DIE FURCHE · 3 6 International 19. Jänner 2023 Von Diljana Lambreva • Sofia Russische Fahnen flattern im Wind, Popmusik-Rhythmen mischen sich mit Volksmusik, Straßenkünstler(innen) konkurrieren ausgelassen um die Münzen der Flaneure. Der Schauplatz: die Stadt Kalofer, an den südlichen Hängen des Balkangebirges. Vor allem ein Phänomen hier ist symptomatisch für die meisten Orte im Land: Unzählige Händler bieten an ihren Ständen alle möglichen russischen Souvenirs und Devotionalien feil – von Kappen und Teetassen bis hin zu Kleidung mit dem Z-Symbol und Bildern von bis an die Zähne bewaffneten Soldaten – und machen damit ein gutes Geschäft. Ungeachtet vom Leid der Menschen in der Ukraine. Die Gruppe der „Putin-Fans“ zählt zwar nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerung, doch sie sind laut und schrill. Politisch etwa die euroskeptische Partei „Wazraschdane“. Auch ist es ein offenes Geheimnis, dass mächtige Firmenchefs oder andere Stakeholder dieses Gedankengut teilen. Auf einem Treffen der Russophile 2016 trat etwa der Chef der bulgarischen Luftwaffe, Rumen Radev, zum ersten Mal öffentlich auf. Ein Jahr später wurde Radev angeblich nach Absprache mit Leonid Reschetnikov, einem Ex-General der russischen Auslandsspionage und Vertrauten Putins, von den nicht reformierten Sozialisten zum Kandidaten bei der Präsidentenwahl 2017 nominiert und gewann die Wahlen. „Die Krim ist ganz klar russisch, Waffenlieferungen verlängern nur den Krieg“, mit seiner Meinung hält Radev nicht hinter dem Berg. Immer wieder sprechen Polit-Insider vor dem trojanischen Pferd in der EU – und meinen damit ihn. Propaganda und Spionagenetzwerke Bulgarien ist schon länger ein Teil der westeuropäischen Bündnisse – seit 2004 ist das Land in der NATO und seit 2007 in der EU. Doch ganz besonders in diesem früheren Satelliten der Sowjetunion sind die Verbindungen zum Kreml über Geschäftsbeziehungen, Spionagenetzwerke und Internet-Cluster traditionell eng. „Der Einfluss Russlands ist zu stark. Das war schon vor dem Ukrainekrieg so. Doch mit dem Krieg hat sich die pro-russische Propaganda in den Medien multipliziert. Das ist monströs“, so der ehemalige Verteidigungsminister Todor Tagarev, heute Kommunikationsforscher an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften im Gespräch mit der FURCHE. Ganze Ökosysteme in sozialen Netzwerken wie Facebook seien von Trollen befallen. Auch gibt es Putin-freundliche Kommentatoren in den öffentlich-rechtlichen Medien, die unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Medienpluralismus die Weltlage erklären. Die Propaganda fällt durchaus auf fruchtbaren Boden. Vermutlich bedingt durch Foto: Getty Images / NurPhoto via / Artur Widak Den Krieg feilbieten Mit Utensilien, die Putins Invasion in der Ukraine verherrlichen, werden mancherorts Geschäfte gemacht. Während die einen russische Devotionalien sammeln, demonstrieren andere für eine Anti-Kreml-Politik. Was Russland angeht, ist Bulgarien gespalten. Ein Ortstermin. Z-Symbol als Kassenmagnet die kulturelle Verbundenheit der Länder, die gemeinsame christlich-orthodoxe Religion, die slawische Sprachenfamilie. Zudem räumten historische Schlüsselereignisse wie etwa der Russisch-Türkische Krieg 1878, der den Bulgaren zur Errichtung eines unabhängigen Staates nach 500 Jahren osmanischer Fremdherrschaft verhalf, Moskau eine besondere Rolle in der „ Putin-freundliche Kommentatoren erklären – unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Medienpluralismus – in den Öffentlich-Rechtlichen die Weltlage. “ Entwicklung des Landes ein. „Von Kindesbeinen an hört man das bei uns: Die Russen sind unsere Befreier, wir sollten ihnen ewig dankbar sein“, erzählt Todor Tagarev. „Dass die Sowjetunion 1944 Bulgarien den Krieg erklärte und zur Besatzungsmacht wurde, ist vielen unbekannt.“ Diese große Erzählung dient dem Kreml und seinen Wirtschaftslobbies – insbesondere im Energiebereich. Bulgarien war bis vor kurzem jenes Land in der EU, das nicht nur am stärksten von Gaslieferungen, sondern auch von russischem Öl und Brennstäben für das AKW Kosloduj abhängig ist. Gewaltige Energieprojekte wie etwa der Bau die russische Gaspipeline „TurkStream“, die russisches Gas unter dem Schwarzen Meer hindurch in die Türkei und weiter, durch Bulgarien nach Serbien und Ungarn führt, war als geopolitisches Instrument gedacht. Das Ziel: Die Ukraine sollte umgangen werden. Expremier Bojko Borissov, der Putin als Zeichen der Sympathie einen Welpen schenkte, wusste wohl von dem strategischen Plan und ließ trotzdem die Beteiligung des Transitlands Bulgariens zu, angeblich zugunsten nahestehender Großunternehmer. Als Gazprom Ende April 2022 Bulgarien dazu aufforderte, für die Gaslieferungen in Rubel zu zahlen, hatten viele erwartet, Bulgarien würde sich beugen. Doch die pro-westlichen reformatorischen Kräfte der Regierung Kiril Petkovs (nur sieben Monate im Amt) hatten die Gunst der Stunde genutzt und einen Bruch mit dem Kreml provoziert. Der Angriffskrieg in der Ukraine bot ihnen den Rahmen, 70 russische Diplomaten auszuweisen und den Bau des „Interkonnektors“ zwischen Griechenland und Bulgarien mit direktem Zugang zum südlichen Gaskorridor zu forcieren. Auch wurden die Erdgaslieferungen über die Transadriatische Gaspipeline (TAP), die Transanatolische Gaspipeline (TANAP) und vom Flüssiggasterminal in der Nähe von Alexandroupolis abgewickelt bzw. (in letzterem Fall) geplant. Zudem befürwortete man, Ermittlungen zu „TurkStream“ aufzunehmen. Ende der Politik zwischen den Sesseln? Die Versuche der Übergangsregierung, initiiert vom Präsidenten Rumen Radev, das Gespräch mit Gazprom zu suchen, lassen seither immer wieder Mitglieder der urbanen Mittelklasse, Bürgerorganisationen und Familien mit Kindern vor dem Präsidentenamt in Sofia den Aufstand proben. Viele tragen die blaue Flagge der EU und halten selbst gebastelte Tafeln in die Höhe. „Hier ist nicht Moskau, hier ist nicht Moskau“, rufen die Demonstrant(inn)en in Sprechgesängen. Ein Sieg der Ukraine über Putins Russland würde die pro-europäischen und demokratischen Kräfte im Lande befeuern und eine Wende einleiten, meint der Geschichteprofessor an der Universität Blagoevgrad, Stefan Detschev: „Für kein anderes EU-Land haben die Entwicklungen in der Ukraine mehr innenpolitische Konsequenzen. Ein möglicher positiver Ausgang wird das Ende der Politik zwischen den Sesseln einläuten.“ Dies würde auf lange Sicht Russland hindern, einen Fuß in der EU zu behalten. Ein Szenario, das Detschev noch immer für möglich hält. Für Bulgarien wiederum ist es der einzige Weg zur vollständigen Integration in die europäische Familie. Die Autorin lebt als freischaffende Journalistin in Bulgarien. Was 2023 zu tun ist In der aktuellen Folge spricht FURCHE- Redakteurin Manuela Tomic mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft über all das, was uns 2023 beschäftigen wird. Wie geht es im Ukrainekrieg weiter? Was kann die EU tun, um vereinter aufzutreten? Welche Wirtschaftsmaßnahmen braucht es, damit wir trotz Inflation ein besseres Leben haben? Und wie kann eine Gesellschaft in Krisenzeiten zusammenhalten? furche.at/chancen
DIE FURCHE · 3 19. Jänner 2023 Wirtschaft 7 Die einen halten die strengen unternehmerischen Sorgfaltspflichten, die das geplante EU-Lieferkettengesetz bringen soll, für gut – die anderen nur für gut gemeint, aber nicht praktikabel. Ein Streitgespräch zwischen der Industriellenvereinigung und der NGO Südwind. Für alles verantwortlich? Das Gespräch führten Doris Helmberger und Brigitte Quint Die Zeiten, in denen sich verantwortungsvolle Unternehmer(innen) darauf bescheiden konnten, eine Sozialeinrichtung zu sponsern, sind lange vorbei. Durch Lieferkettengesetze werden sie verpflichtet, nicht nur vor Ort, sondern auch bei ihren weltweiten Zulieferern die Einhaltung von Umweltstandards, Arbeitsund Menschenrechten zu garantieren. In Deutschland ist seit 1. Jänner 2023 ein entsprechendes Gesetz in Kraft, das zunächst für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern sowie 400 Millionen Euro Jahresumsatz gilt – und nur unmittelbare Zulieferer umfasst. Um eine (strengere) EU-Richtlinie wird indes heftig gerungen (siehe Kasten S. 8). Was spricht für, was gegen solche Gesetze? DIE FURCHE hat Barbara Coudenhove-Kalergie, die in der Industriellenvereinigung für gesellschaftliche Innovation verantwortlich ist, und den Geschäftsführer von „Südwind“, Konrad Rehling, zur Debatte eingeladen. Hinter den Containern Lieferkettengesetze verpflichten Unternehmen, die „ethisch saubere“ Genese ihrer Produkte zu dokumentieren. Wie weit diese Transparenz reichen soll, ist heftig umstritten. DIE FURCHE: Deutschland ist Österreichs wichtigster Handelspartner. Was halten Sie vor diesem Hintergrund vom neuen Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz, das dort seit Jahresbeginn in Kraft ist? Barbara Coudenhove-Kalergi: Im Verhältnis zum Vorschlag, den es auf europäischer Ebene gibt, ist das deutsche Gesetz etwas praktikabler, weil es bei der Haftung und bei den Überprüfungsregelungen eine Einschränkung auf die unmittelbaren Zulieferer vorsieht. Unsere große Sorge ist, dass Unternehmen künftig dazu verpflichtet werden, ihre Zulieferer tatsächlich entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu überprüfen. Im deutschen Gesetz ist das etwas entschärft, aber man braucht sich nichts vormachen: Es gibt hier für Unternehmen enorme Herausforderungen. DIE FURCHE: Welche? Coudenhove-Kalergi: Ich möchte vorab außer Streit stellen, dass auch wir uns als Industrie hinter das große Ziel stellen, die Zustände zu verbessern, die im Argen liegen – vor allem in den Ländern des globalen Südens. Ich selbst habe lange in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet. Das Problem ist das geplante Gesetz. Wenn die darin enthaltenen Anforderungen völlig an der wirtschaftlichen Realität von Unternehmen vorbeigehen, ist es schwer anwendbar. Selbst Unternehmen, die sich engagieren und Vorreiter sind, sind massiv überfordert. Und als Antwort bekommt man vom Gesetzgeber: Keine Sorge, das wird alles nicht so heiß gegessen wie gekocht. So kann man mit einem Rechtstext nicht umgehen! Und wenn der Gesetzgeber oder auch NGOs nicht einmal den Unterschied zwischen Wertschöpfungs- und Lieferkette wissen (siehe Infokasten S. 8), ist die Diskussion schwierig. Es wird uns zu wenig zugehört. Und wenn eine Antwort kommt, dann der Vorwurf, Lobbying für große Konzerne zu betreiben. DIE FURCHE: Hören Sie den Unternehmen nicht zu Herr Rehling? Konrad Rehling: Das würde ich zurückweisen. Südwind steht für Dialog. Aber natürlich vertreten wir Positionen, die wir auf Basis unserer Erfahrungen entwickelt haben. Seit mehr als 20 Jahren arbeiten wir im Rahmen der Clean-Clothes-Kampagne an der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in der Textilindustrie, aber wir beschäftigen uns auch stark mit der IT- und Elektronikindustrie. Mittlerweile wissen wir sehr gut, wie die Missstände im globalen Zusammenhang aussehen. Durch die neuen Gesetze besteht nun erstmals die Möglichkeit, dass Staaten tatsächlich menschenrechtliche Verantwortung in einem globalen Geschäftskreislauf wahrnehmen – und durch Direktiven an die Unternehmen übertragen. DIE FURCHE: Aber was sagen Sie zum Vorwurf, das Gesetz sei „nicht praktikabel“? Rehling: Es gibt unterschiedliche Arten von Lieferketten. Wenn es etwa im Einzelhandel darum geht, Bananen einzukaufen, ist die Lieferkette einfach zurückzuverfolgen: Sie umfasst die Bananen-Bauern, unselbstständige Angestellte auf oft großen Plantagen, große Konzerne wie Chiquita, Fracht- und Transportgesellschaften, Importeure in Europa und am Ende die großen Handelskonzerne. Bei diesen sehen wir im Wesentlichen die Verantwortung. DIE FURCHE: Was wäre das Gegenstück zu dieser einfachen Bananen-Lieferkette? Coudenhove-Kalergi: Nehmen wir als Beispiel einen einfachen Müsliriegel mit Zutaten aus 34 Herkunftsländern: Wenn man durch die neuen Gesetze jeden dieser Inhaltsstoffe nachverfolgen und kontrollieren muss, kann man sich vorstellen, wie der Aufwand explodiert – und zwar schon ab der ersten Lieferkettenebene. Auf die Frage, wie man das organisieren soll, habe ich noch keine gescheite Lösung gehört. Die Textilindustrie hat Lieferketten, die sich permanent verändern, je nach Produkt oder der Farbe eines Produkts. Das nachvollziehen zu können, ist extrem schwierig, auch wenn man mittlerweile mit Artificial Intelligence arbeitet. Dazu kommt, dass die direkten Lieferanten der Unternehmen ihre Zulieferer nicht bekannt geben müssen oder wollen. Es gibt ja auch rechtliche Grenzen. Und da rede ich noch gar nicht davon, wie man agieren soll, wenn Waren an einer Börse gehandelt werden, etwa auf dem Spotmarkt. Oder beim Recycling. Die EU will die Kreislaufwirtschaft fördern und verpflichtet zugleich Unternehmen, den Abfall, den man behandelt, bis zum Ursprung zurückzuverfolgen. Das ist nicht praktikabel. Rehling: Wenn wir die Menschenrechte und das Klima schützen wollen, müssen wir uns daran gewöhnen, dass auch die Praxis verändert werden muss. Ich will jetzt nicht über Details wie den Spotmarkt sprechen, das sind Entwicklungen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten Unternehmen geholfen haben, billig einzukaufen, zu verarbeiten und die Weltmarktentwicklungen zu nutzen. Und wenn man sich den Textilbereich ansieht, so hatten es Unternehmen sehr leicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ein großes Modelabel wie Zara konnte sagen: Es ist mir egal, woher die Teile kommen, weil wir sind ja dynamisch. Es kann aber nicht die Lösung sein, immer beim billigsten Zulieferer einzukaufen. Und dafür sollen diese neuen Gesetze den Rahmen bieten. Lesen Sie unter „Kein Akteur kann Hunger oder Armut allein lösen“ (12.10.2022) ein Interview mit Wirtschaftsethikerin Ramona M. Kordesch. „ Dieses Gesetz geht völlig an der Realität vorbei. Aber der Gesetzgeber sagt nur: ,Das wird nicht so heiß gegessen wie gekocht.‘ “ Barbara Coudenhove-Kalergi Ich bin bei Ihnen, dass die Implementierung komplex sein wird, aber es gibt wie gesagt Artificial Intelligence bzw. die Blockchain-Technologien. Und es gibt auch Datenbanken, wo sich diese Zusammenhänge nachvollziehen lassen. Wir als NGOs müssen nicht im Sinne von Watchdogs überall hineinsehen können, es gibt ja auch Betriebsgeheimnisse. Aber die Lieferketten müssen für jene transparent sein, die das alles überprüfen. Coudenhove-Kalergi: Aber Sie fordern eine hundertprozentige Transparenz – und dass Unternehmen auch Daten über die Zusammensetzung der Belegschaft ihrer Zulieferer offenlegen müssen. Wie viele Informationen wollen wir noch produzieren? Und wem bringt das etwas? Wir stellen außer Streit, dass es auch negative Auswirkungen der Globalisierung und des kapitalistischen Systems gibt. Aber was bringt es Menschen, die in Ländern ohne Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit unter schrecklichen Arbeitsbedingungen arbeiten, dass österreichische oder deutsche Unternehmen hunderte sinnlose Zahlen in einen Report schreiben? Es ist eine totale Überfrachtung und Überdehnung, diese Verantwortung privaten Unternehmen überwälzen zu wollen. In der ganzen Debatte werden moralische und betriebswirtschaftliche Dimensionen vermischt. Selbstverständlich tragen Unternehmen ihre Verantwortung. Aber sie können als nicht legitimierte Akteure nicht allein die Unbill der ganzen Welt tragen. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel eines großen österreichischen Bauunternehmens, das sich aufgrund des deutschen Lieferkettengesetzes aus dem afrikanischen Markt zurückzieht. Die Verantwortlichen sagen, dass sie sich das Foto: iStock/urzine FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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