Aufrufe
vor 8 Monaten

DIE FURCHE 18.04.2024

  • Text
  • Furche
  • Menschen
  • Wien
  • April
  • Welt
  • Frauen
  • Zeit
  • Natur
  • Mutter
  • Gesellschaft

DIE

DIE FURCHE · 16 2 Das Thema der Woche Wieder gut? 18. April 2024 AUS DER REDAKTION Toxisch: So bezeichnet man derzeit allerhand – von schädlichen Beziehungsmustern bis hin zur gesamten Männlichkeit (was ich für eine nicht geringe Übertreibung halte). Dennoch lohnt der Blick auf Giftiges, zumal es sich oft mit besonderer Imposanz und Leuchtkraft zeigt. Im aktuellen booklet, der von Brigitte Schwens-Harrant inhaltlich und Rainer Messerklinger optisch gestalteten Literaturbeilage, zeigt sich diese Attraktivität in besonderer Weise: Ansehnliche Giftpflanzen umranken die Essays und Kritiken zu den aufregendsten literarischen Neuerscheinungen dieses Frühjahrs. Schauen Sie sich das an! Einem Gegengift zur Toxik, nämlich der Versöhnung, ist der aktuelle Fokus von Manuela Tomic gewidmet. Er dreht sich unter dem Titel „Wieder gut?“ um die Möglichkeiten und Grenzen des Verzeihens – von der Philosophie über den Genozid in Ruanda bis zu einem aktuellen Missbrauchsfall, der alles Denkbare übersteigt. Apropos denken: Um die Frage „Was kann ich wissen?“ geht es im ersten Teil unserer vierteiligen Serie zu den großen Fragen des Immanuel Kant. Philipp Axmann hat dazu mit dem Philosophen und Theologen Johannes Hoff gesprochen. Ein äußerst dichtes Interview, das auf furche.at/podcast auch nachzuhören ist. Nicht minder dicht ist das Gespräch, das Brigitte Schwens-Harrant mit Klaus Kastberger über die von ihm herausgegebene neue Gesamtausgabe der Werke Ödön von Horváths geführt hat. Auch bei Horváth ist viel Giftiges dabei. Und wie es leuchtet! (dh) Von Peter Strasser Nichts stünde unserer Zeit besser an als der „Geist der Versöhnung“. Immer wieder wird er beschworen. Faktum aber ist, dass zwischen vielen Nationen, Gruppen und Einzelnen der Wille zur Unversöhnlichkeit vorzuherrschen scheint. Neben vielen äußeren Gründen, zum Beispiel dem Glauben an die persönliche Übermacht oder dem Hass auf das Feindobjekt, mag ein strategischer Aspekt eine Rolle spielen: Man hat sich hinter dem eigenen Glauben, der eigenen Ideologie zwanghaft verschanzt, um den menschlichen Drang, andere zu verstehen, erst gar nicht wirksam werden zu lassen. Die anderen sollten als die „Anderen“ fixiert werden. Dabei haben Großund Kleinschreibung eine thematische Bedeutung. Adolf Hitler – er ist für uns der paradigmatische Andere – berichtet in „Mein Kampf“, wie er eines Tages in Wien „auf eine Erscheinung in langem Kaftan mit schwarzen Locken“ stieß. Diese Erscheinung, so Hitlers Legende, wird zum Auslöser, um das jüdische Wesen zu erkennen. Was er gesehen hatte, war kein Deutscher, nein, es war „der Jude“ und als solcher der Andere, eine apokalyptische Gestalt. Wörtlich: „Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein.“ Der Abgrund nach dem Abgrund In dem Moment, wo die anderen zu Anderen werden, wird es nicht nur unmöglich, mit ihnen über moralische Fragen zu sprechen. Uns fehlt dann das gemeinsame menschliche Fundament, die Sympathie, welche mich mit allen verbindet, die ich im weitesten Sinne als ansprechbare Wesen betrachte – ansprechbar für meine Sorgen, Nöte, Freuden. Die Seele der Anderen (falls wir einander Seelen zugestehen) liegt auf einem Kontinent, zu dem wir keine Brücke des Verständnisses finden. Was mir von Anderen angetan wird – was, exemplarisch, den Juden von den Nazis angetan wurde – ist noch nicht einmal unverzeihlich. Denn in den Schinderhütten waren keine Menschen, an deren Gewissen sich appellieren hätte lassen; da war nur Dunkelheit, eine Quällust, deren Ursprung alle Erklärungsmuster sprengt – selbst der Teufel verhüllt sein Haupt. Und wenn es uns unmöglich ist, den Anderen klarzumachen, dass hier „der Abgrund nach dem Abgrund ruft“, dann muss jeder noch so eindringliche Versuch scheitern, einander zu verzeihen, zu vergeben, sich miteinander zu versöhnen. Illustration: Rainer Messerklinger Lesen Sie dazu auch den Text „Wie sich Werte im Laufe der Geschichte verändert haben“ von Peter Strasser (23.08.2023), auf furche.at. Wie geht man mit dem absolut Bösen um und lässt sich alles verzeihen? Der Philosoph Peter Strasser über Dunkelbereiche, Unversöhnlichkeit und Gnade. Hinüberreichen in den Anderen Immanuel Kants Schrift über das radikal Böse (1792) gipfelt in der Feststellung: Unbegreiflich! Denn die menschliche Natur schien dem Philosophen der Vernunft mit der Lust am Bösen um seiner selbst willen unvereinbar. Gewiss, es muss eine rechtliche Lösung geben, und diejenigen, die hier als „die Anderen“ apostrophiert werden, sind nicht einfach unzurechnungsfähig. Sie unterstehen der Jurisdiktion. Hätte sich Hitler nicht selbst gerichtet, er wäre zum Tode verurteilt worden. Eichmann, nach Jerusalem verbracht, wurde erhängt. „ Sobald wir das Gefühl haben, die bösen Taten der anderen überstiegen alles, was uns an seelischen Abgründen offensteht, sind alle Wege des Verzeihens gekappt. “ Solche Maßnahmen sind erforderlich, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, wir alle seien verantwortliche Wesen, sofern wir nicht geistesgestört sind. Das ist die äußerste, im Grunde hilflose, verzweifelte Klammer der Humanität. Wir wollen keinen, der von einer menschlichen Mutter geboren wurde, aus dem Kreis des Menschlichen entlassen. Und doch gibt es unter uns viel zu viele, die ihre Artgenossen, Homines sapientes, zu „Untermenschen“ degradieren, ausgestattet mit dämonischen, vampirischen Instinkten. Unbeeindrucktes Gewissen Auf den Anderen – wie es heißt – „zuzugehen“, darf nicht mit einer Entspannung der Lage rechnen. Das haben die Appeasement-Anstrengungen gegenüber den Nazis oft bewiesen. Möglicherweise ist Putin heute so ein Fall. Für uns ist er dabei, der Andere zu werden. Der russische Kriegsherr scheint nicht das geringste Einfühlungsvermögen in seine Opfer zu haben, es wäre schon zu viel gesagt, ihm ein sadistisches Naturell zu unterstellen. Etwas Undurchdringliches zeichnet ihn aus, er zeigt uns ein unbeeindrucktes Gewissen, er ist sein eigener Gott. Und gerade das ist es, was seine Attraktivität auf jene ausübt, die so werden möchten wie er. Durchschnittscharaktere, die mit sozialer Wahrnehmung, Sympathie und Gewissensregung begabt sind, können sich kaum einfühlen in das Wesen – oder die Wesenlosigkeit –, welche Berufskiller und passionierte Folterer, Terroristen und Söldner, die Kinder töten und Frauen schänden, beherrscht. Die Gefahr liegt hier darin, dass die Befürworter einer zumindest äußerlichen Versöhnung nicht damit rechnen, die Anderen würden darin immer nur ein Mittel zum Zweck sehen, um jedwede Art von Humanität in den Dienst der Vernichtung zu Eine neue Sichtweise Verzeihen klappt nur dann, wenn man versucht, die Position des Anderen zu verstehen, schreibt der Philosoph Strasser. stellen. Die Leiden der anderen zählen nicht, höchstens beflügeln sie das Satanische. Wollen wir irgendwelchen anderen – kleingeschrieben – verzeihen, weil sie uns Übles antaten, dann setzen wir voraus, dass den Übeltätern ein Gewissen eignet, welches bewirkt, dass sie ihre bösen Taten bereuen. Wenn wir glauben, derart in Kontakt treten zu können, wird eine Vergebung des Unrechts möglich. Dabei mag die Rechtsform der Vergebung offenbleiben, an der seelischen Basis muss jedenfalls eine Bewegung erfolgen, die in das menschliche Wesen, welches uns beleidigte oder verletzte, hinüberreicht. (Siehe „Glaubensfrage“ S. 12) „Vater, vergib ihnen“ Dieses Hinüberreichen in die anderen ist kein bloß psychologischer Vorgang. Es geht tiefer. Das Böse, das Menschen einander zufügen, muss uns als eine unserer eigenen Möglichkeiten einsichtig sein. Wir waren nicht selbst böse, aber wir hätten es sein können. Sobald wir indes das Gefühl haben, die bösen Taten der anderen überstiegen alles, was uns an seelischen Abgründen offensteht, sind alle Wege des Verzeihens, des Vergebens, der Versöhnung gekappt. Die anderen changieren dann ins Feld der Anderen, und es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir bloß von psychopathischen Charakteren reden wollten. Wenn Verzeihen und Versöhnung möglich sein sollen, müssen wir uns redlich bemühen, unsere Sichtweise der anderen, die uns Übles antaten – wer immer sie sein mögen –, nicht in den Dunkelbereich der Anderen abgleiten zu lassen. Das gilt für Individuen wie für Völker, ja für diese besonders, denn ansonsten droht kollektive Unfriedlichkeit: Krieg! Den Anderen zu vergeben, liegt nicht in unserer Macht. Dafür gibt es in der christlichen Kultur ein gewaltiges Exempel vom Kreuz herab. Der sterbende Jesus stößt die zum Himmel gerichtete Bitte aus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Luk 23,34) Das ist die Bitte, noch das radikal Böse möge erlöst werden. Wovon? Vom Bösen um seiner selbst willen. Eine solche Geste reicht über alles Menschliche hinaus, sie bleibt allein der Gnade vorbehalten. Der Autor ist Professor i. R. für Philosophie an der Universität Graz.

DIE FURCHE · 16 18. April 2024 Das Thema der Woche Wieder gut? 3 Der Jurist Gerd Hankel untersuchte den Völkermord in Ruanda, der sich am 7. April zum dreißigsten Mal jährte. Der Genozid hätte verhindert werden können, wenn es nicht das Gefühl der ethnischen Überlegenheit gegeben hätte, sagt er. „Heute sieht man genauer hin“ Das Gespräch führte Manuela Tomic Können Täter und Opfer nach einem Genozid friedlich zusammen weiterleben? Die sogenannten „Dörfer der Versöhnung“ in Ruanda sollten der Weltgemeinschaft zeigen, dass es möglich ist. Der Völkerrechtler Gerd Hankel forscht seit 20 Jahren zu der Aufarbeitung des Genozids. Er glaubt nicht an diesen vermeintlichen Frieden, erklärt er im Gespräch mit der FURCHE. DIE FURCHE: Als Völkerrechtler haben Sie Ruanda vielfach bereist und die Neuauflage Ihres Buchs über die Geschichte und Zukunft Ruandas ist jetzt erschienen. Was fasziniert Sie an dem ostafrikanischen Land? Gerd Hankel: Meine intensive Beschäftigung mit Ruanda hat eigentlich schon in den 1980er-Jahren angefangen. Ich habe dort Fortbildungen für Fachkräfte gemacht und die Menschen aufgefordert, mir von ihrem Land zu erzählen. Und da merkte ich, dass immer, wenn einer erzählte, der andere unruhig wurde. Nach dem Völkermord 1994 wurde ich von meinem Arbeitgeber, dem Hamburger Institut für Sozialforschung, gebeten, nach Ruanda zu fahren und zu untersuchen, wie die Menschen nach dem Völkermord weiterleben. DIE FURCHE: Wie lässt sich dieser Völkermord geschichtlich einordnen? Hankel: Zunächst muss man sich die Zahlen vor Augen führen. Das Morden der Hutu-Mehrheit dauerte von April bis Juni 1994 und forderte 800.000 Menschenleben, die allermeisten waren Angehörige der Tutsi-Minderheit. Mehr als jeder Zehnte in diesem Land war tot. Wie sich später herausgestellt hat, gab es über eine Million Täter. Das heißt also, es existierte in Ruanda keine Familie, in der es nicht entweder Täter oder Opfer gab. Was das für eine Gesellschaft bedeutet, kann man sich leicht vorstellen. Als der Völkermord durch die Rebellenarmee, die heutige Armee Ruandas unter dem Staatspräsidenten Paul Kagame, beendet wurde, sind über 2,5 Millionen Menschen in die Nachbarländer geflüchtet. Im Juli 1994 war Ruanda ein Land, das mit Toten übersät war. Diejenigen, die noch lebten, waren verzweifelt und wussten nicht, wie es weitergehen soll. DIE FURCHE: Mitten in dieser Situation errichtete die christliche NGO „Prisonfellowship Rwanda“ so genannte „Dörfer der Versöhnung“. Sind diese Dörfer, in denen Täter und Opfer Seite an Seite wohnen, ein Erfolgsmodell, um Genozide aufzuarbeiten? Hankel: Ich bin da sehr skeptisch. Ich habe mit vielen Überlebenden gesprochen, etwa mit Frauen, deren Kinder mit Macheten ermordet wurden. Wie sollen diese Frauen mit den möglichen Tätern zusammenleben? Ich glaube, diese Dörfer der Versöhnung existieren nur, weil ausländisches Geld dort hineinfließt und die Menschen, die dort hinziehen, finanziell unterstützt werden. Außerdem beruhigt der Westen so sein schlechtes Gewissen. Um nach einem Genozid in Frieden zusammenleben zu können, braucht es Generationen. Stellen Sie sich vor, nach dem Zweiten Weltkrieg hätte jemand Jüdinnen und Foto: Privat Gerd Hankel ist Jurist und Völkerrechtler. Seit 2002 untersucht er den Völkermord in Ruanda und dessen gerichtliche Aufarbeitung. Juden und ehemalige Nazis in einem Dorf zusammenbracht. Das wäre unvorstellbar gewesen. Aber durch diese ethnische Überlegenheit gibt es den Tenor: „Die Afrikaner, die machen das schon“. Ich bin ja schon fast wütend, wenn ich das höre, aber mehr sage ich jetzt nicht. DIE FURCHE: Trotzdem sagen Sie, das Land habe sich zu einem Musterbeispiel für die Aufarbeitung eines Genozids entwickelt. Hankel: Zunächst muss man sagen, dass es nach einem Völkermord keine richtige oder gute Art gibt, mit dieser Vergangenheit umzugehen. Es gibt keine optimale Lösung. Was man in Ruanda eingerichtet hat, waren sogenannte „Gacaca-Gerichte“. „Gacaca“ bedeutet Rasen oder Platz. Dort hat jedes Dorf für sich vor Ort die Verbrechen aufgeklärt. Es war wichtig, dass sich die Dorfbevölkerung dem selbst angenommen hat und auch die Richterinnen und Richter, die aus Hutu und Tutsi bestanden, selbst gewählt hat. Der Ansatz ist gut, zumal diese Justiz nicht das vorrangige Ziel der Bestrafung hat, sondern jenes der Herstellung des sozialen Friedens. Das bedeutet, dass jene, die früh gestanden haben, mildere Strafen bekamen. Was aber bei diesen Gerichten außer Acht gelassen wurde, ist, dass es rund um den Genozid seit Jahren einen Bürgerkrieg gab. Und hier fragten die Vertreter der Hutu zu Recht: Werden die Tutsi auch für ihre Taten im Bürgerkrieg bestraft? Darüber wurde aber nie gesprochen. Die Gerichte stehen auch unter zurückhaltender staatlicher Lenkung. Findet sich also unter den Tätern jemand der heutigen Armee, dann wird diese Strafe schon mal fallengelassen. Eine andere Initiative ist, dass man nach dem Völkermord gesagt hat, es gibt keine Hutu und keine Tutsi mehr, wir sind alle Ruander. Natürlich weiß aber jeder im Dorf auch heute noch, wer zu welcher Gruppe gehört. DIE FURCHE: Der Friede ist zwar längst eingekehrt aber zu welchem Preis? Hankel: Ruanda hat nach 1994 einen wirklich atemberaubenden Aufstieg hingelegt. Häufig wird Ruanda auch als Musterbeispiel für die Entwicklung in Afrika hergenommen. Jetzt muss man aber sagen, dass Ruanda ein sehr kleines Land ist, nicht einmal halb so groß wie Österreich. Daher machen sich Investitionen viel schneller bemerkbar. Aber leider ist Ruanda eine Diktatur unter der Führung der eisernen Faust des Staatspräsidenten Paul Kagames, ohne Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht. Kagame ist seit Jahrzehnten an der Macht und wird jetzt im Juli 2024 für weitere fünf Jahre gewählt werden. Zudem ist es nicht gelungen, die Armut im Land wirksam zu bekämpfen. Es gibt wirtschaftlichen Aufschwung, aber das Land hat an Einwohnern enorm zugenommen, daher gibt es auch am Land noch große Armut. DIE FURCHE: Im Kontext mit dem Völkermord wird oft das Versagen der internationalen Gemeinschaft genannt. Warum? „ Stellen Sie sich vor, nach dem Zweiten Weltkrieg hätte man Juden und Nazis in einem Dorf zusammengebracht. Das wäre unvorstellbar gewesen. “ GENOZID IN RUANDA Gefährliches Versäumnis Am 7. April 1994 begann in dem ostafrikanischen Land das Massenmorden durch von der damaligen Regierung angestachelte Milizen der Hutu-Volksgruppe. Binnen hundert Tagen wurden mindestens 800.000 Menschen getötet, darunter viele Mitglieder der Tutsi-Volksgruppe sowie moderate Hutu. Das Morden endete erst, als die Rebellenmiliz RPF unter Führung Kagames die Hauptstadt Kigali einnahm. Seitdem hat Kagame das Land mit harter Hand zu politischer und wirtschaftlicher Stabilität geführt, doch die Wunden der Gewalt bleiben bestehen. Noch immer werden neue Massengräber entdeckt. Das damalige Versäumnis der internationalen Gemeinschaft, einzugreifen, ist nach wie vor ein heikles Thema. Ex-US-Präsident Clinton nannte es den größten Fehler seiner Regierung.(tom, APA) Gedenken und Erbe Foto: Getty Images / J. Countess In Ruanda gibt es inzwischen mehr als 200 Gedenkstätten für den Völkermord von 1994. Vier von ihnen wurden im vergangenen Jahr in das UNESCO- Weltkulturerbe aufgenommen. Grafiken: Rainer Messerklinger (Quelle) Hankel: Die internationale Gemeinschaft hat, wie ich finde, in zweierlei Hinsicht versagt. Zum einen hat sie nicht erkannt, welche explosive Mischung bereits vor Beginn des Genozids im Land geherrscht hat und wie groß der Hass zwischen den Hutu und den Tutsi geworden ist. Das Ziel war ein Friedensvertrag und eine Übergangsregierung - und dann gab es den Irrglauben, dass sich der Bürgerkrieg von selbst erledigen würde. Der zweite Fehler war, dass man nach Beginn des Genozids nicht reagiert hat. In den ersten Tagen wurden bereits pro Tag 10.000 Menschen getötet. Die internationale Gemeinschaft hat nichts gemacht und auch den Begriff Genozid vermieden, weil das einen Handlungsdruck erzeugt hätte. Wenn man energisch eingegriffen hätte, dann hätte man hunderttausende Opfer vermeiden können. Doch Ruanda war ein unwichtiges kleines Land. Der ehemalige französische Präsident François Mitterrand soll sogar gesagt haben, dass Völkermord in Afrika eben an der Tagesordnung stehe, nach dem Motto: „So ist der Afrikaner eben“. Hätte es diese Vorbehalte nicht gegeben, hätte man schneller reagiert. DIE FURCHE: Hat sich an diesen Vorbehalten etwas verändert in den letzten Jahrzehnten? Hankel: Ja, es gibt jetzt einen Genozid- Beauftragten der UNO und verschiedene Frühwarn-Einrichtungen. Man sieht schon genauer hin. Allerdings ist die internationale Gemeinschaft auch heute noch etwas hilflos. Beispielsweise gibt es in Myanmar aller Wahrscheinlichkeit nach einen Völkermord an den Rohingya. Man muss genau hinschauen und schnell und energisch reagieren. Das setzt aber voraus, dass wir eine internationale Gemeinschaft haben, die funktioniert. Doch das haben wir derzeit leider nicht und das ist das Problem. Demokratische Republik Kongo Kiwusee West Süd Uganda Nord Ruanda 1994 bis heute Vom Vorhof der Hölle zum Modell für Afrika – Wahrheit und Schein in Ruanda Von Gerd Hankel zu Klampen 2024 180 S., kart., € 18,95 Kigali Burundi Ost Tansania

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023