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DIE FURCHE 19.10.2023

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DIE FURCHE · 42 6 International 19. Oktober 2023 Von Almut Siefert • Rom Ein Jahr sitzt Giorgia Meloni an der Spitze der Regierung Italiens. Ein Jahr, das für italienische Verhältnisse erstaunlich ruhig verlief. Oft hört man: Sie ist eine von uns, sie spricht wie wir, sie versteht uns. Es war nicht etwa der faschistische Hintergrund der Fratelli d’Italia, der die Wählerinnen und Wähler dazu gebracht hat, Meloni zu wählen – für viele war es der Mangel an Alternativen, der Frust mit den bisherigen Regierungsparteien und die damit immer wieder aufkeimende Hoffnung: Dieser oder diese Neue wird es endlich richten, endlich das Wohl des Volkes als Priorität haben, endlich das Land voranbringen. Lesen Sie dazu auch „Giorgia Meloni: Die Spitze der Frau“ von Lydia Mischkulnig (28. September 2022) auf furche.at. Seit einem Jahr ist Giorgia Meloni Ministerpräsidentin von Italien. Ihre Beliebtheitswerte steigen – ein Selbstläufer ist Melonis Erfolg dennoch nicht. Erstaunlich ruhig - und taktisch klug Giorgia Meloni ist nach Berlusconi seit langem die erste italienische Regierungschefin, die von den Bürgern genau für dieses Amt gewählt wurde. Auch das macht ihren Erfolg aus. KLARTEXT Neuarrangements So sieht es aus, wenn sich die Welt neu arrangiert. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums gab man sich der Vorstellung hin, dass damit der Eintritt in ein neues Zeitalter bewirkt werde: Ein Zeitalter, in dem die Vorteile der friedlichen Kooperation allen Beteiligten bewusst würden. Mit der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen verband sich die Illusion, dass sich die harte These des Thomas Hobbes aufheben ließe: Doch ein Gewaltmonopol lässt sich nur durchsetzen, wenn es eine übermächtige Zentralgewalt gibt. Selbstbezähmung scheitert, weil nach der Logik eines Gefangenendilemmas immer jener, der aus dem disziplinierten Verhalten aller ausschert, Vorteile lukrieren kann. Es hat sich nicht um den Eintritt in ein neues Zeitalter gehandelt, sondern um eine 30-jährige Übergangsphase. Nunmehr finden erst die Versuche zur globalen Neuplatzierung statt, und sie sind für den Westen nicht freundlich. Den Paukenschlag setzte Russland. Im Schatten dieses Krieges Aserbaidschan. Serbien Am 22. Oktober 2022 wurde Meloni als Ministerpräsidentin vereidigt. Seitdem regiert sie mit ihren Koalitionspartnern, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia des im Juni gestorbenen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Als erste Frau in der Geschichte der italienischen Republik. Die 46-Jährige wird oft – vor allem im Ausland – als „Postfaschistin“ bezeichnet. Ihre Partei, die Fratelli d’Italia, ist Nachfolgerin des Movimento Sociale Italiano (MSI), in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg Sympathisanten und Gefolgsleute des Diktators Benito Mussolini versammelten. Und auch heute noch finden sich bei den Brüdern Italiens Nostalgiker, die mit Devotionalien und Sprüchen von einst provozieren. Von Manfred Prisching hat überlegt. Der Massenmord der Palästinenser ist der nächste Akt. Es konsolidiert sich die (seinerzeit kritisierte) Achse des Bösen, unter der neuen Führung Chinas, viel mächtiger als seinerzeit Russland. Es bildet sich zudem eine Achse des Opportunismus, von Indien über die Türkei bis Brasilien. Eine eigene (fragmentierte) Achse bilden die Ölstaaten. Der Westen, dem ob seiner Menschenrechtspingeligkeit ohnehin Neokolonialismus vorgeworfen wurde, ist nicht mehr die Zukunftsperspektive. Er wird bereits als derart dekadent eingeschätzt, dass Potentaten und Verrückte allerorten die sich auftuenden Spielräume nutzen wollen. Noch reicht die Kraft des Westens für die Ukraine und Israel. Man kann sich verkalkulieren, so wie Putin. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz. Den Umfragewerten für Melonis Partei tut das keinen Abbruch. Sie liegen derzeit bei 28,7 Prozent. Bei der Wahl am 25. September 2022 hatten die Fratelli d’Italia rund 26 Prozent der Stimmen erhalten. Giorgia Meloni ist nach Berlusconi seit langem die erste Regierungschefin, die von den Bürgern genau für dieses Amt gewählt wurde. Mario Monti, Enrico Letta, Matteo Renzi, Paolo Gentiloni, Giuseppe Conte oder Mario Draghi – sie alle wurden als Regierungschefs eingesetzt, ohne dass sie sich vorher für das Amt beworben hätten. Erstaunlich ruhig verhält sich Meloni auf internationaler Bühne, gerade in Brüssel, wo die Sorge vor der „Postfaschistin“ nach der Wahl besondere Blüten trieb. Drei deutsche Europaabgeordnete hatten sich sogar berufen gefühlt, den Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, dazu aufzufordern, eine rechte Regierung unter Meloni in Italien zu verhindern. Von ihm soll später im Text noch die Rede sein. Denn ausgerechnet zwischen ihm und der Italienerin hat sich in den vergangenen Monaten eine interessante Nähe entwickelt. „ Meloni vermittelt den Anschein, als seien ihr die Vorwürfe über die Vergangenheit ihrer Partei herzlich egal. Der Faschismus sei heute kein Thema mehr, sagt sie betont lapidar. “ Foto: Bildnachweis Meloni vermittelt den Anschein, als seien ihr die Vorwürfe über die Vergangenheit ihrer Partei herzlich egal. Der Faschismus sei heute kein Thema mehr, sagt sie betont lapidar und taktisch klug. In Europa ist sie die pragmatische Diplomatin, die erstaunlich umgänglich ist. Vor allem, weil sie auf die Milliarden aus dem EU-Wiederaufbaufonds angewiesen ist. Nur damit kann sie die Wirtschaft Italiens halbwegs am Laufen halten und ihre Wähler daheim beruhigen. Die nach außen hin sichtbarste Politik macht Melonis Regierung mit dem Thema Migration. Auch wenn sie ihrem Vize, Lega-Chef Matteo Salvini, nicht wieder das Innenministerium anvertraute, sondern ihn mit dem Verkehrsressort abspeiste, folgt ihre Koalition der harten Linie, wie man sie spätestens seit 2018 kennt. Zuletzt wurde in einem Dekret die Dauer der Abschiebehaft auf maximal 18 Monate verlängert. Die steigende Zahl von Migranten – bis Ende September sind mit mehr als 133.000 fast doppelt so viele über das Mittelmeer nach Italien gekommen als im selben Zeitraum des Vorjahres – ist für Meloni ein Problem. Sie hatte im Wahlkampf versprochen, die Ankünfte zu stoppen. Und Salvini versucht bereits, seine Chefin mit seinen Äußerungen rechts zu überholen. Bislang versteht Meloni es, Salvini unter Kontrolle zu halten. Doch in Rom vereint, kämpfen die Lega und die Fratelli in Brüssel an unterschiedlichen Fronten: Salvini möchte die Euroskeptiker nach der Europawahl kommenden Juni vereinen und zu einflussreicher Stärke führen. Meloni wird hingegen auch von Manfred Weber und dessen Konservativen umgarnt - denn ihre Fratelli könnten am Ende diejenigen sein, die der EVP 2024 erneut die Mehrheit im Europaparlament und damit den Anspruch auf den Posten der Kommissionspräsidentin sichern. Nach innen punktet Meloni sowohl mit dem guten Image, dass sie in Brüssel aufbauen konnte, als auch mit ihrer rechts-konservativen Innenpolitik. Diese ist vor allem gegen den „linken Mainstream“ gerichtet, der in den Augen ihrer Koalition bekämpft werden müsse. So wurden die Machtpositionen der staatlichen Fernsehgesellschaft Rai umbesetzt, eine Altersgrenze für ausländische Chefs von Kultureinrichtungen eingeführt und homosexuellen Paaren verboten, Kinder zu adoptieren. Die Regierung hat in ihrem ersten Jahr aber auch bei ihrer Wählerschaft unpopuläre Entscheidungen getroffen: Zum Jahresbeginn hat sie den Steuerrabatt auf Benzin abgeschafft. Diesen hatte ihr Vorgänger Mario Draghi eingeführt, um die wegen des Ukrainekrieges gestiegenen Spritpreise im Zaum halten zu können. Und auch das Bürgergeld wurde für einen Großteil der Bezieher gestrichen. Rechtsextreme Verschwörungstheorien Trotz ihres Erfolges in der Bevölkerung ist Meloni sehr auf der Hut. So hat sie einen Kreis von Vertrauenspersonen um sich herum aufgebaut – der zugleich ihr engster Familienkreis ist. Melonis Schwager Francesco Lollobrigida hat das Amt des Landwirtschaftsministers inne. Ihn kennt Meloni aus der gemeinsamen Arbeit in einer neofaschistischen Jugendorganisation. Er gilt bis heute selbst bei den Fratelli als Hardliner, spricht beispielsweise vom „Bevölkerungsaustausch“, der durch die Migranten aus Afrika drohe. Eine unter Rechtsextremen verbreitete Verschwörungstheorie. Melonis Schwester Adriana wurde vor kurzem zur Geschäftsführerin der Fratelli d’Italia ernannt. Giorgia Melonis Lebensgefährte und der Vater ihrer Tochter, Andrea Giambruno, ist nach kurzem Rückzug wieder als TV-Journalist tätig. Er moderiert seit dem Sommer eine Nachmittags-Nachrichtensendung im Sender „Rete 4“, der zum TV-Konzern Mediaset gehört, den Berlusconi einst gründete. Politisch äußert auch er sich dort immer wieder kontrovers: So bestritt er im Hochsommer, dass die Temperaturen von bis zu 45 Grad ein Effekt des Klimawandels seien, und nach Vergewaltigungsfällen in Palermo und Neapel riet er Frauen, sich nicht besinnungslos zu betrinken – dann würde so etwas auch nicht passieren. Die Empörung darüber dauerte nicht lange an. Wieder trat die etwas trügerische Stille ein. Trügerisch deshalb, weil die Wahl 2022 auch die Frustration vieler Italiener mit ihren Politikern zum Ausdruck brachte. Die Wahlbeteiligung lag 2022 bei nur noch 63,8 Prozent, ein historischer Tiefstand. Auch für die Europawahl ist zu erwarten, dass die Gruppe der Nichtwähler in Italien erneut als stärkste Kraft hervorgehen wird. In einem Land, in dem das Wählen festgeschriebene Bürgerpflicht ist.

DIE FURCHE · 42 19. Oktober 2023 Religion 7 Warum angehende Lehrkräfte für ihre Arbeit in einer immer herausfordernderen Zeit religiös-spirituelle Ressourcen brauchen. Gedanken einer Hochschulprofessorin. Von Silvia Habringer-Hagleitner Ich bin seit 1990 in der tertiären Pädagoginnen- und Pädagogenbildung tätig. Je länger ich allerdings hier tätig bin, desto einfacher und unverschämter gleichzeitig wird mein Wunsch, den ich für die Studierenden habe: dass sie hoffen und lieben können. Don’t worry, be happy. Doch nüchtern betrachtet, steht dem aktuell einiges entgegen. Unsere Studierenden finden sich wieder in einer – wie Zygmunt Bauman es beschreibt – „flüchtigen Moderne“, in einer Zeit, in der Veränderungen in hoher Geschwindigkeit zum Alltag gehören. Die Situation im Nahen Osten eskaliert, mitten in Europa tobt ein Krieg und die Kinder in der Schule fragen zurecht: Warum gibt es Krieg und warum hört er nicht auf? Dazu kommen weitere globale Unsicherheiten und Ängste, die über die diversen medialen Kanäle Tag für Tag ins Haus geliefert werden. Die Klimakrise hat uns voll erfasst, Unwetter und Temperaturabnormitäten beherrschen die Schlagzeilen und wir wissen: Das ist erst der Anfang. Die Erkenntnis – auch aus der Coronakrise – ist: Trotz allen technischen, medizinischen und digitalen Fortschritts haben wir nicht alles im Griff. Wir werden auch hinkünftig mit Unsicherheiten leben müssen. Unter Selbstoptimierungsdruck Illustration: iStock/treety (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Hoffen und lieben können Unsere Studierenden leben – wie wir alle – in einer Zeit, in welcher der Neoliberalismus mit seinem Gott Mammon seinen Siegeszug davongetragen hat. Die Folgen kennen wir alle: Zeitdruck, Singularitäts- und Originalitätsdruck, Selbstoptimierungsdruck samt seinen Mythen in Bezug auf körperliche Schönheit und Gesundheit, die Kultur des ASAP (As soon as possible) und der Allverfügbarkeit: Für unsere Studierenden gehört dies zum Alltag. Und: Sie leiden darunter. Sie fühlen sich gestresst und gehetzt und finden nur wenig Zeit für Ruhe und für sich selbst. Kein Wunder: Die Curricula sind übervoll und die Schulbehörden drängen sie immer mehr, schon während des Studiums zu unterrichten. Wir brauchen euch – das ist die gute Nachricht. Macht schnell – die schlechte. Was aber brauchen sie, damit sie ihren Job gut machen können? Und was brauchen wir Lehrende, damit wir auch in Zukunft unsere Studierenden gut begleiten und ausbilden können? Unsere Studierenden und wir Lehrende brauchen neben Fachwissen und fachdidaktischem Know-how persönliches Standing: eine Persönlichkeit mit einer gewissen Reife und Weisheit, wir brauchen vor allem Lebenslust und Lebensfreude. Nur so können wir adäquate Kommunikationspartnerinnern und -partner sein. Die Grundressourcen einer solchen Persönlichkeitsstruktur sind aus meiner Sicht: Hoffnungskraft und Liebesfähigkeit. In den 1980er-Jahren wurde man in der Medizin vermehrt auf die positiven Auswirkungen von Hoffnung aufmerksam, insbesondere als eine Ressource bei chronisch erkrankten Patienten. In der Folge wurde ein multidimensionales (also nicht nur kognitives) Verständnis entwickelt, was von der jungen Disziplin der Positiven Psychologie aufgegriffen wurde. Auf diese Forschungen beziehen sich Andreas Krafft und Andreas Walker in ihrem 2018 erschienen Buch „Positive Psychologie der Hoffnung“. Darin präsentieren sie auch Ergebnisse des seit 2009 angelegten „Hoffnungsbarometers“. Dies ist eine jährliche internationale Studie – getragen von der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung (swissfuture) in Kooperation mit der Universität St. Gallen. „Bitte verwechseln Sie Hoffnung nicht mit Optimismus“, sagt Andreas Krafft, der Leiter dieser Studie. „Optimismus kann gefährlich sein, wenn man die Risiken kleinredet. Wer hofft, schaut den Problemen ins Auge, bleibt aber zuversichtlich.“ Hoffnung sei eine Grundhaltung, in Krisen nicht zu kapitulieren, sondern dagegen anzukämpfen. „Wer nicht mehr hoffen kann, droht ins Burnout zu rutschen“, warnt Krafft. Hoffnung ist der Motor für ein erfülltes Leben. Aus der Bindungstheorie, welche zentrale entwicklungspsychologische Erkenntnisse lieferte, wissen wir: Kinder brauchen sicher gebundene, bindungsfähige Pädagog(inn)en. Lernen wird in sicheren und liebevollen Umgebungen leichter. Warum aber ist es gerade in der Arbeit mit Kindern und mit jungen Menschen so zentral, ein liebesfähiger Mensch zu sein? Weil Kinder auf ganz besondere Art selbst voller Liebe sind – und in dieser Fähigkeit Resonanz suchen. Sofia Cavaletti, eine Mitarbeiterin von Maria Montessori, beschreibt dies einmal so: „Wir sind überzeugt, dass das Kind mehr als jeder andere der Liebe bedarf, da es selbst so voller Liebe ist. Die Liebessehnsucht des Kindes besteht weniger in einem Mangel, der Ausgleich sucht, sondern vielmehr in einer Fülle, die ihr Gegenüber sucht.“ Auf sich selbst nicht vergessen Lassen Sie mich weitere Aspekte von Liebesfähigkeit nennen: Wer liebesfähig ist, kann von anderen fasziniert sein und das Besondere in den anderen sehen und es ihnen rückmelden: sodass die anderen sich gesehen, bestärkt fühlen und zu ihrer vollen Entfaltung kommen können. Gleichzeitig schließt Liebesfähigkeit die dunklen und schwierigen Seiten mit ein: Sie praktiziert eine Liebe zur Wirklichkeit, die den anderen auch in seiner Verzweiflung, Ängstlichkeit, Gebrechlichkeit und Verwundbarkeit annehmen kann. Liebesfähigkeit bezieht sich aber auch auf die eigene Person, sie schließt Selbstliebe und Selbstmitgefühl (self care) mit ein: zentrale Ressourcen in der Bewältigung von Stresssituationen und Ängsten. Im neuen Testament finden wir ja jenes Dreifach-Gebot der Liebe: Liebe Gott und liebe deinen nächsten wie dich selbst. Dieses „wie dich selbst“ wurde im Mainstream der christlichen Tradierungen über die Jahrhunderte allerdings oftmals unter den Tisch gekehrt: betont wurden die Gottes- und Nächstenliebe. Selbstliebe wurde schnell mit Egoismus und übertriebener Selbstbezogenheit konnotiert und abgewertet. Selbstmitgefühl bedeutet: Mit sich selbst wie mit einer besten Freundin, einem besten Freund umgehen zu können: mitfühlend und wohlwollend. Die Suche nach einem liebevollen Umgang mit sich selbst ist gerade dann wichtig, wenn Selbstkritik, Abwertung, Strenge und Perfektionismus den inneren Alltagsmonolog prägen. Religiös-spirituelle Bildung kann dem Aufbau dieser Ressourcen eine zusätzliche Schubkraft verleihen. Wodurch? Sie kann christlich-theologische Begründungen für Hoffen- und Lieben-Können ins Gespräch bringen Christlich leben und handeln heißt, in dieser Liebe Gottes zu existieren – absolut erwünscht und bejaht, vorgängig zu allen Lesen Sie von Silvia Habringer-Hagleitner auf furche.at auch den Text „Spiritualität von Kindern: Herzensbildung braucht Herzenszeit“ vom 8. Mai 2013. „ Die Studierenden und wir Lehrende brauchen persönliches Standing: eine Persönlichkeit mit Reife, Weisheit, Lebenslust. “ Leistungen und Fehlleistungen, allen Erfolgen und Niederlagen – und gerade dadurch befreit zur selbstbewusst-selbstlosen Liebe. Wer sich derart geliebt weiß, gewinnt ein neues Verhältnis zu sich selbst, zu seinen Möglichkeiten und Grenzen. Es bringt eine befreite Gelassenheit ob der eigenen Durchschnittlichkeit – und eine Fähigkeit, auch andere zu lieben mit ihrer Durchschnittlichkeit und ihren Macken. Das Leben ist lustiger und schöner, wenn wir nicht perfekt sein müssen. Tiefgang statt Breitspurigkeit Wie aber kann nun eine zeitgemäß verantwortete Religionsund Spiritualitätsbildung die Hoffnungskraft und Liebesfähigkeit von Studierenden und Lehrenden fördern? Indem sie subjekt- und ressourcenorientiert ansetzt! Indem sie Gespräche auf Augenhöhe führt: Es geht um ein gemeinsames Ringen und Fragen von Lehrenden und Studierenden, um Reflexion des je eigenen Lebens. Es geht um Tiefgang, nicht um Breitspurigkeit, um eine inhaltliche Ausdehnung in den Tiefenstrukturen existenziell bedeutsamen Lernens. Zeitgemäße Religions- und Spiritualitätsbildung fördert die Hoffnungskraft und Liebesfähigkeit, indem sie Zeit und Raum für Anteilnahme und offene biografische Kommunikation anbietet und somit Verbundenheit erfahrbar werden lässt. Und sie kann als persönlichkeit-stärkendes Gegenlernen in flüchtiger und transzendenzloser Moderne positioniert werden. Das lässt die Studierenden erfahren, dass sie jemand sind: Dass sie gesehen werden und ihre Ideen und Zukunftsvisionen, ihre Freuden und Sehnsüchte, aber auch ihre Ängste und Befürchtungen zur Sprache kommen dürfen. Eine Pädagogik der Achtsamkeit dient der Entschleunigung und dem Neu-Kräfte-Sammeln. Beides ist für die Studierenden und die Lehrenden ein willkommenes Gegenlernen zu einem Modus des Immer-Schneller und Immer-Mehr. Kraft und Inspiration können aus dieser Ruhe heraus neu entstehen, Hoffnungskraft ebenso wie die Erfahrung von Verbundenheit mit sich selbst, mit den anderen, einer göttlichen Wirklichkeit und der gesamten Schöpfung. Eine so verstandene Religionsund Spiritualitätsbildung kann hochschuldidaktisch nicht nur im Rahmen der Religionslehrer(innen)ausbildung verwirklicht werden – die Reflexion der persönlichen Lebensfragen und Zeiten der Stille und Achtsamkeit können in verschiedensten Fachbereichen, Seminaren und Übungen Teil des hochschuldidaktischen Arbeitens werden. Das Anliegen, die Hoffnungskraft und Liebesfähigkeit unserer Studierenden zu stärken, kann uns so über die verschiedenen Studienrichtungen und Fachgebiete hinweg verbinden. Die Autorin ist Hochschulprofessorin am Institut für Religionspädagogik der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz (PDHDL). Der Text ist ein Auszug aus ihrer Keynote anlässlich des 50. Jubiläums der PDHDL.

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