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DIE FURCHE 19.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 38 14 Diskurs 19. September 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Kleinkram, Respekt und echte Menschen Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Wenn ich unseren Briefwechsel mit einem Kartenspiel vergleichen möchte, sagen wir „Schnapsen“, dann könnte ich heute schreiben, dass Sie mit der Hymne auf Ihr Guilty Pleasure, der Dating-Reality-Show „Bachelorette“, eine ganz schön hohe Karte ausgespielt haben. Für mich besteht hierbei natürlich wieder eine Menge Unbekanntes und damit Nachlernbedarf! Bevor ich meine Karte ausspiele, möchte ich natürlich wissen, was mit Guilty Pleasure gemeint ist. Gleich auf den ersten Mouseclick bekomme ich etwas Spannendes serviert: „Guilty Pleasures gehören irgendwie zum glücklichen Leben dazu. Sie sind eine Art Self-Care, für die man sich auf keinen Fall schämen sollte.“ Aha. Das beruhigt mich, denn nach ein paar Zeilen werde ich Ihnen mein Guilty Pleasure bekennen. Zuvor aber noch zu Ihrem, der Datingshow „Bachelorette“. Ich habe mir natürlich eine (ganze!) Folge angeschaut. Einfach nach dem Zufallsprinzip. Ich will mich jetzt nicht über Inhalte äußern, höchstens darüber, wie ziemlich schonungslos, aber überhaupt nicht zärtlich, über Vorlieben beim Sex geredet wurde. Andere Inhalte konnte ich ohnehin nicht aus- und schon gar nicht aufnehmen, was natürlich vor allem an der rasanten und meine Augen extrem überfordernden Schnittdramaturgie liegt. Und vor allem am Sprachtempo der Moderatorin. Aber nein, von „Sprache“ kann da überhaupt nicht mehr die Rede sein. Da fliegen nur Phrasenfetzen in einem mir nicht geläufigen Slang – und in einer Überheblichkeit der Moderatorin, die ziemlich kaltschnäuzig die vorgeführten Menschen lobt oder sonst wie beurteilt. Das Ganze scheint mir wirklich eher ein Vorführen von „Typen“ und „Typinnen“ „ Mein ,Guilty Pleasure‘ ist die Trödelshow ,Bares für Rares‘, auch wenn meine Enkelinnen etwas mitleidig lächeln, wenn sie mich dabei ertappen. “ zu sein. Wahrscheinlich ist das bei allen Casting- und Datingshows das Momentum, um einen derzeit auch in politischen Debatten beliebten Ausdruck zu verwenden. Aber vielleicht glauben auch die Spindoktoren mancher Politiker, dass Schnellsprechen und Dreinreden für den Wahlerfolg günstig sind. Eigentlich müsste sich jeder Rhetoriklehrer mit Grausen abwenden. Bei mir erreicht eine solche Trommelfeuerrhetorik nur angewidertes Abschalten. Aber jetzt möchte ich doch das von mir imaginierte Kartenspiel fortsetzen und nachschauen, ob ich etwas in meinen Karten finde, das Ihrem Guilty Pleasure eins draufsetzen kann. Ich habe nämlich auch so ein heimliches Vergnügen: Ich liebe die Trödelshow „Bares für Rares“, auch wenn meine Enkelinnen etwas mitleidig, aber nachsichtig lächeln, wenn sie mich dabei ertappen. Wenn nach den Abendnachrichten das Wetter verkündet ist, switche ich auf einen Sender, der mir – anstelle von Werbung, Sport und Seitenblicke – wenigstens 20 Minuten lang sympathische Entspannung, ein bisserl Kulturgeschichte und wirkliche Menschen in ihrer ganzen Alltäglichkeit in den Abend bringt. Inklusive einem ewig gleichen Ritual kleiner Gesten und dem intelligent-schrulligen Moderator mit dem sorgsam aufgezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart. Wie sorgfältig diese Sendung vorbereitet ist, zeigen auch die Expertisen über Kunst, Schmuck und manchem scheinbar wertlosen Kleinkram. Wie gesagt: sympathische Kultur- und Menschengeschichten, und das alles mit Respekt. Ich hoffe, liebe Frau Hirzberger, dass mein Guilty Pleasure dem Ihren wenigstens Paroli bieten kann! Ich grüße Sie herzlich. KOMMENTAR Nach der Flut: Die Klimakrise ist im Anrollen Das Klimasystem zeigt eine chaotische Variabilität – und diese fügte uns gerade schmerzhafte Wunden zu. Nicht nur religiös gestimmte Menschen könnten in den sich häufenden Extremwetter-Ereignissen etwas erkennen, was in spirituellen Traditionen als dringender Anlass beschrieben wird, zu einer neuen Sicht der Dinge „zu erwachen“. Um dann aufgrund höherer Vernunft (Metanoia) die Lebensweise neu zu gestalten – also in gewisser Weise „umzukehren“. Zum Beispiel anhand naheliegender Einsichten aus der Wissenschaft: Treibhausgase wie CO₂ diffundieren in die Atmosphäre, der Klimawandel kennt daher keine Grenzen. Bedroht sind alle Bewohner der Erde. Eine planetare Krise braucht planetares Denken und Handeln. Mutige, evidenzbasierte Politik „ Das Mittelmeer ist zum ,Hotspot‘ der Erderwärmung geworden. Das ist nicht nur für die maritimen Ökosysteme, sondern auch für Österreich problematisch. “ Um künftiges Leid zu verhindern, sind die Vertreter der Staaten gefordert, von Konkurrenz auf Kooperation umzuschalten. Und diese Kooperation kann nur auf der Basis wissenschaftlicher Befunde erfolgreich sein. „Wissenschaft ist das, was uns retten wird“: So brachte es Alena Buyx, bis April Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, im FURCHE-Interview (2023) auf den Punkt. Fazit: Mehr denn je braucht es eine mutige, evidenzbasierte Politik. So weit, so weltfremd – leider. Es reicht ein Blick nach Österreich: So zeigt sich etwa die FPÖ, laut aktuellen Meinungsumfragen stärkste Partei im Land, bezüglich Klimakrise weit weg von der Realität (siehe auch Leitartikel, S. 1). „Aber Lügen haben kurze Beine. Die Wahrheit wird auf jeden Fall ans Licht kommen“, so der deutsche Philosoph Thomas Metzinger in Bezug auf die vielen Formen der Leugnung oder Beschwichtigung bei der Klimakrise: „Sie ist der neue basso continuo der planetaren Krise, der Generalbass, der die weitere Entwicklung der Menschheit von nun an begleitet.“ Natürlich ist die aktuelle Hochwasserkatastrophe auf mehrere, zusammenwirkende Ursachen zurückzuführen, doch der extreme Niederschlag mit seinen verheerenden Folgen hängt auch mit der globalen Erwärmung zusammen. Denn erstens enthält die mit Feuchtigkeit gesättigte Luft mit jedem Grad Erwärmung mehr Wasserdampf – genau genommen um sieben Prozent, wie die Gleichung der beiden Physiker Emilé Clapeyron und Rudolf Clausius aus dem 19. Jahrhundert besagt. In den aktuellen Befunden der Klimaforschung wird ihre Brauchbarkeit nun weitgehend bestätigt. Zweitens spielen die sommerlichen Wassertemperaturen im Mittelmeer-Raum eine wichtige Rolle für die heimische Flutkatastrophe. Denn durch Verdunstung kommt mehr Wasserschub, und die Oberflächentemperatur des Mittelmeers war heuer im zweiten Jahr in Folge so hoch wie nie zuvor. Laut spanischen Forschern lag der tägliche Mittelwert bei knapp 29 Grad; im August gab es vielerorts sogar Messungen von über 30 Grad. Der Weltklimarat betont, dass das Mittelmeer mittlerweile ein „Hotspot“ des Klimawandels geworden ist. Das bedeutet nicht nur für die maritimen Ökosysteme einen drastischen Wandel, sondern ist auch für Österreich problematisch: Schließlich speichert das Meer eine gewaltige Energie, die sich später an ganz anderen Orten entladen kann. Und der nächste Sommer kommt bestimmt. Neben diesen thermodynamischen Effekten spielen auch Veränderungen in der Wetterdynamik eine Rolle für die Flutgefahr, etwa aufgrund der längeren Dauer von gefährlichen Wetterlagen. So zeigen Studien zum Starkregen in Europa, dass die Persistenz von Wettersystemen zugenommen hat. Dieser Befund wird bei mehrtägigem Dauerregen relevant: Die Regenwolken bleiben dann länger über einer Region. Eine solche „stationäre Wetterlage“ hat bereits 2021 maßgeblich zur Ahrtal-Flutkatastrophe in Deutschland und benachbarten Ländern beigetragen. „Unsere individuelle Erfahrung der Folgen der Erderwärmung läuft der realen Bedrohung um Jahre bis Jahrzehnte hinterher“, schrieben damals die „Scientists for Future“ in einer öffentlichen Stellungnahme. „Die Katastrophe zeigt eindrücklich, dass niemand (…) vor den Folgen der Erderwärmung sicher ist.“ Klimaforscher warnen bereits seit 30 Jahren, dass die steigende Durchschnittstemperatur mehr extremen Niederschlag bringen wird – somit auch mehr Überflutungen, Muren und Erdrutsche. Dass dies auch für Österreich gilt, zeigt unter anderem eine Studie der ETH Zürich, die mitteleuropäische Daten über einen Zeitraum von 112 Jahren ausgewertet hat. Die aktuelle Flutkatastrophe ereignete sich im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahl. Wird sie das politische Bild noch verändern? Langfristig wäre man gut beraten, auch die pessimistischen Zukunftsszenarien am Schirm zu haben. Die Erfahrung, dass es nicht gelingt, eine Klimakatastrophe zu verhindern, könnte antidemokratische Entwicklungen noch beschleunigen, meint Philosoph Metzinger. Denn „wenn sich die planetare Krise weiter zuspitzt, steht plötzlich die Rechtfertigung aller bestehenden Regeln und Strukturen auf dem Spiel.“ (Martin Tauss) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin Digital: Ana Wetherall-Grujić MA Redaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger +43 664 88140777; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417

DIE FURCHE · 38 19. September 2024 Diskurs 15 Die Freiheitlichen von 2024 sind nicht die NSDAP von 1933. Dennoch birgt ihre opportunistisch populistische Politik Gefahren, deren man sich bewusst sein muss. Ein Gastkommentar. ÖVP: Wie hältst du’s mit der FPÖ? Nach der Wahl wird sich zugespitzt die Frage stellen, wer es wie mit der FPÖ hält. Vermutlich nicht wenige in der Volkspartei sind zu einer Koalition mit der FPÖ willens. Sie denken – ungeachtet erheblicher Schwächen der eigenen Wirtschafts- und Budgetpolitik – wohlbegründet, mit Bablers halbstarken Steuerträumen und Ausgabenfantasien komme man auf keinen ökonomisch vernünftigen Zweig. Dafür nehmen sie unappetitliche Kläffereien und fragwürdige Postenvergaben in Kauf. Und übersehen Wesentliches. Die FPÖ des Jahres 2024 ist zwar nicht die NSDAP von 1933. Dennoch darf man die gefährliche Radikalisierung der FPÖ nicht ausblenden: • Im Prozess des Verfalls der Parteien zu Bewegungen und der Machtergreifung von Politikberatern, die bloß an Images und Wahlergebnissen interessiert sind, rückt die Lüge zunehmend ins Zentrum demokratischer Politik. Für diesen dekadenten Prozess bedeutet die FPÖ einen Schub. Sie macht Tatsachen und Meinungen ununterscheidbar, weil sie nur noch Unterschiede der Partei, der Gefolg- und Gegnerschaft, aber keine zwischen Wahrheit und Lüge kennt, die durch Fakten zu entscheiden sind. Im Machtstreit, in dem es allein darauf ankommt, wer sich durchsetzt, tragen realitätsentfremdete Diskussionen nichts mehr zur tatsächlichen Problemlösung bei. Den Rechtsstaat „sturmreif schießen“ • Indem die FPÖ die fein gewobenen Institutionen des liberalen, demokratischen Rechtsstaats pauschal beschuldigt, Instrumente des Machtmissbrauchs „volksfremder“ Eliten zu sein („tiefer Staat“), schießt sie die rechtsstaatliche Infrastruktur verschwörungstheoretisch sturmreif. Sie setzt nicht auf reformierende Entwicklung, sondern auf Machtübernahme durch einen opaken, angeblichen Volkswillen, dem Freund oder Feind die einzig noch relevanten Kategorien sind. Die wesentliche Leistung des liberalen, demokratischen Rechtsstaats ist, Entscheidungen so herzustellen, dass sie aufgrund ihrer rechtskonformen Entwicklung auch annehmen kann, wer sie inhaltlich nicht teilt. Der FPÖ ist hingegen jede Entscheidung, die sie Foto: Privat nicht teilt, Antrieb genug, die sie fällende Institution zu zerstören. • Man muss nicht alle Genderpolitik der letzten Jahre, teils unter Behauptungen, dass biologische Geschlechter bloß Ausdruck von Zuschreibungen durch gesellschaftliche Macht wären, gutheißen. Und ebenso wenig jeden Exzess ihrer Sprachpolitik. Aber die FPÖ trägt inzwischen krass homophobe Züge. Die Zeit wieder 50 Jahre und mehr in Richtung zahlreicher rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung zurückzudrehen, wäre ein schlimmer Rückschritt, eigentlich in Richtung der sonst so verachteten Islamisten. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Aurelius Freytag „ Die FPÖ steht für die Trumpisierung der Politik. Der Abstand zum Volkssturm aufs Parlament ist klein. “ • Und schließlich setzt die FPÖ dem Unbehagen an Massenmigration das überholte Bild einer ethnisch geschlossenen Nation entgegen. Lang verleugnete Probleme (in Wiener Pflichtschulen, mit frauenfeindlichen Weltbildern oder der Konfliktlösung in manchen migrantischen Gruppen durch Gewalt) müssen durch intelligente Integrationspolitik samt Hausordnung für unser Gemeinwesen gelöst werden – aber auch, indem wir die Steuerung der Zuwanderung wieder übernehmen. Die Entwicklung zu einem kulturell und ethnisch diverser werdenden Europa ist jedoch unumkehrbar, auch weil andernfalls viel Arbeit nicht erledigt und der eigene Lebensstandard bedroht wird. Fehlende Steuerung der Migration kann nicht durch eine militante Unwillkommenskultur gegen alle Zugewanderten ersetzt werden, die Einheimische und Migranten in Radikalisierung treibt und letztlich auf einen Bürgerkrieg der Kulturen setzt. Viele dieser Haltungen sind leider keine Alleinstellungsmerkmale der FPÖ. Schon gar nicht, was das Fallen ethischer Schranken gegen Lüge in der Politik oder die Desavouierung des demokratischen, liberalen Rechtsstaats betrifft. Eher steht die FPÖ für einen Trend zur „Trumpisierung“ der Politik, den sie aber ungeniert vorantreibt. Der Abstand zu Nazis scheint groß, jener zum Volkssturm auf Parlament oder Gerichte klein. Gemeinsame Ziele statt bloße Blockade Lehnen sie eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ab, müssen sich ÖVP, SPÖ und wohl Neos zu einer Regierung finden (sowohl SPÖ Wien wie auch ÖVP haben ihre Gründe für ein Nein zu einer grünen Beteiligung). Dafür genügt es aber nicht, die FPÖ zurückzuweisen, sondern man müsste über deren Ablehnung hinaus einander verbindende Ziele entwickeln. Andernfalls wird diese Regierung rasch zerbrechen oder sich zu einer reformresistenten „Blockadeelite“ entwickeln, zum Schaden Österreichs und zum Wohl einer dann weiterwachsenden FPÖ. Von Initiativen, die an Gemeinsamkeiten jenseits der FPÖ-Verachtung uninteressiert scheinen – und mehr eine Brandmarkung der ÖVP wollen als eine Regierung ohne die FPÖ – , ist wenig zu halten. Ebenso von „Babler Ultras“, deren militante Ablehnung von ÖVP wie FPÖ bloß auf die Hoffnung auf eine gesinnungsmoralisch gloriose Widerstandsbewegung in der Opposition hindeutet. Wobei Babler nach der Wahl ohnehin Geschichte sein könnte. Öffentlich ist wenig zu merken, dass ÖVP, SPÖ und Neos an Gemeinsamkeiten arbeiten. Aber hinter den Kulissen sollen bereits Gespräche für eine Zusammenarbeit laufen. Es gibt viele gute Gründe, sie entschlossen, lösungsorientiert und erfolgreich voranzubringen. Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner von Eversheds Sutherland. ZUGESPITZT Österreicher auf dem Schleudersitz Im Hause Sauer-Merkel in der Uckermark: Die deutsche Ex-Kanzlerin bekommt eine SMS aus Brüssel. Sie kichert. Dann erzählt sie ihrem Gatten: „Jetzt setzt sie den Österreicher auf die Migration an.“ Joachim Sauer legt die Quantenchemie-Dissertation, die er gerade korrigiert, beiseite. Er grinst. „Sie nutzt deine Taktik. Potenzielle Gegner gehören auf einen Schleudersitz, der sie rund um die Uhr beschäftigt hält und nicht auf dumme Gedanken bringt.“ Merkel faltet die Hände vor ihrem Bauch und zwinkert ihrem Mann zu. Der tut es ihr gleich und formt ebenfalls „die Geste der Macht“. Das war es dann aber auch. Angela Merkel holt ihren Einkaufskorb und geht in Richtung Edeka – heute Abend will sie Königsberger Klopse kochen. Sauer vertieft sich wieder in seine Dissertation. Epilog: Angela Merkel hatte 2013 Ursula von der Leyen zur Verteidigungsministerin gemacht. Bis heute munkelt man, sie hätte auf die Art verhindert, dass sich von der Leyen als Nachfolgerin im Kanzleramt ins Spiel bringen konnte. Als Trostpflaster wurde sie am Ende in ihre Geburtsstadt Brüssel gesandt. Wohin Magnus Brunner irgendwann katapultiert wird, wird sich zeigen. Aber das ist von nun an eine interne Angelegenheit. Brigitte Quint PORTRÄTIERT Alois Schwarz: „Umweltbischof“ wider Willen Nach der Flut fällt besonders in Niederösterreich die Bilanz verheerend aus: Fünf Todesopfer sind zu beklagen, tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Alois Schwarz, Bischof der Diözese St. Pölten, dankte den Einsatzkräften in einem kurzen Instagram-Posting. Erst am Montagvormittag fand sich dann eine Meldung auf dem Webportal der Diözese St. Pölten. „Bleiben Sie stark, unsere Gebete begleiten Sie“, hieß es darin. Diese Zurückhaltung verwundert, Schwarz ist nämlich nicht nur Bischof von St. Pölten. In der Österreichischen Bischofskonferenz verantwortet er zudem die Umweltagenden – und fungiert damit quasi als „Umweltminister“ unter den Bischöfen. Schwarz setzte in diesem Ressort bislang aber kaum – beziehungsweise mitunter irritierende – Akzente. So hielt sich der Bischof etwa mit Unterstützung für Klimaaktivisten auffällig zurück. Der neu gestaltete Domplatz in St. Pölten, in dessen Planung auch die Kirchenleitung maßgeblich involviert war, wurde von vielen als „Betonwüste“ kritisiert. Zuletzt äußerte Schwarz sich in einem Kurzvideo zwar zum Renaturierungsgesetz – und forderte darin „ein neues Miteinander für das Leben in unserem Land“. Ein klares umweltpolitisches Bekenntnis blieb aber aus. Dabei ist Umwelt- und Klimaschutz, im christlichen Jargon als „Schöpfungsverantwortung“ subsumiert, ein zentrales Anliegen der Kirchen. Jedes Jahr feiern sie im September die „Schöpfungszeit“, um auf den Schutz der Umwelt aufmerksam zu machen. Papst Franziskus selbst weist seit Jahren auf die Bedeutung des Klimaschutzes hin, argumentativ untermauert mit gleich zwei Schreiben: Neben Laudato si‘ (2015) legte er mit Laudate Deum (2023) ein weiteres Dokument vor. Zwar stellt auch Schwarz die Bedeutung des Kampfes gegen den Klimawandels nicht in Frage – und doch zeigen sich unübersehbare Unterschiede im Umgang mit dem Thema zwischen dem Bischof von St. Pölten und dem Bischof von Rom. Ein anderes Verständnis hat Schwarz auch in Sachen Partizipation und Amtsführung im Allgemeinen: So hat der Geistliche, dessen Abschied als Bischof von Gurk-Klagenfurt von massiver Kritik und Protest begleitet war, mittlerweile auch in St. Pölten nicht wenige Engagierte der katholischen Basis vor den Kopf gestoßen. Erst im Juli beklagte das „Katholische Bildungswerk“, kein Mitspracherecht bei der Umstrukturierung zu haben. Auch bei der Neuaufstellung des St. Pöltner Bildungshauses St. Hippolyt gab es heftige Kritik. Ebenso sind aus den Pfarren vermehrt kritische Stimmen vernehmbar. So musste erst Anfang September in der Pfarre Konradsheim ein ehrenamtliches Wortgottesdienst-Team sein Engagement beenden. Kritiker werfen Schwarz vor, dem Klerikalismus zu wenig entgegenzusetzen. Auch hier haben Schwarz und Franziskus unterschiedliche Zugänge. So geißelte Letzterer die Überhöhung des Priesteramts in der Vergangenheit immer wieder als „Perversion“. (Till Schönwälder) Foto: Diözese St. Pölten In der vom Unwetter schwer getroffenen Diözese St. Pölten hat Bischof Schwarz viele vor den Kopf gestoßen.

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