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DIE FURCHE 18.04.2024

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REZENSION EIN HEITERER

REZENSION EIN HEITERER PAKT Von Anton Thuswaldner J oseph Schöffel (1832–1910) hat sich verdient gemacht mit seiner investigativen journalistischen Arbeit, die einen großen Teil des Wienerwaldes vor der Abholzung bewahrte. Gleichzeitig machte er auf Amtsmissbrauch und Korruption aufmerksam, was ihm eine Menge Scherereien einbrachte. Keine Frage, für einen historischen Roman gibt diese Figur eine Menge her – und damit begannen meine Befürchtungen. Zu gravierend sind die Beispiele, in denen sich eine Person aus der Gegenwart in eine von früher einschleicht und so tut, als könnte sie sich siebenschlau zur Sprachführerin mit deren intellektueller und seelischer Verfassung ermächtigen. Barbara Kadletz geht dieser verführerischen Empathiefalle in ihrem Roman „Schattenkühle“ nicht auf den Leim. Sie hat nie die Absicht, uns einen angeblich authentischen Joseph Schöffel vorzustellen, von vornherein ist er als Kunstfigur angelegt, was ihr Freiräume in der Ausgestaltung gestattet. Mit Ironie schafft sie Distanz zu dieser Gestalt, die es so nie gegeben hat, der aber Sympathien zufließen, weil sie in ihrer sperrig altmodischen Art einen kleinen Stachel in unsere Gegenwart p fl a n z t . Und das geht so: Joseph Schöffel taucht unverhofft in der Gegenwart auf, in der ein subalterner Gemeindeangestellter gleichen Namens für ein Bürogebäude im Wienerwald geradestehen soll. Der Kämpfer für eine unzerstörte Umwelt und der Verteidiger des Raubbaus als Antagonisten, eigentlich Stoff für Kontroversen. Alles nicht so schlimm bei Kadletz, die politische Konflikte zu persönlichen Dramen herunterstuft. Niemand, auch er selbst nicht, ahnt, dass Schöffel durch einen Zeittunnel ins Heute gelangt ist. Für die einen ist er ein alter Spinner in schräger Aufmachung, der Zeitreisende selbst staunt über die technischen Errungenschaften, ist aber mehr damit beschäftigt, einen Schatz genau dort zu finden, wo Baumaschinen aufgefahren sind. Natürlich ist das haarsträubend, wie sich alle Konflikte in Harmonie auflösen, wie Zufälle die Geschichte in einen Spannungszustand versetzen und die Guten am Ende doch noch recht bekommen. Das kauft man Kadletz nur ab, weil sie alles selbst nicht so ernst nimmt, ein Spiel treibt, in dem Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Märchen einen heiteren Pakt eingehen. Schattenkühle Roman von Barbara Kadletz Edition Atelier 2024 232 S., geb., € 25,– Aconitum napellus Von Harald Klauhs W ir haben den Bezug zur Natur verloren. Das ist gewiss keine ganz neue Erkenntnis. Schon seit Jean-Jacques Rousseau schallt der Ruf „Zurück zur Natur“ durch das aufgeklärte Europa. Der französische Ordenspriester, Mathematikprofessor und Philosoph Nicolas Malebranche (1638–1715), der sich seinerseits auf René Descartes berief, zeigte sich in seinem Traktat „Von der Erforschung der Wahrheit“ (1674/75) davon überzeugt, dass „Tiere weder einen Verstand noch eine Seele haben“. Der Mensch galt den Aufklärern als „das Maß aller Dinge“, bevorzugt der reiche weiße Mann. Die Folge davon war eine wachsende Empathielosigkeit gegenüber der belebten Natur, speziell gegenüber Tieren – und damit die Naturausbeutung. Die Entfremdung des Menschen von der Natur machte erst „die industrielle Tierquälerei, die sich in Europa ausgebreitet hat“, möglich, wie die Protagonistin in Volha Hapeyevas Roman „Samota“ sagt, und sie führt sie auf „Selbstliebe und Grausamkeit mittels Wissenschaft“ zurück. Helga-Maria, so ihr Name, ist Tierpsychotherapeutin, Autorin von Prophezeiungen für Glückskekse, und sie hält Vorträge gegen Tierversuche, denn: „das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs ist ein und dasselbe“, wie es in der Bibel (Prediger 3,19) heißt. Dass sich der Roman trotz dieser Thematik nicht als Tierschützeressay geriert, verdankt er seiner Literarizität. Denn eingebettet ist dieses Plädoyer für einen anderen Umgang des Menschen mit Fauna und Flora in eine in magischen Realismus getauchte, zum Teil surreale Geschichte. Am Beginn des Romans trifft eine Ich- Erzählerin, die später ihren Namen, Maja, preisgibt, in einem Hotel des Instituts für Vulkanologie in Japan auf Helga-Maria. Die unübliche Zusammensetzung des Doppelnamens lässt an eine Verbindung zwischen nordischer und orientalischer Welt denken – und damit an eine innere Zerrissenheit. Beim Namen Maja wiederum summt sofort eine Biene im Kopf. Rastlos wie eine solche schwirrt die Erzählerin auch durch Zeiten und Orte. Den Gegenpart zu diesen um das Tierwohl besorgten Freundinnen bildet eine Figur namens Mészáros, auf Deutsch: Fleischer. Er ist an einen ungenannten Ort gekommen, um Wölfe zu töten, aber nicht mit der Flinte, sondern um sie „nach der Walewski-Methode“ mit Strych- 6

REZENSION EINE FRAGE DER EMPATHIE DIE BELARUSISCHE AUTORIN VOLHA HAPEYEVA PLÄDIERT IN IHREM ROMAN „SAMOTA“ FÜR EINEN ANDEREN UMGANG DES MENSCHEN MIT DER NATUR. nin zu vergiften. Einem Journalisten schildert der „Finsterling“ das aufwendige Verfahren dieser unüblichen Art des Tötens. Sein Motiv ist dabei nicht Jagd- oder Mordlust, sondern Konkurrenzdenken: Der Wolf ist für ihn ein Konkurrent, der auszurotten ist. Mészáros lebt in einer Welt, in der „man nie genug bekommen“ kann. Er darf somit – im Sinne des Papstwortes, dass „diese Wirtschaft tötet“ – als Repräsentant des Turbokapitalismus mit seiner Naturzerstörung gelten. Untergebracht ist der unfreundliche Mann bei einem Herrn namens Zikade. Zikaden, so das Tierlexikon, sind harmlose Insekten, die leicht mit Grillen oder Heuschrecken verwechselt werden. Der Quartiergeber ist jedenfalls einer, der seine Natur verbergen muss. Im Nebenzimmer des Herrn Mészáros wohnt Sebastian. Als wir auf ihn treffen, schreibt er gerade einen Liebesbrief an Helga-Maria, den ihr Herr Zikade im letzten Kapitel des Romans übergeben wird. Dazwischen ereilt Sebastian das Schicksal jenes frühchristlichen Märtyrers, dessen Namen er trägt. Damit schließt sich der Kreis. Wobei der Roman der 1982 in Minsk (Belarus) geborenen Autorin, Übersetzerin und Linguistin weniger einen Kreis als ein Labyrinth beschreibt. Es sind räumlich, zeitlich, sti listisch, sprachlich verschlungene Wege, auf die Volha Hapeyeva ihr Publikum mitnimmt. Das hat vermutlich auch mit der Biografie der exilierten Autorin zu tun. Denn just zu der Zeit, als die Protestmärsche gegen die Wahlmanipulationen bei der Präsidentschaftswahl in Belarus losbrachen (2020), war sie Stadtschreiberin in Graz. Eine Freundin riet ihr dringend davon ab, zurückzukehren; obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Bücher – vorwiegend Lyrikbände – in ihrem Heimatland veröffentlicht hatte. Nun begann also ihre Odyssee, die sie zuerst an den Starnberger See führte, dann nach Krems, danach nach München und so weiter, stets Stipendien hinterher. Seither spricht Volha Hapeyeva von ihrem nomadischen Leben. Und dieses spiegelt sich in gewisser Weise auch in ihrem Roman wider: Geradlinig ist darin gar nichts. Sie wechselt darin Sprache, Stil und Motiv wie ihre Aufenthaltsorte. So „Die nomadische Lebensweise der Autorin fließt in ‚Samota‘ literarisiert ein, in Form der Auflösung von Strukturen, Sicherheiten und Gewissheiten.“ sind in die Kerngeschichte rund um die Wolfsjagd einige Nebenerzählungen verwoben, die bei der Lektüre auf mythologische, philosophische, religiöse, literarische Abwege leiten. Einen Ariadnefaden stellen dabei die Hundegeschichten dar. So wird Maja etwa auf eine Anzeige an einem Mast aufmerksam, auf der nach einem vermissten Hund gesucht wird. Auf einem der drei Fotos, die auf der Meldung abgebildet sind, sieht man den Hund in einem Rudel. Beim Betrachten dieses Bildes denkt sich Maja, dass „es dort, von wo er weggelaufen war, noch viel schlimmer gewesen [sei] als hier in diesem Rudel“. Zu Hunden hat Maja einen starken Bezug, war doch ein Hund namens Kassawur oder Kosja schicksalsbestimmend für ihr Leben. Dieser Begleiter ihrer Kindheit verschwand während einer Reise nach Japan, die die Familie wegen eines Vulkanausbruchs abbrechen musste. Von da an nahm das Schicksal seinen Lauf, Schweigen breitete sich in der Familie aus, bis auch ihr Vater eines Tages ver schwand. Kassawur ist der heimliche Grund sowohl ihrer Vulkanstudien als auch ihrer Japan-Reise. Das Verschwinden von Tieren, die mutmaßlich gequält wurden, beschäftigt auch Helga-Maria. So therapiert sie einen Hund namens Isamu, was auf Deutsch Mut, Tapferkeit bedeutet. Der leckt sich ständig die rechte Seite, was Helga-Maria auf eine Angststörung schließen lässt. Es passiert also eine Menge seltsamer Dinge in diesem Buch. Man erfährt zum Beispiel auch von Kühen, die sich in einem Schweizer Gebirgsdorf von einer Felskante hundert Meter in die Tiefe gestürzt haben. Selbstmord von Kühen? Für Maja ein Anlass, sich zu fragen, „wo deine Realität endet und die Realität des Unerklärlichen beginnt“. Genau darum geht es in diesem Buch. Wer sich eine weitere „Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils“, wie ein vielbeachteter Essay Hapeyevas von 2022 heißt, erwartete, wird überrascht sein. Denn ihre nomadische Lebensweise fließt in „Samota“ – was übrigens Einsamkeit heißt – literarisiert ein, in Form der Auflösung von Strukturen, Sicherheiten und Gewissheiten. Eine heilsame poetische Verunsicherung. Samota Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber Roman von Volha Hapeyeva Aus dem Belarusischen von Tina Wünschmann und Matthias Göritz Droschl 2024 192 S., geb., € 25,– 7

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