nicht, dass beim Verkehr ausschließlich auf E-Mobilität gesetzt wird, und hält Herrn Nehammers Aussage, auch im Individualverkehr auf E-Fuels zu setzen, für richtig. Dazu muss man wissen, dass für die Herstellung von E-Fuels für Pkws eine Menge an erneuerbarer Energie GLAUBENSFRAGE notwendig ist, die in dieser Masse niemals hergestellt werden kann. Der Individualverkehr muss zugunsten des öffentlichen Verkehrs stark reduziert werden. Für das, was übrig bleibt, wird es ausschließlich E-Mobilität geben. Das ist die Zukunft, auch wenn sie von Politikern wie Herrn Nehammer geleugnet wird. Er und seinesgleichen werden sie nicht verhindern, sondern – zum Leidwesen von uns allen – lediglich hinauszögern können. Weiters fällt auf, dass Politiker(innen) immer wieder betonen, dass „eh viel getan wird“. Um das zu unterstreichen, werden immer wieder einzelne Paradebeispiele hervorgeholt wie die Pistenraupen, die mit Biodiesel fahren, oder ein einzelnes Unternehmen, das sich mit Bauschuttrecycling beschäftigt. Herr Haslauer betont auch, dass 65 Prozent der kommunalen Bauten in Salzburg in Holz ausgeführt werden. Wie viel Prozent vom gesamten Bauwesen des Bundeslandes Salzburg macht das aus? 0,01 oder 0,05 Prozent? Viel wird es nicht sein! In Wahrheit wird in ganz Österreich viel zu wenig getan. Das merkt man vor allem daran, dass die Treibhausgasemissionen seit Jahren immer gleich hoch sind. Die Bemühungen der Grünen in der Bundesregierung werden von der Bundes-ÖVP und von der Länder-ÖVP behindert. Karl Wagner 2362 Biedermannsdorf Wahlwerbung? wie oben Dekadente Pastoral Ich bin seit Jahren ein meist begeisterter Leser der FURCHE. Was aber gar nicht geht, ist, kurz vor der Landtagswahl in Salzburg dem Spitzenkandidaten der ÖVP eine zweiseitige kostenlose Wahlwerbung zu ermöglichen. Dass die ÖVP schon lange keine Partei mit „christlichen Werten“ ist, hat man spätestens nach der Landtagswahl in Niederösterreich gesehen. Objektiver Journalismus schaut anders aus. Wolfgang Schindlecker 3163 Rohrbach an der Gölsen Anm.: Vor Landtagswahlen halten wir – kritisch geführte – Bilanzinterviews mit Landeshauptleuten für journalistisch sinnvoll und vertretbar. Im Fall von Kärnten war das Peter Kaiser (SPÖ). Weitere Beiträge zu Salzburg s. S. 6–7. Gefährdete Demokratie Mit den Gerichten fängt alles an Interview mit Amir Fuchs Nr. 14, Seite 5 Wehret den Anfängen: Diese Aufforderung ist an die israelische Gesellschaft und Israels Verbündete in Amerika und Europa wegen der unmenschlichen Vorgangsweise gegen die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland und Ostjerusalem sowie wegen der von der Regierung Netanjahu begonnenen Justizreform, die sich sowohl gegen die Palästinenser als auch gegen die Demokratie schlechthin richtet, dringend geboten. Die im Interview mit Amir Fuchs angeführten Fakten der Gefährdung der Demokratie in Israel durch die begonnene und nur durch Massenproteste aufgeschobene sogenannte Justizreform – in Wirklichkeit der Plan, die Gerichte als Kontrollinstanz der Hans Kelsen – Architekt der Verfassung „Bis wohin gehst du mit mir?“ Der versprengte Wolf Zum 50. Todestag des Rechtsphilosophen sind seine Zum Tod von Huub Oosterhuis: Der Erneuerer Am 22. April wäre der Künstler Florian Jakowitsch Ansichten und Haltungen in puncto Demo kratie religiöser und liturgischer Sprache ging bei den biblischen Dichtern in die Schule. · Seite 8 Hubert Arnim-Ellissen. · Seite hundert Jahre alt geworden. Eine Hommage von aktueller denn je. · Seite 5 13 Foto: iStock/PeopleImages Das Thema der Woche Seiten 2–4 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Europa aus dem Taiwan-Konflikt heraushalten und fordert mehr Autonomie. Für seine Rhetorik muss er viele Prügel einstecken. Zu Unrecht. Mission à la de Gaulle D Durch die altrosa Brille „ Im Falle einer Eskalation mit China würden sich die Prioritäten in Washington, D.C. binnen Stunden verschieben. “ Frühlingsgefühle machen auch vor reiferen Menschen nicht halt. Was bedeutet es, spät im Leben zu lieben? Und wie gelingt im Alter eine Partnerschaft? „Nicht mit gesenktem Kopf sterben“ Vor 80 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto. Erinnerungen an den Ex-Kommandeur Marek Edelman. · Seite 16 „Svazek hat Kickl im Gepäck“ Am 23. April wählt Salzburg. Landeshauptmann Wilfried Haslauer über die neue/alte Volkspartei, „rote Linien“ gegenüber der FPÖ, Lehren aus der Pandemie, seine Kritik an „moralisierendem Klimaschutz“ – und seinen Vater, der ebenfalls Landeshauptmann war. Seiten 6–7 INTRO furche.at rechtsnationalen und ultraorthodoxen Regierungskoalition zu entmachten, auch um Netanjahu und Ben-Gvir vor Strafverfolgung zu schützen – sind alarmierend. Es bleibt zu hoffen, dass sofort wieder Hunderttausende protestieren, wenn die Regierung ihre Justizreform fortsetzen will – und dass sich jüdische Communitys in aller Welt mit den Demonstranten in Israel solidarisieren. Sofern sie an einer lebendigen Demokratie in Israel interessiert sind, sollten sie ihren großen Einfluss ausüben und nötigenfalls der rechtsnationalistischen Regierung mit spürbaren Sanktionen drohen. Karl Semmler Bad Blumau Von Hildegund Keul Man muss sich nur trauen Traumjob oder täglicher Albtraum? Von Victoria Schwendenwein Nr. 14, Seite 13 Ich verstehe nicht, dass man immer nach dem Ministerium ruft und diesem Fehler vorwirft. Als Schulleiter habe ich mich nicht allzu sehr um Erlasse gekümmert und bin damit ganz gut zurechtgekommen. Auch um meine Lehrer habe ich mich selbst gekümmert. Man muss sich nur trauen. Friedrich Rihs via Mail Selbstgerechtes Abkanzeln Aufbau von Feindbildern Leserbrief von Christian Felber Nr. 15, Seite 12 Herr Felber spricht mir aus der Seele. Viele Personen sind derart selbstgerecht und überheblich – und kanzeln Leute ab, die anderer Meinung sind. Haben wir verlernt, Gespräche auf hohem Niveau zu führen – oder konnten wir es nie? Unsere Gesprächskultur ist verkommen, Tonfall, Umgang, Achtung, Respekt, Distanz, Nähe – all diese Begriffe vermisse ich. Ich bin es langsam leid, so manchen Artikel, manche Gesprächsrunde zu verfolgen. Der Hass kursiert, Vorurteile machen die Runde (da kommt etwa eine Teletext-Meldung – Patientin liegt im Spital auf Matratze am Fuß boden –, und schon „springen“ sämtliche Medien auf, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen). „Faktencheck“ wäre angesagt! Helene Klaschka via Mail Literarisches Glück mozaik. Newsletter-Kolumne von Manuela Tomic Irgendwie hab ich schon befürchtet, dass mit hundert Schluss sein wird. Aber immerhin werden es dann hundert kurze Momente des literarischen Glücks und höchster Freude gewesen sein, die noch lange in meinem Bewusstsein herumschwirren werden. Christian Gross Bad Blumau Anm.: Die Texte des Newsletters mozaik können Sie alle zwei Wochen in Print nachlesen. Alle weiteren Newsletter können Sie unter furche.at/newsletter abonnieren. In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie Zahlscheinbeilagen von Missio, Päpstliche Missionswerke in Österreich. 196. Klassenlotterie überrascht mit neuer zusätzlicher Gewinnmöglichkeit „1 Jahr Luxus“ in der Klassenlotterie gewinnen Die „Montags-Million“ und die „Gold-Klasse“ sind seit Jahren etablierte Highlights in der Klassenlotterie. Mit der 196. Lotterie, die am 15. Mai 2023 startet, kommt jetzt eine weitere, attraktive Gewinnmöglichkeit dazu. Die „Luxus-Klasse“. In der „Luxus-Klasse“ kann man 10.000 Euro pro Monat, für ein ganzes Jahr lang, gewinnen. Insgesamt werden zehn derartige Gewinne ausgespielt. An der „Luxus-Klasse“ nimmt man mit einem einmaligen Einsatz von 150 Euro pro ganzem Los (bzw. 15 Euro pro Zehntel-Anteil) teil. Ansonsten bietet auch die 196. Klassenlotterie wieder alle Features der vorangegangenen Lotterie: Aus 250.000 Losen werden in sechs Klassen mehr als 278.000 Gewinne mit einer Gesamtsumme von 121,5 Millionen Euro gezogen, davon bringen 29 Treffer einen Millionengewinn. Der Haupttreffer am Ende der Lotterie bringt wieder einen Gewinn von 5 Millionen Euro. Lose für die 196. Lotterie sind bereits in allen Geschäftsstellen der Klassenlotterie zum Preis von 150 Euro pro Los und Klasse (15 Euro pro Zehntel-Anteil) erhältlich. Weitere Infos unter www.klassenlotterie.at. 10.000 Euro monatlich, ein Jahr lang: Das ist die neue „Luxus-Klasse“ Foto: Österreichische Lotterien ihr zurückkommen?“ So lautete eine bange Frage während der Corona-Pandemie. Aus guten Gründen „Werdet war zu befürchten, dass viele Christ(inn)en nach Abklingen der Pandemie die Gottesdienste nicht mehr besuchen würden, weil sie gut oder gar besser ohne leben könnten. Beim Osterfest 2022 erlebte ich dann eine Überraschung: Etwa 80 Menschen fanden sich in unserer Gemeinde frühmorgens um sechs Uhr beim Osterfeuer ein. Diese Tradition spricht offensichtlich noch Menschen an. Mir liegt sie auch am Herzen: die Stunde der Frauen, die in aller Frühe zum Grab aufbrachen. In diesem Jahr folgte die Enttäuschung. Nicht dass die Menschen kein Interesse mehr hätten. Die frühmorgendliche Osterfeier mit Feuersegen, Exsultet und den österlichen Lesungen fiel einfach aus. Im Brief unserer sehr großen Pfarreiengemeinschaft suchte ich nach einer Erklärung sowie nach einer Alternative. Und fand – nichts. Das Pastoralteam sah keinen Bedarf für eine Erklärung. Eine Alternative in einer der acht anderen Gemeinden wurde auch nicht genannt. Ersatzlose Streichung, ohne dass der Grund kommuniziert würde. Hier zeigt sich die Dekadenz einer Pastoral, die zu wenig von den Bedürfnissen, Erwartungen und Hoffnungen der Menschen her denkt, für die sie da sein sollte. Es herrscht Priestermangel. Na und? Eine Gemeindereferentin oder ein Diakon könnten die Feier am Osterfeuer samt Wortgottesdienst leiten. Aber ich höre schon den Aufschrei: Was, ohne Eucharistie? Manche Kleriker und Co-Kleriker sehen ihre Felle davonschwimmen. Das geht natürlich gar nicht. Für mich ging die Sache gut aus. Als Insiderin fand ich Asyl im Frauenkloster ganz in unserer Nähe und hatte einen wunderschönen Ostermorgen. Und nächstes Jahr überlege ich mir vielleicht eine ganz andere Alternative. Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg. RELIGION IN KÜRZE ■ Gänswein: „Nichts als die Wahrheit“ keine Abrechnung Georg Gänswein, Privatsekretär von Benedikt XVI., sagte bei der Präsentation seines Buches „Nichts als die Wahrheit“ in Wien, dass er damit keine Rechnung begleichen, sondern „Zerrbilder“ des verstorbenen Papstes korrigieren wollte. Dass das Buch am 12. Jänner – eine Woche nach der Beisetzung des Emeritus – erschienen ist, sei „nicht angemessen“, aber nach einer „infantilen“ Vorankündigung nicht zu stoppen gewesen. (dh) GESELLSCHAFT ■ Antisemitische Verschwörungsmythen befeuert Die Krisen der letzten Jahre haben antisemitische Verschwörungsmythen befeuert. Das belegt der neue Antisemitismusreport des Parlaments. So finden 36 Prozent der Befragten einer IFES-Studie, dass Juden die „internationale Geschäftswelt“ beherrschten. 19 Prozent stimmten der Aussage, Juden hätten in Österreich zu viel Einfluss, zu. 18 Prozent sehen „jüdische Eliten“ für aktuelle Preissteigerungen verantwortlich.

DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Philosophie 17 Die Künstliche Intelligenz ChatGPT hat die alte Frage, was denn eigentlich „Wirklichkeit“ bedeute, neu zugespitzt. Eine philosophische Betrachtung – und ein Plädoyer für eine gemeinsame Welt. Was ist wirklich? Von Peter Strasser Nicht erst seit 1976 treibt die Frage nach der Wirklichkeit eigenartige Blüten. Damals veröffentlichte Paul Watzlawick sein Buch mit der Titelfrage „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“. Das Buch kam dem modernen Hang zum Relativismus entgegen. Wirklich sei, so Watzlawick, was wir im Rahmen unserer „Kommunikationen“, die kulturell geprägt seien, als wirklich anerkennen würden. Demnach gebe es nicht „die“ Wirklichkeit, sondern nur Wirklichkeiten entlang unserer grundlegenden Überzeugungen und Werte, die wir jeweils teilen. Doch halt! Irgendwann, so das Wahrheitskalkül der Mächtigen, werden jene, die der Gewalt weichen müssen, dem Rest der Menschheit ohnehin nicht mehr anvertrauen können, was sie glaubten, als wirklich zu erkennen. Der Relativist wiede rum – zeitgemäßer: der „Konstruktivist“ – unterscheidet sich vom Ideologen der Stärke, indem er dessen Wirklichkeitsverständnis zu Recht geißelt: Es ist das Resultat einer totalitären Haltung. Beide Positionen eint indes, dass sie es ablehnen, objektiv gültige Tatsachen jenseits menschlicher Befindlichkeiten anzuerkennen. Glimmender Scheiterhaufen Denken wir an den klassischen Streit, ob die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne kreise. Die Repräsentanten der katholischen Inquisition drohten – Tatsachen hin oder her – dem Heliozentristen mit Folter und Scheiterhaufen, falls er nicht feierlich abschwöre. Also beugten sich die meisten Gelehrten aus Schwäche, selbst gegen ihre innerste Überzeugung auf der Basis untrüglicher Befunde, dem dogmatischen Wirklichkeitsdiktat des Klerus. Mit dem Scheiterhaufen wollen die Relativisten nichts zu tun haben. Und doch halten sie ihn – grundsätzlich gesprochen – dadurch am Glimmen, dass sie es ablehnen, das „Beweisspiel der Wissenschaft“ (ein Ausdruck Ludwig Wittgensteins) als allgemeinverbindlich anzuerkennen. Denn, sagen die Relativisten, welche Weltsicht einer Religion als unverzichtbar gilt, das ist gleichermaßen bestimmend für ihr Verständnis der Wirklichkeit. Der Relativist lehnt das geo zen trische Weltbild nicht kategorisch ab, obwohl er keineswegs bestreitet, dass die informierte Überzeugung, wonach die Erde um die Sonne kreist, ebenfalls ihre Berechtigung hat. Was dabei herauskommt, ist ein schrecklicher Wirrwarr, eine babylonische Sprachenverwirrung, welche die Menschheit in gegeneinander fremdelnde „Menschheiten“ auseinanderdividiert. Dass die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne kreist, kann nicht zugleich wahr sein. Um den Widerspruch zu verdecken, dürfen die unverträglichen Ansichten nicht merkbar kollidieren, und wenn sie es doch tun, dann wird eben – das ist die menschliche, allzu menschliche Situation – jener Meinungsflügel recht behalten, der am lautesten schreit. In diesen Untiefen liegt die Wurzel der heutigen Querdenker, die mit rabiater Wissenschaftsskepsis auf Stimmenfang gehen. Sie richten Unheil an, indem sie fake news guten Gewissens verbreiten, sofern diese in ihr „Weltbild“ passen. Aber auch die Verfechter der Künstlichen Intelligenz stiften, was die Frage nach der Wirklichkeit betrifft, böse Verwirrung, indem sie die Auffassung forcieren, bald schon werde man zwischen der künstlich erzeugten und der angeblich wirklichen Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können. Wenn dies alles wahr wäre, dann könnten wir, die Mitglieder des Homo sapiens, uns auf keine gemeinsame Basis beziehen, um unsere Meinungsunterschiede beizulegen. Das würde jenen „Populisten“ Auftrieb verleihen, welche die Konfusion um das, was real oder nicht real ist, im Sinne ihrer eigenen Interessen ausnützen. Und nicht selten ist es der Fall, dass die Manipulatoren an ihre eigenen Lügen zu glauben beginnen. Sie vermeinen dann, die „wirkliche Wirklichkeit“ zu kennen, weil sie die Manipulationsmacht über jene Phänomene besitzen, die in die Köpfe der Konsumenten eingeschleust und dort verankert werden. Resultat bewussten Erlebens Was also ist die Wirklichkeit? Man wagt kaum noch, die Frage zu stellen, um nicht gleich missverstanden zu werden. Denn in der Tat bewegen wir uns hier in einem weitgespannten Zirkel. Wir bemerken ihn bloß nicht, solange wir uns auf Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten konzentrieren, die sich „ Wir können uns als Menschheit nur begreifen, wenn wir nach dem suchen, was uns allen gemeinsam ist. “ zu unserer kulturellen Perspektive oder Ideologie neutral verhalten. Dass sich Gas bei Erwärmung ausdehnt, ist in allen möglichen Welten wahr; ebenso schiene es witzlos, die Einstein’sche Gleichung E=mc² zu bezweifeln, der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hat hier schreckliche Klarheit geschaffen. Freilich, eine philosophische Betrachtung kompliziert die Lage. Denn was wir von der Wirklichkeit wissen, ist das Resultat bewussten Erlebens. Unsere sinnlichen Eindrücke bilden die Basis dafür, dass wir eine Theorie des Gehirns entwickeln. Aus ihr folgt, dass wir alle Wirklichkeitserfahrungen einer geradezu kosmischen Anzahl von Foto: iStock / HT Ganzo Unter dem Titel „Gehirn, Welt, Wirklichkeit“ hat Robert Kaspar am 29.2.1996 das Buch „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“ von Gerhard Roth besprochen, siehe furche.at. Neuronenschaltungen verdanken. Diese jedoch lassen es bis heute als absolut rätselhaft erscheinen, wie aus rein „materiellen“, nämlich elektrochemischen und neurophysiologischen, Prozessen jemals ein Bewusstsein zu entstehen vermöchte. Ferner: Aus den Erlebnis daten unseres Bewusstseins entwickeln wir eine Theorie der Außenwelt. Deren physikalische Beschaffenheit ist nun aber derart, dass sie keine jener qualitativen Eigenschaften besitzt, die unser Bewusstsein formen. Die Wirklichkeit „an sich“ kennt weder Farben noch Gerüche noch Töne, sie lässt sich nicht tasten oder schmecken, sie ist weder hell noch dunkel. In ihr herrschen Verhältnisse, die unseren Alltagserfahrungen krass zuwiderlaufen, man denke nur an die Relativität der Zeit, den gekrümmten Raum oder an die Unbestimmtheit von Masse und Impuls im Quantenbereich. Im lllusionären verbleibend Daraus scheint zu folgen: Unser forschender Blick auf die Welt führt zu Erkenntnissen über die Wirklichkeit, aus denen hervorgeht, dass unsere Alltagsauffassung der Dinge, ihrer Eigenschaften und Beziehungen, vollkommen im Illusionären verbleibt. Ist also die Wirklichkeit, die wir aus den sinnlichen Daten unseres Erlebens im Labor ab strahieren, auch bloß eine Illusion? Mag sein, dass uns die tiefsten Geheimnisse des Realen für immer entzogen bleiben, gemäß den Worten des Apostels Paulus im Ersten Brief an die Korinther. Sie lauten in der Übersetzung Luthers: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Nun, man mag glauben oder nicht, dass einzig Gott die Wirklichkeit „kennt“; wichtig und unverzichtbar bleibt der Hinweis, der in den paulinischen Worten steckt: Wir können uns als Menschheit nur begreifen, wenn wir nach dem suchen, was uns allen gemeinsam ist. Dazu gehört, dass wir dasjenige, was uns kulturell trennt, in seiner Relativität erforschen, anstatt es absolut zu setzen. Denn darin liegt die grundlegende Voraussetzung dafür, dass wir über alle Interessensgegensätze hinweg dem uns gemeinsam Bindenden – das ist das Wirkliche – zustreben. Auf die Frage „Was ist die Wirklichkeit?“ ließe sich also auch antworten: dasjenige, wodurch erst ein Frieden unter den Menschen möglich wird, die sich in tausend Fantasien, Irrtümer, Träume und Machtspiele verstrickt haben. Der Autor ist Professor i. R. für Philosophie an der Universität Graz.

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