15 · 11. April 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Euphemismus pur und leugnet glatt, dass es sich hier um die größte Anfechtung der Kirche seit Jahrhunderten handelt. Natürlich wiederholt Dignitas infinita bei den Lebensschutzthemen – Abtreibung (vgl. Seite 9 dieser FURCHE) und Sterbehilfe – die bekannten Positionen. Dazu kommt ein apodiktisches Nein zu Leihmutterschaft und Von Otto Friedrich Geschlechtsumwandlung. Gerade bei letzterem Thema wird wieder so getan, als ob er Menschheit Würde ist schenhandel, Missbrauch, Gewalt gegen dies eindeutig und mit einem Federstrich zu in eure Hand gegeben.“ Frauen. Dass ein lehramtliches Moraldokument zunächst von diesen Themen ausgeht, für Auseinandersetzung mit der „Gender- bewerten wäre. Ähnliches gilt einmal mehr Mit diesem Schiller-Zitat ist ein legendärer Dialog ist gewiss ein Fortschritt. Theorie“, auch wenn die Kritik in Ansätzen von Helmut Qualtinger Aber gleichzeitig vermisst man jegliche differenzierter ausfällt als früher. Schließlich wird immerhin die Verfolgung auf- und Johann Sklenka überschrieben, in dem kritische Selbstreflexion des kirchlichen zwei alternde Provinzschauspieler über Lehrens und Handelns in diesem Kontext: grund sexueller Orientierung als Verstoß Kunst und ihre Karriere rührend hilflos schön und gut, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte da als „eine der Das alles ist aber deswegen „hilflos be- gegen die Menschenwürde anerkannt. philosophieren und sich als rettungslos aus der Zeit gefallen gerieren. höchsten Ausdrucksformen des menschlichen Gewissens“ firmiert. Wie passt da- dass die katholische Kirche bereit ist, ihre müht“, weil es keinerlei Anzeichen gibt, Es mag ungewöhnlich scheinen, dass bei der Lektüre des jüngsten Vatikan-Dokuments Dignitas infinita die Reminiszenz ans der wenigen Staaten ist, der dieser Erkläbestimmung und Orientierung – zu hintermit aber zusammen, dass der Vatikan einer Lehre – etwa in Bezug auf sexuelle Selbst- Kabarett hochkommt. Aber „rührend hilflos“ passt als Attribut auch für diesen Verten ist? Ganz abgesehen davon, dass eine ment des II. Vatikanums, Dignitatis humarung bis zum heutigen Tag nicht beigetre- fragen. Man erinnert sich ans letzte Dokusuch, die katholische Moraldoktrin an den „Reinigung des Gedächtnisses“ (© Johannes nae, über die Religionsfreiheit (das ja die Zeichen der Zeit auszurichten, ohne etwas Paul II.) in Bezug auf die bis vor wenigen Menschenwürde im Titel trägt!), welches an der Lehre zu ändern. Jahrzehnten flagrante Ablehnung der Menschenrechte durch die Kirche in so einem Seither hat die Kirchenspitze aber der Mut eine solche Änderung der Lehre bedeutete. Fünf Jahre haben sich Theologen im Auftrag der Kirchenleitung um diesen Text gemüht, wiederholt wurde er vom Papst zu- Leitwort des Konzils) in ihrer (Moral-)Lehre Dokument angesprochen werden müsste. verlassen, die Zeichen der Zeit (auch das ein rückgeschickt, bis er nun mit Franziskus’ Ein Halbsatz zu kirchlichem Missbrauch wirklich zur Geltung zu bringen. Billigung erschien, um die „unendliche Noch prekärer ist es beim Thema Missbrauch, das in erschütternd wenigen Zeilen der alternden Schauspieler, die aus der Zeit Solange das nicht geschieht, ist das Bild Würde“ des Menschen in katholischer Façon zu beleuchten. Und tatsächlich wird da abgehandelt wird; die Rolle der Kirche wird gefallen sind und sich an die Reminiszenzen über gute alte Zeiten klammern, auch für wortreich die Menschenwürde meditiert nur im Halbsatz erwähnt, dass sie sich „unermüdlich dafür ein[setzt], allen Arten von die katholische Kirche nicht falsch. Leider. und deren vielfache Verletzung angeprangert – die Reihenfolge dabei ist wohl bemerkenswert: Armut, Krieg, Flüchtlinge, Men- beginnend im Innern der Kirche“. Das ist Missbrauch ein Ende zu setzen, und zwar otto.friedrich@furche.at 13 Listen und eine Vier-Prozent-Hürde machen die Innsbrucker Wahl am kommenden Sonntag zum österreichweiten Sonderfall. Den Spaltpilz kultiviert hat die ÖVP. Seite 8 Er war Priester und Orientalist, kaisertreuer Österreicher – und fühlte sich nach dem 1. Weltkrieg in Wien verfemt, sodass er in Prag lehrte. Zum 80. Todestag Alois Musils. Seite 10 Wer Trost sucht, wird bei der Wissenschafterin Hannah Ritchie fündig. Wer Lösungen sucht, auch. In ihrem Buch weist sie den Weg in eine positive Klimazukunft. Seite 13 ORF-Gehälter sollen diskutiert werden. Größere Aufregung müsste aber anderen Medienthemen gelten, meint Irene Neverla im „Diesseits von Gut und Böse“. Seite 15 Vor zehn Jahren starb Gabriel García Márquez. Ein bisher unveröffentlichter Roman zeigt einmal mehr die Erzählkunst des Literaturnobelpreisträgers. Seite 19 @diefurche @diefurche @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 Der Schöpfungsbericht im biblischen Buch Genesis (Gen 1,1–2,4a) ist nicht anthropozentrisch: Der Mensch wird wie die Landtiere am vorletzten Tag der Schöpfung erschaffen. Von Michael Rosenberger or einigen Wochen kam in einem Lehrgang zur Tierethik die Frage auf, ob der Wolf in Mitteleuropa und namentlich in Österreich ein Existenzrecht habe. Natürlich wurde es sehr schnell sehr emotional – bei Vertreterinnen und Vertretern pro und contra. Ich stellte dann denen, die eine Existenz des Wolfs in Mitteleuropa generell ablehnten, die Frage, ob sie sich wenigstens einmal in die Position des Wolfs hineinversetzt hätten. Das Gespräch verstummte. Das hatten sie noch nie getan. Mit diesem Beispiel will ich keinen zusätzlichen Beitrag zur Wolfsdebatte eröffnen. Und ich will auch nicht im Geringsten behaupten, dass diejenigen, die sich einmal in den Wolf hineinversetzt haben, generell gegen dessen Abschuss sein müssten. Mir geht es nur darum, aufzuzeigen, wie tief wir in Europa noch immer im Anthropozentrismus gefangen sind, jenem Lesen Sie zum Thema auch Paradigma, das vor 2500 Jahren in Griechenland geboren wurde und seitdem die Rechte (und „Haben Bäume abendländische Philosophie und Theo- Pflichten)?“ logie dominiert hat. Anthropozentrismus, von Christoph das meint: Die ganze Welt und alle nichtmenschlichen Lebewesen sind ausschließ- Müller, am 9. Juni 2021, auf furche.at. lich um des Menschen willen geschaffen, sie haben keinen Wert für sich. Der Mensch darf sie für seine Zwecke nutzen, denn letztlich haben sie den moralischen Status von Dingen. Sich in die Position des Wolfs hineinzuversetzen ist nach dieser Überzeugung überflüssig und sinnlos. Wie der Mensch zum Mittelpunkt wurde Seit der Mediävist Lynn White 1967 in der renommierten Fachzeitschrift Science einen Artikel über „die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“ veröffentlich hat, gilt der abendländische Anthro pozentrismus als einer der wichtigsten Treiber der Umweltzerstörung und Tierausbeutung. Und mindestens für das Mittelalter weist White überzeu- fachend wirken. Dennoch: Über einen Zeitraum von etwa sechs Jahrhunderten sickert der griechische Anthropozentrismus in die christliche Theologie ein. Dann aber ist er dort so fest verwurzelt, dass man ihn nicht mehr als Fremdkörper erkennt, sondern als ein „Quasi-Dogma“ behandelt, das noch im gegenwärtigen Katechismus der katholischen Kirche seinen festen Platz hat (KKK 2415–2418). Was mit Alexander dem Großen begann ... Der Prozess des Einsickerns beginnt bereits vorchristlich. Seit Alexander der Große um 330 v. Chr. sein Weltreich errichtet hat, verbreitet sich der sogenannte Hellenismus. Das meint, dass die griechische Kultur im gesamten Reich Alexanders und teilweise noch weit darüber hinaus Schritt für Schritt zur Leitkultur wird. Ohne dass es gend nach, dass das Christentum sich diesen An thropozentrismus zu eigen gemacht Lebensräume hineingesetzt und aufgefor- hätte, wird das griechische Denken zum den am fünften und sechsten Tag in die der Herrscher angeordnet oder erzwungen und ihn weiterverbreitet hat. Ist also, wie dert, sie ebenso miteinander zu teilen wie Standard der damaligen Zivilisation. Das Carl Amery und Eugen Drewermann aus die Nahrungsmittelressourcen. Fleischverzehr ist in dieser idealen Schöpfungsdentum in der Diaspora und ganz besonders betrifft auch das Griechisch sprechende Ju- Whites Artikel folgerten, das Christentum der Hauptschuldige für die gegenwärtige situation nicht vorgesehen – allein die grünen Pflanzen dienen zur Nahrung. In den Ägypten. Diese übersetzt das hebräische Al- die jüdische Gemeinde von Alexandria in Ökokrise? Und wie könnte eine Alternative zum Anthropozentrismus aussehen, die Schöpfungsbund mit Noach werden die te Testament ins Griechische. Doch sie übersetzt nicht einfach, sondern interpretiert womöglich sogar besser zu den Glaubensüberzeugungen des Christentums passt? zogen, dass der Bibeltext (Gen 9) es vier Mal dabei auch. Und so kommt es, dass im grie- Tiere als Bundespartner so klar mit einbe- Wer diese Fragen beantworten will, wiederholt – damit es auch der Letzte kapiert. Und in den fünf Büchern der Tora fin- nicht wenige Stellen anthropozentristisch chischen Alten Testament, der Septuaginta, muss zunächst einmal festhalten, dass die Bibel kaum anthropozentristisches Gedankengut aufweist. In der ersten Schöpfungs- und Wohl der Tiere dienen. Im Großen und Die ganz späten Texte des christlichen den sich zahlreiche Gebote, die dem Schutz ausgelegt werden, die nie so gedacht waren. erzählung (Gen 1) werden die Lebensräume, also Wasser, Luft und Land, um aller das Alte Testament nicht anthropozentris- verfasst worden, etwa das Buch der Weis- Ganzen wird man also sagen dürfen, dass Alten Testaments sind sogar in Griechisch Lebewesen willen geschaffen. Diese wertisch denkt, sondern biozentristisch: Die heit, das nur wenige Jahrzehnte vor Christi Geburt in der jüdischen Gemeinde von Schöpfung ist um der Lebewesen da, sie alle haben in den Augen Gottes einen einzigartigen Wert, eine unverlierbare Würde. So einziges alttestamentliches Buch quali- Alexandria entstanden ist und das wir als hat es auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ von 2015 festgehalten. pozentristisch denkt. In ihm werden die fizieren können, das konsequent anthro- Wenn die Bibel aber im Unterschied zur Tiere auch das einzige Mal in der Bibel griechischen Philosophie nicht anthropo- mit dem für die griechische Philosophie zentristisch denkt, wie konnte der Anthro- typischen Begriff bezeichnet: Aloga, die pozentrismus dann in die christliche Theologie gelangen? Die Antwort muss an diebares Urteil mit fatalen Konsequenzen Vernunft losen (Weish 11,15-16). Ein furchtser Stelle kurz ausfallen und mag verein- für die so Bezeichneten. DIE FURCHE · 16 12 Diskurs 18. April 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Großartige Idee! Aufklärung riskieren Fokus zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant sowie vierteilige Serie zu seinen großen philosophischen Fragen Nr. 15 bis Nr. 19 Danke für die großartige Idee der Kant-Fragen-Reihe! Eine wunderbare Perspektive auf die nächsten Ausgaben! Begeisterte Grüße. Angelika Delfs, via Mail Vorschnelle Stiche Kirchenspitze ohne Mut Von Otto Friedrich, Nr. 15, Seite 1 Nein, ich bin kein Rom-treuer Priester und auch kein überlauter Franziskus- Fan, aber darf ich es so sagen: Der Ton des Leitartikels scheint mir eher auf Angriff angelegt. Eine inhaltsbezogene Vertiefung in dieses Lehr- Dokument wäre bereichender gewesen als vorschnelle Stiche in Richtung Vatikan und Lehramt der Kirche. Oder haben wir eh schon alles wirklich verstanden? Bei aller Berechtigung der Kritik in Richtung Amtskirche kann man gerade damit das eigentliche Gewicht von Lehrinhalten u.a. regelrecht überblenden, wennn nicht gar ausblenden. Aber vielleicht kann DIE FURCHE das an geeigneter Stelle nachholen. Pfarre Peter Mathei, via Mail Hackl ins Kreuz Türkiser Treppenwitz Von Daniela Strigl Nr. 11, Seite 18 Olaf Scholz im Wespennest Montessori ohne Maria Woody Allens letztes Geschenk Die außenpolitischen Fehltritte des deutschen Ein Buch wirft Schatten auf die Ikone der Reformpädagogik. Wo verläuft die Grenze zwischen Wissen - Kafka – ist 88. Mit „Ein Glücksfall“ kommt Woody Er – Adoptivnachfahre von Sigmund Freud und Franz Bundeskanzlers sind vor allem auf interne Zwickmühlen zurückzuführen. · Seiten 6–7 schafterin und Werk? · Seiten 11–12 Allens 50. Film ins Kino. · Seite 20 Das Thema der Woche Seiten 2–5 Die „unendliche Würde“ des Menschen will Dignitas infinita beleuchten. Das scheitert, weil das jüngste Vatikan-Dokument blind gegenüber dem Versagen der katholischen Kirche bleibt. Kirchenspitze ohne Mut „D „ ‚Rührend hilflos‘ passt als Attribut für diesen Versuch, die Moraldoktrin an den Zeichen der Zeit auszurichten. “ Sapere aude – wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen: Dazu ermutigte der vor 300 Jahren geborene Immanuel Kant. Was bedeutet das heute? Aufklärung riskieren Illustration: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von Wikipedia) Foto: iStock/olrat Dämonie im Unterholz: Stechen und speicheln Zecken sind in Österreich weitverbreitet. Die Klimakrise erhöht die Gefahren der dadurch bedingten Krankheiten. · Seite 22 Buch aus Stein Vor fünf Jahren, am 15. April 2019, brannte mit der Pariser Kathedrale ein Pfeiler der französischen Identität. Jahrhundertelang war Notre-Dame de Paris auch ein Thema der Literatur: ehrfurchtsgebietend und symbolträchtig, als Politbühne und als Kletterspot. Seite 17 AUS DEM INHALT Inmitten des Wahl-Kuddelmuddels Der Scheich aus Österreich Aufmunterung für Klimapessimisten Empört euch – aber richtig! Außergewöhnliches im Alltäglichen furche.at DIE FURCHE · 1 10 Religion 4. Jänner 2024 Mensch und Tier V Bild: Rainer Messerklinger / DALL·E / Prompt: HD Photo of a lone human figure engulfed by various animals like penguins, tigers, horses, Dolphins Ostriches octopus Elephants dogs cats. Das Christentum und seine Theologie wie die abendländische Philosophie sind bis heute von Anthropozentrismus dominiert. Im Gegensatz zum Alten Testament, der jüdischen Bibel. Krone der Schöpfung? „ Abendländischer Anthropozentrismus gilt als einer der wichtigsten Treiber der Umweltzer störung und Tierausbeutung. “ Für Daniela Strigl ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz ein „jugendlicher Pensionist“. Kann uns Frau Strigl sagen, von welcher Pensionsversicherung der aktiv tätige Unternehmer Kurz eine Pensionszahlung bezieht? Es ist möglich, dass er aus seiner Tätigkeit als Abgeordneter, Minister und Bundeskanzler in einigen Jahrzehnten, wenn er das erforderliche Alter erreicht haben wird, eine Pensionszahlung erhalten kann. Ihn jedoch in der österreichischen Neidgenossenschaft ohne Möglichkeit zur Gegendarstellung als jugendlichen Pensionisten zu bezeichnen, erscheint mir als Rufschädigung bzw. „Hackl ins Kreuz“. Dr. Herbert Fürnkranz 2020 Hollabrunn In aller Menschen Herz Würze der Demokratie? Von Franz Winter Nr. 4, Seite 11 Der Artikel von Franz Winter zeigt sehr gut, wie Religionen oft undemokratische Herrschaftsverhältnisse legitimieren. Ich sehe die Ausnahmen nicht nur dann, wenn Religionen in der Gründungsphase sind. Eckhard Nordhofen zeigt in seiner Untersuchung Corpora, die anarchische Kraft des Monotheismus, wie eine inkarnatorische Tradition insofern egalitär sein kann, als Gott in aller Menschen Herz kommt. Die christliche Tradition dazu ist das Brotbrechen und die Tischgemeinschaft. Das kann demokratische Handlungen anstoßen und beflügeln. Mag. Hannes Daxbacher 3021 Pressbaum Von Wölfen und Schafen Krone der Schöpfung. Von Michael Rosenberger, Nr. 1, Seiten 10-11 Wer sich in die Position des Wolfes versetzt, muss sich auch in die Position des Schafes versetzen, das mit- erleben muss, wie der Wolf in der Herde wütet. Wenn man vom Anthropozentrismus abgeht, dann wird man wohl jedes Lebewesen gleichwertig erachten, unabhängig davon, ob es der Menschheit nützt oder schadet, unabhängig davon, wie weit es evolutionär vom Menschen entfernt ist. Da werden sich die Tuberkel-Bazillen aber freuen! Der Autor schreibt, dass der Mensch, wie die Landtiere, am vorletzten Tag erschaffen wurde. Er verschweigt, dass der Mensch als einziges Lebewesen von Gott mit dem Geist – Pneuma, Atem – beseelt wurde und als einziges Lebewesen den Auftrag bekam, sich die Erde untertan zu machen. Die Schwarz- Weiß-Malerei – hier die anthropozentrische Philosophie der Griechen, da die (fast möchte ich sagen) pantheistische Welt der Bibel – ist eine grobe Vereinfachung. Man liest aus den Texten nur heraus, was man hineininterpretieren will. Christus ist Fleisch geworden, ja, aber nicht als Wolf, sondern als Mensch. Wenn wir für das Tierwohl eintreten, tun wir das aus anthropozentrischer Sicht. Wir wollen das Überleben des Wolfes sichern, Bettwanzen und Stechmücken aber ausrotten. Genauso anthropozentrisch handeln die Klima- Schützer. Das Klima und die Welt müssen nicht geschützt werden. Es wird Gewinner und Verlierer des Klimawandels geben und der Mensch gehört sicher zu den Verlierern. Daher sind aus anthropozentrischer Sicht Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen. Im Paradies teilen alle die Nahrungsmittelressourcen. „Fleischverzehr ist in dieser idealen Schöpfungssituation nicht vorgesehen – nur die grünen Pflanzen dienen zur Nahrung“, schreibt der Autor. Marc Twain beschreibt ironisch in „Adam & Evas Tagebuch“, wie sich der Löwe mit seinem Raubtiergebiss mit dem Grasfressen abmüht. Erst durch den Sündenfall wird die Welt für ihn zum Paradies. Mag. Alois Baumgartner 6020 Innsbruck GLAUBENSFRAGE Verzeihen als Verzicht Hannah Arendts „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“ gilt als einer der Schlüsseltexte der als Jüdin schreibenden und gelegentlich auch jüdisch denkenden Philosophin, die 1929 bei Martin Heidegger über den „Liebesbegriff bei Augustin“ dissertierte. „Vita Activa“ gilt auch als eines ihrer „christlichsten“ Bücher, denn es ist ein Buch, worin Liebe und Vergebung eine vortreffliche Rolle spielen. In der Tat: Dass die Liebe allein die Macht habe zu verzeihen, dies war für Arendt ein christliches Prinzip — und zugleich ein Irrtum des Christentums. Denn die Liebe, so schreibt sie, „ist ihrem Wesen nach nicht nur weltlos, sondern sogar weltzerstörend, und daher nicht nur apolitisch, sondern sogar antipolitisch — vermutlich die mächtigste aller antipolitischen Kräfte.“ Verzeihung jedoch gehört gerade in den Raum der Politik. Und hier ist es nicht Liebe, die uns die Macht gibt, das Getane als das Geschehene sein zu lassen, sondern die philía politiké, die politische Freundschaft, die sich ausdrückt im Respekt und in der Achtung vor der Person. Aus Respekt, aus Achtung und aus politischer Freundschaft dürfen wir verzeihen. Verzeihen aber wozu? Arendt meint: Um jenen Kreislauf zu durchbrechen, den alles Handeln und Widerhandeln um uns errichtet hat, um auszubrechen aus der Kettenreaktion unserer Taten, um einander von den Folgen unserer Taten zu entbinden. In diesem Sinne ist Verzeihung ein Akt der Freiheit. Gewiss, sie kann nichts ungeschehen machen, und sie muss nichts eigentlich „vergeben“. Aber sie kann uns entbinden vom ewiggleichen Fatum der Notwendigkeit. Das Verzeihen ist ein Verzichten, und in diesem revolutionären Akt liegt für Arendt die Möglichkeit eines neuen Anfangs, der immer unberechenbar bleibt: eine Politik des Unerwarteten, aus der Neues entstehen kann. Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA. Von Asher D. Biemann Mit der Promotion „7 + 1“ warten Gratistipps bei EuroDreams. „Extrachance“ bei Euro- Dreams Im Zeitraum vom 12. bis 18. April erhalten alle Spielteilnehmer:innen, die auf einem Euro- Dreams Wettschein oder per Quicktipp-Transaktion mindestens sieben EuroDreams Tipps spielen, eine weitere „Extrachance“ mit einem EuroDreams Gratistipp zusätzlich. Die Aktion gilt für alle Kanäle. Es werden also alle Wettscheine mit zumindest sieben EuroDreams-Tipps mit einem Gratistipp belohnt, egal ob sie in der Annahmestelle, über win2day oder in der Lotterien App gespielt werden. EuroDreams wird in Österreich sowie in den sieben weiteren Ländern Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, Belgien, Luxemburg und der Schweiz angeboten. Dabei hat man zweimal wöchentlich – jeweils am Montag und am Donnerstag – die Chance, bis zu 20.000 Euro netto pro Monat für die Dauer von 30 Jahren zu gewinnen. Eine monatliche Ratenzahlung als Gewinn gibt es auch im zweiten Gewinnrang, und zwar in Höhe von 2.000 Euro für fünf Jahre. Alle Infos zu EuroDreams gibt es unter www.lotterien.at. Foto: Österreichische Lotterien IN KÜRZE RELIGION/INTERNATIONAL ■ Protest der Abtreibungsgegner RELIGION ■ Himmlischer Matura-Segen BILDUNG ■ Studie zur Neuen Mittelschule WISSEN ■ CSH will Talente anlocken Vergangenen Sonntag protestierten tausende Menschen in Warschau gegen eine Liberalisierung der restriktiven Abtreibungsgesetze. Die katholische Kirche Polens unterstützte die Demonstration, indem sie an dem Tag zum Gebet „zur Verteidigung des empfangenen Lebens“ aufrief. Auslöser für die Proteste sind Pläne des polnischen Parlaments: Die Mitte-Links-Koalition von Regierungschef Donald Tusk lässt gerade einen Gesetzesentwurf prüfen, der Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legalisieren würde. Derzeit erlaubt Polen Abtreibungen nur nach Vergewaltigungen, Inzest oder bei Lebensgefahr für die Mutter. Maturantinnen und Maturanten können sich nun Unterstützung von höchster Stelle sichern, und zwar im Rahmen der Aktion „Be Blessed!“ (dt. Sei gesegnet!). Organisiert haben dies mehrere katholische Diözesen, die Evangelische Kirche Österreich sowie die Initiative „Denk Dich Neu“. Nach einer kostenlosen Anmeldung auf www.beblessed.at wählen Interessierte Prüfungstermin und -fach aus. Am Maturatag wird dann eine Kerze in der Kirche entzündet und per WhatsApp ein Kurzvideo mit Segenswünschen von Kardinal Schönborn, Caritas-Präsidentin Tödtling-Musenbichler oder der evangelischen Pfarrerin Schnizlein verschickt. Deutliche Verbesserungen gab es nur im Deutschunterricht, in Englisch waren die Fortschritte gering, in Mathematik gab es Verschlechterungen: Das zeigt eine Studie der JKU Linz und der Universität Innsbruck, die langfristige Auswirkungen der Neuen Mittelschule (NMS) auf die Unterrichtsqualität aus Sicht von Schülerinnen und Schülern untersuchte. Die Untersuchung basiert auf den Bildungsstandardüberprüfungen von 2009 bis 2018. Laut Studien-Ko-Autorin Schreiner bräuchten Reformen viel Zeit, um nachhaltige Ergebnisse zu zeigen. Neben der Abschaffung von Leistungsgruppen sollte die NMS selbstständiges Lernen fördern. Der Complexity Science Hub (CSH) Wien startet gemeinsam mit seinen Partneruniversitäten ab Herbst eine Doktoratsausbildung in der Komplexitätsforschung. Die CSH Digital Innovation School (DIS) soll die akademische Ausbildung von hochqualifizierten Talenten ermöglichen und wird vom Bund mit rund 12,5 Millionen Euro finanziert, hieß es bei einer Pressekonferenz. Pro Jahr werden mindestens fünf Studierende aufgenommen, die erste Gruppe startet im Herbst. Die Teilnehmer sollten interdisziplinär arbeiten, um zu Lösungen in Bereichen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Migration, Gesundheit oder Grüne Wende beizutragen.
DIE FURCHE · 16 18. April 2024 Literatur 13 Was macht die Texte Ödön von Horváths bis heute so aktuell? Der Blick auf die Arbeitsweise des Autors – auf das Entworfene und Verworfene, das Geschriebene und Gestrichene – zeigt, wie Horváth Schritt um Schritt zu jenen Texten fand, die politisch sind, ohne einer konkreten Zeit verhaftet zu sein. Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant Seit Ende der 1960er Jahre ist Ödön von Horváth aus dem Theater und den Schulen nicht mehr wegzudenken, wo vor allem „Jugend ohne Gott“ gelesen wird. Nach 20 Jahren Forschungsarbeit erschien nun der 19. und letzte Band der historisch-kritischen Ausgabe von Ödön von Horváths Werken. Sie zeigt anschaulich die Werkgenese, also die einzelnen Schritte, wie Horváths Texte entstanden sind. Das hat nicht nur Bedeutung für die Wissenschaft, sondern bringt auch die Werke selbst neu zum Schwingen. DIE FURCHE sprach mit dem Herausgeber Klaus Kastberger. „Zeitstücke Ödön von Horváth Geboren am 9. Dezember 1901 in Susak bei Fiume, schrieb er mit Werken wie „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Der ewige Spießer“, „Jugend ohne Gott“, „Der jüngste Tag“ Literaturgeschichte. Er starb am 1. Juni 1938 in Paris. DIE FURCHE: So eine aufwändige historisch-kritische Ausgabe, die alle Materialien und die einzelnen Phasen der Entstehung der Werke sichtbar macht, ist eine wichtige Grundlagenforschung. Aber warum war sie überhaupt nötig? Klaus Kastberger: In den bisherigen Suhrkamp-Ausgaben steckt ziemlich viel Unsinn drin. Traugott Krischke, der all diese Ausgaben gemacht hat, hat sich sehr engagiert, war aber mit der Edition in den Details völlig überfordert. So gibt es in „Jugend ohne Gott“ Rechtschreibfehler, die die Schüler machen und deren Eltern. Diese Fehler wurden in den bisherigen Ausgaben immer korrigiert, obwohl sie gewollt sind. Es hat auch eine ganze Reihe von Texten gegeben, die gar nicht oder nicht ordentlich erschlossen waren. Darunter alle Briefe, Lebensdokumente und Notizbücher des Autors, die nunmehr vollständig vorliegen. Auch einige unbekannte Werke wie das frühe Stück „Niemand“ liegen jetzt vor. Das größte Problem der alten Editionen war das werkgenetische Material, das immer wieder anders und anders schlecht editiert worden war. Tatsächlich ist bei Horváth genügend Material vorhanden, um den Produktionsprozess, also die Entstehung der Werke, editorisch in nahezu allen Details darzulegen. DIE FURCHE: Er hat ja intensiv an seinen Werken gearbeitet ... Kastberger: Es ist sehr spannend, wie Horváth gearbeitet hat! Eigentlich sieht man erst an seiner Arbeitsweise, dass er ein eminent moderner Autor war. Er hat Cut-and-Paste-Verfahren, also Schneide- und Klebetechniken verwendet. Und es ist auch durchaus nicht so, dass er den Leuten etwa auf dem Oktoberfest aufs Maul geschaut und die Dia loge dann eins zu eins aufs Papier gebracht hat. Es schaut bei ihm vieles genuin natürlich aus, aber es ist nicht genuin natürlich. Wir haben es hier mit hochgradig konstruierten Sprachfügungen zu tun. Als wir begonnen haben, diese Ausgabe zu machen, hat sich relativ bald gezeigt, dass nicht nur das literaturwissenschaftliche Fachpublikum mit der Ausgabe etwas anfangen kann, sondern – und das war immer eine Argumentation für weitere Fortsetzungen der Projekte –, dass diese Bände vor allem auch am Theater eingesetzt werden. Gerade bei den großen Volksstücken, wo sehr viel an werkgenetischem Material vorhanden ist, war die Regie glücklich, dass ihr nun andere Zugänge eröffnet wurden und sie sich so von den vielen, vielen anderen Inszenierungen, die es schon gibt, absetzen konnte. ohne Zeit“ Ein vorzügliches Beispiel dazu ist Frank Castorf. Er hat in München vor mehr als zehn Jahren „Kasimir und Karoline“ inszeniert und das hat fünf Stunden gedauert, weil er eigentlich die gesamte historisch-kritische Ausgabe von den ersten Entwürfen des Stückes bis in die Endfassung hinein auf die Bühne gestellt hat. Etwas Besseres als eine solche Umsetzung kann einer solchen Ausgabe nicht passieren. DIE FURCHE: In den 19 Bänden dieser Ausgabe kann man nun alles nachlesen, was auf dem Weg zum endgültigen Text entstanden ist, verworfen wurde, umgeschrieben wurde. Was ist an Horváths Arbeitsweise vor allem von Interesse, für ein nicht-wissenschaftliches Publikum, also für seine Leserinnen und Leser, für die Zuschauerinnen und Zuschauer? Kastberger: Horváth war einer, der jeden Gedanken hingeschrieben hat. Das sieht man in seinen Notizbüchern und Konzeptblättern. Es gibt zum Beispiel ein Stück von Horváth, das heißt „Hin und her“. Er hat nicht gewusst, soll er es jetzt „Hin und her“ oder „Her und hin“ nennen. Es gibt ein „ Es ist sehr spannend, wie Ödön von Horváth gearbeitet hat! Eigentlich sieht man erst an seiner Arbeitsweise, dass er ein eminent moderner Autor war. “ Blatt in einem Notizbuch, da ist 50-mal „hin und her“ durchgestrichen, und auch wieder „her und hin“ durchgestrichen, also wirklich ein ewiges „Hin und her“. Das war seine Art, zu Ergebnissen und zu endgültigen Formulierungen zu kommen. Er musste es schriftlich ausprobieren. Horváth war einerseits abergläubisch, andererseits total analytisch. In seinen Dramen hat er sehr gern mit der Zahl sieben begonnen. Und dann hat er diese 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 Teile runtergeschrieben und einzelne Teile – es waren ja gar nicht immer Akte – benannt Lesen Sie auch das Gespräch: „Klaus Kastberger: ‚Veranstaltungen boomen‘“, vom 28.2.2019, furche.at. Foto: APA / Zsolnay Verlag 2001 und von dort aus weitergearbeitet. Er hat standardisierte Denkgefäße gehabt, die er gefüllt und variiert hat. Oft wurde im Arbeiten die Struktur eines Stückes völlig umgestellt. Bei „Kasimir und Karoline“ hat er die Aktform völlig aufgegeben und nur mehr ganz kurze Szenen hingeschrieben, die dann durch mehr als einhundert Stillen durchbrochen sind. In der Ausgabe sieht man, wie er zu diesen Makrostrukturen kommt. Aber auch zu einzelnen Sätzen, die sprachlich die Normalsten zu sein scheinen, es aber nicht sind. Ein Beispiel: In „Kasimir und Karoline“ wird Karoline von dem reichen Kommerzialrat verführt und geht zum Karussell. Sie wird eingeladen, da eine Runde zu reiten. Und dann sagt sie den berühmten Satz, und der ist natürlich doppeldeutig und auch sexuell konnotiert: „Wenn ich einmal reit, möcht ich aber gleich zweimal reiten.“ Und Horváth hat angefangen: „wenn ich jetzt viermal reite, dann reite ich gleich fünfmal“. Das war schlecht. „Wenn ich jetzt dreimal reite, dann reite FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE
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