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DIE FURCHE 19.12.2024

DIE FURCHE

51/52 · 19. Dezember 2024DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,–Frohe Weihnachtenund ein gutesneues Jahr wünschtDIE FURCHE allenihren Leserinnenund Lesern.Die nächste Ausgabeerscheint am 2. Jänner.SkandalöseWeihnachtIn der MenschwerdungGottes liegt die ganzeSprengkraft des christlichenGlaubens begründet.Doch was kann dieseHoffnungsbotschaftheute bedeuten? Das Werk„Nothing Twice II“ derspanischen KünstlerinSusanna Inglada spiegeltdie Zerrissenheit der Weltanschaulich wider. Zu sehenist es aktuell in der Schau„In aller Freundschaft“des Dom Museum Wien.Susanna Inglada, Nothing Twice II, 2024.Dom Museum Wien, Otto MauerContemporary, Ankauf ermöglicht durchdie Wiener Städtische Versicherung AG,Susanna Inglada / Galerie Mauritsvan de Laar. Foto: L. DeinhardsteinDas Jahr 2024 endet mit düsteren Aussichten – und Regierungsverhandlern, denen noch immer die große Erzählung für notwendigepolitische Vorhaben fehlt. Warum es hier mehr Ehrlichkeit braucht – unabhängig davon, ob die Übung am Ende gelingt.Partisanen der HoffnungVon Doris HelmbergerDie große Erzählung, das glaubwürdigeNarrativ: Im vergangenen Jahrder politischen Entscheidungenwurde heftig darum gerungen. Obin Washington, Straßburg, Wienoder Graz: Gewählt wurden jene, die ein konzises,in sich schlüssiges Bild davon vermittelnkonnten, wie mit dieser taumelnden, von Kriegund Krisen gebeutelten und sich zugleich rasanttransformierenden Welt umzugehen sei.Die Präferenz der Wählerinnen und Wählerschien weltweit einhellig zu sein: Man votiertefür Rückbesinnung auf das Eigene, fürSicherheit, Stärke und Abgrenzung – notfallsauf Kosten wissenschaftlicher Evidenz, stabilerInstitutionen und globaler Solidarität. Versucheder politischen Mitte, sich auf diesen Megatrendeinzuschwingen und sich dafür, wennnötig, auch zu verkleiden, scheiterten meist imgroßen Stil. Man wählte den Schmied und nichtden Schmiedl, erst Recht im Zustand der Angstvor einer bleiern verdüsterten Zukunft.„ Hoffnung ist nicht dieÜberzeugung, dass etwasgut ausgeht, sonderndass etwas Sinn hat.“Václav HavelDie Aussichten sind zuletzt nicht freundlichergeworden, auch nicht in Österreich. DreiParteien mit teils diametraler Programmatikkämpfen im Wiener Palais Epstein nichtmehr nur um Leuchttürme, die alle kleinstengemeinsamen Nenner überstrahlen sollen– sondern auch gegen einen täglich tieferwerdenden budgetären Abgrund. Worauf immersich die potenziellen Koalitionäre weitnach Weihnachten noch einigen sollten: Eswerden Zumutungen sein müssen, mit denensie vor die Bevölkerung treten und ihre Arbeitirgendwann im nächsten Jahr beginnen.„Glaubt an dieses Österreich!“Kann so etwas gelingen? Nur wenn zumindestdiesmal die Einbettung in eine große Erzählunggelingt. Man muss nicht das Pathos wählen,das Leopold Figl am 20. Dezember 1945 nachJahren von Krieg, Diktatur und geistiger Verheerungfür seine Weihnachtsansprache passendschien. Aber man darf sich an diesen legendä-ren Versuch radikaler, politischer Ehrlichkeitbei gleichzeitiger Ermutigung schon noch erinnern:„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben“,tönte es damals aus dem Radio. „Wir habennichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an diesesÖsterreich!“Das berührt freilich zugleich den Kern desProblems: eine Gegenwart, in der die Zukunftals Möglichkeitsraum mehr und mehr verdunkeltscheint – und das Gefühl Oberhand gewinnt,nur mehr Passagier der rasanten Entwicklungenzu sein und sie nicht mehr aktiv gestaltenzu können. Nicht nur die (liberal-demokratischverfassten) politischen Parteien wirken angesichtsdessen erschreckend kraftlos und resignativ,auch die Kirchen. „Der Glaube an Gott implodiert“,lautete vor Kurzem der aufrüttelndeBefund der Pastoraltheologin Regina Polak inder FURCHE. Dabei könnten gerade die Erinnerungan das biblische Erbe und der Blick aufeine biblisch verstandene „Zeitenwende“ einewertvolle Ressource sein für mehr individuelleund gesellschaftliche Resilienz.Noch zugespitzter – und bewusst martialisch– formulierte es Paul Michael Zulehner,der diese Woche seinen 85. Geburtstag feiert,im jüngsten FURCHE-Interview: Gerade in derangstgetriebenen Welt von heute brauche es dasGegengewicht von Vertrauen, Hoffnung und Zuversicht.Und Christinnen und Christen könntenin dieser Hinsicht durchaus „Partisanen derHoffnung“ sein.Widerständige Hoffnung bräuchte es freilichauch in der Politik. Und Verantwortungsträgerinnenund -träger, die das Notwendige tun undin überzeugende Erzählungen packen – ohneständigen Blick auf Umfragen oder die Gewähr,dafür belohnt zu werden. „Je ungünstiger die Situationist, in der wir unsere Hoffnung bewähren,desto tiefer ist diese Hoffnung“, meinte einstVáclav Havel. „Hoffnung ist eben nicht Optimismus.Es ist nicht die Überzeugung, dass etwasgut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwasSinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“Möge dies im neuen Jahr gelingen.@diefurche@diefurchefurche.atdoris.helmberger@furche.at@diefurche.bsky.socialDie FurcheÖsterreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0

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