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DIE FURCHE 18.01.2024

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DIE FURCHE · 3 22 Wissen 18. Jänner 2024 Christoph Mackinger über seine Beziehung zu einem Oktopus im Aquarium: „Ein aufgeweckter Geist“ (3.1.2019), auf furche.at. Illustration: Rainer Messerklinger Foto: Klaus Stiefel Die ungewöhnliche Biologie der Kopffüßer sorgt in der Wissenschaft für Aufsehen: Neue Studien zeigen, dass sie ähnlich wie Säugetiere schlafen. Von Manuela Tomic MOZAIK Fernbedienung Jahrelang schuftete Mutter in unserer Kärntner Kleinstadt in der Pizzeria. Pünktlich um Mitternacht kam sie erschöpft nach Hause und brachte mir täglich Pizza zum Nachtmahl mit. Bis dahin zappte ich mit knurrendem Magen allein durch alle Fernsehkanäle. Der Bildschirm hypnotisierte mich, die Augen flackerten. Ungeklärte Morde, Ufos, Brustvergrößerungen und kalifornische Sektenführer umgeisterten mich. Erst der leicht verbrannte Geruch der Pizza riss mich aus der Hypnose. Meist gab es Pizza Marinara, die wir direkt aus dem Karton aßen. Dann streute mir der Sandmann, den ich mir als dicken Pizza bäcker vorstellte, Mehl in die Augen. Mit öligen Fingern und seligem Gaumen taumelte ich ins Bett, während Mutter mit Vater telefonierte, der gerade mit seinem Lkw quer durch Deutschland fuhr. Im Halbschlaf vernahm ich nur noch Bruchstücke ihrer Gespräche. Half uns die Pizza bei unserem Visum? Wenn mein Freund heute ein Blech Pizza macht, kauere ich gerne vor dem Ofen. Die Mozzarella-Bläschen wirken wie die Oberfläche eines fremden Planeten. Wann wird das Ufo landen? Nach dem Essen behalte ich immer noch ein kleines Stück auf. Um Mitternacht schleiche ich mich in die Küche, knabbere an der kalten Pizza, denke an Mutter. Neidisch starre ich durch das Fenster auf den flackernden Flachbildfernseher unserer Nachbarn. Die Morde sind mittlerweile aufgeklärt, und die Sektenführer spielen Golf. Ich zappe weiter. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Von Klaus Stiefel Schlaf ist ein ebenso selbstverständlicher wie wesentlicher Teil unseres Tagesablaufs. Nur wer gut geschlafen hat, ist halbwegs leistungsbereit und wohlgestimmt. Und Schlaf ist kein Monolith. Während einer typischen Nacht wechselt sich der Tiefschlaf mit dem viel flacherem REM-Schlaf ab, gekennzeichnet durch schnelle Augenbewegungen (REM: Rapid Eye Movement). Die Gehirnaktivitäten, die während der beiden Schlafphasen stattfinden, unterscheiden sich ganz wesentlich. Im Tiefschlaf schwingen die elektrischen Wellen in unserem Gehirn langsam und gleichmäßig. Alle Gehirnregionen sind dann etwa gleichzeitig geladen oder entladen. Im Gegensatz dazu schwingen beim REM- Schlaf die elektrischen Gehirnwellen viel schneller, und die Aktivität in benachbarten Hirnregionen gleicht sich nicht. Diese Muster der Gehirnaktivität im REM-Schlaf sind denen eines wachen Menschen also viel ähnlicher als die im Tiefschlaf. Faszinierende Farbmuster Eine analoge Abfolge der Schlafphasen gibt es auch bei anderen Säugetier arten. Aber nicht nur diese mit uns relativ nahe verwandten Tiere schlafen ähnlich wie wir: Neuere wissenschaftliche Ergebnisse vom Team um Aditi Pophale vom Okinawa Institute of Science and Technology in Japan zeigen, dass sogar Oktopusse verschiedene Schlafphasen erleben. Bei diesen Tieren heißen die beiden Schlafphasen aktiver und ruhiger Schlaf. Beim aktiven Schlaf treten zwei Phänomene gemeinsam auf: Die Farbmuster auf der Haut des Oktopusses ändern sich in rascher Abfolge, und die verschiedenen Gehirnregionen des Tieres sind stark aktiv und schwingen schnell. Die sich ändernden Farbmuster auf der Oktopushaut kommen durch die Kontraktion in der Haut eingebetteter Muskeln zustande: Sie sind also auch ein Resultat der im aktiven Schlaf verstärkten Aktivität des Oktopus-Nervensystems. Diese Ergebnisse sind aus mehreren Gründen außergewöhnlich. Der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Oktopus lebte noch vor dem Kambrium, also „ Der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Oktopus lebte vor mehr als einer halben Milliarde Jahren. Dieses wohl wurmgleiche Wesen hatte sicher kein Ihr Nervensystem und ihr kurioses Verhalten bieten Anlass zum Staunen: wie sich Kopffüßer ausruhen – und warum sie bei Bedarf auch ihre Artgenossen verspeisen. der gerechten Oktopusse Der Schlaf vor mehr als einer halben Milliarde Jahren. Dieses wahrscheinlich wurmgleiche Wesen hatte sicherlich kein komplexes Gehirn – und keine separaten Schlafphasen. Diese haben sich also in Säugetieren und Oktopussen unabhängig voneinander entwickelt. Es scheint, als ob große, komplexe Gehirne verschiedene Schlafphasen brauchen, um ihre dauerhafte Funktion zu gewährleisten. Und das gilt offensichtlich sowohl für große Säuge tier gehirne als auch für die kleinen Gehirne der Oktopusse. Die Schlafphasen der Oktopusse sind nur eine der Facetten der faszinierenden Biologie dieser Tiere, die in den letzten Jahren ans wissenschaftliche Tageslicht gekommen sind. Ein weiterer Aspekt ist die relative Unabhängigkeit, mit der komplexes Hirn. “ sich ihre Arme bewegen. Anders als beim Menschen, wo jede Muskelkontraktion im Arm oder Bein zentral vom Hirn gesteuert wird, entscheiden die Nervenknoten in den Oktopusarmen zu einem guten Teil lokal über die Ausführung von Greifbewegungen. Das ist, als würde ein Nebengehirn in unserem Handgelenk darüber entscheiden, wie stark wir unsere Hand zudrücken sollen, wenn wir ein Objekt hochheben. Nicht nur, dass es so ein System bei den Oktopussen gibt: Es ist auch jeder Arm mit einem benachbarten Arm, und zwar immer zwei Arme weiter, besonders stark verbunden. Die Greifbewegungen der Oktopusse kommen somit durch ein Wechselspiel weit auseinander liegender Teile ihres Nervensystems zustande. Und es gibt noch mehr von der ungewöhnlichen Biologie der Kopffüßer – Oktopusse und Kalmare – zu berichten: Kurioserweise spielt der Kannibalismus bei Kalmaren eine große Rolle. Anstatt Kalorien in Fettreserven im eigenen Körper zu speichern (wie bei Säugetieren), wird die Energie in der Körpermasse des Schwarmes gespeichert. Und anstatt in mageren Zeiten dann vom eigenen Speck zu zehren, fressen die größeren Kalmare ihre kleineren Schwarmgenossen. Zumindest in vielen der in dieser Hinsicht gut verstandenen Kalmar-Arten ist das der Fall. Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein meinte: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.“ Er wollte damit anscheinend ausdrücken (ganz sicher kann man sich bei Wittgenstein nie sein), dass nicht nur die gemeinsame Sprache, sondern auch die gemeinsame Art, die Welt zu sehen, für eine gelungene Kommunikation wesentlich ist. Als Zoologe scheint mir, dass die Kommunikation zum Beispiel mit einem Löwen zumindest ansatzweise möglich sein sollte. Aber bei Oktopussen und Kalmaren stimmt der Gedanke Wittgensteins sicher: Zwar sind diese Tiere hochintelligent, aber uns doch in so vielen Aspekten so fremd. Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen.

DIE FURCHE · 3 18. Jänner 2024 Wissen 23 Wie kann der Übergang in eine postfossile Welt gelingen? Und wie werden wir darin leben? Die Sonderausstellung „Energiewende“ im Technischen Museum Wien zeigt kleine und große Stellschrauben für den intelligenten Umgang mit einer wertvollen Ressource. „Das beste Auto ist kein Auto“ Von Martin Tauss Auf das Auto verzichten und lieber zu Fuß gehen: Das ist erwiesenermaßen gut für die Umwelt und die Gesundheit. Dass man dabei auch gleich erneuerbaren Strom erzeugen kann, ist jedoch noch kaum bekannt: Ein „Energy Harvest ing System“ macht es möglich. Es beruht auf speziellen Schuhsohlen, die Bewegung, Vibration und Umgebungstemperatur in Energie umwandeln. So wird bei jedem kleinen Fußmarsch, mit jedem Auftreten, ein bisschen Strom produziert. Noch fallen solche Geräte eher in die Kategorie „Spielzeug“, denn ihr energetischer Output ist gering. Gewichtiger ist da schon das Potenzial von „RE:GEN“, dem weltweit ersten Fitnessfahrrad, das körperliches Training in sauberen Strom ummünzen kann. So lohnt sich die Anstrengung gleich doppelt. Denn die innovative Technologie ermöglicht es, die beim Strampeln erzeugte Energie in der sogenannten Ohm- Batterie zu speichern. Und das durchaus effizient: Schon 25 Minuten Work-out produzieren 100 Wattstunden, also genug für mehrere Handy-Aufladungen. Es sind Ausblicke auf mögliche Szenarien unserer Energiezukunft, die man im Technischen Museum Wien zu sehen bekommt. Die aktuelle Sonderausstellung „Energiewende“ wurde gemeinsam mit dem Klimaschutzministerium erarbeitet. Noch bis Ende des Jahres widmet sie sich einer drängenden Frage: Wie kann der Energiehunger einer rasant wachsenden Weltbevölkerung nachhaltiger gestillt werden? Welche Innovationen helfen dabei, und was können wir im alltäglichen Handeln beitragen? Die Ausstellung verdeutlicht, dass es vielfältiger Ansätze bedarf, um eine erfolgreiche Energiewende in Richtung Klimaneutralität zu vollziehen. „Wenn ich fair bin, muss ich sagen, dass der Spielraum auf der Konsumentenseite relativ klein ist“, sagt Jürgen Öhlinger, einer der Kuratoren, im Gespräch mit der FURCHE. „Die großen Hebel liegen in der Industrie, der Mobilität und Gebäudeinfrastruktur. Viele Häuser sind noch nicht ‚energiefit‘. Durch Sanierung könnte man rund 40 Prozent des Energiebedarfs in der Gebäudenutzung einsparen.“ Fotos: Technisches Museum Wien Immer mehr Produkte wollen CO2 nicht nur einsparen, sondern werden damit produziert (oben: die „CleanO2“-Seife verwertet CO2 aus der Industrie). Die Zeit läuft Der Eingangsbereich der Ausstellung begrüßt mit einer Aufforderung: „Zeit zu handeln!“ (links) Die Abkehr von fossilen Energieträgern ist heute dringlicher denn je. An einer interaktiven Station erfährt man mehr über grünen Wasserstoff – eine Zukunftshoffnung der Energiewende (unten). Körperwärme zum Heizen Auf fünf Ebenen gibt es hier Denkanstöße für einen intelligenten Umgang mit der wertvollen Ressource Energie. In der eindrucksvollen Halle des Technischen Museums schrauben sie sich ganz nach oben: Auf dem untersten Plateau hat man die globale Situation vor Augen – unter anderem geprägt von steigenden Temperaturen, extremen Wetterereignissen, Artensterben und steigenden Meeresspiegeln. Hier sieht man, welche Faktoren die Klimakrise befeuern und welche unkontrollierbaren Dominoeffekte beim Überschreiten von geothermischen Kipppunkten zu befürchten sind. Auf der obersten Ebene – dort, wo imposante Flugobjekte wie ein ÖAMTC-Hubschrauber oder eine österreichische Schiebel-Drohne in der Luft hängen – warten die „guten Nachrichten aus der Zukunft“: Auf Bildschirmen skizzieren vier Forschende die Vision einer postfossilen Welt, die die Klimakrise als Chance für einen nachhaltigen Wandel genutzt hat. Auf den Stockwerken dazwischen werden den Besuchern und Besucherinnen klimaschonende Konzepte aus den Bereichen Architektur, Wohnbau, Stadtentwicklung, Verkehr und Wärme nahegebracht. Vorbildlich ist beispielsweise der Bahnhof in Stockholm, der als Miniaturmodell mit winzigen Figuren gezeigt wird: Jeden Tag wird er von circa 250.000 Menschen durchquert. Die von ihnen abgestrahlte Körperwärme wird zum Heizen eines benachbarten, energieeffizienten Bürogebäudes genutzt. Das System läuft über einen Wärmetauscher, der die Luftwärme im Untergrund auf Heizwasser überträgt. Dank einer innovativ gedämmten Fassade können so bis zu 20 Prozent vom Heizbedarf des Bürogebäudes gedeckt werden. Auch in Wien wird bereits Abwärme genutzt, um CO₂ einzusparen. Wenn aufgrund von Streamingdiensten ganze Server heiß laufen, dann trägt dies dazu bei, dass es für Patienten und Personal der Klinik Floridsdorf kuschelig warm bleibt. Durch ein benachbartes Rechenzentrum soll in diesem Wiener Krankenhaus über die Hälfte des Wärmebedarfs gedeckt werden. „ Unzählige Geräte in Büros und Wohnungen schlummern über Nacht unnötig im Stand-by. Dennoch gerät das Energiesparen leicht aus dem Blick. “ Interaktive Simulationen Wie es sich anfühlt, selbst an den „Hebeln der Macht“ zu sitzen, können die Besucher und Besucherinnen auf der vierten Ebene ausprobieren. Ein interaktiver Simulator bietet ihnen die Möglichkeit, sich für einen energiepolitischen Maßnahmenmix zu entscheiden. Was passiert mit den Treibhausgasemissionen, wenn man einen fossilen Energieträger wie Kohle hinunter schraubt? Hat das bei Öl oder Gas einen ähnlichen Effekt? Und wie sieht es aus, wenn man erneuerbare Energien oder Bioenergien fördert? Man streicht mit dem Finger über die Regler; die Kurven der großen Grafiken an der Wand verändern sich in Echtzeit. Die Auswirkungen, aber auch die Konflikte und Spannungsfelder rund um einzelne Entscheidungen werden so transparent gemacht. Erfahrungsgemäß bedeutet eine Steigerung der Energieeffizienz nicht unbedingt weniger Energieverbrauch. Das ließ sich etwa bei der Einführung der LED-Lampen beobachten: Sie verbrauchen zwar deutlich weniger Energie als herkömmliche Glühbirnen, werden dafür aber umso häufiger eingesetzt – was übrigens auch zum aktuellen Übel der Lichtverschmutzung beiträgt. „Bei den Elektro-Autos sieht man ebenfalls einen Trend zu diesem Rebound- Effekt“, berichtet Öhlinger. „Manche denken, wenn sie schon elektrisch fahren, dann können sie sich gleich ein größeres Angebote für Schüler und Lehrende Das Programm „Zukunftswert Energie“ am Technischen Museum Wien bietet Workshops (ab zwölf Jahren) sowie Führungen für Pädagogen und Pädagoginnen, in denen das begleitende Schulprogramm vorgestellt wird. Auto nehmen. Das führt dazu, dass vermehrt elektrische SUVs mit hohem Stromverbrauch auf den Straßen zu finden sind.“ Energiesparen ist eigentlich der naheliegendste Zugang in puncto Energiewende. „Das beste Auto ist kein Auto“, lautet ein Slogan der Ausstellung. Er könne auch als politischer Auftrag verstanden werden, für ein ausreichendes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln zu sorgen, wie Öhlinger betont: „Die Einstellung, dass wir immer neue Technologien finden müssen, um unsere Probleme lösen, ist fehlgeleitet.“ Lösungen sind oft simpel: Die Beheizung wenig benützter Zimmern könnte in vielen Fällen gedrosselt, zahlreiche Lampen könnten ausgeknipst werden. Unzählige Geräte in Büros und Wohnungen schlummern über Nacht unnötigerweise im Stand-by. Dennoch gerät gerade dieser Ansatz leicht aus dem Blick. Erinnert man sich noch an die „Mission11“, die 2022 präsentierte Energiesparkampagne der Bundesregierung? Hier gibt es zweifellos noch weiter viel zu tun, um das nötige Bewusstsein – und entsprechende Standards – in der Gesellschaft zu verankern. Energiewende. Wettlauf mit der Zeit Technisches Museum Wien, bis 30.12.2024 www.technischesmuseum.at

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