DIE FURCHE · 29 16 Medien 18. Juli 2024 Einzigartige Akkustik Das Funkhaus ist in den 30er-Jahren entstanden und war eines der ersten Gebäude weltweit, die für Radiobetrieb geschaffen wurden. Von Bernhard Baumgartner Der Schriftzug „ORF“ ist schon weg. Die prominente, schwarze Aufschrift an der Außenhaut des Funkhauses in der Argentinierstraße 30a in Wien wurde kürzlich um die Buchstaben „ORF“ verkürzt. Nur noch „Funkhaus“ steht da. Der Teil-Abriss an der Fassade spiegelt wider, was sich schon länger im Inneren des historischen Gebäudes abspielt. Denn das Funkhaus war zu großen Teilen schon 2016 vom ORF an die Vorarlberger Baugruppe Rhomberg verkauft worden. Zug um Zug wurde abgesiedelt, geräumt und umgebaut. Der Plan des Immobilien-Entwicklers: ORF raus, Luxus-Wohnungen rein. Klar, dass da auch das „ORF“ auf der Fassade weichen muss. „Finesse und Akribie“ Auch der Haupteingang des Hauses wurde kürzlich wegen der Umbau-Arbeiten gesperrt. Wer zu den wenigen, dem ORF noch verbliebenen Teilen des Hauses will, muss den Eingang über den Hof nehmen. Rhomberg Kein Abo? Jetzt DIE FURCHE 4 Wochen gratis lesen • frisch gedruckt vor die Haustür • online inkl. E-Paper für unterwegs • alle Artikel seit 1945 im FURCHE-Navigator Hier anmelden furche.at/abo/gratis +43 1 512 52 61 -52 aboservice@furche.at Das ORF-Funkhaus hat kürzlich seinen Haupteingang geschlossen, das Haus wurde an den neuen Eigentümer übergeben. Wo einst Radiogeschichte geschrieben wurde, entstehen nun hochpreisige Apartments. Hier strahlt nur noch der Wohn-Luxus Pssst! Erzählen Sie es gerne weiter ;) „ Das Medienzentrum in Neu Marx war zwar vom Tisch, doch da hatte man bereits durchgerechnet, wie viel Geld man lukrieren kann, wenn man das Funkhaus verkauft. “ übernimmt das Haus ohne den östlich gelegenen Radio-Sendesaal, den mittigen Peichl-Trakt und die westlichen Studios. Der „Kulturtrakt“ samt Radiokulturhaus und Radiocafé bleibt unverändert. So sieht es der Vertrag vor. Das ist auch kein Wunder, sind doch die meisten dieser historischen Teile rund um den Großen Sendesaal denkmalgeschützt. Hier sind gewinnbringende Umbauarbeiten daher von Haus aus nicht möglich. FM4, Ö1 und das Landesstudio Wien wurden schon vor längerem abgesiedelt. Die beiden Radios zogen auf den Küniglberg, das Landesstudio Wien in die nach dem Ö3-Umzug auf den Küniglberg leeren Ö3-Studios nach Heiligenstadt. Ob und wann das Studio Wien nach dem Umbau wieder ins Funkhaus zieht, ist offen. Ihr Heim, der sogenannte Peichl-Zubau, ist sanierungsbedürftig. Was Rhomberg mit der Liegenschaft vorhat, zeigt ein Prospekt des vorderen Gebäudes zur Argentinierstraße hin, das bereits fertig umgebaut wurde. Hier, in den Stockwerken über dem Radiocafé, kann man nun gleichermaßen hochpreisig wie gediegen wohnen. „On Air“ nennt Rhomberg ironischerweise das Projekt mit 21 Eigentumswohnungen in seinem Verkaufsprospekt. „Mit derselben Finesse und Akribie, wie seinerzeit die klanglichen Bedürfnisse berücksichtigt wurden, werden nun Räume für modernes, exklusives Wohnen geschaffen“, heißt es da. „Durch sorgfältige Neuinterpretation der zeitlos eleganten Architektur werden zeitgemäße Lebensräume mit höchstem Komfort gleichsam auf den Tonspuren großer Meister kreiert. Rhomberg gelingt hier ein Gesamtkunstwerk, das mit Bravour Tradition und Zeitgeist, Kultur und Wohngenuss zusammenführt“, lobt man sich selbst in dem 24-seitigen Hochglanz-Exposé. Penthouse ohne Käufer Das Dachgeschoß des Hauses ist übrigens noch zu haben. Das Loft, die „Primadonna unter den Wohnobjekten“ (Rhomberg), war ursprünglich als Luxus-Penthouse mit sagenhaften 243 Quadratmetern gedacht. Nun hat man die „Primadonna“, wie in dem Zaubertrick mit Säge, rüde mittig in zwei Hälften geteilt. Es fand sich angesichts des schwächelnden Immobilienmarktes kein Käufer für das Drei-Millionen-Euro-Penthouse. Jede der beiden 3-Zimmer-Wohnungen steht nun für immer noch beachtliche 1,49 Millionen Euro Kaufpreis im Prospekt. Obwohl angesichts der Krise üppige Rabatte vorgesehen sind, wie man suggeriert. Auch ein weiterer Bauabschnitt ist, dem Vernehmen nach, nun wieder fraglich. Auf dem Park- Foto: Manuela Tomic platz des Funkhauses ist ein mehrgeschossiges Holzhaus geplant. Auch hier sollen Wohnungen entstehen. Das Vorhaben steht offenbar kurz vor der behördlichen Genehmigung. Wann es realisiert wird, dürfte im Hinblick auf den schwächelnden Markt nun jedoch in Frage stehen. Die Zahlen, mit denen Rhomberg 2016 kalkuliert hat, dürften aus heutiger Sicht schwer zu refinanzieren sein. Details für den Umbau des Haupthauses, das nun geschlossen wurde, sind nicht bekannt. Es soll noch keinen fixen Plan geben. Dass das historische Gebäude 2016 trotz massivster Proteste aus Kunst und Kultur überhaupt verkauft wurde, ist auf politischen Druck auf den ORF zurückzuführen. Die Stadt Wien wollte ursprünglich den ORF vom Küniglberg absiedeln und alle Standorte auf einer brachen Fläche in Neu Marx konzentrieren. Dort sollte, direkt neben der Tangente, ein Medienzentrum entstehen. Der ORF wehrte sich mit Händen und Füßen, Bundeskanzler Werner Faymann gab letztlich nach und ließ Wien im Regen stehen. Neu Marx war zwar vom Tisch, doch da hatte man bereits durchgerechnet, wie viel Geld man lukrieren kann, wenn man das Funkhaus verkauft. Übrig blieb eine Erweiterung des Küniglbergs um mehr als 300 Millionen Euro und ein Verkauf des Funkhauses, der erhebliche Teile der Kosten der Expansion trägt. Gefährdung von Ö1 Ein Proteststurm aus praktisch allen Teilen der Kultur sowie der Radiomitarbeiterinnen und -mitarbeiter konnte auch nichts daran ändern. Die Kritiker sahen eine Gefährdung von Ö1 sowie ganz generell eine Gefährdung der historischen Substanz. Das Funkhaus ist in den 30er- Jahren nach den Plänen von Heinrich Schmid und Hermann Aichinger und unter Mitarbeit von Clemens Holzmeister entstanden und war eines der ersten Gebäude weltweit, die für Radiobetrieb geschaffen wurden. Einzigartig ist etwa die Geometrie der Studio- Räume, die eine spezielle Akustik für Studiobetrieb erzeugen. Selbst Rhomberg konzediert diese Einzigartigkeit in seinem Prospekt, ironischerweise nicht erkennend, das das gewissermaßen ein Nachruf ist: „Das ORF-Sendegebäude umgibt eine einzigartige Aura! Es war viele Jahrzehnte nicht nur Heimstätte diverser Radiosender, sondern auch Kreativzentrum und Kulturtreffpunkt.“ Da aber nur einige Teile, wie der Große Sendesaal, unter Denkmalschutz stehen, kann man nun rund um diese Teile herum bauen. Luxus-Wohnungen für Spitzenverdiener zum Beispiel. „Das Funkhaus Wien ist denkmalgeschütztes Radiohaus und charmanter Zeitzeuge österreichischer Identität und Kultur“, schreibt Rhomberg selbst. Nur eines ist es nun eben nicht mehr: ein Funkhaus.
DIE FURCHE · 29 18. Juli 2024 Film 17 Als Schauspieler hat er alles erreicht. Nun will der dänische Weltstar Mads Mikkelsen wieder mehr im eigenen Land drehen. Ein Gespräch über seinen neuen Film „King’s Land“ – und die moderne Dramatik, die er in einer historischen Figur des 18. Jahrhunderts entdeckt hat. „Seinen Platz im Leben finden“ Mads Mikkelsen will nach Hause Der Schauspieler sucht heute nach Rollen, die er in seiner eigenen Sprache erzählen kann. heutige Zuschauer annehmbar zu sein. Zugleich haben wir alle Dialoge gestrichen, in denen es um psychologische Befindlichkeiten ging. Das ist ja das Moderne: viele Dinge eingehend zu diskutieren. Das war damals wohl nicht so. Da hat man nicht viel über seinen eigenen Geisteszustand oder gar seine Gefühle gesprochen. Im Gegenteil: Man versuchte zu überleben, seinen Platz im Leben zu finden. Das Gespräch führte Matthias Greuling Düster und blutrünstig gibt sich „King’s Land“, der neue Film mit dem dänischen Weltstar Mads Mikkelsen. Es ist eine Art dänischer Western, basierend auf dem Bestseller „The Captain and Ann Barbara“ von Ida Jessen, der 1755 während der Regentschaft von König Frederick V. spielt: Mads Mikkelsen verkörpert hier den Soldaten Ludvig von Kahlen, der seinen Traum vom damals in Dänemark noch weithin unbekannten Kartoffelanbau verwirklichen will. Ein durchtriebener Adeliger behindert ihn beim Anbau auf einem Stück Land, das er für sich reklamiert. Die Situation zwischen den beiden Widersachern eskaliert bald: Sie äußert sich in ziemlich brutalen Folterpraktiken und einem dann sehr rachedurstigen Finale. Mads Mikkelsen präsentiert sich darstellerisch in Höchstform. DIE FURCHE: Was hat Sie an dieser Figur des Ludvig interessiert, diesem einerseits archaischen, andererseits leidenschaftlichen und auch intelligenten Mann? Mads Mikkelsen: Ich konnte bestimmte Dinge in Ludvig erkennen, die ich selbst gut kenne – wie zum Beispiel, dass man sehr ehrgeizig ist und einen gewissen Antrieb hat, seine Ziele zu verfolgen. Möglicherweise sieht man nicht immer, was um einen herum ist, weil man so konzentriert ist. Außerdem ist es immer interessant, wenn eine Figur nicht nur äußeren Einflüssen ausgesetzt ist, die ihr Schicksal formen, sondern dass sie eigentlich hauptverantwortlich für ihr eigenes Schicksal ist. Ludvig hat in dieser Geschichte so viele Möglichkeiten, nach links statt nach rechts zu gehen und den Verlauf seiner eigenen Geschichte zu ändern. Es ist dramatisch, eine Figur zu spielen, die so verzweifelt Teil von etwas sein will, das sie liebt. „ Ich bin mit Actionfilmen aufgewachsen! Ich habe nie davon geträumt, Schauspieler zu werden. Aber ich wollte der Pirat sein, den ich als Kind im Film gesehen hatte. “ DIE FURCHE: Wie haben Sie es geschafft, dass sich Ludvig wie ein Mann aus dem Jahr 1750 anfühlt, mit dem man sich in der Gegenwart trotzdem identifizieren kann? Mikkelsen: Das ist eine sehr fragile Balance, die man da finden muss. Es gibt einige Dinge, die man in den 1750er Jahren nicht getan hat und die wir im Film tun – zum Beispiel gibt es einen Kuss, den man erst in den 1880er oder 1890er Jahren so gemacht hätte. Aber für uns war das eine emotionale Entwicklung in der Figur. Solche „Freiheiten“ nimmt man sich, um auch für DIE FURCHE: Sie haben eine große internationale Karriere gemacht. Wie fühlt es sich da an, wieder einen Film in der eigenen Heimat zu drehen? Mikkelsen: Vor zehn Jahren hätte ich wahrscheinlich gesagt, es ist egal, wohin mich die Arbeit führt – ich bin damit immer glücklich. Das ist bis heute so, aber eben nur zum Teil. Ich habe herausgefunden, dass es da auch diese Notwendigkeit gibt, nach Hause zu kommen: Ich suche heute tatsächlich mit Nachdruck nach Rollen, die ich in meiner eigenen Sprache und mit meinen eigenen Leuten erzählen kann. DIE FURCHE: Sie selbst haben schon in diversen Genres gespielt. Darunter sind dennoch erstaunlich viele Historienfilme... Mikkelsen: Absolut, und die meisten Period- Pieces, die ich bisher gemacht habe, waren eher im Action-Genre angesiedelt wie etwa „King Arthur“. Sogenannte Schwert-Schwinger-Filme, die ich gerne gemacht habe, bevor ich dafür zu alt war. Und ich habe das genossen. Ich bin mit Action-Filmen aufgewachsen! Ich habe auch nie davon geträumt, Schauspieler zu werden. Aber ich wollte dieser Pirat sein, den ich als Kind im Film gesehen hatte. Ein Historiendrama wie dieser Film oder vor zehn Jahren „A Royal Affair“ bringt immer auch mit sich, in eine Rolle zu „schlüpfen“. Da hat es mir sehr geholfen, im Kostüm an historischen Orten zu spielen. Aber gerade dieser Film schafft es meiner Meinung nach auch, die Emotionsebene ins Heute zu holen, während die Charaktere in einem Geschichts-Setting agieren. DIE FURCHE: Ihren großen internationalen Durchbruch hatten Sie 2006 als Bond-Bösewicht in „Casino Royale“. Eine Rolle, die Sie auch manchmal verflucht haben? Mikkelsen: Nein, nie wirklich. Da bin ich wirklich in der glücklichen Lage, dass ich so viele unterschiedliche Rollen gespielt habe, dass ich nie auf diesen Bond-Bösewicht festgelegt wurde. Ich habe ihn sehr gerne gespielt! King’s Land DK 2023. Regie: Nikolaj Arcel. Mit Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg. Filmladen. 128 Min. ACTION-THRILLER Frauenliebe unter lauter Versatzstücken des Trash-Kinos Zwischen Jackie (Katy O’Brian, links) und Lou (Kristen Stewart) funkt es von Beginn an. Von Otto Friedrich Genau 30 Jahre sind vergangen, seit Quentin Tarantino mit „Pulp Fiction” den Trash auch im Kino satisfaktionsfähig gemacht hat. Inzwischen hat es nicht an mehr oder weniger erfolgreichen Epigonen gemangelt. Aber was die britische Regisseurin Rose Glass in ihrem zweiten Spielfilm „Love Lies Bleeding“ vorlegt, treibt das kultige Genre in eine neue Dimension. Was im Übrigen auch der unnachahmlichen Performance der beiden Hauptdarstellerinnen Kristen Stewart und Katy OʼBrian geschuldet ist. USA 1989. Auf dem Weg nach Las Vegas, wo sie an einem Bodybuilding-Wettbewerb teilnehmen will, verschlägt es Jackie (OʼBrian) in eine Kleinstadt in the midst of nowhere. Dort macht die Bodybuilderin die Bekanntschaft von Lou (Stewart), die ein Fitnessstudio betreibt – und die beiden Frauen verlieben sich ineinander. Lou würde ja gern aus der Enge der Kleinstadt ausbrechen, aber fühlt sich ihrer Schwester Beth (Jena Malone) verpflichtet, um ihr gegen deren prügelnden Ehemann JJ (Dave Franco) beizustehen. Lou versucht sich außerdem von den kriminellen Machenschaften ihres Vaters Lou Sr. (Ed Harris) abzugrenzen. Doch als Jackie ausgerechnet in dessen Schießsport- Club anheuert, ist Lou not amused. Um zu diesem Job zu kommen, lässt sich Jackie auf ein außereheliches Kurzabenteuer mit JJ ein. Als letzterer Beth spitalsreif prügelt, greift Schwester Lou zur Selbstjustiz. Und Jackie hilft, JJ in einer unwegsamen Schlucht zu entsorgen. Die Tat wird ruchbar, aber das FBI entdeckt in der Schlucht weitere Überreste von Mordopfern. In dieser Art geht es weiter und weiter: Jackie fährt allein zum Wettbewerb nach Vegas, landet dort schließlich im Gefängnis, wo Lou versucht, sie freizubekommen. Lou ihrerseits muss sich mit einer unliebsamen Zeugin der JJ-Tötung, der lesbischen Daisy (Anna Baryshnikov), abgeben – sie und Jackie verstricken sich weiter in unübersichtliche bis ausweglose Lagen, die man aber, so beispielsweise ein Schießeisen zur Hand ist, doch kurz und bündig bereinigen kann. Ein pralles Szenario nach dem andern imaginiert Rose Glass mit Farbenpracht und Lichtdurchflutung. Und auch wenn die verquere queere Liebe zwischen Jackie und Lou den Plot bestimmt, sammelt „Love Lies Bleeding“ trashige Versatzstücke dieses Genre-Kinos in geradezu impertinenter Nonchalance ein. Ein wenig Mystery, Sex einmal mehr exzessiv – und das alles im Dienst einer Sache, in der die Guten am Ende siegen wollen. Allerdings pflastern Leichen deren Weg. Love Lies Bleeding USA/GB 2024. Regie: Rose Glass. Mit Kristen Stewart, Katy OʼBrien, Jena Malone, Ed Harris. Filmladen. 104 Min.
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