DIE FURCHE · 16 10 Diskurs 18. April 2024 ZEITBILD Banges Warten in Nahost: Tun sie es? Foto: APA / AFP / Jack Guez Eindringlich hatte US-Präsident Joe Biden das Mullah- Regime vor einem direkten Angriff gewarnt: „Don’t“, meinte er Freitag vergangener Woche in Richtung Teheran – „tut es nicht“, nämlich einen (mutmaßlich) israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus mit 16 Toten mit einem massiven Militärschlag zu vergelten. Die einsilbige Warnung wurde rasch Kult und landete auch in Graffitiform an den Wänden von Tel Aviv – gesprochen von Biden als Marvel-Comicfigur „Captain America“ (siehe Bild). Doch es nützte alles nichts: Mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper feuerte Teheran in der Nacht von 13. auf 14. April in Richtung Israel ab. Es war ein wahnwitziger Schritt – der wie durch ein Wunder zunächst kaum Schäden anrichtete: Dank Iron Dome und einer beeindruckenden Koordination mit Amerikanern, Franzosen, Briten und Jordaniern gelang es, 99 Prozent der Geschosse abzufangen. Die Hoffnung war groß, dass damit die Eskalationsspirale gestoppt und das Taumeln „in Richtung Abgrund“, wie es UNO-Generalsekretär António Guterres bezeichnete, gestoppt werden könne. „Don’t“ heißt es seither gegenüber dem Kriegskabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Doch Generalstabschef Herzi Halevi ließ nach einem Besuch des leicht beschädigten Luftwaffenstützpunkts Nevatim keinen Zweifel daran, dass mit einer Vergeltung zu rechnen sei. Seitdem (und bis Redaktionsschluss) herrscht banges Warten. Man plane eine „kluge Reaktion“, meinte Netanjahu – was immer das aus dem Mund eines Mannes bedeutet, dessen einziges Ziel nur noch darin besteht, sich irgendwie an der Macht zu halten. (Doris Helmberger) Hinweis: Die Rubrik „Erklär mir deine Welt“ muss diese Woche nochmals entfallen. In der kommenden Ausgabe lesen Sie den nächsten Brief von Johanna Hirzberger an Hubert Gaisbauer. Von Heinz Nußbaumer Wie wurde der Iran vom kaiserlichen „Gottesgnadentum“ zum islamischen Gottesstaat mit Erzfeind Israel? In FURCHE Nr. 4 3800 23.Jänner 2009 Ein historischer Text zum 30. Jahrestag der Revolution. Der Iran und Israel waren nicht immer Todfeinde. Die Wende brachte 1979 die Islamische Revolution, angeführt von Ayatollah Ruhollah Mussawi Khomeini. Zum 30. Jahrestag der Ereignisse beschreibt Heinz Nußbaumer, FURCHE-Herausgeber und Autor des Bestsellers „Khomeini – Revolutionär in Allahs Namen“ (1979), den Umsturz und die Entwicklung Khomeinis vom vergessenen Emigranten zum Angstbild des Westens. Mullah, der die Welt veränderte Am 11. Januar 1979 dreht eine blauweiße Boeing 727 eine letzte Runde über der iranischen Hauptstadt Teheran, ehe sie nach Westen entschwindet. Im Cockpit sitzt der 60-jährige Schah Mohammed Reza Pahlewi – 37 lange Jahre war er Kaiser über das persische Volk. „Ich bin müde und brauche eine Pause“, lässt er später ausrichten. Und weiß doch, dass es keine Heimkehr gibt – gehasst von Millionen, die in den Straßen toben. [...]. 20 Tage nach dem Abschied des Kaisers – am 1. Februar 1979 – startet kurz nach Mitternacht ein Jumbo-Jet von Paris zum „Revolutionsflug Nr. 1“. Die Bar im 1. Stock ist ausgeräumt. In Decken gehüllt, liegt ein 77-jähriger Mann am Boden und schläft „völlig ruhig und tief“, wie die erstaunte Besatzung später erzählt. Zwischen diesen beiden Terminen vollzieht sich – chaotisch, gewaltsam und im Massenfieber – die Wende vom kaiserlichen „Gottesgnadentum“ zum islamischen Gottesstaat. Millionen Iraner blicken in den Himmel, als die Maschine über Teheran gesichtet wird – bis Punkt 9.39 Uhr der neue Alleinherrscher den Heimatboden betritt. Ein Volk badet in ekstatischem Fanatismus. „Aga umat“, der Meister ist gekommen. [...] Khomeinis später Siegeszug beginnt, als der kaiserliche Geheimdienst Anfang 1978 vermeint, den so lange Totgeschwiegenen als kommunistischen Verschwörer schmähen zu müssen. Sympathiekundgebungen für den Angegriffenen enden blutig im Feuer der Armee. Das Uhrwerk der islamischen Revolution beginnt zu ticken. Dass diese Revolution gegen den scheinbar unbezwingbaren Kaiser gelingt, ist nur aus dem politischen Nährboden seines Landes und seiner Zeit erklärbar: Da ist Khomeinis Gegenspieler, der Schah. Nach außen weltläufig-weise und machtvoll. Der vielgelobte, hochgerüstete „Polizist im Welterdölzentrum“. Engster Verbündeter Amerikas und stiller Helfer Israels. Nach innen aber korrupt und menschenverachtend. Für sein Volk ein ungerechter, gottloser Herrscher, der sich selbst zum Kaiser gekrönt, das Land versklavt und das alte Gleichgewicht von Staat und Religion zerstört hat. Und da ist die Globalisierung und mit ihr – wie ein Pendelschlag – die Rückbesinnung vieler Völker auf die eigenen Wurzeln. Ein Abwehrprozess gegen fremde Vereinnahmung. Und der Iran jener Foto: Klomfar Zeit ist ein Modellfall der Entfremdung: Hunderttausende Bauern finden sich als Proletariat an den Rändern der Städte wieder. Die alten sozialen Netze zerreißen. Jeder zehnte Soldat ist Amerikaner. Der Islam wird politisch und missionarisches Gegenprogramm zur Rettung der Welt „vor dem Unheil des Westens“. Er ist antikolonial, sozial engagiert – und im Besitz ewiger Wahrheiten. AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. 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DIE FURCHE · 16 18. April 2024 Diskurs 11 Benedikt XVI. hat den Titel „Patriarch des Abendlandes“ abgelegt, was bei den Orthodoxen Irritationen auslöste. Sein Nachfolger führt ihn nun wieder ein. Was heißt das für die Ökumene? Ein Gastkommentar. Papst Franziskus als primus inter pares Ebenso leise, wie der Papsttitel 2005 unter Benedikt XVI. aus dem Annuario Pontificio, dem offiziellen Jahrbuch des Vatikans, verschwand, ist er fast 20 Jahre später wieder aufgetaucht. Über den Zeitpunkt mag man spekulieren können. Aber diesen Titel wieder zu führen, fügt sich in das Primatsverständnis von Papst Franziskus. Man darf mutmaßen, dass er diesen Schritt nicht zu Lebzeiten seines Vorgängers unternahm, um diesen nicht zu brüskieren. Dass Papsttitel abgestreift werden, ist zunächst nicht unbedingt ein Schaden. Benedikt XVI. hatte aber bedauerlicherweise jenen abgelegt, der den Bischof von Rom als „Patriarch des Abendlandes“ bezeichnete. Dies ist ein Titel, der auf die Struktur der Alten Kirche verweist – und ein ökumenischer Anknüpfungspunkt für den Dialog mit den Ostkirchen ist. Es wäre besser gewesen, den Titel „Stellvertreter Christi“ (Vicarius Christi) zu tilgen, der erst unter Papst Innozenz III. (+ 1216) eingeführt worden war. Innozenz III. oder Franz von Assisi? Dieser verkörperte den Gipfelpunkt päpstlicher Macht. Dem Papst komme die Fülle der Gewalt zu, die aus der Königsherrschaft Christi abgeleitet werde, meinte Innozenz III., und der Papst stelle den typus Christi auf Erden dar, allerdings nicht die dienende Knechtsgestalt Jesu, sondern die herrschende Funktion des zur göttlichen Glorie erhöhten Herrn. Auf dieses Primatsbild verwies implizit Benedikt XVI. bei seiner ersten Predigt nach seiner Wahl. Er sprach über Petrus als Felsen, auf den Christus die Kirche bauen werde (Mt 16,18) und fügte hinzu: „Als er [Christus] mich zum Bischof von Rom erwählt hat, wollte der Herr mich zu seinem Stellvertreter, er wollte mich zum ‚Felsen‘ machen, auf den sich alle sicher stützen können.“ Den Gegenentwurf zu Innozenz bildete übrigens sein Zeitgenosse Franz von Assisi, dessen Namen der gegenwärtige Papst angenommen hat. Franz von Assisi setzte den päpstlichen Erhebungen der eigenen Person christliche Demut, Liebe zum Geringen und Verachteten in der Welt entgegen. Bereits zu Beginn seines Pontifikats hat Foto: Michaela Greil DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Dietmar W. Winkler „ Bei Franziskus kommt ein Amtsverständnis zum Ausdruck, das den Bischof inmitten des Volkes sieht. “ ständnis angedeutet. Von seinen ersten Worten nach seiner Wahl ist vielen noch das Buonasera im Ohr. Allerdings verwies er, von den Kommentatoren unbemerkt, auch auf ein sehr frühes Verständnis der römischen Kirche. Er sagte, dass Bischof und Volk den Weg der Kirche gemeinsam gehen mögen, und charakterisierte die Kirche von Rom als jene, „die den Vorsitz in der Liebe führt“. Damit verwies er auf einen der frühesten Kirchenväter, Ignatius von Antiochien, der dies um 110 in seinem Brief an die Römer auf seinem Weg ins Martyrium schrieb. Ignatius schrieb der Kirche von Rom zweifellos einen Ehrenplatz zu, aber dieser hat nichts mit späteren päpstlichen universalen Primats- und Jurisdiktionsideen zu tun. Franziskus verweist also auf eine frühkirchliche Praxis, die Rom nicht über anderen Gemeinden im Sinne von Machtausübung sieht. Ferner kommt bei Franziskus ein Amtsverständnis zum Ausdruck, das den Bischof inmitten des Volkes sieht. Bereits in der ersten Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle stellte Franziskus das gemeinsame Gehen mit Christus und Bauen der Kirche in den Mittelpunkt: „Wenn wir ohne das Kreuz gehen und bauen, sind wir zwar Bischöfe, Priester, Kardinä- Papst Franziskus sein Amts- und Primatsverle oder Päpste, doch keine Jünger des Herrn.“ Das gemeinsame Gehen setzte er konsequent mit dem gegenwärtig weltweit viel diskutierten synodalen Prozess um. Und nun wieder „Patriarch des Okzidents“ (Westens bzw. Abendlandes). Die Tragweite versteht man nur mit einem kurzen Blick in die Geschichte: In den ersten ökumenischen Konzilen des 4. und 5. Jahrhunderts bildeten sich fünf Patriarchate heraus – Rom, Konstantinopel (das Neue Rom), Alexandrien (für Afrika), Antiochien (für Asien) und Jerusalem (als Ort der Auferstehung des Herrn). Diese stellten die Pentarchie (die fünf Ersten) dar, und zwar in dieser Reihenfolge. Verwaltungsmäßig und in der seelsorgerischen Praxis sind diese fünf Kirchen voneinander unabhängig gewesen, in ihrem Glauben bildeten sie aber gemeinsam die eine Kirche Christi. Erster unter Ranggleichen Im 6. Jahrhundert fand diese polyzentrische überregionale Kirchenstruktur in die theologische Literatur und das kirchliche Recht Einzug. Noch im 9. Jahrhundert galt dies selbst im Westen als passendes Konzept der Kircheneinheit. Ein solches ist die Pentarchie für die Ortho doxie als Modell der Einheit in der Vielfalt bis heute. Die Reihenfolge bedeutet dabei keine Unterordnung der nachgenannten Patriarchate unter jenes von Rom, sondern die Verleihung des Ehrenvorsitzes an den Bischof von Rom im Sinne eines primus inter pares (Ersten unter Ranggleichen). Durch die Trennung von Ost- und Westkirche ist heute das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel an die erste Stelle gerückt. Mit der Wiederannahme des Titels „Patriarch des Abendlandes“ greift Franziskus auf das Konzept eines primus inter pares zurück und steht damit konsequent in Kontinuität mit seinen ersten Papstworten vom „Vorsitz in der Liebe“ und seinem derzeitigen Wirken für eine synodale Kirche. Dass der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., als einer der Ersten über die Wiedereinführung informiert wurde, passt da gut ins Bild. Der Autor leitet an der Uni Salzburg das Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens. ZUGESPITZT Sagen Sie nie nur U-Ausschuss! Namen sind wichtig. Sie machen es möglich, Menschen oder Dinge zu benennen, greifbar zu machen – und ihnen das gewisse Etwas zu verleihen. Nicht durch Zufall legen sich erfolgreiche Menschen deshalb Künstlernamen zu. Was wäre ein Udo Jürgens als Udo Bockelmann gewesen oder eine Hedy Lamarr als Hedwig Kiesler? Nicht jeder kann von Natur aus Taylor Swift heißen. Kein Wunder auch, dass der berühmteste Agent der Insel James Bond genannt wurde und nicht Charly McDumb. Insofern kann man den berühmtesten Spion Österreichs, Egisto Ott, als von Natur aus gesegnet betrachten. Als Andi Ott wäre seine Karriere wohl nicht ganz so steil verlaufen. Auch für den Erfolg parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist die Namensgebung nicht ganz unwesentlich. Was „ÖVP-Korruptionsausschuss“ oder „Rot-blauer-Machtmissbrauch-Ausschuss“ heißt, wird schon irgendwie in die gewünschte Richtung gehen. Ausreißer wie der „COFAG-U-Ausschuss“ bestätigen die Regel. Insofern sollte man beim nunmehr von allen Parteien (nach der Wahl) gewünschten Ausschuss zur Aufklärung russischer Umtriebe in Österreich ein wenig kreativ werden. „Herbert-Hans-Jörg-Egisto- Jan-Wladimir-Spezialspezln- Untersuchungsausschuss“ kann ja wohl nur der Anfang sein. Doris Helmberger PORTRÄTIERT Innsbrucker Kaspressknödel-Wahlsieger Ein roter Bundespräsident, ein schwarzer Landeshauptmann, ein Tiroler Wirt und viele lachende Gesichter vor einer Almhütte: Lasst andere die Mitte für sich reklamieren und über Leitkultur politisieren – Johannes Anzengruber hat diese bei der Innsbrucker Gemeinderatswahl am Sonntag symbolisiert, damit seine alte politische Heimat ÖVP deklassiert und sich in die Stichwahl ums Bürgermeisteramt hineinkatapultiert. Als der langjährige populäre Almwirt Anzengruber ein gut 15 Jahre altes Foto von sich gemeinsam mit Heinz Fischer und Herwig van Staa vor seiner Quasi-Parteizentrale Arzler-Alm für den Wahlkampf aus dem Familienalbum herausgesucht hatte, läuteten bei der ÖVP in Stadt und Land wahrscheinlich die Alarmglocken. Aber da war es bereits zu spät und das gemeinsame Tischtuch nach dem Rauswurf aus dem Vizebürgermeisteramt und der Partei zerschnitten. Das soll was heißen, gehört Anzengrubers Familie, für Tirol nicht überraschend, doch seit Generationen zum schwarzen Kern; schon seine Großmutter saß für die Volkspartei als eine der ersten Frauen im Tiroler Landtag, was wiederum nicht selbstverständlich ist. Nicht selbstverständlich ist auch das Risiko, das Anzengruber mit seiner Listengründung und Kandidatur eingegangen ist. Von knapp 300.000 Euro Wahlkampfkosten ist die Rede, die er gemeinsam mit seiner Frau fast zu Gänze selbst finanziert habe. Seine Bereitschaft zum Risiko prägte auch die bisherige Berufslaufbahn des 45-Jährigen. Nach der HTL für Elektrotechnik arbeitete er als Projektleiter bei den Tiroler Kliniken, bis ihn seine Mutter bat, ihr Genussprojekt Arzler-Alm am Fuß der Nordkette über Innsbruck zu übernehmen. Anzengruber ließ den sicheren Job mit Freizeitgarantie sausen und wurde Wirt. Mit gleicher Konsequenz gab er 2020 seinen Almschlüssel ab, als ihm die ÖVP das Amt des Vizebürgermeisters anbot. Mit vom Berg ins Tal nahm er Leutseligkeit und Hüttenschmäh. Als der sogenannte Plagiatsjäger aus Salzburg auch seine Bachelor-Arbeit durchleuchtete (kein Plattschuss), lautete Anzengrubers Kommentar: „Wenn man lange genug weitergräbt, findet man vielleicht auch noch heraus, dass meine Kaspressknödel schuld daran waren, dass 1809 die Schlacht am Bergisel verloren ging.“ Während diese Frage noch intensiver Forschung bedarf, sind Anzengrubers Knödel mit Sicherheit mit ein Grund, dass er es in die Stichwahl um den Bürgermeister von Innsbruck schaffte. (Wolfgang Machreich) Foto: APA / EXPA / Johann Groder Johannes Anzengruber schaffte es mit „Bei-die- Leit-Leitkultur“ in die Innsbrucker Bürgermeister-Stichwahl.
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