REZENSION Von Heidi Lexe Café Käfer Von Marie Gamillscheg und Anna Süßbauer Leykam 2024 64 S., geb., € 20,50. Ab 4 J. Heupferdchen, hüpf! Von Elisabeth Steinkellner und Michael Roher Tyrolia 2024 24 S., geb., € 12,95. Ab 2 J. M iniaturwelten sind von der Kinderliteratur schon immer mit großem Interesse in den Blick genommen worden: Die versteckten Orte in Baumhöhlen und Blumenkelchen, hinter Dielen und unter Treppen werden dabei zu Handlungsräumen, in denen die Kleinsten der Kleinen ihre Abenteuer erleben – vom Däumelinchen über die Biene Maja bis zu den Borgern oder Heinzelmännchen. Doch gerade Insekten eignen sich aufgrund ihrer Größe und Vielfalt, insbesondere aber durch ihre beträchtliche Anzahl auf besondere Weise, um eine Miniaturwelt wimmelnd zu beleben und dabei menschliche Charakterzüge zu spiegeln. Hat sich im Animationsfilm „Antz“ noch die enervierte Ameise mit der Stimme von Woody Allen auf die Therapiecouch gelegt, war es im Insektenkrimi „Die Wanze“ von Paul Shipton ein Käfer mit dem Spitznamen Bug Muldoon, der im Hard-Boiled-Stil eines Sam Spade im Garten ermittelt und dabei immer wieder auf einen Drink in Dixies Bar vorbeigeschaut hat. Wichtigste Regel für den Insektenbesuch in Dixies Gartenbar: Was nicht auf der Speisekarte steht, wird nicht verspeist. Zu einer prekären Fresssituation dieser Art kommt es im „Café Käfer“ nur einmal: als sich nämlich die Marienkäfer futtertechnisch an jenen Läusen vergreifen wollen, die den Ameisen als Haustiere (und Honigtau-Spender) dienen. Die allgemeine Aufregung, für die auch ein Zwist zwischen (zugewandertem) Japankäfer und (heimischem) Hirschkäfer sowie Genderfragen zwischen Regenwurm und Wanze sorgen, wird von Käfer Karli, der Cafébesitzerin, mit einer kleinen Polit-Ansprache über Insektendiversität befriedet. Denn schließlich soll es im „Café Käfer“ darum gehen, die unterschiedlichsten Insektenmentalitäten zu einer zünf- Illustration: Anna Süßbauer / Leykam Verlag KRABBLER AUF DEM WEG IN DEN FRÜHLING WUNDERBAR SIND JENE BEIDEN BILDERBÜCHER, DIE HIER DIE BUNTE VIELFALT, DORT DIE ENTSCHLEUNIGUNG UND ACHTSAMKEIT DER KLEINSTEN TIERE FEIERN. tigen Insektensause zusammenzuführen und damit ein lebendiges Zeichen gegen die zunehmende Leere am Fuße des Menschenhauses zu setzen. Marie Gamillscheg und Anna Süßbauer verorten ihre Gartencaféstory im Bilderbuchformat zwischen dem bunten Treiben, zu dem nur die Vielfalt führt, und dem ökologischen Seufzer, der sich in einem Menschenfuß verdichtet. Rasch wäre es vorbei mit dem „Café Käfer“, würde dieser Fuß nur einige Zentimeter weiter links auftreten. Dann wäre Schluss mit lustig und der unausgesprochenen Parole, die der bunten Party eingeschrieben ist: Insekten sind für den Menschen und das ihn umgebende Ökosystem wichtig. Biologische Besonderheiten der Cafébesucherinnen werden daher immer wieder transformiert ins Geschehen eingebracht – sei es als Animosität zwischen Wildbienen und Honigbienen oder als Nachtaktivität der Partygäste, für die das Café nicht nur einem krabbeligen Frühjahrsputz unterzogen, sondern auch mit allerlei Leuchtkörpern ausgestattet wird. (Das Team Ameise zum Beispiel macht mit seinem Talent für innenarchitektonische Details kleine Centmünzen zu Discolichtern.) Dazu kommen Urwaldsounds und Starkregenbeats aus der Jukebox, und schon steht dem krabbeligen, summenden Miteinander nichts mehr im Weg. Der explizite Fiktionscharakter samt aller menschlichen Zuschrei- 14
NACHWORT Hinausgelesen Von Brigitte Schwens-Harrant DIE SPRACHE DER BILDER bungen animaler Wesenszüge wird durch die Illustrationen betont, die der Feingliedrigkeit der Kerbtiere eine plakativ-effektvolle Absage erteilen. Gestreifte, gepunktete, vielfärbige Flächen werden auf charmante Weise zu kugeligen Insektenkörpern zusammengefügt und streichen die Materialität des Bildarrangements heraus. Farbintensiv werden Räume angedeutet und puppenhausartig mit einzelnen Requisiten bestückt, durch die das Café seinen ganz individuellen Charakter erhält und der Witz der Ereignisse herausgestrichen wird. Heuschrecken und Grashüpfer tauchen bei der rauschenden Party nicht auf. Die Frage nach dem Warum könnte das Buchstart- Pappbilderbuch „Heupferdchen, hüpf“ von Elisabeth Steinkellner und Michael Roher beantworten. Die beiden schicken das große und das kleine Heupferdchen auf den Weg – doch mit dem kindlichen Interesse am Balancieren, am Horchen, Schnuppern, Staunen und Sammeln sind einfach keine großen Hüpfer zu machen. Vielmehr scheint der Heupferdchennachwuchs ganz und gar der Entschleunigung und Achtsamkeit verpflichtet: „‚Nicht die Pfütze!‘, ruft das Große. / Doch es hilft kein Flehen: // Kleines wollte immer schon / mal im Wasser stehen.“ Ohne jede Gender- oder Diversitätsaufladung entsteht hier eine entzückende Kindergeschichte über die Aufregungen, die der Weg von hier nach dort bietet. Michael Roher wählt dafür dieselbe Farbfamilie wie Anna Süßbauer im „Café Käfer“: Magenta, Schattierungen von Grün und strahlendes Gelb weisen den Weg in den Frühling, der mit aufmunterndem „Heupferdchen, hüpf!“ durch Collageund Drucktechniken zu einer wunderbaren Welt einander überlagernder Farben und Formen wird. Insektiationell! „M eine Art zu recherchieren ist mehr ein Fahnden“, schreibt Anna Kim in ihren „Stefan Zweig Poetikvorlesungen“, die sie für die Buchform „Zwischen Fakt und Fiktion“ (Sonderzahl 2024) überarbeitet hat: „Ich folge einer Spur. Diese führt mich zu einer anderen Spur, und diese wieder zu einer oder mehreren anderen Spuren. Es kommt immer der Moment, an dem sich eine Spur aufteilt und ich entscheiden muss, ob ich abbiege oder auf derselben Spur bleibe. Oder, wie im Fall von Anatomie einer Nacht, jede Spur versickert, endet im Nichts.“ 2004 hat Anna Kim mit ihrem im Droschl Verlag erschienenen Debüt „Die Bilderspur“ auf sich aufmerksam gemacht. Die Spur des Bildes war in dieser erstaunlichen Prosa unübersehbar, nicht nur im Titel. Dass sie sich nun in ihren Poetikvorlesungen auch dem Bild zuwendet, verwundert nicht: „Manchmal frage ich mich, ob meine wahre Muttersprache nicht die Sprache der Bilder ist.“ Die 1977 in Daejeon, Südkorea, geborene Autorin kam als Zweijährige mit ihren Eltern nach Deutschland. Als sie zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater, ein Künstler. Wie sehr dieser sie und ihr Schaffen geprägt hat, das lässt sich nach der Lektüre „Zwischen Fakt und Fiktion“ einmal mehr erahnen. „Wenn er zeichnete, saß ich oft neben ihm und beobachtete, wie auf dem Nichts eines weißen Blattes Leben entstand, hin und wieder durfte ich mitmachen, aber immer schwiegen wir, wir sprachen nicht, es war nicht nötig“, hält Anna Kim fest und zitiert dazu auch aus ihrem ersten Buch, „Die Bilderspur“. „Stricken“ nennt sie diesen Abschnitt ihrer Vorlesungen, es sei für sie das passende Bild für das Schreiben. „Es geht mir um die Unbarmherzigkeit des Fehlers. Es gibt kein Überspringen, kein Sich-darüber-hinweg-Schummeln – wenn man einen Fehler gemacht hat, muss man ihn wieder auftrennen, ihn beheben und kann erst danach weitermachen. Hier kommt der zweite spannende Aspekt des Strickens ins Spiel: Stricken ist streng chronologisch. Eine Reihe folgt der nächsten.“ Bilder ermöglichen die Gleichzeitigkeit der Darstellung. „Ein Bild, nehmen wir beispielsweise das Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch, erzählt mehrere Geschichten gleichzeitig.“ Schreibende hingegen, bedauert Kim, müssen immer der Reihe nach vorgehen. Selbst wenn sie Gleichzeitiges erzählen, können sie es doch nur, indem sie ein Wort nach dem anderen, einen Satz nach dem anderen setzen. Kunst und Literatur seien zwar völlig frei, das Mögliche und das Unmögliche auszuloten, aber Anna Kim versteht sie dennoch auch zielgerichtet. Sie erwartet, dass Kunst „mit unserer gewohnten Sichtweise bricht, sie auseinander- oder aufbricht, neue Perspektiven aufzeigt, Gewohntes aus anderen Blickwinkeln darstellt. Kunst ist auch die Verbindung von Reflexion mit Emotion, die Möglichkeit, subjektiv zu sein, ohne die Sphäre des Objektiven hinter uns zu lassen; Kunst ist [...] nicht nur da, damit es Kunst gibt – obwohl dies natürlich auch möglich ist und sein sollte –, sondern sie ist der Beginn eines Gesprächs –“. IMPRESSUM Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG, Hainburger Str. 33, 1030 Wien, www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner Chefredakteurin: Mag. 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