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DIE FURCHE 18.06.2025

DIE FURCHE

25 · 18. Juni 2025DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 81. Jg. · € 6,–Menschenrechte: Wettlauf nach unten „Alltag und Tragödie sind Nachbarn“ Wie Russland eine Großmacht wurdeDie immer repressivere EU-Migrationspolitikschreckt vor der Aushöhlung der Menschenrechtskonventionnicht zurück. · Seiten 5–6Der Amoklauf in einer Grazer Schule zeigt, wie sichdas Leben in einem Moment für immer verändernkann. Reflexionen über Trauer. · Seite 7Martina Winkler deutet in ihrer Biografie über ZarPeter I. den russischen Herrscher und Gründer vonSt. Petersburg neu. · Seiten 13–14Das Thema der WocheSeiten 2–4Die Charta derVereinten Nationenwird 80 – und steht imAbseits. Wer bringt siezurück?Foto: Wikipedia / C.Stadler / Bwag (cc by-sa 4.0)Die UNOfehltFoto: BildnachweisÄrger imParadiesPapst Leo XIV. lässt überraschendStift Heiligenkreuz untersuchen.Während sich die Abtei keinerSchuld bewusst sein will, nenntein römisches Dekret bereitsGründe für die Visitation – undauch, wer diese durchführen soll.Eine Nachforschung.Seite 9Wo Ordnung aus Geschichten, Zugehörigkeit und kollektiver Erinnerung entsteht, bleibt der Westensprachlos. Gedanken zur Eskalation im Nahen Osten.Jenseits des VerstehensVon Brigitte QuintDer Krieg zwischen Israel undIran legt in brutaler Klarheitdie Unfähigkeit der westlichenWertegemeinschaft offen,auf eine Region zu reagieren,die nicht nach ihren politischen, rechtlichenund kulturellen Regeln funktioniert.Israel agiert in diesem Konflikt aus einerexistenziellen Logik heraus. Die Bedrohungdurch das iranische Atomprogrammist keine abstrakte oder gar diplomatischmoderierbare Gefahr, sondern eine reale.Sie ist gespeist von der Vernichtungsperspektive,die Teheran immer wiederrhetorisch aufruft und mit der Unterstützungradikaler Milizen wie der Hisbollahkonkret untermauert. Für PremierministerBenjamin Netanjahu (vgl. Seite 10)ist die Eskalation zugleich sicherheitspolitischesMittel und innenpolitische Taktik:Sie stabilisiert seine Macht, sie emotionalisiertdie Gesellschaft, sie verschiebtden Fokus. Gleichzeitig beruht Israels Sicherheitsdenkennicht auf Vertrauen inVerträge oder multilaterale Institutionen(vgl. Thema der Woche), wie das etwa beiden G7-Staaten der Fall ist. Es gründet aufder tiefen Überzeugung, dass Sicherheitnur durch Selbstverteidigung gewährleis­„ Israels Sicherheitsdenkenberuht nicht aufVertrauen in Verträgeoder multilateraleInstitutionen.“tet werden kann. Notfalls mit militärischerHärte. Für postheroische Gesellschaften,die Gewalt primär als Scheitern begreifen,ist das kaum nachzuvoll ziehen.Auf der anderen Seite steht ein Iran, dermit völlig anderer strategischer Grammatikagiert. Teheran versteht sich nicht als rationalerAkteur im westlichen Sinne, sondernals symbolische Gegenmacht zur liberalenOrdnung. Es geht nicht nur um Einfluss,sondern um Bedeutung. Die „Achse des Widerstands“,zu der Milizen wie die Huthioder die Hisbollah zählen, ist kein rein militärischesBündnis, sondern ein semantischerRaum, in dem Macht durch Narrative,Identität und Martyrium erzeugt wird.Projektionsraum der OhnmachtDer Westen, der ohnehin zum Phantomverkommt, begegnet dieser tief codiertenWirklichkeit mit seinen klassischen Instrumenten:Völkerrecht, Verträgen, diplomatischenVerfahren. Doch diese Werkzeugegreifen nicht. Vermutlich kann nur der imNahen Osten politische Wirkung erzielen,der versteht, dass Ordnung nicht durch Verträgeoder „Deals“, sondern durch geteilteBedeutungen entsteht: durch Geschichten,Zugehörigkeiten, kollektive Erinnerung.Wahr ist aber auch, dass das iranischeBestreben nach einem Atomwaffenarsenalreal und existenziell bedrohlich ist. In ersterLinie für Israel, mittelfristig für die gesamteWeltgesellschaft. Diese Gefahr einfachzu ignorieren, wäre fahrlässig.Expertinnen und Experten sprechen dahervon der Notwendigkeit einer „doppeltenBewegung“. So brauche es realpolitischeHärte bei gleichzeitiger strategischerDialogbereitschaft. Ob es einem gefällt odernicht: Iran ist ein Machtfaktor, der nicht ignoriertoder isoliert werden kann. EinseitigeMaximalforderungen sind fehl am Platz.Vielmehr sollte man einen Verhandlungsrahmenkreieren, der die Sicherheitsbedürfnissealler relevanten Akteure ernst nimmt:von Israel bis zur schiitischen Diaspora.Mehr noch: Für sämtliche westliche Vermittlergilt es, sich kulturell neu aufzustellen.Es reicht nicht, politische Rhetorik zuvariieren oder diplomatische Formate zuerneuern. Gefragt ist ein tieferes Verständnisder symbolischen Logiken dieser Region– ihrer Zeitvorstellungen, Opfererzählungen,Machtbilder. Nur wer diese„unterirdische Grammatik“ versteht, kannlangfristig wirksame Politik machen.Andernfalls bleibt der Nahe Osten einProjektionsraum westlicher Ohnmacht.Der Krieg zwischen Israel und Iran ist dahernicht nur ein regionales Drama. Er istein Prüfstein dafür, ob die westliche Wertegemeinschaftfähig ist, sich intellektuellund strategisch auf eine Welt einzustellen,in der Teile fernab der eigenen Selbstverständlichkeitenagieren.brigitte.quint@furche.atAUS DEM INHALTGegen die digitale NaivitätSeit dem Schuljahr 2022/23 ist DigitaleGrundbildung Pflichtfach an ÖsterreichsMittelstufen. Über praxisnahe Ausbildung,Programmieren und Internet-Ethik. Seite 8Die Oleanderblüte „Del Deserto“In seiner neuen Kolumne „Fundstücke“schreibt der Publizist und Ö1-MitbegründerHubert Gaisbauer über das (Wieder-)Findenkleiner Dinge und großer Worte. Seite 10Ein Labyrinth für AuskennerNach dem Budgetbeschluss müssten jetztReformen angegangen werden – mit demFöderalismus ganz oben. Franz Prettenthalererklärt, warum das so schwer ist. Seite 11Zurückhalten statt vereinfachenDie Berichterstattung über den Amoklaufin Graz stand zuletzt in der Kritik.Eine Einordnung, was Medien in solchenSituationen tun sollten. Seite 16„Hier wird Ehrfurcht evoziert“Das Projekt SpaceBuzz ermöglicht einenWeltraumflug in der virtuellen Realität. DerPsychologe Max Louwerse über Kraft undFolgen des Overview-Effekts. Seiten 18–19@diefurche@diefurchefurche.at@diefurche.bsky.socialDie FurcheÖsterreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0

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