Aufrufe
vor 10 Monaten

DIE FURCHE 19.10.2023

  • Text
  • Welt
  • Juden
  • Kirche
  • Foto
  • Zeit
  • Hamas
  • Menschen
  • Oktober
  • Israel
  • Furche

DIE

DIE FURCHE · 42 14 Literatur 19. Oktober 2023 ZUM PREIS Fritz-Csoklich- Demokratiepreis 2023 Zum dritten Mal hat die Styria Media Group – mit ihren Marken Kleine Zeitung, Die Presse, DIE FURCHE und Styria Buchverlage – in der Nationalbibliothek den Fritz-Csoklich-Demokratiepreis vergeben. Die nach dem langjährigen Chefredakteur der Kleinen benannte und mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung ehrt Menschen, die für Verständigung und gegen Schranken aller Art einstehen. Stellvertretend für Dževad Karahasan nahm dessen Wegbegleiter, Mile Babić, die von der Künstlerin Claudia Dzengel gestaltete Preisurkunde entgegen. (tom) 8.–12. November 2023 Messe Wien, Halle D buchwien.at Jetzt Tickets sichern! Der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan wurde posthum mit dem Fritz-Csoklich-Demokratiepreis 2023 geehrt. Wir bringen Auszüge aus der Laudatio von Karl-Markus Gauß. „Die Toten sind stetig präsent“ Von Karl-Markus Gauß Erstens. Die Stimme. Dževad Karahasan ist oft als „die Stimme Bosniens“ bezeichnet worden. Als er am 19. Mai in Graz starb, war ich gerade in seinem Land unterwegs, auf einer Lese- und Vortragsreise, von der wir geplant hatten, dass wir sie gemeinsam bestreiten würden. Was das heißt, wenn die Stimme eines Landes, einer Nationalität, Volksgruppe, wie immer wir es nennen wollen, verstummt, erfuhr ich in jenen Tagen, denn wo ich auch hinkam, begegnete ich Menschen, die um ihn trauerten, und bei diesen handelte es sich keineswegs nur um Büchermenschen, die sich von Berufs wegen oder aus „ Die Stimme – wer hätte je eindringlicher gesprochen als Dževad Karahasan! “ Leidenschaft der Literatur verschrieben hatten. Nein, da war der vierschrötige Taxifahrer in Sarajevo, der mit den Tränen rang, als unser flüchtiges Gespräch auf Karahasan kam, die Frühstückskellnerin im Hotel, die ihren Dienst bisher wortkarg versehen hatte und herzergreifend auf mich einzureden begann, kaum dass sie gehört hatte, ich wäre einer, der ihren Karahasan gekannt habe. Sie alle sprachen von ihm als einem der Ihren, von jenem großen Landsmann, der Europa von „uns“, von uns Bosniern erzählt und der Welt gesagt habe, wer wir sind, was wir erlitten haben und wofür wir einstehen. [...] Die Stimme - wer hätte je eindringlicher gesprochen als Dževad Karahasan! Wenn er im kleinen Kreis oder vor großem Publikum auftrat, konnte ein jeder glauben, er spräche zu ihm persönlich, durfte eine jede den Eindruck gewinnen, er wende sich speziell an sie. [...] Er fasste sein Gegenüber scharf ins Auge, gestikulierte beschwörend und richtete seine Worte mit oft leiser Stimme an den Gesprächspartner, dessen Einwände er gegebenenfalls aufgriff, weiterspann, seine eigenen Thesen damit modifizierend. [...] Zweitens. Erzählen und erklären. [...] Der reinen, gleichgültigen Gegenwart zu trotzen, hat Karahasan Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke geschrieben, in denen er der Sehnsucht der Menschen, eine Geschichte zu haben, auf den Grund geht und ihren Wunsch rechtfertigt, eine Spur ihrer Existenz zu hinterlassen. Man kann eine Kultur nicht auf die Erinnerung alleine gründen, aber ohne Erinnerung ist es jedenfalls die Barbarei, die herrscht. Darum versuchen Kriegsherren so oft, den Besiegten das Gedächtnis zu nehmen: Sie raubten ihnen die Götter und ersetzten sie durch die eigenen, sie bannten ihre Sprache und nötigten ihnen die ihre auf. 1992 wurde die bosnische Nationalbibliothek mit ihren unersetzlichen Büchern, Handschriften und Folianten nicht versehentlich, sondern von den serbischen Belagerern der Stadt vorsätzlich mit Phosphorbomben in Brand geschossen, auf dass die Erinnerung daran getilgt werde, dass in Sarajevo schon vor langer Zeit die Koexistenz der Kulturen, Ethnien, Religionen erprobt wurde und eine eigene urbane Daseinsform erschaffen hat. [...] Drittens. Von der Liebe und der Freundschaft. In seinem weitgespannten Werk stand Karahasan eine Vielzahl von Genres zu Gebote: der historische Roman, die Gespenster- und Geistergeschichte, Traktat und Parabel, Brief und Tagebuch, der Ideenroman, selbst in das entfernte Gelände des Krimis haben sich einige Wurzeln seines Werks verzweigt. In fast allen Büchern kommt aber der Liebe und der Freundschaft eine besondere Rolle zu. In „Schahrijars Ring“ sind es vor dem Hintergrund des Kriegs Azra und Faruk, die so verschieden sind, dass sie einander verfallen müssen. Aber sie finden den Weg nicht, miteinander glücklich zu werden, und so löst Azra die Beziehung und Faruk verlässt Sarajevo und verschwindet im Hinterland des Krieges. Kaum ist der Geliebte weg, beginnt sie sich nach ihm zu sehnen, erst jetzt, da er nicht mehr da ist, begreift sie, wie sehr sie ihn liebt. In den „Marindvorer Fragmenten“, in denen er berichtet, wie der Krieg in Sarajevo sein Wohnviertel Marindvor erreichte, hält Karahasan ebendiese Veränderung auch an sich selber fest. Eines Tages wird das Haus, in dem er mit seiner Frau Dragana wohnt, beschossen, die Platanen im Hof zerbersten, die Raketen reißen Löcher in die Häuserfront, das Glas der Fenster Foto: Günther Peroutka ist zu Bruch gegangen. Und staunend bemerkt Karahasan: „Bisher habe ich mein Haus wiedererkannt, doch nun sehe ich es; bis jetzt habe ich darin gewohnt, doch nun fühle und liebe ich es; das bedeutet, dass ich mich von ihm verabschiede, das bedeutet, dass es zu meiner Erinnerung wird, weil wir den vollen Wert von allem, dem wir begegnet sind, erst dann erhalten, wenn es aus dieser Welt ins Gedächtnis übersiedelt.“ Man beachte bitte, dass Karahasan „sehen“ und „lieben“ synonym verwendet, fast möchte ich sagen, er wollte uns daran erinnern, dass die Liebe nicht blind macht, wie es die Floskel behauptet, sondern sehend, sie öffnet unsere Augen für die Welt, die Menschen, für alles, was ist und uns genommen werden kann, was wir selbst verlieren, verspielen, zerstören können. Auf meine Frage, wie sich der Untergang seiner Stadt hätte vermeiden lassen, hat Dzevad einmal geantwortet: „Wir alle hätten sie mehr lieben müssen.“ [...] Viertens. Über die Ethik. [...] Wie Zeichnungen auf durchsichtigem Papier, die übereinander liegen, sodass jede von ihnen auf die anderen durchscheint, ergänzen, relativieren, kommentieren sich die Geschichten, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten spielen. Diese offene, komplexe, außerordentlich anspruchsvolle Form des Romans ist praktizierter literarischer Antifundamentalismus, erfasst sie alle Dinge doch aus verschiedenen Perspektiven. Das verleiht den Gestalten und Geschehnissen eine Vieldeutigkeit, die es auszuhalten, zu ertragen und gegen die Propagandisten der Vereinfachung zu verteidigen gilt. [...] Wie gerne wäre ich heute im Publikum gesessen, das Dževad mit einer weit ausholenden und pointierten, mit seiner gedankenreichen und selbstironischen Dankesrede gewiss bezaubert hätte. Im weiten spirituellen Resonanzraum seines Werks und seines Denkens sind die Toten, mit ihren Forderungen, die sie an uns stellen, und mit dem Beistand, den sie uns geben können, stetig präsent. Und so ist es hier und heute auch mit ihm. Der Autor ist Schriftsteller, Essayist und Literaturkritiker. Foto: APA / DPA / Frank Rumpenhorst Dževad Karahasan verstarb am 19. Mai mit 70 Jahren, nur wenige Monate nach Erscheinen seines letzten Romans. Stimme der Versöhnung Gemeinsame Ehrung eines Brückenbauers (v.l.): Markus Mair (Vorstandsvorsitzender Styria Media Group), Doris Helmberger-Fleckl (Chefredakteurin DIE FURCHE), Manuela Tomic (FURCHE-Redakteurin und Moderatorin), Matthias Opis (Geschäftsführer Styria Buchverlage), Mile Babić (Wegbegleiter von Dževad Karahasan), Hubert Patterer (Chefredakteur Kleine Zeitung), Florian Asamer (Chefredakteur Die Presse), Schriftsteller und Laudator Karl-Markus Gauß, Justizministerin Alma Zadić (Grüne), Freunde Karahasans sowie (ganz rechts) Valentin Inzko (ehemaliger Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina). Die ungekürzte Fassung der Laudatio auf Dževad Karahasan von Karl- Markus Gauß finden Sie auf furche.at.

DIE FURCHE · 42 19. Oktober 2023 Literatur 15 Mit der feinen Klinge des Humors zeichnet Wolf Haas in seinem neuen Roman „Eigentum“ ein Porträt seiner Mutter, das einem Nachruf gleich die Bilanz unerfüllter Träume darstellt. Ein Buch zum Lachen und zum Weinen Von Anton Thuswaldner Mit einem Schlag ist er wieder da, der Wolf-Haas-Ton, ein Singsang, schnoddrig und dabei hochgradig kalkuliert, nach einem klaren Sprachrhythmus organisiert. Sein neuer Roman ist respektlos und zärtlich, ein widersprüchliches Gefühlsgemenge ist darin bewahrt, wie es bald einmal der Fall ist, wenn von einem Menschen die Rede ist, der einem nahesteht und den man sogar liebt, mit dem man dennoch hadert. Die Mutter des Erzählers liegt im Sterben, und er setzt es sich zur Aufgabe – „aus einem inneren Zwang heraus“ – ihr Leben nachzuzeichnen. „Nachstricken“, formuliert er es, weil es besser passt zu einer Frau, die kurz vor ihrem 95. Geburtstag steht. Und wenn wir schon bei einem Wortkünstler wie Wolf Haas sind, bewegt sich der Begriff „nachstricken“ nicht weit von „nachtricksen“, was wiederum gut passt zu einem, der Literatur nicht als ein Abbildprojekt unserer Welt versteht, sondern als ein Verwandlungsinstrument, unsere Erfahrungen und Erinnerungen in Sprache zu bringen. Auf dem Weg vom Leben zur Sprache und also zur Literatur passiert eine ganze Menge, Unmittelbarkeit ist ausgeschlossen. Dieses Wissen hat sich Wolf Haas, der sich intensiv mit der sprachkritischen Tradition in Österreich beschäftigt hat, gründlich angeeignet. Erinnerungssplitter sind pointensicher gearbeitet, auf Wirkung bedacht. Dazu kommt die Belesenheit des Verfassers, der mit seinem Wissen nie hinter dem Berg hält und Leseerfahrungen ins Buch einfließen lässt. Die werden aber nicht als Früchte eines fleißigen Lektürearbeiters übernommen, er macht aus ihnen jeweils etwas. Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ wird kurzerhand ins Lebenspraktische gewendet, um das Verhalten der Mutter zu erklären. Oder es zu verkomplizieren, denn wenn Wittgenstein „einen mit so viel Klarheit umnebelt“, kann das Wolf Haas auch, wenn er über die unberechenbaren Logiksprünge der alten Dame in „Stephen-Hawking-Pose“ ins Staunen gerät. Wolf Haas „wittgensteinelt“ nicht, um als kluger Adept eines bedeutenden Denkers durchzugehen, er holt Höhenflüge auf den Boden des Alltäglichen, und niemand wird unter seinem Niveau lachen. Denn das ist eine der Methoden, seine Leserschaft an sich zu binden, dass er das Große etwas kleiner macht, ohne es deswegen verächtlich zu behandeln. Dass eine Kellnerin „nach Art des roman nouveau“ argumentiert, ist im Kosmos des Wolf Haas Normalität. Sie hätte allen Grund gehabt, nach „furchtbaren Beleidigungen“ der Mutter Empörung zu zeigen, sie hat diese aber „nur aufgezählt und nummeriert“. Solche ironischen Volten werden geschlagen, es ist von Vorteil, wenn man als Leser selbst nicht unbewandert ist im Reich der Literatur, um mit den Anspielungen etwas anfangen zu können. Foto: Peter-Andreas Hassiepen Nominiert Mit seinen „Brenner- Krimis“ wurde er bekannt. Mit „Eigentum“ schaffte es Wolf Haas (* 1960) nun auf die Shortlist zum Österreichischen Buchpreis 2023. „ Natürlich lässt sich der Roman als ein Buch über die Mutter lesen. Er ist nicht als Abrechnung gedacht, sondern als Rekon struktion einer Biografie unter schwierigen Bedingungen. “ Leben im Sparmodus Natürlich lässt sich der Roman als ein Buch über die Mutter lesen. Er ist nicht als Abrechnung gedacht, sondern als Rekonstruktion einer Biografie unter schwierigen Bedingungen. Die Frau kommt ja aus einfachsten Verhältnissen. Der Vater war Wagnermeister, was ihn in den Augen der Tochter adelte. „Soweit ich meine Vorfahren überblickte, war er der einzige mit einem erlernten Beruf.“ Das bedeutete allerdings nicht viel. Er hatte auf Abruf parat zu sein, wenn im Dorf ein Rad kaputtgegangen war und ein Bauer es dringend benötigte, um die notwendigen Arbeiten fortsetzen zu können. Mit der Bezahlung ließen sich dann alle Zeit, ein Leben in Armut war die logische Konsequenz. Die logische Folge für die Mutter des Erzählers ist, dass sie sich ständig benachteiligt und vom Leben schlecht behandelt fühlt. Das Sich-Schlechtfühlen gehört zum Dauerzustand, an den der Sohn sich gewöhnt hat. So ist das nicht nur ein Buch über die Mutter, sondern auch eines über die Mühen, sich abstrampeln zu müssen, um über die Runden zu kommen. Für die Mutter, die sich kaum je etwas hat leisten können, für die das Sparprogramm zur tristen Normalität geworden ist, ist die soziale Realität letzte FEDERSPIEL Keine Zeit für Nebensachen Adania Shibli hat Pech gehabt, ein Pech, das gegen das Unglück der israelischen Terroropfer und der Zivilisten im Gaza- Streifen freilich nicht schwer wiegt: Der Termin für die Verleihung des „LiBeraturpreises“ für Autorinnen aus dem „globalen Süden“ an sie im Rahmen der Frankfurter Buchmesse fiel in eine Zeit, in der jede Würdigung einer palästinensischen Stimme unter Verdacht steht. Was das „für ein Zeichen wäre“, fragten Kritiker, als müsste die Auszeichnung eines literarisch herausragenden Buches sich flexibel nach der jeweiligen Weltlage richten. Weil das nicht genügte, hat man die Schriftstellerin als Terror-Sympathisantin diffamiert und ihren Roman „Die Nebensache“, in dem sie den realen Fall der Vergewaltigung und Ermordung eines Beduinenmädchens durch israelische Soldaten im Jahr 1949 darstellt, als antisemitisch. Das Original erschien 2017, die englische Übersetzung wurde 2020 für den National Book Award und 2021 für den International Booker Prize nominiert. In einem Interview anlässlich der deutschen Ausgabe im Vorjahr wandte Adania Gewissheit. Um sich aus dieser Lage herauszumogeln, wird ihr Eigentum zu einer utopischen Größe, an der sie unbeirrt festhält. Sich ein Grundstück leisten zu können, auf dem man sogar bauen könnte, bleibt der große unerfüllbare Traum. Denn kaum ist das Geld zusammen, haben sich Grundstückspreise verteuert, und das Sparen geht weiter. Besitz ist nichts weiter als eine Phantasie. Ihr Leben bewegt sich um diese Leerstelle. Diese Haltung schlägt auf den Sohn durch, der sich die Tage vor ihrem Tod im Dorf bei seiner Mutter aufhält. Er steht ihr bei, begleitet sie durch ihre Phantasien, die abgehoben von der Wirklichkeit ein Eigenleben angenommen haben. So gibt er vor, mit den verstorbenen Verwandten zu telefonieren und diese auf die baldige Ankunft der im Heim Untergekommenen vorzubereiten. Immerhin nennt sie dort ein Zimmer ihr eigen, ein unerhörter Luxus für eine wie sie. Die Tage daheim lassen das Leben des Erzählers ebenfalls um eine Leerstelle kreisen, eine Poetik-Vorlesung, die er halten soll und zu der ihm nicht viel mehr als der Titel eingefallen ist. Der allerdings ist gut: „Kann man vom Leben schreiben?“ Wolf Haas ist in Maria Alm im salzburgerischen Pinzgau aufgewachsen. Das Dorf im Buch mit seinem überaus spitzen Kirchturm entspricht diesem Ort im Detail. Nicht weit davon, in Wagrain im Pongau, lebte ein Schriftsteller, dem Wolf Haas, so wie es aussieht, mit diesem Roman geantwortet hat. Karl Heinrich Waggerl veröffentlichte bald nach dem Zweiten Weltkrieg die Erzählung „Fröhliche Armut“ und legte damit eine überaus geschönte Version prekärer Lebensverhältnisse vor. Waggerl selbst hatte sich daraus hervorgearbeitet, er war eine anerkannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Im Rückblick feierte er die Kindheit in Armut. Damit schloss er ein Stillhalteabkommen mit dem Publikum und redete soziale Unverträglichkeiten klein. Davon will Wolf Haas nichts wissen. Er erzählt von der Tristesse eines Kindes, dem das Unbehagen an der Existenz von klein auf mitgegeben wird und dem der Makel des Mangels anhängt. Ein Buch zum Lachen und zum Weinen, mehr als man eigentlich erwarten darf. Eigentum Roman von Wolf Haas Hanser 2023 160 S., geb, € 22,70 Shibli sich gegen jeden Nationalismus, sie wolle ihre Herkunft nicht „als nationale Identität ausstellen“. Vielmehr gehe es um „eine moralische Haltung, die mich ständig aufmerksam sein lässt für den Schmerz anderer“. Sie wäre also eine ideale Rednerin auf der Buchmesse gewesen, hätte der Direktor Standfestigkeit bewiesen. Die Verleihung wurde jedoch verschoben, angeblich einvernehmlich, was Shibli bestreitet. Mehr als 600 Autorinnen, Autoren und Betriebsmenschen haben in einem offenen Brief dagegen protestiert. „Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert“, sagte die Berliner PEN-Präsidentin Eva Menasse. Doch ist die Kampagne einmal entfesselt, interessiert sich keiner mehr für literarische Qualität, Weltanschauung und andere Nebensachen. Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin. Von Daniela Strigl

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023