Aufrufe
vor 11 Monaten

DIE FURCHE 20.04.2023

  • Text
  • Furche
  • Welt
  • April
  • Menschen
  • Buch
  • Zeit
  • Kinder
  • Salzburg
  • Wien
  • Frau

DIE

DIE FURCHE · 16 10 Religion 20. April 2023 Beten und kochen ... Schwester Raphaela war im Karmel Gmunden für die Küche zuständig. Von Sophie Huber-Lachner Nach dem Krieg waren es noch knapp dreißig Schwestern, zuletzt waren sie nur mehr zu viert und hochbetagt – zwischen 83 und 90 Jahre alt. Seit über einem halben Jahrhundert lebten Priorin Elisabeth und die Schwestern Raphaela, Gabriela und Annunciata schon im Karmel-Orden in Gmunden. Weitestgehend im Verborgenen, sodass auch viele Gmundner(innen) kaum etwas von den Schwestern wissen. Das 1828 gegründete Kloster ist in die Jahre gekommen und nicht wirklich barrierefrei. Es war ein kleines Wunder, dass diese Schwesternschaft den Alltag im Kloster bis dato weitestgehend allein gemeistert hat. Jetzt ist der Auszug aber unvermeidlich geworden, und sie haben im März 2023 ihr gewohntes und liebgewonnenes Leben aufgegeben. Kurz vor dem Auszug eröffnet ein Besuch im Gmundner Karmel eine Welt, die karg und faszinierend zugleich ist. „Unsere Gründerin Teresa von Ávila wollte, dass die Schwestern keine schwachen Weiblein sind, sondern stark wie die Männer“, sagt Schwester Gabriela. Für die große Mystikerin, die im 16. Jahrhundert erste Karmel-Frauenklöster gründete, war ein einfaches, zurückgezogenes Leben nach strengsten Regeln entscheidend. Tatsächlich war es gerade die Strenge, erzählt Priorin Elisabeth, die sie als junge Frau an den Karmelitinnen faszinierend fand. So war etwa auch eine vegetarische Ernährung vorgeschrieben. „Jetzt im Alter wird das nicht mehr so heiß gegessen“, ergänzt Schwester Raphaela augenzwinkernd. Sie ist für die Küche zuständig. Gebet als Hauptaufgabe Als „beschaulicher“ Orden räumen die Karmelitinnen der Kontemplation sehr viel Zeit ein. Viele „tätige“ Orden meditieren nur mehr eine halbe Stunde, in Gmunden ist es eine Stunde morgens und eine Stunde abends. Der Tag der Karmelitinnen beginnt mit der Laudes um 5.45 Uhr: „15 Minuten Stehen vor Gott in Vertretung für die vielen Menschen, die nicht wollen, nicht können oder keine Zeit haben“, sagt Schwester Gabriela: „Für uns ist das Gebet die Hauptaufgabe.“ Die Mauern sind dick und hoch – die Trennung von der Welt ist hier auch baulich vollzogen. Das soll es den Schwestern leichter machen, sich auf das Wesentliche, auf die Beschauung zu konzentrieren. Eine Art „Schleuse“ im Eingangsbereich erinnert an Zeiten, in denen der Kontakt mit der Außenwelt – etwa die Annahme von Spenden – nur indirekt vonstattenging. Die Gmundner Schwestern sind auf ihre Weise durchaus mit der Zeit gegangen, und so verwundert es auch nicht, als das Handy der Priorin klingelt (sie hat einen großen Sack Kartoffeln bestellt und klärt nun die Lieferung ab) Lesen Sie Antonio Sagardoy über Teresa von Ávila, „Frau mit einer Vision“ am 26.3.2015, siehe furche.at. Fast 200 Jahre nach der Gründung des Karmels in Gmunden sind die letzten Schwestern aus dem Konvent ausgezogen. Kurz vor dem Umzug: ein Blick in eine faszinierende, nun verschwundene klösterliche Welt. Die letzten Karmelitinnen „ Mit der Dankesmesse am 18. März und der letzten Messe am Tag darauf ist die Zeit der Karmelitinnen in Gmunden zu Ende gegangen. “ Foto: Sophie Huber Lachner oder dass die Schwestern im Radio Nachrichten über den Ukraine-Krieg hören. Für Schwester Elisabeth gar nicht abwegig: „Wir müssen schließlich wissen, was die Menschen draußen bewegt.“ So gesehen haben sich die Karmelitinnen der Welt schon ein großes Stück geöffnet. Ursprünglich war es ihnen verboten, das Kloster zu verlassen. Heute muss immer noch ein triftiger Grund vorliegen – ein Arztbesuch etwa. „Eine Runde am See spazieren gehen, das geht natürlich nicht, auch wenn der Traunsee nur wenige Schritte entfernt ist“, sagt Elisabeth und erzählt von einer Schwester, die vor Eintritt ins Kloster noch ein letztes Mal schwimmen ging. Die Schwestern leben von freiwillig gegebenen Spenden und arbeiten auch für den Lebensunterhalt. Früher wurden Kerzen und selbst angebautes Gemüse verkauft, und in der Paramentikwerkstatt waren sie mit der Gestaltung von Messgewändern beschäftigt. Vieles schaffen die Schwestern heute nicht mehr, aber sie versuchen sich immer noch nützlich zu machen. Es gibt eine „Gartenschwester“ und eine „Blumenschwester“, und wieder eine andere füttert jeden Tag zur selben Uhrzeit die geduldig gurrenden Tauben. Jede soll nach ihren Fähigkeiten und Vorlieben tätig sein. „Es ist ganz wichtig, dass wir Freude bei der Arbeit haben“, sagt Raphaela. „Kochen fällt mir immer noch leicht. Kein Vergleich zum Ziegenstall, für den ich früher zuständig war.“ Tatsächlich sind die hochbetagten Frauen mehr und mehr auf Unterstützung angewiesen. Schon länger steht die Frage im Raum: Wie lange wird es überhaupt noch gehen? „Es ist traurig zu sehen, wie eine Schwester nach der anderen ins Licht geht und wir jetzt nur mehr so wenige sind“, sagt Schwester Raphaela. „Jüngere, die die Älteren pflegen könnten, sind leider nicht nachgekommen“, ergänzt Elisabeth. Die kleine Frauengemeinschaft ist tief verwurzelt in Gmunden, und bis jetzt haben die Schwestern auch ihre letzte Ruhestätte auf dem Gelände des Klosters gefunden – in der „Grabstätte der unbeschuhten Carmelitinen des Conventes zu Jesu Maria Joseph in Gmunden“, wie eine Inschrift verrät. Die Wände der Gruft haben die Schwestern selbst mit abertausenden Muscheln verziert. Was wird aus diesem Ort, der sich bis dato beharrlich allem Weltlichen und Materiellen entzogen hat? Monatelang brodelt die Gerüchteküche, und auch die Stadt Gmunden meldet Interesse an dem riesigen Grundstück in traumhafter Lage an. Anfang 2023 ist schließlich klar, wie es weitergeht: Das Kloster wird vom Institut Österreichischer Orden DIE FURCHE EMPFIEHLT Jüdische Philosophen TAGUNG übernommen, der in Zukunft die Aufgabe hat, das übergebene Ordensvermögen zu erhalten und zu entwickeln. Noch flackern Kerzen in den dunklen, stillen Klostergängen, während sich die geschäftige Stadt Gmunden draußen mit Touristen füllt – am malerischen Nordufer des Traunsees gelegen, überragt vom imposanten Traunstein, der wie ein Wächter das flache Land vom rauen Salzkammergut trennt. Ein weltbekannter Flecken Erde, so nah und doch so fern für die Schwestern. Einmal noch beginnt sich im Klostergarten der Frühling zu regen. Die ersten Knospen versprechen eine baldige Blütenpracht, die für Priorin Elisabeth und die Schwestern Raphaela, Gabriela und Annunciata heuer zu spät kommen wird. Aus der Mode gekommen Vor vielen Jahrzehnten haben sich diese Frauen ganz bewusst für eine Existenz jenseits von Kindern, Karriere und Selbstverwirklichung entschieden, und damit für ein Leben, das sich dramatisch von jenem unterscheidet, das Frauen in modernen westlichen Gesellschaften normalerweise anstreben. Außerdem stehen diese Schwestern für eine Lebenshaltung, bei der man sich darauf verlässt, dass einem gegeben wird, was man wirklich braucht, und alles andere überflüssig ist – ein aus der Mode gekommenes Konzept, das sich um gelingende Beziehungen dreht und das unserer bedürfnisorientierten, hochindividuellen Lebensführung diametral gegenübersteht. Mit der Dankesmesse am 18. März und der vorerst letzten Messe am Tag darauf ist die Zeit der Karmelitinnen in Gmunden zu Ende gegangen. Die vier Schwestern sind danach ins Haus der Marienschwestern vom Karmel nach Bad Mühllacken umgezogen. Was in Gmunden aber bleibt, ist ihr Vermächtnis: dass Bescheidenheit und Lebensfreude viel miteinander zu tun haben, ebenso wie Tätigsein und Lebendigkeit untrennbar sind. Und dass eine aus den Fugen geratene Welt genau solche Orte braucht, wo der Sinn fürs Wesentliche geschärft wird. Die Autorin ist Filmemacherin und hat bei den Gmundner Karmelitinnen für ein Dokumentar film projekt recherchiert. Unter Federführung des Religionsphilosophen Anton Grabner- Haider veranstaltet die Sommerakademie Graz-Rein in Wien eine Tagung über jüdische Philosophen im 20. Jahrhundert, u. a. Jean-François Lyotard, Jacques Derrida, Carl Djerassi, Hannah Arendt, Ernst Bloch, Martin Buber, Ludwig Wittgenstein, Karl Popper, Emmanuel Levinas, Max Horkheimer, Theodor Adorno. Jüdische Philosophen und Mediziner im 20. Jahrhundert Samstag, 29. April, 10–19 Uhr, Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Straße 2–4. Infos: www.plattform-martinek.at

DIE FURCHE · 16 20. April 2023 Gesellschaft 11 Zu seinem 70. Geburtstag hat sich der langjährige Caritas-Präsident Franz Küberl selbst mit einem Buch beschenkt: „Zukunft muss nach Besserem schmecken“ lautet sein Titel. Ein Gespräch über die nötigen Besserungen in Gesellschaft, Politik, Medien und Kirche. „Gegeneinander leben geht nicht“ Das Gespräch führte Doris Helmberger Ob als Caritas-Präsident oder als Publikums- und Stiftungsrat im ORF: Die Gemeinschaft und die gemeinsame Öffentlichkeit waren und sind Franz Küberl ein zentrales Anliegen. DIE FURCHE hat ihn anlässlich seines 70. Geburtstags am 22. April zum Gespräch gebeten. DIE FURCHE: Vor genau zehn Jahren hat DIE FURCHE ein Interview mit Ihnen geführt und es mit „Beruf Katholik“ übertitelt. Sie waren damals nicht begeistert. Aber tatsächlich waren Sie in allen Ihren Funktionen prototypisch für den öffentlich sichtbaren Laien, der christliche Grundsätze wie Menschlichkeit hochhält. Franz Küberl: Ich bin eben ein Kind des Zweiten Vatikanums. Als Ministrant hat mich das Öffnen der Fenster zur Welt von Johannes XXIII. ungemein bewegt, ebenso die Formulierung vom gemeinsamen Priestertum von Laien und Geweihten. Zudem bin ich beseelt vom Verständnis, dass diese Kirche verheutigt werden soll – und ich will mithelfen, dass es so bleibt. DIE FURCHE: Wie geht es Ihnen dann damit, dass gerade bei den Jungen Strömungen an Attraktivität gewinnen, die vor Anpassung an den „Zeitgeist“ warnen – während viele überhaupt nichts mehr mit Kirchen zu tun haben wollen? Küberl: Das Erste ist tatsächlich eine neue Schichtung, die stärker wird – ebenso wie die Evangelikalen. Nicht jeder will offensichtlich die gesamte Geschichte der Kirche im Rucksack tragen, sondern immer mehr wollen einen eigenen spirituellen Zugang finden. Was mich allerdings mit Wehmut erfüllt, ist, dass gar nicht wenige derer, die wie ich in der Jugend begeistert waren, von dieser Begeisterung Abschied genommen haben. Damit die Kirche weiter ein Anziehungspunkt bleibt, braucht sie zwei Fundamente: Erstens geht es um die Person, die ein Sinngehäuse sucht und sich die Grundfragen stellt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? Zweitens geht es um die Kirche als Institution, die ja eine Sinnzufluss-Agentur ist – und darauf achten muss, es zu bleiben. DIE FURCHE: Tatsächlich suchen sich sehr viele mittlerweile ihren Sinn anderswo. Küberl: Wir erleben heute eine ungemeine Wucht an Freiheit. Das ist einerseits toll: Wir sind viel freier als früher. Und man muss auch nicht mehr überall dabei sein, bei keiner Partei, Gewerkschaft oder Kirche. Zugleich bin ich davon überzeugt, dass nicht jeder für sich allein glauben kann. Auch eine Gesellschaft, in der sich jeder nur um sich selbst kümmert, kann nicht funktionieren. Man wird immer Gemeinschaft brauchen – wie man auch einen gemeinsamen Ethikbogen braucht: Was sind unsere gemeinsamen Werte? Natürlich sind Differenzen zur Identitätsbildung wichtig: Ich bin anders als Sie. Trotzdem haben wir unendlich viel gemeinsam. Dem sollten wir uns bewusst sein. Prägender Kopf 1953 in Graz geboren, war Franz Küberl von 1995 bis 2013 als erster Laie Präsident der Caritas Österreich. Zudem war er Mitglied des ORF- Publikumsrats und bis 2018 auch des ORF-Stiftungsrats. DIE FURCHE: „Die Welt taumelt“: Mit diesem Befund einer umfassenden Vertrauenskrise gegenüber Institutionen eröffnen Sie Ihr neues Buch. Was hat zu diesem Schwund geführt? Küberl: Vertrauenskrisen hat es immer gegeben. Jetzt sind aber neue Ingredienzien dazugekommen, etwa die digitale Explosion und der ungeheure Wissenszuwachs, der viele Leute erschlägt – und umgekehrt viele dazu bringt, sich ihre eigenen Weltsicht im Internet zusammenzustricken, statt mit Menschen zu reden. Ob das eine Kinderkrankheit der Freiheit oder schon ihr Endresultat ist, getraue ich mich nicht zu sagen. Hier kommen auch die „Wutbürger“ ins Spiel: Das sind nicht immer die Ärmsten, sondern oftmals Leute, die eine solche Leere im Leben spüren, deren Sinngehäuse so ungefüllt ist, dass sie sich im Internet auf alle möglichen Dinge stürzen und unserer Gesellschaft den Garaus machen wollen. Das halte ich schon für dramatisch. Davon zu unterscheiden sind begründete Zukunftsängste, etwa davor, die Energierechnung nicht mehr bezahlen zu können oder den Klimawandel nicht abwehren zu können. Auch der Krieg kommt dazu. Diese parallelen Krisen haben uns unsicherer gemacht. DIE FURCHE: Nach der Coronakrise will die Regierung nun die „Gräben zuschütten“. Wie kann das gelingen? Küberl: Eine Grundbedingungen für das „Gräben-Zuschütten“ oder die Verständigung – das ist mir das liebere Wort – ist es, das Gegenüber ernst zu nehmen. Und zu verstehen, dass der andere genauso wichtig ist wie ich. Wir erleben aber derzeit nicht zum ersten Mal, dass bestimmte Gruppen glauben, sie seien besser als andere: Das war bei den Ausländerdiskussionen ebenso wie bei der Debatte zwischen Coronaskeptikern und Impfbefürwortern. Trotzdem können wir nur gemeinsam und nicht gegeneinander leben. Es braucht immer die Fähigkeit zum Kompromiss. Und ja: Auch nicht jedes Wort, das aus freiheitlichem Mund kommt, ist automatisch unsinnig. Wenn man davor warnt, dass sich viele die Mieten oder Energie nicht mehr leisten können, sollte man das aufgreifen und darüber reden. DIE FURCHE: Apropos: Der Verfassungsgerichtshof hat wesentliche Teile der vielfach kritisierten „Sozialhilfe“ aufgehoben. Was wäre aus Ihrer Sicht als langjähriger Caritas-Präsident nun notwendig? Küberl: Wir waren hier tatsächlich schon weiter. Die Einigung von SPÖ und ÖVP 2008 auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung war ein Riesenschritt, weil er Menschen eben einen Rechtsanspruch gegeben hat – wie beim Arbeitslosengeld. Aber 2017 hat die ÖVP als Morgengabe für die FPÖ auf die „Sozialhilfe“ zurückgestutzt. Die bedeutet ungemein mehr Verwaltungsaufwand – und die Hilfesuchenden werden wieder zu Bittstellern degradiert. Das ist ein völlig unnötiger Rückschritt, der rasch beseitigt gehört. „ Wir erleben heute eine Wucht an Freiheit. Das ist einerseits toll. Zugleich kann eine Gesellschaft, in der sich jeder nur um sich selbst kümmert, nicht funktionieren. “ DIE FURCHE: Und wie steht es um den Umgang mit Geflüchteten? Gerade wird der Fall einer indischen Frau mit Kindern diskutiert, die in Haslach als Köchin und Mesnerin gebraucht wird, aber wegen ihres abgelehnten Asylantrags abgeschoben werden soll – und auch keine Rot-Weiß- Rot-Karte für Mangelberufe erhält. Küberl: Grundsätzlich muss man zwischen Asyl und Migration unterscheiden, das sind zwei bzw. eineinhalb Paar Schuhe. Weil nicht alle Situationen konkret der einen oder anderen Dimension zuzuordnen sind, kann aber auch ein Spurwechsel nötig sein. Ich halte die Entscheidung von Foto: Privat Zum 60. Geburtstag führte Otto Friedrich ein Interview mit Franz Küberl – nachzulesen unter „Beruf Katholik“ (18.4.2013) auf furche.at. Haslach für ausgesprochen dumm, weil diese Menschen von daheim wegmussten und wir sie dringend brauchen. Ein tragfähiges österreichisches Zuwanderungskonzept wäre höchst notwendig. Und die Regierungschefs der EU sollen sich gefälligst auf ein gemeinsames Asyl- und Zuwanderungsrecht in der Europäischen Union einigen. DIE FURCHE: Kommen wir zu einem weiteren Feld, in dem Sie tätig waren: dem ORF, in dessen Publikums- bzw. Stiftungsrat Sie vertreten waren – und zwar bewusst „unabhängig“. Nun wird nach diversen Chat-Skandalen einmal mehr vehement gefordert, den ORF zu „entpolitisieren“. Aber ist das überhaupt möglich – oder auch grundsätzlich sinnvoll? Küberl: Was meine eigene Unabhängigkeit betrifft, so habe ich mir die damals ausbedungen, weil ich ja als Vertreter der katholischen Kirche in den ORF geschickt wurde; und da kann ich ja nicht bei einer Partei sein. Aber natürlich habe ich immer auch mit allen anderen gesprochen, Unabhängigkeit ist ja keine isolationistische Angelegenheit. Man ist dadurch auch kein besserer Mensch. Das führt mich zum zweiten Aspekt: Parteien, Parlament und Regierung sind konstitutive Teile des Staates – und damit auch des öffentlich-rechtlichen ORF. Daher sind sie mitverantwortlich für die Nominierung der besten Köpfe für den Stiftungsrat, wo sie nur dem ORF und nicht einer Partei linie verpflichtet sind. Nur hat sich das bis jetzt nicht durchgesetzt, deshalb gehört das grundlegend reformiert. Wenn manche Regierungsmitglieder meinen, dass sie den ORF wie einen Hund an der Leine führen können, ist das jedenfalls dumm. Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, den Rechnungshof an der Leine zu führen. DIE FURCHE: Ist die akkordierte Haushaltsabgabe namens „ORF-Beitrag“ eine gute Lösung zur ORF-Finanzierung? Küberl: Das ist nur ein Baustein. Brauchen wird es insgesamt eine Medienpolitik, die auch ein kluges Miteinander von ORF und Zeitungsverlegern ermöglicht. DIE FURCHE: Sie selbst wurden mehrfach gefragt, ein politisches Amt zu bekleiden. Warum haben Sie stets abgelehnt? Küberl: Ich bin von unterschiedlichen Parteien für unterschiedliche Funktionen angefragt worden. Es war jedes Mal eine Ehre. Aber ich habe so lange kirchlich Verantwortung mittragen dürfen, dass ich für mich wenig Sinn gesehen hätte, mitten im Fluss noch einmal das Pferd zu wechseln. DIE FURCHE: Die Zukunft soll „nach Besserem schmecken“, heißt es im Titel Ihres Buches. Was ist dazu notwendig? Küberl: Dass jeder und jede in dem Verantwortungsbereich, in dem er oder sie tätig ist, etwas zum Besseren wendet und die Ärmel aufkrempelt: egal ob als Unternehmer, Mutter oder Bürgermeisterin. Klar ist aber auch: Wir haben nicht gleich für alles eine Lösung. Damit werden wir leben müssen. Zukunft muss nach Besserem schmecken Von Franz Küberl Tyrolia 2023 144 S., geb., € 22,–

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023