DIE FURCHE · 16 18 Wissen 18. April 2024 Ein Eis zur Belohnung Wer mit diesem Spruch aufgewachsen ist, verbindet wohl auch heute noch positive Gefühle mit einem Eis. Diese Verknüpfung muss nicht unbedingt problematisch sein. Von Astrid Wenz Ernährungssoziologe Daniel Kofahl spricht in „Ein Stellvertreter-Genuss“ (17.12.2015) über Essen und Selbstinszenierung, auf furche.at. Das erste Eis des Jahres. Darauf hat sich die Dame in der Warteschlange den ganzen Winter gefreut. Lächelnd nimmt sie das Stanitzel vom Eisverkäufer entgegen. Doch schon beim ersten Ansetzen zieht sie die Augenbrauen zusammen. „Das ist aber nur eine Ausnahme. Vor dem Sommer muss ich noch drei Kilo abnehmen, Minimum“, sagt sie. Vielen sind solche Gedanken wohl selbst bekannt. Wenn die Temperaturen steigen, steigt bei vielen auch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Experten und Expertinnen halten die andauernde Selbstgeißelung für problematisch. Aber woher kommt diese allzu kritische Haltung, ja der Hass auf den eigenen Körper, der vor allem Frauen belastet? Belohnung oder Strafe Susanne Domkar ist Diätologin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien. Im Gegensatz zu Ernährungsberaterinnen dürfen Expertinnen wie sie auch Menschen mit Erkrankungen beraten. Für Domkar sind Situationen wie die eingangs beschriebene nicht ungewöhnlich: „Jetzt holen wir uns zur Belohnung ein Eis“ sei lange der Klassiker unter Eltern gewesen. Dabei solle Essen weder zur Anerkennung, noch als Strafe eingesetzt werden, sagt die Expertin. Vielmehr solle es als etwas Natürliches betrachtet werden, das genauso zum Leben gehöre wie Aufstehen oder Zähneputzen. Vor allem ihre Generation sei noch mit solchen Aussagen erzogen worden, so Domkar. Mittlerweile habe sich bei den meisten Eltern aber herumgesprochen, dass eine derartige Verknüpfung von Essen und Emotion langfristig schädlich für Kinder sein kann: „Wenn du brav bist, gibt es etwas Süßes. Wenn du schlimm warst, gibt es nur Gemüse.“ So verbinden Kinder bestimmte Lebensmittel mit schlechten Erfahrungen und verweigern sie oft bis ins Erwachsenenalter. Prinzipiell ist diese Verknüpfung nicht unbedingt etwas Schlechtes“, erklärt Domkar. „Essen ist immer Emotion, für jeden. Es wird nur dann Foto: Christof Wagner „ Essen ist immer Emotion, für jeden. Es wird nur dann zu einem Problem, wenn ich meine Emotionen nicht mehr anders regulieren kann. “ Susanne Domkar ist Diätologin und ausgebildete Kinderkrankenpflegerin. Steigen die Temperaturen, werden bei vielen auch die Selbstzweifel immer mehr. Diäten haben im Frühling Hochsaison. Woher kommt diese Unzufriedenheit? Da beginnt die Katastrophe Foto: Julia Grandegger Julia Nittmann ist Ernährungspsychologin und hat eine eigene Praxis in Wien-Floridsdorf. zu einem Problem, wenn ich meine Emotionen nicht mehr anders regulieren kann.“ Wenn es etwa keine andere Möglichkeit gebe, Entspannung zu finden oder Stress abzubauen. Umso wichtiger sei, dass Eltern ihren Kindern auch andere Mechanismen vorleben, um mit Gefühlen umzugehen, rät die Diätologin. Was gesunde Ernährung betrifft, herrschen in Österreich oft Halbwissen und lückenhafte Information. Erkennbar wird das zum Beispiel an der hierzulande niedrigen Gesundheitskompetenz. Das haben nicht nur die zahlreichen und hartnäckigen Impfmythen bewiesen, die während der Covid-19-Pandemie aufkamen. Auch konkrete Zahlen sind ein Beleg: Seit 2011 erfasst die EU Gesundheitskompetenz, die aktuellste österreichweite Erhebung stammt aus dem Jahr 2020. Sie zeigt, dass vor allem bei zwei Dingen Nachholbedarf besteht: bei der Orientierung im Gesundheitssystem – das heißt zu wissen, welche Fachärztin oder welcher Facharzt wofür zuständig ist – und bei dem Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen. Vor allem letzteres ist ein wichtiger Faktor, sind doch Inhalte in sozialen Medien und im Internet neben Arztbesuchen mittlerweile die wichtigste Informationsquelle. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz ist daher auch eines der zehn österreichischen Gesundheitsziele, wie es auf der Website des Gesundheitsministeriums heißt. Neben fehlendem Wissen ist ein anderer Faktor oft noch viel bedeutender für den Umgang mit unserem Körpergewicht: die eigene Vorgeschichte und das Selbstbild. Die Ernährungspsychologin Julia Nittmann arbeitet vor allem mit Menschen, die bereits Erfahrungen mit Diäten gemacht haben. Häufig hätten diese von praktischen Ärzten und Ärztinnen den Rat mitbekommen: „Essen Sie doch weniger und bewegen Sie sich mehr, dann wird das schon.“ Foto: CasarsaGuru So einfach sei das aber nicht, erklärt Nittmann. Mit zunehmendem Alter tun sich vor allem Frauen schwer, Gewicht zu verlieren. Die Krux liege hier schon in der Art, wie die meisten eine Diät angehen: weniger Kalorien zu sich nehmen, als verbraucht werden. Damit würden wir aber gegen uns selbst arbeiten, so Nittmann: „Unser Körper hat gute Mechanismen, Gewichtsverlust abzufedern. Er macht uns müder und der Hunger wird größer. Wenn wir schlussendlich doch essen, dann essen wir mehr.“ Auch die Diätologin Susanne Domkar bestätigt den Misserfolg klassischer Crashdiäten. Sie nennt als Beispiel Frauen, die „gezügelte Esserinnen“ sind, sich also immer nur eine kleine Portion auf den Teller laden oder nie ein Dessert bestellen. Im Englischen nennen vor allem junge Erwachsene diese Art Frauen oft Almond Mums: Mütter, die zum Abendessen nur eine Handvoll Mandeln essen und behaupten, davon satt zu sein. Wollen diese abnehmen, essen sie meist noch weniger. Dadurch baue der Körper als erstes an Muskelmasse ab, sagt Domkar. Das funktioniere in jungen Jahren meist recht schnell und führe zu vermeintlichen Erfolgen. Im Alter räche es sich aber: Die Knochen hätten kaum Muskeln mehr, die sie stützen. Das Risiko für Osteoporose steigt. Domkar empfiehlt, sich vor jeder voreiligen Entscheidung für eine Diät daher die Frage zu stellen: Ist es wirklich mein Ziel, Gewicht zu verlieren? Oder möchte ich mich fitter fühlen? Zum Beispiel der Straßenbahn hinterherlaufen, ohne dabei gleich außer Atem zu sein. Bei vielen stecke hinter dem Wunsch abzunehmen auch das verinnerlichte Gefühl, mit dem aktuellen Gewicht nicht attraktiv zu sein. Ernährungspsychologin Julia Nittmann erzählt, dass ihre Patientinnen oft schon in der Kindheit von ihren Eltern zu hören bekommen hätten, sie seien zu dick – oder dass sie andere Dinge essen müssten als ihre Geschwister. „Da beginnt die Katastrophe, das schlägt sich im Selbstwertgefühl nieder und man denkt: So wie man ist, ist man nicht gut genug.“ Danach wieder ein positives Körperbild aufzubauen, dauert. Nittmann ist allerdings positiv gestimmt: „Auch wenn vieles noch falsch läuft, das Bewusstsein wird immer größer – Stichwort Body Positivity und Gewichtsdiskriminierung.“ Dem stimmt auch Susanne Domkar zu: „Die jüngere Generation der Anfang Zwanzigjährigen hat heute zum Teil einen besseren Zugang.“ Nicht zu verleugnen ist, dass auch in den sozialen Medien immer noch das Schlankheitsideal vorherrscht. Zusätzlich sind auch vermehrt unrealistische und digital bearbeitete Bilder im Umlauf. Neben diesen würden heute aber auch diversere Vorbilder für Körper in den Medien und in der Popkultur existieren. Domkar sieht darin eine Gegenreaktion zu dem strengen Ideal, mit dem die Eltern der heutigen jungen Erwachsenen noch aufwachsen mussten. Wer ist gesünder? Wie schaffen wir es nun, diese festgefahrenen Vorstellungen zu überwinden? Diätologin Susanne Domkar erzählt aus ihren Lehrveranstaltungen an der Fachhochschule, in denen ihre Studierenden Fotos zweier Menschen vor sich sahen und entscheiden mussten: Wer ist gesünder? Die schlichte Antwort: Man weiß es nicht. In sehr wenigen Fällen könne man pauschal nach dem Aussehen beurteilen, wie es um die Gesundheit eines Menschen steht. Umso mehr würde sich Ernährungspsychologin Julia Nittmann einen neutraleren Umgang mit Essen und unserem Körper wünschen: „Ob ich jemanden mag oder nicht, hängt doch nicht von dem Gewicht einer Person ab. Das sind nicht die Dinge, die ich zuerst an einem Menschen wahrnehme.“ Sympathie, guter Humor, ein spannendes Gespräch – das sind die Faktoren, nach denen wir entscheiden, wie gerne wir Zeit mit jemandem verbringen. Lebensmittel lassen sich für Nittmann sowieso nicht nur auf ihren Nährstoffgehalt reduzieren. Essen ist eine soziale Praxis, in der ein Eis an einem heißen Tag auch einfach nur Freude machen kann.
DIE FURCHE · 16 18. April 2024 Wissen 19 Verletzlichkeit gilt heute oft als Schwäche, die es durch Fortschritt zu überwinden gilt. Der Arzt und Philosoph Giovanni Maio zeigt, warum man sich von dieser Vorstellung lösen sollte. Schön zerbrechlich Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Konservative und Klimaschutz Mehr dazu in den Kolumnen der katholischen Vulnerabilitätsforscherin Hildegund Keul, z.B. „Wunden verbinden“ (26.3.2020), auf furche.at. Foto: iStock/PanuRuangjan Giovanni Maio ist Arzt, Philosoph und Professor für Medizinethik/ Bioethik sowie geschäftsführender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg. Die ersten Hitze- und Badetage liegen Mitte April bereits hinter uns. 2023 war laut aktueller Auswertung wärmer als die vergangenen 100.000 Jahre, und viele Experten sehen das Klimasystem der Erde bereits in eine „Freakzone“ abgedriftet. Wie wird das weitergehen? Der Klimaschutz könnte jetzt rechtlichen Aufwind erhalten, so die Hoffnung vieler nach einem „historischen Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hatte einer Klage von 2000 Schweizer Seniorinnen recht gegeben und klargestellt: Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Abgesehen von den heiklen rechtsphilosophischen Fragen, die sich aus dem Urteil ergeben, gaben sich manche Kommentatoren wenig erfreut – fast alle mit konservativer Weltanschauung. Tatsächlich zeigen sich viele Konservative grundsätzlich skeptisch gegenüber zu viel Bewegung im Klimaschutz. Warum eigentlich? Von Martin Tauss Wer einem buddhistischen Vortrag in einem thailändischen Dschungelkloster lauscht, bekommt es gelegentlich mit folgender Begrüßung zu tun: „Herzlich willkommen, Brüder und Schwestern in Alter, Krankheit und Tod!“ Das ist gewöhnungsbedürftig. Was die Mönche oder Nonnen damit zum Ausdruck bringen wollen, ist jedoch eine existenzielle Botschaft, die man nicht oft genug hören kann, weil sie so gern verdrängt wird: Erstens sitzen wir alle im selben Boot, und zweitens kommt hier niemand lebend raus (diese Formulierung stammt vom amerikanischen Pop-Poeten Jim Morrison). Daraus erwächst eine Antwort – in diesem Fall eine spirituelle Praxis der Liebe, der Güte, des universellen Mitgefühls. Geteilte Verletzlichkeit ist überall verbindend, Feindschaft wird letztendlich absurd. Schuld und Sühne Dass die Einsicht in die menschliche Verletzlichkeit auch im Christentum eine zentrale Rolle spielt, muss in dieser Zeitung nicht extra erwähnt werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass in der Antike, an der Wiege der menschlichen Zivilisation, offenbar in mehreren Regionen und Kulturen eine reflexive Bewusstwerdung der schmerzhaften Umstände des Lebens beginnt. Mit der Sesshaftwerdung in den ersten Ackerbaukulturen verschwindet der Garten Eden: Der Mensch verliert seine Unschuld; er überschreitet seine animalische, trieb- und instinkthafte Natur, für die er vorher nicht rechenschaftspflichtig war. Mit der Enstehung der großen Religionen werden Verletzen und Verletztwerden, Leid und Trauma, Schuld und Sühne intensiv verhandelt. Es scheint, als ob der Homo sapiens vor zwei bis drei Jahrtausenden eine Art Bewusstseinssprung gemacht hat – hinein in die Verantwortung, was es heißt, Mensch zu sein. Dass im klassischen lateinischen Begriff der „conscientia“ das moralische Gewissen und die höhere Bewusstheit (also das Wissen über das Wissen) ineinander fallen, ist ein schöner Ausdruck dafür: Der Mensch weiß, dass er bewusst ist – und dass das ethisch bedeutsam ist. Nun ist das Bewusstsein für Verletzlichkeit im Laufe der weiteren Menschheitsgeschichte je nach zivilisatorischem Niveau unterschiedlich ausgeprägt. Je barbarischer eine Gesellschaft, desto mehr gerät dieses Bewusstsein ins Hintertreffen; je höher entwickelt eine Kultur, desto stärker ist es präsent. Nach der Religion war es die Aufklärung, die als Antwort auf die naturgegebene Vulnerabilität wesentliche Fortschritte auf den Weg gebracht hat. Doch in der Moderne, die einen ausgeprägten Individualismus hervorbringt, ist Verletzlichkeit nicht gut angesehen. Aus dem durchaus legitimen Anliegen, den Menschen von Fremdbestimmung und einengender Abhängigkeit zu emanzipieren, entsteht ein Mythos der „ Maio kritisiert das marktkonforme Leitbild, wonach die Menschen Unternehmer ihrer selbst seien. Hinter der Privatisierung des Sozialen stecke das falsche Menschenbild. “ Unabhängigkeit: Jegliche Formen von Angewiesenheit werden negativ bewertet; das Individuum wähnt sich autonom, als „Verwirklicher seiner selbst“. Verletzlichkeit gilt dabei als Schwäche, die es zu überwinden gilt – eine Idee, die heute in den technologischen Visionen der Transhumanisten auf die Spitze getrieben wird. Doch damit wird das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, wie Giovanni Maio in seinem neuen Buch „Ethik der Verletzlichkeit“ konstatiert. Denn gerade diese Vulnerabilität sei eben nicht hintergehbar, so der Arzt und Philosoph: „Das Leben bewegt sich im Modus der Verletzlichkeit, und diese ist nur dann wirklich zu begreifen, wenn sie als Grundbedingung der menschlichen Existenz angesehen wird und nicht als deren Ausnahmezustand.“ Nach Corona sind es die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die das nun schmerzhaft vor Augen führen. Damit sei „das schon für überwunden Geglaubte zurückgekehrt, und diese Ereignisse fordern uns zu einem neuen Denken auf“, betont der Professor für Medizinethik/Bioethik an der Universität Freiburg. Angesichts der harten Tatsachen von Leid und Tod erscheint das Leben umso kostbarer, und diese Erkenntnis habe einen bewusstseinsschärfenden Aspekt: „Damit geht zugleich die Grundbereitschaft einher, in der Verletzlichkeit eine eigene Ästhetik zu erkennen, sich aufzuschließen für die Schönheit des Zerbrechlichen.“ Kultur der Sorge Mit seinem Buch zeigt Giovanni Maio überzeugend, was all das für Gesellschaft und Politik, vor allem aber für die Medizin – „die institutionalisierte Antwort auf die Verletzlichkeit des Menschen“ – bedeutet. Er kritisiert das marktkonforme Leitbild, wonach die Individuen Unternehmer ihrer selbst seien, denn darin werde jegliche Form der Verletzlichkeit stigmatisiert: Hinter der Privatisierung des Sozialen stecke schlicht das falsche Menschenbild. Der Medizinethiker bezieht sich unter anderem auf die Debatte um die Eigenverantwortung, die auch bei der Finanzierung der Gesundheitskosten eine Rolle spielt. Demnach sei das Ansinnen, gesundheitsbewusstes Verhalten im Sinne eigenverantwortlichen Handelns einfach zu fordern (statt kollektiv zu fördern), kontraproduktiv: „Man tut so, als würde eine solche Wegweisung der Sozialstaatlichkeit keinerlei Abbruch tun, aber de facto findet unter dieser Devise ein Rückbau des Sozialstaats statt, und dies hinter der Maske von Begriffen wie Freiheit, Wahlfreiheit, Mündigkeit und eben Eigenverantwortung.“ Letztere sei vielmehr unauflösbar mit der sozialen Verantwortung der Gesellschaft verschränkt – und werde überhaupt erst durch eine „Kultur der Sorge“ ermöglicht. Nach der Lektüre von Giovanni Maios Buch wird sonnenklar: Dieses Projekt ist der kulturelle Auftrag, der aus der Einsicht in die Verletzlichkeit erwächst. Ethik der Verletzlichkeit Von Giovanni Maio Herder 2024 160 S., geb., € 18,95 „ Man sorgt sich, dass der Wohlstand durch radikale Transformation gefährdet wird. Doch fürchten sollte man sich vor den Folgen der Klimakrise selbst. “ Ich selbst komme aus einer konservativen Familie und bin mit konservativen Werten aufgewachsen, die mir auch heute zutiefst einleuchtend erscheinen. Fleiß, Leistung und Unternehmertum gehören ebenso dazu wie Verlässlichkeit und (Eigen-)Verantwortung. Ich bin bei Gott kein Konservativer, aber es gibt diese konservative Seite in mir. Das Verhältnis der Konservativen zum Klimaschutz ist mir jedoch schleierhaft. Viele von ihnen neigen dazu, seine Dringlichkeit zu ignorieren, das Thema zu vernachlässigen, zu verharmlosen oder sogar zu sabotieren. Dahinter steht wohl die Sorge, dass der Wohlstand, die Wirtschaftskraft und damit der Sozialstaat durch radikale Transformation gefährdet werden könnten. Doch fürchten sollte man sich vielmehr vor den Folgen der Klimakrise selbst, die bereits heute in „Leitkultur“- verdächtigen Branchen wie dem Skitourismus oder der Landwirtschaft aufschlagen. Massenmigration aus dem Globalen Süden ist wohl das Letzte, was sich Konservative herbeiwünschen. Aber um dieses Szenario effektiv zu verhindern, müsste man den Klimaschutz ungleich stärker vorantreiben. Das zeigt bereits eine flüchtige Beschäftigung mit der aktuellen Studienlage. Im Umgang mit den CO2-Emissionen haben wir „unsere eigene Selbsttäuschung auf politischer Ebene erfolgreich organisiert“, bemerkt Thomas Metzinger im Buch „Der Elefant und die Blinden“ (2023). Der deutsche Philosoph kommt zu einer nüchternen Einschätzung: „Uns fehlen in der Masse die ethische Integrität, die Qualität des Mitgefühls sowie die Fähigkeit zu rationalem Handeln, die es uns ermöglicht hätten, eine mittel- und langfristige Katastrophe zu moderaten mittel- und kurzfristigen Kosten abzuwenden.“ Wenn der Blick der Konservativen so weit in die Vergangenheit zurückreicht, warum vermag er nicht auch die – etwas fernere – Zukunft zu durchdringen, in der alles, was uns hoch und heilig ist, von Natur- und Menschengewalt hinweggefegt werden könnte?
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