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DIE FURCHE 19.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 38 8 International 19. September 2024 FORTSETZUNG VON SEITE 7 „ Wir wissen aus der Geschichte des Faschismus, dass der zweite Versuch, an die Macht zu kommen, am schlimmsten ist. Das erleben wir gerade bei Nicolás Maduro. “ geht und Konflikte behandelt. Ohne transnationale Positionen werden wir diesen Kampf verlieren. Der Faschismus ist auch transnational, er denkt global und handelt lokal. DIE FURCHE: Brasilien wurde oft mit den USA verglichen. Nicht nur, weil Trump und Bolsonaro sich gegenseitig schätzen, sondern auch wegen gewisser Parallelen. Wie sehen Sie das? Dunker: Trump hat eine Art von Pathologie, die in der republikanischen Partei aufkommt. In Brasilien haben wir den Faschismus Bolsonaros als Entwicklung konservativer Kräfte, die nicht vereint waren, sondern durch den Faschismus zusammenkamen. In den USA bedeutet Make America great again durchaus, das Land gegen andere zu vereinen: Mexikaner an der Grenze, China, die europäische Linke. In Brasilien gibt es das nicht. Hier diskutieren wir nur über Brasilien und schließen uns gegenüber der Welt ab. DIE FURCHE: Wie sieht das aus psychologischer Perspektive aus? Dunker: Während der Diskurs in den USA von Furcht dominiert wird, dreht er sich in Brasilien eher um Hass. Furcht operiert in einem größeren Zeitrahmen: Sie können ein ganzes Leben in Furcht führen, aber nicht in ständigem Hass leben. Biden hat sich recht gut geschlagen, wenn man etwa die grundlegenden Statistiken sieht und die niedrigen Arbeitslosen-Zahlen. „Was ist faschistisch?“, fragte sich Herbert Hopfgartner in einer Analyse, die auf Umberto Eco beruht (2.8.2023), auf furche.at. Aber die Furcht bleibt, die konnte er nicht behandeln. DIE FURCHE: Wie stehen Sie einem möglichen Wahlsieg Trumps gegenüber? Könnte das global faschistische Bewegungen beschleunigen? Dunker: Es gibt Leute auf der Linken, die sagen: Lasst sie gewinnen, ihre Ideen ausprobieren, sie werden scheitern, und dann kehren wir zurück. Ich denke nicht, dass dies eine gute Lösung ist. Wir wissen aus der Geschichte des Faschismus, dass der zweite Versuch, an die Macht zu kommen, am schlimmsten ist. Beim ersten Mal werden die Dinge vorbereitet, etwa ein Coup, man bildet Allianzen, macht Versprechungen, zerstört die Opposition. Eine solche Regierung muss noch nicht faschistisch klingen, sondern vielleicht noch nach Befreiung. Das Problem ist die zweite oder dritte. Auch das erleben wir gerade bei Maduro. „ Im österreichische System ist ein Schutz vor brutalen Veränderungen eingebaut. Ich denke die Expansion des Faschismus geht dort langsamer vonstatten als in den Niederlanden. “ DIE FURCHE: Wie blicken Sie auf die Situation in Europa? Dunker: Das ist je nach Land unterschiedlich – je nachdem, wie schnell die Expansion des Faschismus verläuft. Geschieht das langsam, können wir ihn stoppen, bevor er in dem jeweiligen Land ein komplettes Chaos anrichtet. Zeit ist dabei also der entscheidende Faktor. In Frankreich verläuft dieser Prozess langsam, hier in Brasilien geschah es sehr schnell, mit einem plötzlichen Umschwung. Das ist am schlimmsten. Auch in den Niederlanden verläuft die Entwicklung rapide. Die Effekte davon werden wir in den nächsten Jahren sehen. DIE FURCHE: Und was ist mit Österreich, wo die Nationalratswahl kurz bevorsteht? Dunker: Ich erinnere mich, wie die extreme Rechte dort erstmals an die Macht kam – aber eben nicht die ganze, weil das österreichische System einen Schutz vor brutalen Veränderungen eingebaut hat. Ich denke, dass es in Österreich langsam vonstatten geht. Auch, weil nichts schnell geschehen kann in Österreich (lacht). Auch keine politische Veränderung. DIE FURCHE: Ob schnell oder langsam – faschistische Ideen sind auch in EU-Ländern auf dem Vormarsch. Versuchen Sie bitte nochmal, das auf den Punkt zu bringen: Woher kommt diese vermeintliche Attraktivität? Dunker: Weil der Geschmack so eine Verlockung ist. Faschismus ist wie Zucker für Kinder. Man will probieren, denkt, von einmal gehen die Zähne nicht kaputt. Der Geschmack ist leicht zugänglich. Das Prinzip, also wie es funktioniert, ist schnell zu verstehen. Auch ist es leicht zu reproduzieren, es ist wie eine Welle. Also denkt man: „Gib mir noch mehr Süßigkeiten!“ Der Kunstkritiker Clement Greenberg sagte einst, wenn man Menschen Freizeit gibt, aber keine Kultur, produziere das Faschismus. Man bekommt eine Junkie-Kultur, und in einem Diskurs ohne Vermittlung und ohne Reflexion landet man im Faschismus. DIE FURCHE: Sind die Menschen der Demokratie überdrüssig? Dunker: Ja, es gibt viele Bücher, die das behaupten. Aber ich glaube, es ist teilweise so, dass wir das gewöhnliche Leben satt haben, dessen überdrüssig sind. Und Demokratie geht mit dem gewöhnlichem Leben einher. Wir wollen intensivere, bedeutungsvollere Leben, und zwar jetzt und hier. Das steht gegen die alte Vorstellung, dass es okay ist, gewöhnlich zu sein, einfach zu überleben, einen guten oder mediokren Job und eine Familie zu haben. Nein, wir wollen eine neue Art von Leben, in dem man ein Held, eine Heldin sein muss. Demokratien können dieser Sehnsucht nichts entgegensetzen: Sie sind langwierig und institutionalisiert. Und auf der anderen Seite gibt es dann diese Versprechung: Zucker! Und ihr könnt mehr und mehr haben. DIE FURCHE: Hätten Sie diese Entwicklung für möglich gehalten, als Sie damals begannen sich mit dem Thema zu beschäftigen? Dunker: Nein. Niemals hätte ich mir das damals vorstellen können. Und wie sieht Ihr Spam-Filter aus? Vielen Dank für Ihren Abo-Beitrag! Wer Qualitätsmedien liest, bekommt statt Fake News unabhängig recherchierte Hintergründe und kritische Analysen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können – der beste Schutz vor Fehlinformationen. dubistwasduliest.at DU BIST, WAS DU LIEST.

DIE FURCHE · 38 19. September 2024 Religion 9 Von Andreas G. Weiß Erneut geht ein altbekanntes Gespenst in der europäischen Politik um – das Gespenst der Religion. Eigentlich hatten sich sowohl Staaten, Regierungen und Parteien als auch große Teile der gesellschaftlichen Öffentlichkeit schon lange von diesem „Dämon aus der alten Welt“ – frei nach J. R. R. Tolkien – lossagen wollen. Doch erhält man gegenwärtig in zahlreichen Situationen das Gefühl, dass sich dieser mitunter schon längst Totgesagte beständig den Schritt zurück in das Bewusstsein der säkular verfassten Weltordnungen verschafft. Nicht nur in Europa, sondern weltweit lösen religionspolitische Konflikte, Machtstrategien und Politstile nicht nur Stirnrunzeln, Befremden, sondern auch Beifall und Zustimmung aus. Die Lage scheint surreal: Ob in der größten jemals ausgeführten demokratischen Wahl in Indien, im Ringen um die zukünftige Machtkonstellation im Iran, im nicht zuletzt stark von traditionalistischen Gruppen beeinflussten US-Wahlkampf oder auch in Konfliktherden wie den chinesischen Uiguren-Gebieten, der Ukraine oder im afrikanischen Mali spielen religiöse Problemlinien eine enorme Rolle, die ihr viele, gerade in Europa, nicht mehr zugetraut hätten. Religiöse Politikslogans Hierbei wäre es falsch, mit einer europäischen Fortschrittsbrille säkularer Prägung auf die anderen Teile der Welt herabzublicken, denn auch innerhalb der europäischen Staaten werden vermehrt religiös gefärbte Politslogans, Wertedebatten oder Identitätskonflikte an die Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung gespült – oder in vielen Fällen auch gezielt eingesetzt. Was tun also, wenn Religion plötzlich wieder in Bereichen zum Vorschein kommt, in denen sie seit Jahrzehnten eigentlich verschwiegen werden sollte? Wie reagieren, wenn populistische Gruppen plötzlich das Christentum für ihre wenig spirituellen Ziele entdecken und argumentativ einsetzen? Die Reaktionen auf diese „Gretchenfrage“ in neuem Gewand stimmen leider wenig zuversichtlich – denn in den meisten Fällen umfassen sie bloß betretenes Schweigen bis hin zu lethargischer Orientierungslosigkeit. Selbst in so offensichtlichen Szenarien wie dem Nahost-Konflikt, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel oder der völkerrechtswidrigen Siedlungsbauten vonseiten des israelischen Staates auf Palästinensergebieten scheinen die politischen Verantwortlichen keine adäquate Sensibilisierung zu besitzen, um auf die genuin religiösen Dimensionen dieser Konflikte angemessen reagieren oder sie wenigstens benennen zu können. Aus der säkularen Hands-Off-Strategie ist in den allermeisten Fällen eine Don’t-Mention-Mentalität erwachsen. Nur: Totgeschwiegen können viele Probleme nicht werden. An dieser Stelle geht es nicht darum, religiösen Einfluss durch die Hintertür (wieder) einzuführen oder gar die Trennung von Kirche und Staat auszuhöhlen. Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass in der dezidierten Nicht-Beachtung oder der Unfähigkeit in der Behandlung religionspolitischer Themenkomplexe eine nicht unerheblich große Gefahr für die demokratischen Ordnungen erwachsen kann. Die westliche Religionspolitik ist in einer prekären Situation. Sich der Illusion hinzugeben, Religion spiele heute gesellschaftlich keine Rolle mehr, wäre fatal. Das zeigen die Vereinnahmungsversuche von rechts. Lobpreis ohne Religion Gerade in den gegenwärtigen Umbrüchen kirchlicher Wirklichkeiten und im ständigen Rückgang weltanschaulicher Bindung in der europäischen Bevölkerung zeigt sich im Fahrwasser einer fortschreitenden „religiösen Unmusikalität“ der Menschen die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung jeglicher symbolischer Restreligiosität: Wenn die Präsenz von Religion abnimmt, wenn immer weniger Menschen ein Gespür für religiöse Konstellationen, Identitätsfragen oder Wertekonzepte haben und sich auch institutionell-politisch niemand hierfür zuständig sieht, können die immer noch wirksamen Mechanismen umso gezielter eingesetzt werden: Dann wird etwa das christliche Kreuz zu einem rechtspopulistischen Kampfsymbol, mit dem ethnozentrierte Fremdenfeindlichkeit geschickt kaschiert werden soll. Oder die Frage um eine „christliche Werteordnung“ wird abgekoppelt von jeder spirituell-ethischen Vorstellung und zu einer bloßen Kulturdebatte, die sich den Schutz von wie auch immer vorgestellten Lebensweisen auf die Fahnen geschrieben hat. Schatzkiste christlicher Formeln Deshalb mag es auch nicht wundern, wenn sich gerade Parteien des rechten Politspektrums religiöser Symbolik, biblischer Sprachformen und nicht selten gezielt instrumentalisierter Phrasen aus der Schatzkiste christlicher Bekenntnisformen bedienen: Wer, wie die FPÖ im aktuellen Nationalratswahlkampf, öffentlich plakativ „gute Jahre“ (Gen 41,26) verspricht oder den ausschließlichen „Willen“ des Wählervolkes „geschehen lassen“ will (etwa Mt 6,10 oder Lk 22,42), spielt hier auf eine bewusste Art und Weise mit religionspolitischen Assoziationen in der Bevölkerung. Selbst wenn die Mitgliedschaft zu den Kirchen in Österreich und Europa zunehmend schwindet, bleibt die Macht solcher Assoziationsketten und religiöser Motive über Generationen aufrecht. Wenn es aber in der Öffentlichkeit beziehungsweise der Bevölkerung kein kritisch-korrektives Bewusstsein dieser religionspolitischen Instrumentalisier- beziehungsweise Manipulierbarkeit gibt, wird in den vielfach bewusst inszenierten Identitätskämpfen moderner Politik das Feld religiöser Sprach- und Bilderwelten immer stärker in die Hand extremistischer Kreise überantwortet. Wir sollten uns keiner Illusion hingeben: Selbst im 21. Jahrhundert verkörpert Religion immer noch eine enorme gesellschaftliche und identitätspolitische Kraft – und das auch im vielfach zunehmend unreligiösen Westen. Sogar in der säkular verfassten Politik Europas wird jedoch deutlich, Foto: Getty Images / Michael Gruber dass sich die oftmals methodische, manchmal auch ideologische, Abkehr von jeglichen religiösen Fragen in einen Bumerangeffekt wandeln könnte. Denn das bloße Ignorieren des religionspolitischen Nährbodens zahlreicher Debatten, Konfliktherde und gesellschaftlicher Verwerfungen führt zu keinen Lösungen. Im Gegenteil: Es mehren sich Anzeichen und Befürchtungen, wonach der „blinde religionspolitische Fleck“ großer Teile öffentlicher und gesellschaftlicher Strukturen sogar zu einer immer stärkeren Allianz zwischen extremistischer Politik und traditionalistisch-fundamentalistischen Gruppierungen innerhalb der Religionen führt. Die quantitative und qualitative Schwächung von Religion in der Öffentlichkeit führe, so eine These, zu einem verstärkten Wunsch, dem Religiösen mithilfe einer „starken“ Stimme in der Politik Gehör zu verschaffen. Letztlich geht es auch in diesem Zusammenhang um eine Frage der Bewusstseinsbildung. Doch wer ist gefordert? Sicherlich liegt die Verantwortung nicht allein bei den zentralen Schaltstellen nationaler wie internationaler Politik, sondern auch bei den Religionsgemeinschaften selbst: Wenn sie sich auch trotz ihrer quantitativen Schwächung noch mit einem gesellschaftsgestaltenden Auftrag identifizieren, bedeutet das, dass sie gerade in Zeiten religionspolitischer Instrumentalisierung umso mehr an einer selbstkritischen Demokratiebildung sowie auch einer machtpolitischen Sensibilisierung gegenüber ihrer eigenen Manipulierbarkeit vonseiten nicht-religiöser Apparate mitarbeiten müssen. Dieser religionspolitische Bildungsauftrag kann nicht ausschließlich von säkularen Stellen geleistet werden, sondern muss über weite Strecken auch von Kirchen und Religionsgemeinschaften produktiv und kritisch mitgetragen werden. Werden Kirchen kleiner, die Zahlen ebenso, die Bekenntnisse weniger stark, dann bedeutet das nicht, dass Religion keine öffentlichen Aufgaben mehr hat – vielmehr gilt es gerade dann, erhöhte Vorsicht walten zu lassen, wenn sich einzelne Kandidaten, Gruppen oder Parteien plötzlich als die Schutzmächte scheinreligiöser Identitäten inszenieren. „ Selbst wenn die Mitgliedschaft in den Kirchen in Europa schwindet, bleibt die Macht religiöser Motive und Assoziationsketten über Generationen erhalten. “ FPÖ-Fans Wahlkampfveranstaltungen der Freiheitlichen wollen mit Musik und Reden Emotionen wecken. Freikirchliche Gottesdienste folgen oft ähnlichen Mustern. Der Autor ist Erwachsenenbildner, Theologe und Publizist in Salzburg. Hierzu auch das Interview „Eine Lanze für die Säkularität“ (14.9.2006) mit dem deutschen Theologen und Philosoph Heiner Bielefeldt zum Verhältnis von Religion und Staat auf furche.at. 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