DIE FURCHE · 42 20 Kultur 19. Oktober 2023 Von Bernhard Baumgartner Was kostet eine Schale bester Wiener Traditionskaffee im Café Landtmann? Eine Frage, die viel mehr beinhaltet, als nur einen Gradmesser für die Teuerung. Oder die mehr ist, als bloß der Beginn einer Suada über die verbrecherischen Energiepreise oder Scheichs, die den Ölpreis künstlich hochhalten. Die Antwort mag überraschen. Oder auch nicht, je nachdem auf welcher Flughöhe man sich dem Thema nähert. 6,90 Euro für die Schale. Das sagt viel über diesen Ort. Berndt Querfeld, dessen Familie nicht nur das Landtmann, sondern auch etliche weitere Kaffeehäuser betreibt, sieht das gelassen. „Man kommt ja nicht wegen des Kaffees ins Landtmann“, sagte der Cafetier kürzlich in einem Interview und verweist auf den wesentlich günstigeren „Kaffee to go“. Hier kommt man her, weil es das Landtmann ist. Eine der zentralsten Institutionen der Stadt, mitten an der Ringstraße. Das edle Etablissement feiert in diesen Tagen sein 150. Jubiläum. Anfang Oktober 1873 zog Cafetier Franz Landtmann hier erstmals die Rollbalken hoch und trug gleich recht dick auf, zumindest in einer erhalten gebliebenen Werbung: „Wien’s eleganteste und größte Café-Localitäten“. Das Haus selbst wurde 1872 erbaut – ein Eckhaus am damals ebenfalls neuen Franzensring. Die Ringstraße war zu diesem Zeitpunkt bestenfalls halbfertig, das nahe Rathaus erst in Bau. Es wurde 1883 eröffnet, das benachbarte Burgtheater gar erst 1888. Zur Eröffnung bot das Landtmann seinen betuchten Gästen, nicht wenige aus dem Hochadel, also vorerst nicht nur Prunk und Gloria, sondern eine riesige Großbaustelle vor der Tür. Tradition unter Denkmalschutz Heute ist das Lokal mit seinen wunderbaren Lustern, den mit feinen Stoffen bezogenen Logen und dem aufwendigen Wandschmuck unbestritten wohl eines der schönsten Kaffeehäuser Wiens. Sofern man sich den modernen Wintergarten aus dem Jahr 2007 wegdenkt, der hier als massiver Vorbau zwar die Platzkalamitäten beseitigte, aber damit gleich auch einen Teil des Charmes des alten Einganges. Aber wo das Geschäft ruft, ist die Genehmigung bekanntlich nicht weit. Immerhin ist es ja nur einen Sprung hinüber zum Rathaus. Foto: picturedesk.com / brandstaetter images / Austrian Archives Fixpunkt der Stadt 1873 eröffnet, entwickelte sich „das Landtmann“ im Laufe der Jahrzehnte zu einer fixen Größe im gesellschaftlichen Leben der Stadt. Prominenz aus Kultur und Politik prägen die Aura des Hauses. Das Wiener Traditionscafé Landtmann feiert im Oktober seinen 150. Geburtstag. Es ist einer jener Orte, der fest in die Wiener DNA eingewoben ist. Ums Kaffee-Trinken geht es eher selten. Wo der Kaffee zur Nebensache wird Apropos Politik. Die spielte im Landtmann stets eine Rolle, manchmal sogar die Hauptrolle. Fast täglich finden mehrere Pressekonferenzen in den hinteren und vorderen Extra-Räumen statt. „Wenn im Landtmann gesprochen wird, hört die Welt zu“, so die Selbstbeschreibung im Kurzfilm „150 Jahre Landtmann“, den man sich zum Jubiläum geleistet hat. Man erinnere sich noch an die legendären Pressekonferenzen, die ÖVP-Generalsekretär Michael Graff hier in den 1980er Jahren hielt. Wortgewaltig wurde zu Melange und Cappuccino ordentlich auf den Tisch gehaut. Sein Nachfolger schaffte das übrigens „ Zur Eröffnung bot das Landtmann seinen betuchten Gästen vorerst nicht nur Prunk und Gloria, sondern eine riesige Großbaustelle vor der Tür. “ umgehend ab. Die Politik sei zu wichtig, „um sie im Kaffeehaus zu besprechen“, ließ er patzig verlauten. Die Ohrfeige muss gesessen haben. Doch eher das Gegenteil ist der Fall, ist das Landtmann doch ein beliebter Treffpunkt geblieben, um Dinge zu besprechen – auch und gerade in der Politik. So mancher millionenschwere Vertrag wurde hier besiegelt – oder gebrochen. Koffer wechselten diskret unter dem Tisch den Besitzer, vertrauliche Papiere gelangten hier, rasch über den Tisch geschoben, in Journalistenhände. So manche Liebelei begann hier – und endetet ebenfalls hier. Das alles auf der Bühne des Lebens und vor Publikum. Denn im Landtmann gibt es nicht nur etwas zu sehen, man wird auch gesehen. Und das ist nicht immer ideal, wie sich zeigt. „Herr Robert“ kann davon ein Lied singen, aber das tut er natürlich nicht. Ehrensache! Robert Böck war fast 30 Jahre lang Oberkellner im Landtmann. Er kannte die Ess- und Trinkgewohnheiten seiner Gäste wie kein anderer, und doch war er der diskreteste Kellner überhaupt. Zu seiner Pensionierung wurde er vom Bürgermeister mit dem „Goldenen Rathausmann“ geehrt. Schweigen zahlt sich eben aus. Dabei war das Landtmann nur wenige Jahre lang tatsächlich in den Händen des namensgebenden Besitzers. Schon 1881, wenige Jahre nach der Gründung, übernahmen Wilhelm und Rudolf Kerl (1881–1916). Karl Kraus – nicht zu verwechseln mit dem Literaten – übernahm 1916 mitten im Ersten Weltkrieg das Lokal und hatte zehn Jahre lang das Sagen. Nach einer Gruppe übernahmen Angela und Konrad Zauner gleich für ein halbes Jahrhundert (1926–1976) und ließen es nach einem Entwurf von Ernst Meller komplett umbauen: mit der bis heute erhaltenen und unter Denkmalschutz stehenden Innenausstattung. 1976 kam das Lokal in den Besitz der Querfelds, die es 1980 erneut renovierten und ausbauten. Auch einen kleinen Theatersaal mit 120 Sitzplätzen gibt es im Souterrain unter dem Kaffee haus. Der wurde schon in den 1930er Jahren bespielt und wird nach wie vor genutzt. Seit 2002 ist hier „Die neue Tribüne“, geleitet von Karlheinz Wukov, untergebracht. Sie gehört allerdings nicht zum Lokal. Die Querfelds würden dort gerne einen Club betreiben, als Name schwebt ihnen „Club 1873“ vor. Die Räume in der Etage sind für Veranstaltungen zu mieten. Hotspot des Whoʼs who Das Landtmann war immer schon Treffpunkt all jener, die sich der Aura dieses Ortes zugehörig fühlten: Wo kann man schon am selben Platz sitzen auf dem bereits Attila und Paul Hörbiger, Oskar Kokoschka, Hans Moser, Max Reinhardt, Oskar Werner, Peter Altenberg und Sigmund Freud gern gesehene Stamm gäste waren? Die Liste der bekannten Gäste ist ewig lang und liest sich wie ein „Whoʼs who“ des Wiens des 19. und 20. Jahrhunderts. Heute kommen manche extra aus der Provinz angereist, um sich hier ein bisschen mit dabei zu fühlen. So mancher will aber auch nur der Kälte des Wiener Christkindlmarktes entfliehen, der im Dezember genau vor der Türe die Massen anzieht. Wer statt picksüßem Steh-Punsch im Mitnehm-Häferl lieber das Flair eines schweren Stofftischtuchs vorzieht, wird im Landtmann gut ankommen. Sofern man so ohne Weiteres einen Platz bekommt, was an vielen Tagen durchaus ein Problem ist. Und so hat sich in 150 Jahren vieles zugetragen in Wiens elegantestem Kaffeehaus, das an nicht wenigen Tagen auch nur ein Hort von Touristen und Laufkundschaft ist. Und doch ist eines geblieben: Ohne das Landtmann ist Wien, die Stadt in der der Kaffee nicht nur ein Getränk, sondern eine Säule der Lebenskultur ist, einfach undenkbar. Café Landtmann Wo Wien zu Hause ist Von Berndt Querfeld Brandstätter 2023 200 S., geb., € 38,– Tiere und andere Menschen 16.–19. November 2023 Krems an der Donau Michael Köhlmeier, Philippe Sands, Teresa Präauer, Hilal Sezgin, Michal Hvorecky, Sibylle Grimbert, Jan Wagner u. v. m. Informationen und Tickets: www.europaeischeliteraturtage.at +43 (0) 2732 / 908033
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