Aufrufe
vor 1 Jahr

DIE FURCHE 19.01.2023

  • Text
  • Furche
  • Islam
  • Menschen
  • Wien
  • Unternehmen
  • Frauen
  • Zeit
  • Eltern
  • Kinder
  • Welt

DIE

DIE FURCHE · 3 14 Diskurs 19. Jänner 2023 ZEITBILD „ Er ist einer, der mit der Truppe kann und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden. “ Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz über den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Der bisherige niedersächsische Innenminister soll als Nachfolger der glücklosen Christine Lambrecht „die Bundeswehr durch diese Zeitenwende führen“. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von N.N. Nr. 13/30. März 1957 Gina und die Wiener Foto: imago / Cover-Images Tod und Zerstörung weitab der Front Eine russische Kh-22 (laut ukrainischen Quellen), gedacht für Angriffe auf Schiffe, trifft vergangenen Samstag einen Wohnkomplex in der Industriestadt Dnipro. In den Trümmern sterben mindestens 44 Menschen, darunter fünf Kinder. Die Suche nach Überlebenden wurde nach 76 Stunden eingestellt. Der zerbombte Wohnblock der einst viertgrößten ukrainischen Stadt (400 km südöstlich von Kiew) gilt als einer der folgenschwersten Angriffe dieser Art, seitdem Russland vor drei Monaten damit begann, in Wellen ukrainische Städte auch weit entfernt von der Front mit Raketen zu überziehen. Dass die Zerstörung des Wohnblocks möglicherweise eine Folge der ukrainischen Verteidigung ist, ist nicht ausgeschlossen. Für den Kreml ist es sogar die „einzig denkbare Erklärung“. Man beteuerte wiederholt, keine zivilen Ziele ins Visier zu nehmen. Eine Darstellung, die seitens der ukrainischen Führung vehement zurückgewiesen wird. So sollen seit der Invasion am 24. Februar 2022 mehr als 9.000 Zivilisten getötet worden sein. „453 davon waren Kinder“, erklärte der Stabschef des Präsidenten, Andrij Jermak, in seiner aktuellen Stellungnahme beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Sein Land habe zudem mehr als 80.000 russische Kriegsverbrechen verzeichnet. Im Zuge des WEF und eines Treffens im deutschen Ramstein erhofft man sich weitere Zusagen in puncto Waffenlieferungen. (APA, bqu) ALSO SPRACH Italiens Filmikone Gina Lollobrigida ist tot. Die einst als „schönste Frau der Welt“ gefeierte Schauspielerin verstarb 95-jährig in Italien. Von 1956 bis 1959 gewann sie in Deutschland vier Mal in Serie einen Bambi als beste internationale Schauspielerin. Das feierte auch Wiens Presse. Italiens Filmstar Nummer 1, Frau Gina Lollobrigida, kam auf der Durchreise von Deutschland (wo sie den Bambi-Preis in Empfang genommen hatte) nach Italien in unsere Stadt. Sie war zum ersten Mal in Wien, und der kurze Besuch hatte rein privaten Charakter. Um so bedauerlicher ist der Wirbel, der von einigen Gschaftelhubern und einigen Zeitungen veranstaltet wurde. Auch stellte sich bald heraus, daß die berühmte Schauspielerin für die Veranstaltung einer Wiener Künstlervereinigung eingespannt werden sollte – was weder sie noch ihr Gatte wollte. Lesen wir den Folgenden dramatischen Bericht in einem Mittagsblatt (Sperrungen und Zwischentexte von uns): […] 16 Uhr, im Hoffoldinger Forst, 25 Kilometer nach München: Gina rückt ganz eng an Mirko und lehnt ihren Kopf an seine Schultern. (Wahrscheinlich ahnt sie, welche „Freude” man ihr in Wien vorbereitet!) […] 20 Uhr: Aufenthalt in Linz. In der kleinen Bar des Parkhotels ißt Gina Gemüsesuppe, Bratwürstel mit Kraut und Obstsalat, trinkt Bier und gibt dem Hoteldirektor ein Autogramm, während ihr Gatte beginnt, Skandal zu machen. (Weil man von ihm wollte, was er durchaus nicht wollte!) 23.02 Uhr: Ankunft im Parkhotel Schönbrunn in Wien. [...] Dr. Skofic [...] erklärt schließlich, er werde wahrscheinlich heute schon abreisen. Nun, Frau Lollobrigida und Gatte sind nicht am nächsten Tag abgereist […] Und dann, am nächsten Tag, besuchte sie höflich die schlecht besuchte Veranstaltung jenes Künstlerbundes, gab Autogramme und sagte: „Es tut mir wirklich leid. […] Auch uns tut das Ganze leid. [...] Lesen Sie hier den ganzen Text: Berufsbildung muss neu gedacht werden STADLERS MARKTFORUM Wilfried Stadler Herausgeber Wer hätte vor wenigen Jahren noch gedacht, dass uns nicht die Arbeit ausgeht, sondern die Arbeitskräfte? Die Erledigung von Routinearbeit durch Maschinen sowie die sprunghaften Produktivitätsfortschritte durch Robotisierung und Digitalisierung ließen erwarten, dass es unumkehrbar zu struktureller Arbeitslosigkeit kommen würde. Ausgeblendet blieb, dass all die arbeitssparenden maschinellen oder digitalen „Tools“ erfunden, erzeugt, weiterentwickelt und gewartet werden müssen und mit den Innovationen auch ganz neue Berufsbilder entstehen. Weitgehend unterschätzt wurde zugleich die Beständigkeit all jener persönlichen Arbeiten, die eben nicht durch Maschinen ersetzbar sind. Gemeint sind damit nicht nur die so wichtigen Sozial-, Lehr- und Pflegeberufe, sondern auch all jene Tätigkeiten, in denen der persönliche Einsatz, die gesammelte Erfahrung und das konkrete handwerkliche Tun trotz maschineller Unterstützung im Zentrum der Leistungserbringung stehen. Heute fehlen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt mehr als zweihunderttausend Fachkräfte. Ohne Not verlängerte Ausbildungswege Dazu kommt das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge, das gerade in den Lehr-, Gesundheits- und Pflegeberufen zu besonderer Personalknappheit führt. Dieser vorhersehbare demografische Trend wurde durch in den letzten Jahren ohne jede bildungspolitische Not vorgenommene Verlängerungen der Ausbildungswege massiv verschärft. Aus dem Ehrgeiz, in europäischen Vergleichsstatistiken von Akademikerquoten zu punkten, entstand der sachfremde Trend, vor viele berufliche Einstiege, für die bisher Fachausbildungen ausreichten, das Erfordernis eines Bachelor-Studiums zu stellen. Diese kopflastige Verlängerung der Zeit bis zum beruflichen „ Die überbewertete Akademisierung erhöht den sozialen Abstand zu den Lehrberufen. Diese verdienen längst mehr Ansehen, statt als Sammelbecken von Studienabbrechern angesehen zu werden. “ Einstieg benachteiligt jene jungen Menschen, die auch ohne solche Akademisierungsweihen über zuvor jahrzehntelang bewährte Bildungswege ausgezeichnet einsetzbar wären. Zudem erhöht die überbewertete Akademisierung den sozialen Abstand zu der Vielfalt all der Lehrberufe, die Absolventinnen und Absolventen von Pflichtschulen offenstehen. Sie mit dualer Bildung und späteren Einstiegsmöglichkeiten in vertiefende Studiengänge anzureichern, ist sinnvoller, als verlängerte Schulbänke zwanghaft vorzuschreiben, bevor praktisches Tun beginnen kann. Die Lehre als Ausbildungsweg verdient längst eine Aufwertung im sozialen Ansehen, statt, wie das allzu häufig geschieht, als Sammelbecken von Studienabbrechern angesehen zu werden. Der bloße Ruf nach mehr Aufnahmen von Immigranten – so sehr er in ausgewählten Teilbereichen Abhilfe schaffen mag – wird für die Lösung des Fachkräfteproblems ebenso wenig ausreichen wie die begrüßenswerten Konzepte zur Flexibilisierung des Weges in die (Teilzeit-)Pension. Es bedarf darüber hinaus eines neuen Zugangs, der von einem Menschenbild geprägt ist, das auf ganzheitliche Bildung von Hirn, Herz und Hand setzt. Realistische Reformkonzepte sind gefragt, die den tatsächlichen Erfordernissen wieder näher kommen. Medieninhaber (Verleger): Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Herausgeber: Prof. Heinz Nußbaumer, Dr. Wilfried Stadler Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Anzeigen: Georg Klausinger (01) 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Aboservice: (01) 512 52 61-52 aboservice@furche.at Alle: 1030 Wien, Hainburger Straße 33 (01) 512 52 61-0; vorname.nachname@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Das Abonnement kann frühestens zum Ende der Mindestbezugs dauer – unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist – jederzeit schriftlich abbestellt werden. Wenn keine entsprechende Kündigung erfolgt, dauert das Abonnement ein weiteres Jahr bzw. im Falle eines Halbjahresabos weitere sechs Monate. Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. www.furche.at

DIE FURCHE · 3 19. Jänner 2023 Diskurs 15 Nach Bekanntwerden der Anklage gegen Florian Teichtmeister wegen des Besitzes von Bildern sexuellen Kindesmissbrauchs gehen die Wogen hoch. Dabei wäre Differenzierung nötig. Ein Gastkommentar. Nur ein „digitales“ Delikt? Und nur Ächtung? Es war 2015, als unter dem Titel „25 Jahre Wegschauen?“ meine Rückschau auf den minimalen Erfolg der Bemühungen, sexuelle Misshandlungen von Kindern zu stoppen, erschienen ist: 1989 war es am Institut für Wissenschaft und Kunst zum ersten Symposium über dieses Thema gekommen sowie zum Start der Vereinsgründung von „Die Möwe“. 1991 war mein erstes Buch dazu erschienen – und am 9. Juli 1992 konnte ich ein Referat halten bei jener Parlamentsveranstaltung, in der zwei Videos aus dem Kompendium der vom Familienministerium beauftragten Studie „Kennwort Knospe“ (in der under cover nach Darstellungen sexualisierter Handlungen an Kindern geforscht worden war) gezeigt wurden. Stets habe ich dafür plädiert, den Erwerb und Besitz solcher Machwerke (quasi analog dem Hehler, der gestohlener Waren ankauft, besitzt und weiterverkauft) unter Strafe zu stellen – und dafür weitgehend Ablehnung geerntet. „Die schauen ja nur!“, hat es geheißen. Meine Überlegung dabei war aber: Nachfrage schafft Angebote – und die alltägliche Verfügbarkeit von Kameras (bzw. seit 2002 kameratauglichen Handys) fördert die Herstellung von „Homepornos“: Auf den beiden damals vorgeführten Videos war klar ersichtlich, dass die handelnden Männer wohl vertraut, offenbar Väter oder deren Freunde waren – Personen also, gegen die man sich nicht wehren kann (und „darf“). Und dass diese Aufzeichnungen Geld bringen sollten. Wer solche Darstellungen erwirbt, betonte ich, ist gleichsam anonymer Auftraggeber und soll diese Verantwortung tragen. Nicht erreichte Generalprävention Wie die vergangenen 30 Jahre und auch der aktuelle, medial heftig diskutierte Fall eines bekannten Schauspielers zeigen, hat sich der erhoffte Effekt der Generalprävention sexualisierter Kindesmisshandlungen nicht eingestellt: Allein im vergangenen Halbjahr kamen in Kindergärten, Schulen, Musikschulen, Sportcamps und Kliniken zahlreiche einschlägige Delikte an die heimische Öffentlichkeit. Und immer geschah dies mit einer vielen Menschen unverständlich großen Zeitverzögerung. NACHRUF Der Feuilletonist par excellence Externe Blattkritiken in Redaktionen bringen oft eher die Interessenslage der Lesenden zum Vorschein denn etwas anderes: Die einen konzentrieren sich auf den Politikteil und übersehen die Kultur, die anderen wiederum wissen, dass sie ihre Lektüre „hinten“ beginnen müssen und lesen sich gründlich nur durch das Feuilleton. Es gibt aber auch jene, die jeden Teil mit hoher Aufmerksamkeit bedenken und denen diese auch dann nicht verloren gegangen ist, wenn sie bei der Kultur ankommen, ganz im Gegenteil, die dann immer noch (und vor allem) hellwach sind. In meiner Erinnerung war es sehr still, als Ulrich Weinzierl einst bei der FUR- CHE als Blattkritiker zu Gast war und mit dem geübten Blick dessen, der sein Handwerk seit Jahren verstand – als Germanist, als Feuilletonist, als Leser, als Kritiker, als Stilist –, durch die Seiten blätterte. Dass er dann einen Beitrag lobte, der sich just einer Zeit widmete, die eines von Weinzierls Spezialgebieten war: unvergessliche Freude und Auszeichnung für den Autor des Beitrags, Thomas Ries. Ulrich Weinzierl, am 7. März 1954 als Sohn der Historikerin Erika Weinzierl und des Experimentalphysikers und Nuklearforschers Peter Weinzierl in Wien geboren, hat über Alfred Polgar promoviert und an ihm seinen Stil geübt. Ihn faszinierte und beeinflusste dessen „Kunst zu formulieren“: Polgar „schrieb für Zeitungen, von Phrasen umgeben, mit ihnen jonglierend, sie zerlegend, sie neu belebend – und in seinen besten Sätzen brachte er das Wort zu sich selbst.“ Foto: Robin N. Perner Das liegt einerseits daran, dass man sich das beim „netten Mann von Nebenan“ nicht vorstellen kann. Aber auch daran, dass man nicht weiß, wie man einen konkreten Verdacht oder eine Beobachtung (also nicht bloße Verdächtigungen oder Gerüchte!) ansprechen soll: nämlich direkt beim ersten Mal; dass man weder zwischen Pädophilie, Pädosexualität und Pädokriminalität unterscheiden kann, noch zwischen Zwangsstörungen, süchtigem Voyeurismus oder Horten (ohne zu konsumieren) – beides übrigens Hinweise auf unerkannte Depressionen; und dass man schließlich nicht weiß, was unbedenklich ist, was grenzwertig und was DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Rotraud A. Perner „ Was von Tätern ,neu gelernt‘ werden muss, ist das Ertragen von Spannungen und Leere. Das braucht Therapie. “ eindeutig verboten (strafbar sind nur Bilder sexueller Gewalt – nicht trivialer, egal wie sadistisch sie ist!). Es wird auch nicht zwischen den Formen des Lügens differenziert: dem Abstreiten der Tatsachen, dem Abstreiten von Kenntnissen – etwa der Verletzung der psychosexuellen Gesundheit bzw. der Strafbarkeit; dem Abstreiten der Auswirkungen (auch auf sich selbst) und letztlich dem Abstreiten von Verantwortung. Ich nenne dies „legales“ Lügen – denn niemand muss sich selbst beschuldigen gemäß dem Rechtsgrundsatz „Beschuldigte dürfen alles ihrer Verteidigung Dienliche vorbringen – Foto: © Leonhard Hilzensauer / Paul Zsolnay Verlag wahr muss es nicht sein“. Das gilt übrigens auch für Strafverteidiger, denn nur Zeugen stehen unter Wahrheitspflicht. Sollen Delikte und Verleugnungen unnötig werden, muss man jene Menschen, die sich zu solchen strafbaren Taten entschieden haben (denn es „passiert“ nicht!), dazu bringen, die Auslöser zu beseitigen. Aus meiner Berufserfahrung orte ich diese Auslöser in neuronalen Verschaltungen – die erworben sind und verändert werden können. Nicht nur das Verhalten ist also veränderbar, sondern auch die Verknüpfung von Wahrnehmen, Empfinden, Fühlen und Bewerten. Und zwar dauerhaft. Was dazu „neu gelernt“, also neuronal vernetzt werden muss, ist das Ertragen von Spannungen, Leere und das Aushalten von unerträglichen Gefühlen. Und das braucht Therapie, keine Ächtung. Der Kick, der die Leere füllt Die beste Prävention ist also immer die Wahrnehmung, wie sich welche Impulse aufbauen: bei anderen wie bei sich selbst. Beispielsweise dadurch, dass man bei einem Menschen nur das Anziehende oder das Dämonische sieht, aber nicht das Verletzliche oder Verletzte. Und das betrifft uns alle. Im großen Feld der Miss-Handlungen von Kindern zeigt sich der unbewusste Wiederholungszwang im „Hat mir nicht geschadet, wird dir auch nicht schaden“ – der bewusste hingegen im „Was der/die macht, muss ich auch probieren“. Dieser Nachahmungseffekt beginnt mit dem, was ich das „Kühlschrank-Syndrom“ nenne: Man spürt, dass etwas fehlt – Geborgenheit, Nähe, Energie (der „Kick“, ein Lustgefühl) – und sucht nach etwas, das die Leere füllt oder Verletzungen heilt. Und das Internet bietet viel dafür – vom Kochrezept bis zu Bildern von Kindesmisshandlung. Umso wichtiger ist es, einerseits denen zuzuhören, die ihre Verletzungen zeigen – und sich andererseits ruhig und vernunftbereit mit Tätern auseinanderzusetzen, statt sich in Lynchmanier zur Hexerjagd zusammenzurotten. Die Autorin ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und evangelische Pfarrerin im Ehrenamt. Der österreichische Germanist und Kulturjournalist Ulrich Weinzierl (geboren am 7. März 1954) starb am 13. Jänner 2023 in Wien. Für Zeitungen, von Phrasen umgeben, schrieb auch Weinzierl, viele Jahre als Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, später der Welt. Er galt als Experte für Autoren wie Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig. Mit seinen Nachworten zu Neuausgaben vermittelte er Autoren wie Robert Neumann („Die Kinder von Wien“), Egon Friedell („Kulturgeschichte der Neuzeit“) und Ludwig Winder („Der Thronfolger“) in die Gegenwart. Die vierbändige Ausgabe der Werke von Hermynia Zur Mühlen schloss er 2019 ab. Am Freitag, dem 13. Jänner, ist Ulrich Weinzierl verstorben. Er hat viel hinterlassen: zu lesen, zu entdecken, zu wissen. (bsh) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Gaga, er? Mitnichten! Richard Lugner ist einer der bekanntesten Österreicher. In Deutschland zumindest. Der Name Lugner ist dort jedem ein Begriff. Lugner ist der Ösi-Promi in Reinkultur. Dass man das hierzulande nicht gerne hört, ist mir bewusst. Dieser angejahrte Baumeister und sein gewöhnungsbedürftiges Einkaufszentrum; dieser komische Kauz, der an blutjunge Frauen Tiernamen vergibt; und dessen Opernball-Marotte: Gegen die Zahlung von mitunter sechsstelligen Summen schleppt er seit Jahrzehnten Stars an. Aus irgendeinem Grund blieb mir vor allem Dieter Bohlen in Erinnerung. Was natürlich vor allem mich disqualifiziert. Auch sein Wunsch, Bundespräsident zu werden, war einigermaßen schräg. Ein Hasi-, Bambi-, Katzi-Adabei als höchster Amtsträger im Staat? Nope. Nichtsdestotrotz halte ich Lugner für vollkommen unterschätzt. Wenn ich durch Wien spaziere, bin ich immer wieder erstaunt, wie oft der Firmenname „Lugner Bau GmbH“ an Baustellen zu lesen ist. Auch seine Marketingstrategie ist gewieft – von der Impfstraße mit entsprechenden Gimmicks über das kostenfreie Kasperltheater bis hin zur Kino- VIP-Lounge für Normalos. Dass „Mörtel“ als Testimonial für ungefähr alles fungiert, finde ich als stimmig. Die Werbeslogans können noch so hochnotpeinlich sein – der Chef ist sich nie zu blöd, sie auszusprechen. Natürlich kommt das seinem Ego entgegen. Aber noch mehr seinem Business. Warum ich gerade jetzt darauf komme? Weil Lugner seit Monaten mit seiner Gesundheit kämpft. So viel ich weiß, hat er eine Grippe verschleppt. Für einen 90-Jährigen kann das echt gefährlich werden. Wissen Sie, wer sein Traum-Operngast für 2023 wäre? Lady Gaga! Ich würde es ihm gönnen. Weil er ist, wie er ist. Und das ist gut so. Post-Pandemie Jetzt, da Covid-19 endlich, fast, beinahe, überwiegend, so ungefähr, einigermaßen, über kurz oder lang, scheinbar, anscheinend, cum grano salis, bei näherer und fernerer Betrachtung, zumindest in seiner gefährlichsten Phase weitgehend vorbei ist – wobei man Long-Covid, die Vulnerablen, die Verletzbaren, die Sensiblen, die Schwachen, die Alten, die Jungen, die ganz Kleinen, die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und die Menschen in Krankenhäusern und Kuranstalten nicht vergessen darf und sich auch noch manchmal bei Gelegenheit daran erinnern sollte, dass das Risiko von Mutationen, neuen Varianten, neuen Krankheiten, neuen Seuchen und neuen Plagen niemals vollkommen und in alle Ewigkeit und überhaupt ausgeschlossen werden kann und deshalb eine Aktualisierung, Neufassung oder Generalüberholung des aus dem Jahr 1913 stammenden Epidemiegesetzes ganz gut und langsam angebracht und hilfreich und präventiv gesehen nicht ganz falsch wäre – in dieser singulären Phase also hätten die Bundesregierung im Allgemeinen und Gesundheitsminister Johannes Rauch im Besonderen womöglich einmal ein bisschen Zeit, um sich um eine strukturelle Reform des Gesundheitssystems zu kümmern. Doris Helmberger

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023