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DIE FURCHE 20.04.2023

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DIE FURCHE · 16 14 Diskurs 20. April 2023 Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. ERKLÄR MIR DEINE WELT Da läuft es mir kalt über den Rücken Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Es freut mich, dass Sie als junger Familienvater von Ihrem Chef angestellt wurden. Wäre es nicht auch schön, wenn Frauen aus dem gleichen Grund, nämlich Familienmütter zu sein, angestellt würden? Aber genug der Träumereien. Heute möchte ich mit Ihnen über Torten sprechen. Natürlich im übertragenen Sinne. Auslöser dafür sind die Schlagzeilen rund um Kostendruck und Stellenabbau in der Medienbranche. Das Kapital der Medienhäuser war einst Information und Wissen, Internet sei Dank wurde dies demokratisiert. Die Zielgruppe, die den Service benötigt, Informationen und Wissen in Papierform vor „ Wir haben in Österreich ein Medienförderungssystem, das statt auf journalistische Qualität sowie Unabhängigkeit auf Marktkonzentration setzt. “ die Haustür geliefert zu bekommen, stirbt aber mit der Prä-Internet-Generation aus. Dazu kommt ein Medienförderungssystem, das statt auf journalistische Qualität sowie Unabhängigkeit auf Marktkonzentration setzt. Dass es in Österreich trotzdem noch immer einen Nährboden für Qualitätsjournalismus gibt, zeigen innovative und hochwertige Startups wie andererseits oder tag eins. Wie schafft man es also, dieses Feld so zu bewirtschaften, dass seine Saat wachsen kann? Vielleicht ist meine Einschätzung ignorant, aber ich habe das Gefühl, dass klassische Medien das vermahlene Getreide in ihren Torten zu lange als selbstverständlich sahen. Heute reicht ihr Geld oft nur noch für altbekannten Marmorkuchen. Wenn dann ein schillernder Cup cake mit Passionsfrucht in den Sozialen Medien auftaucht und den Kund(inn)en schmeckt, wird häufig versucht, den Gugel hupf in eine Passionsfruchtform zu drücken. Aber genug der Bildsprache, ich bekomme Lust auf Süßes. Bei meiner Familie auf dem Land gab’s zu Ostern Heidelbeerroulade und Hafermilchkaffee, zwei Welten, die geschmacklich gut zusammenpassen. Insgesamt waren es erholsame Tage, ich wurde von einem Fasan überrascht, und das entschleunigte Zusammensein inklusive Dorfgeflüster vor der Kirche tat gut. Lustigerweise habe ich mich auch gefragt, ob Ryyan Alshebl, von dem Sie in Ihrem letzten Brief erzählt haben, auch in meiner Heimatgemeinde gefördert werden würde. Ich hoffe, er stiftet über die Aufsteigererzählung hinaus Toleranz. „Drag ist kein Verbrechen“ Apropos Toleranz: Ich spreche viel über die Benachteiligung von Frauen, als intersektionale Feministin ist mir aber die Gleichberechtigung aller Menschen wichtig. Deshalb möchte ich mit einer pikanten Note enden. Neben der Klimakrise wird die nächste Generation meiner Generation (zu Recht) vorwerfen, dass wir am Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit festhalten. Beim Gedanken an die queerfeindliche Demonstration gegen die Kinderlesung von Dragqueen Freya van Kant am letzten Wochenende läuft es mir kalt über den Rücken. Ein generelles Verbot von Dragqueen-Shows für Kinder unter dem Deckmantel des Kinderschutzes zu fordern, während allein in Deutschland jährlich 500 Kinder operiert werden, weil ihr Geschlecht nicht festgestellt werden kann – und diese OP für einige lebenslanges Leiden bedeutet, da fehlen mir die Worte. Also ende ich mit Conchita Wurst, die sagt: „Drag ist kein Verbrechen.“ Mögen wir auf sie hören, hat sie doch einst im Namen der Toleranz das kleine Österreich auf die internationale Showbühne gehoben. Alles Liebe, Wie Kernenergie den wachsenden Energiebedarf der DDR stillen sollte – und wie sich die SED-Führung über Widerspruch der Bevölkerung und Sicherheitsbedenken hinwegsetzte. Atomstrom soll Energielücke schließen 3725 AUSGABEN DIGITALISIERT Georg Bensch/Berlin In FURCHE Nr. 23 10. Juni 1977 Am 15. April wurden die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Damit wird der geplante Atomausstieg umgesetzt, der nach der Katastrophe von Fukushima 2011 beschlossen, für Ende 2022 festgesetzt, aber wegen der Energiekrise nochmals verschoben wurde. Zwei Kernkraftwerke standen einst in der DDR. Georg Bensch beschreibt 1977 die Atompläne im Osten. Auch in der DDR wird [...] über Fragen diskutiert, die mit dem Bau und mit der Inbetriebnahme neuer Atomkraftwerke in Zusammenhang stehen, denn die Lage im DDR-Energiebereich ist nach wie vor angespannt. Wie in den westlichen Ländern, so verdoppelt sich der Energiebedarf auch in der DDR innerhalb von zehn bis zwölf Jahren. Zur künftigen Energiepolitik der DDR äußerte sich jetzt Honeckers Minister für Kohle und Energie, Klaus Siebold, vor Journalisten in Ost-Berlin. Der DDR-Minister sagte, die Braunkohle werde zwar auch in den nächsten Jahren wichtigster Energieträger bleiben. Aber ein hoher Anteil des erforderlichen Primärenergiezuwachses soll durch die Errichtung großer Kernkraftwerke gedeckt werden. [...] Gegenwärtig sind in der DDR zwei Kernkraftwerke in Betrieb. Beide produzieren 2,7 Milliarden kWh, das sind mehr als drei Prozent der Gesamtstromerzeugung. Im Hinblick auf die Aktivitäten der kommunistisch unterlaufenen Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik, die von der DDR gesteuert, finanziert und planmäßig gegen jedes neue Atomkraftwerksprojekt in Marsch gesetzt werden, ist es interessant, zu erfahren, daß der erste Schritt zur industriellen Nutzung der Kernenergie in der DDR bereits 1957 erfolgte, als mit dem Bau eines Kernkraftwerkes in Rheinsberg begonnen wurde. Der Betrieb wurde im Mai 1966 aufgenommen. Mit einer Gesamtkapazität von 70 MW ist es eine relativ kleine Anlage [...]. Dagegen befindet sich das erste rein industriell genutzte Kernkraftwerk der DDR in der Lubminer Heide bei Greifswald. Für die Standortwahl waren zwei Gesichtspunkte entscheidend: Im Gegensatz zum Süden verfügt der Norden der DDR über keine Rohstoffgrundlage für die Stromerzeugung. Dagegen bietet die Ostsee ein reiches Kühlwasserreservoir. Schon 1973 wurden Bedenken wegen ungenügender Sicherheitsvorkehrungen geäußert. Der Bau des Kernkraftwerkes Nord war 1965 zwischen der Sowjetunion und der DDR vereinbart worden, [...] seit Mitte 1975 arbeiten beide Reaktoren im Dauerbetrieb. Hinsichtlich der Aufbewahrung radioaktiver Abfälle haben die Verantwortlichen der DDR eine Lösung gefunden, die seitens der Bevölkerung widerspruchslos hingenommen werden mußte. Abfälle jeglicher Radioaktivitäten werden in dem stillgelegten Salzbergwerk in Schönebeck an der Elbe gelagert. Hier kam es auch im Juni 1974 zu schweren Unfällen, als fünf Arbeiter beim Deponieren von „Atom- Müll“ strahlengeschädigt wurden. Über diesen Vorfall [...] berichtete keine Zeitung in der DDR. Nach den SED-Plänen [...] soll der Ausbau der Kernenergie im Planzeitraum 1976/80 beschleunigt vorangetrieben werden. Jede vierte neuzuerrichtende Kraftwerkskapazität soll auf der Basis von Atomstrom betrieben werden. VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT ALLE BEITRÄGE SEIT 1980 JETZT ONLINE Foto: Wikipedia DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. 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DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Diskurs 15 Die 54 afrikanischen Staaten sind auf UN-Ebene ein wichtiger Block. Dass sie nicht automatisch wie „der Westen“ denken, hat sich zuletzt gezeigt. Was sind die Lehren daraus? Ein Gastkommentar. Geopolitik: Auf Augenhöhe mit Afrika! macht wieder einmal mit Negativschlagzeilen von sich reden: Im seit Jahrzehnten krisengebeutelten Sudan ist es zur „Afrika“ Eskalation gekommen. Gegenüber stehen einander die reguläre Armee unter Regierungsübergangschef General Abdel Fattah al-Burhan – und die „Rap id Support Forces“ des mächtigen Milizführers Muhammad Hamdan Dagalo (besser bekannt unter seinem nom de guerre „Hemedti“). Letztere Kräfte gehören zur Miliz der „Janjaweed“, die in der Provinz Darfur jahrelang die Bevölkerung drangsalierten und grausame Verbrechen verübten. Es ist ein Kampf zwischen jenen Machthabenden, die seit dem Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Baschir im April 2019 um die Vormachtstellung im Sudan rittern. Die Zivilbevölkerung wird seither marginalisiert, versprochene demokratische Wahlen werden laufend verschoben. Neben der Frage, wohin der Sudan steuert, gab und gibt es auch Irritationen auf geopolitischer Ebene: Für viele war es eine böse Überraschung, als die 54 afrikanischen Staaten 2022 den Resolutionen der UN-Generalversammlung zur Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht geschlossen zustimmten. Zählt man die Staaten mit Ablehnung (Eritrea), Enthaltung (u. a. Südafrika) und Abwesenheit (u. a. Äthiopien) zusammen, summiert sich die Nichtunterstützung auf fast 50 Prozent. Ukraine-Krieg: Europäische Angelegenheit? Wie kann so etwas sein? Der sogenannte Westen geht noch immer davon aus, dass die Staaten Afrikas zumeist die Interessen der ehemaligen Kolonisatoren vertreten. Aufgrund historischer Verbindungen, Kooperationen und Hilfen glaubte man Afrika an seiner Seite. Dass plötzlich Stimmen laut werden würden, die der NATO eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine zuweisen, die diesen Krieg als europäische Angelegenheit betrachten, in die man nicht hineingezogen werden will – und die klagen, dass dessen Auswirkungen durch steigende Lebensmittel- und Energiepreise erneut in Afrika am stärksten zu spüren sind, obwohl man – wie bei der Klimakrise – keine Mitschuld trägt, darauf war man nicht gefasst. Foto: Privat Vor allem die Reaktionen aus Südafrika haben zu Unverständnis geführt. Hat Südafrika nicht eine der modernsten Verfassungen der Welt? Hat man nicht am eigenen Leib erfahren, wie viel Leid ein menschenverachtendes (Apartheid-)System verursachen kann? Ende Februar kam es sogar zu Seemanövern der südafrikanischen Marine mit China und Russland. Die südafrikanische Regierung hat jede Kritik brüsk von sich gewiesen und betont, dass dieses Manöver von langer Hand geplant gewesen sei und mit dem Krieg in Europa nichts zu tun habe. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Wolfgang Fasching „ China als neuer Machtfaktor erlaubt es afrikanischen Regierenden, eigene Interessen besser als einst durchzusetzen. “ Es ist müßig, zu fragen, ob dieses Verhalten „falsch“ sei. Vielmehr sollte man sich fragen, warum viele afrikanische Staaten die Dinge derart anders sehen. Ist es ein Zeichen der Emanzipation? Ist es eine Revanche für Jahrzehnte der „neokolonialistischen“ Gängelung? Ist es die Verdeutlichung, dass Afrika nicht weiter die Zeche für Entwicklungen zahlen will, die es nicht verschuldet hat? Ist es eine offene Drohung, dass man sich jederzeit anderen Partnern auf der Weltbühne zuwenden kann, wenn man dazu genötigt wird oder wenn es einem wirtschaftliche Vorteile bringt? Tatsache ist, dass die Bedeutung Chinas hinsichtlich der Direktinvestitionen auf dem af­ rikanischen Kontinent deutlich gestiegen ist. Nach einer langen Zeit der Stellvertreterkriege zwischen West und Ost ist seit zwei Jahrzehnten mit dem Reich der Mitte ein neuer Machtfaktor allgegenwärtig, der es afrikanischen Regierenden erlaubt, die eigenen Interessen besser als einst durchzusetzen. Seit dem Zerfall des Ostblocks war das Verhalten des Westens zudem meist vom Heben des moralischen Zeigefingers, dem Abschließen von Wirtschaftskooperationen, die hauptsächlich für ihn selbst vorteilhaft waren, und guten Ratschlägen zu Strukturanpassungen oder good governance geprägt. Was die afrikanischen Staaten dachten, wollten und brauchten, stand selten auf der westlichen Agenda. Dass diese Haltung nicht gefällt, darf nicht verwundern. Zwar wird das Ressentiment selten offen ausgesprochen, doch man nützt vermehrt die Gelegenheit, dem Westen zu zeigen, was man von seiner Politik hält. Gruppe Wagner: Ukraine und Mali Zwei Ereignisse der jüngsten Vergangenheit stechen hier besonders hervor. Die bitterarmen Sahelstaaten Mali und Burkina Faso haben jüngst nicht nur ihre demokratischen Regierungen gestürzt – beide Militärmachthaber haben letztes Jahr auch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die seit Jahren mit massiver Militärpräsenz militante islamistische Gruppen im Sahel und der Sahara zu bekämpfen versuchte, aus dem Land geworfen. In Burkina Faso sind aktuell immerhin noch circa 400 Soldaten vor Ort. Dass in Mali seither die berüchtigte Gruppe Wagner – die in der Ukraine für brutalste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird – für die Sicherheit des Landes sorgen soll, gibt freilich zu denken. Der „Westen“ kann sich der geopolitischen Unterstützung Afrikas also nicht mehr sicher sein. Umso notwendiger ist es, den Staaten wirklich auf Augenhöhe zu begegnen. Wohin ein halbherziger Zugang führt, hat die UNO-Abstimmung von 2022 der ganzen Welt vor Augen geführt. Der Autor ist Unternehmensberater. Er studierte Entwicklungsökonomie in Wien und beobachtet seit 30 Jahren Entwicklungen in Afrika. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Leibhaftig provokant Ein Sonntagvormittag Mitte April. Ich sitze als Wahrsagerin auf dem Beifahrersitz. Meine Nachbarin am Steuer. Sie trägt eine grellgrüne Perücke. Pumuckl, sein Bruder, der Zauberer, und Lava-Golem sitzen hinten. Die Leute in den anderen Autos schauen irritiert zu uns herüber. Einige Meter Luftlinie entfernt demonstrie ren Rechtsextreme, Identitäre, fundamentale Katholiken, Erzkonservative. Auf der einen Seite. Anhänger der LGBTQIA+-Bewegung, progressive Elternverbände und linkslinke Weltverbesserer auf der anderen. Dazwischen stehen Polizisten in Schutzanzügen, Kampfstiefeln und mit Schlagstöcken. Alle Beteiligten fürchten um die Zukunft von Pumuckl, dem Zauberer und Lava-Golem. Nicht im Speziellen, im Allgemeinen. Denn in der „Türkis Rosa Lila Villa“, vor der sie sich bekriegen, wird Kindern eine Prinzessinen-Drachen-Geschichte vorgelesen. Von einem Mann, der sich als Frau verkleidet hat. Die Erwachsenen vor der Tür sehen nur die leibhaftige Provokation. Die einen, weil eine Person, die dafür eintritt, Konventionen zu hinterfragen, ein Kinderevent austragen darf. Die anderen, weil sie sich auf der guten Seite der Geschichte wähnen und der ideologische Gegner ihre Vorstellung von Erziehung verunglimpft. Die Kinder schauen irritiert aus dem Fenster. Sie wollen zuhören, nicht streiten. Sie mögen es, wenn sie jemand in die Welt der Fantasie mitnimmt. Wenn dieser Jemand auch noch märchenhafte Züge an sich hat – umso besser. Mitnichten dient mein Wahrsagerinnen- Outfit nur als Maskerade. Die Kinder, die wegen einer Windpockenepidemie den Schulfasching verpasst haben und nun in einem Gemeinschaftsraum nachfeiern, nehmen mich in die Pflicht. Ein weißer Luftballon dient als Glaskugel. Wenn ihnen nicht passt, was ich orakle, begehren sie auf. Pumuckl und Lava-Golem bestehen auf ihre Zukunft als Swimmingpoolbesitzer. Sie und die Kinder in der bunten Villa kreieren sich ihr eigenes Bild von der Welt. Erwachsene Sichtweisen sind heute entbehrlich. Die Polizisten dagegen hießen sie willkommen. In puncto Faszination können sie mit Dragqueens mithalten. Vorausgesetzt natürlich, sie sind des Vorlesens mächtig. NACHRUF Hirte für die ungeliebten Schafe Wenn es eine Personifikation für die kirchenpolitischen Unterschiede zwischen den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Franziskus gibt, dann steht ganz gewiss Jacques Gaillot dafür. Der französische Bischof wurde vom polnischen Pontifex als Leiter der Diözese Évreux abgesetzt. Das war 1995. 2015 lud ihn Papst Franziskus zu sich ein, was nicht nur Gaillot als Rehabilitierung verstand, auch wenn der damals bereits 80-Jährige keine offizielle Kirchenfunktion mehr übernehmen sollte. Aus dem Algerienkrieg, an dem er 1957–59 teilgenommen hatte, kehrte Gaillot als überzeugter Gewaltloser zurück. Er studierte danach Theologie, wurde 1961 Priester und 1982 Bischof im nordfranzösischen Évreux. Dort machte er sich von Anfang an bei den – kirchlich wie politisch – Konservativen unbeliebt: Er trat für Wehrdienstverweigerung und Abrüstung ein und engagierte sich auch öffentlich dafür. Vermutlich als erster katholischer Bischof segnete er 1988 ein schwules Paar, im selben Jahr votierte er in der französischen Bischofskonferenz für eine Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester. Aber vor allem sein Widerstand gegen die sozial unverträgliche Politik der französischen Regierung, insbesondere in der Migrantenfrage, bei der er sich mit dem damaligen Innenminister Charles Pasqua anlegte, führte zu Gaillots Absetzung durch Rom. Allerdings ließ sich Gaillot danach weder zu einer Abkehr von seinen politischen Idealen noch zu verbitterter Kritik am Papst hinreißen – auch in FURCHE-Interviews trat er als sanftmütiger, aber politisch bestimmter Zeitgenosse entgegen. Das Bischofsamt ließ ihm Johannes Paul II., als Hirte ohne Land (man wies ihm die untergegangene Diözese Partenia in Nordafrika als nominelles Bistum zu) wurde Gaillot im Internet kreativ: Bis 2010, also bis er die 75-Jahre-Altersgrenze für amtierende Bischöfe erreichte, betrieb Gaillot Seelsorge in der virtuellen Diözese www.partenia.org auf seine Weise. Und er meldete sich dort weiterhin zu politischen Themen, aber auch den kirchlichen heißen Eisen – Zölibat, Empfängnisverhütung, Homosexualität – zu Wort. Der Bischof selbst lebte in Paris, wo er sich sozial engagierte – konkret für die Sans Papiers, also Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung, für Arbeitslose und für Obdachlose. Jacques Gaillot ist am 12. April in Paris 87-jährig verstorben. (Otto Friedrich) Foto: APA / AFP / Joël Saget Bischof Jacques Gaillot, geboren am 11. September 1935, gestorben am 12. April 2023.

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