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DIE FURCHE 18.01.2024

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DIE FURCHE · 3 18 Literatur 18. Jänner 2024 Senkrechtstarterin 2016 debütierte die deutsche Publizistin (*1988) mit dem mehrfach ausgezeichneten Roman „Das Unglück anderer Leute“. 2024 erhält sie den Förderpreis Komische Literatur der Stiftung Brückner- Kühner, Kassel. Von Rainer Moritz In ihrem 2016 erschienenen Debütroman „Das Unglück anderer Leute“ ließ die promovierte Anglistin und Essayistin Nele Pollatschek eine Mittzwanzigerin über ihr komplexes (Familien-)Leben nachdenken. Nun – in ihrem neuen Roman „Kleine Probleme“ – nähert sie sich einer anderen Altersgruppe: Familienvater Lars Messerschmitt ist Ende vierzig und dennoch weit vom Status eines reifen, in sich ruhenden Erwachsenen entfernt. Spätestens zu Silvester will er Bilanz ziehen. Dann geht es darum, alte Fehler abzustellen und mit nichts als guten Vorsätzen ins neue Jahr zu rutschen. Kluge Menschen bereiten diesen Jahreswechsel akribisch vor – und erstellen Listen mit all jenen To-dos, die es schnellstmöglich bis Mitternacht abzuarbeiten gilt. Auch Lars arbeitet so, nein, versucht, so zu arbeiten. FEDERSPIEL Klatschen mit Kontext „ En passant erzählt die Autorin vom ständigen Nichtgenügen eines sympathischen Versagers, der sich – auch sprachlich – in seiner eigenen Welt eingerichtet hat. “ Mit der feinen Klinge des Humors porträtiert Nele Pollatschek in ihrem neuen Roman „Kleine Probleme“ einen vom Leben über forderten Aufschiebeweltmeister und Antihelden. Der Mann, dem fast alles misslingt Gute Laune kann durchaus etwas Provokantes haben für Menschen, die der Welt grundsätzlich skeptisch bis mieselsüchtig gegenüberstehen. Eine Herausforderung bedeutet diesbezüglich der Neujahrstag, und an diesem insbesondere die Fernsehübertragung des Neujahrskonzertes. Die Kultursprecherin der Grünen stellt sich dieser Herausforderung alljährlich wacker, um zu überprüfen, ob die Philharmoniker ihr Konzert tatsächlich wieder mit dem Radetzkymarsch beschließen. Und siehe da, sie tun es, wozu die Zuschauerin auf Twitter-X bemerkt: „Tradition wird hoch gehalten bei den Philharmonikern und dem Publikum des Neujahrskonzert, weil’s halt immer so schön ist, das Klatschen, Huldigung für den Sieg über Piemont und der k.k Armee über die Wiener Bevölkerung in der ‚Praterschlachr’#Radetzkymarsch in Zeiten der Kriege“. Nun leben wir leider immer „in Zeiten der Kriege“, ob nah, ob fern. Zudem wird kaum jemand im Musikvereinssaal sein Mitklatschen als Huldigung für Radetzky verstehen; man könnte sich aber auch damit abgefunden haben, dass Österreich halt nicht immer der neutrale Zwergstaat der Gegenwart war und seine kaiserliche Armee auch einige Schlachten gewonnen hat, darunter 1848 die von Custozza gegen das Heer des Königs von Sardinien. Als pazifistische Bürgerin von heute muss man darauf nicht stolz sein, aber man muss sich auch nicht grämen und schämen, zumal nicht Radetzkys Truppen, sondern die revolutionären Nationalgardisten die demonstrierenden Erdarbeiterinnen in der Praterschlacht im August ’48 niederkartätschten. Welcher berühmte Feldherr wäre denn keine „ambivalente“ historische Persönlichkeit gewesen? Welches Denkmal würde einen „woken“ Sturm überstehen? Ein bisschen emotionale Distanz zur eigenen Nationalgeschichte scheint allemal ratsam. In Sachen Wiener Zeitung hat die grüne Kultursprecherin sie im Übermaß bewiesen. Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin. Von Daniela Strigl Nun eilt es freilich sehr. Eigentlich wollte Lars ja die „Zeit zwischen den Jahren“ nutzen, um – nicht zuletzt seiner Familie zuliebe – all die Dinge zu erledigen, die das ganze Jahr über hätten erledigt werden sollen. Doch Lars, ein Meister der Prokrastination, scheint selbst zum Jahresende hin keine Eile zu kennen. Er raucht, blickt aus dem Fenster, und plötzlich bleibt ihm nur noch der Silvestertag, um das Versäumte nachzuholen. Mit Schrecken blickt er auf seine mühsam erstellte To-do-Liste, die stattliche 13 Punkte umfasst. Nur wenige Stunden noch, um die Unterlagen für die Steuererklärung herauszusuchen, seinen Vater anzurufen, das Bett seiner Tochter zusammenzubauen oder einen schmackhaften Nudelsalat zuzubereiten, zur Krönung der Mitternachtsfeier bei seinem Sohn Yannis. Gute Vorsätze sind schnell gefasst; sie umzusetzen ist eine ganz andere Sache – erst recht für einen Dauerzauderer wie Lars, der bereits banalsten Alltagsanforderungen hilflos gegenübersteht: „Das Rezept für die Brille und diese komischen Einaugenpflaster abzuholen ist schwer. Die Antibiotika gegen die Mittelohrentzündung wirklich jeden verdammten Morgen zu geben. Die Wäsche nicht in der Maschine vergammeln zu lassen, donnerstags an den Turnbeutel denken, sich daran erinnern, dass doch dieses Foto: picturedesk.com / dpa / Jens Kalaene Halbjahr Schwimmunterricht ist, das Kind zum Reiten fahren und es um Gottes willen danach wieder abzuholen, das Kind nicht immer irgendwo stehen zu lassen, nicht immer irgendwas zu vergessen, das alles zu kontrollieren, als wäre man Familienvater und nicht nur irgendein Komparse, der sich in diese Rolle verirrt hat und jetzt so tun muss, als wäre sie für ihn geschrieben.“ Lars ist ein Prachtexemplar überforderter Mann. Nele Pollatschek zeigt ihren Anti helden als Aufschiebeweltmeister, als einen, der in einer aufs Funktionieren bedachten Gesellschaft zu nichts zu gebrauchen ist und sich zum Gespött seiner Familie macht. Auch seine berufliche Karriere stockt – wenn dieser Begriff für sein Tun nicht ohnehin unangemessen wäre. Vor acht Jahren hat er einen Job beim Fernsehen aufgegeben, um sich uneingeschränkt der Schriftstellerei zu widmen. Ein „Lebenswerk“ will er schaffen, von einer Qualität, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Leider kommt Lars auch mit dem Schreiben nicht recht voran. An blendenden Ideen mangelt es ihm nicht, doch rätselhafterweise wollen sich diese Gedankenblitze nicht von selbst in ein Meisterwerk verwandeln. In der Dachstube des Eigenheims zu sitzen, in die Ferne zu blicken und wie von Zauberhand geführt brillante Sätze aufs Papier zu bringen – so idyllisch stellte sich Lars sein Leben einst vor. Geworden ist daraus bislang nichts. Der Bummelant Lars bleibt in jeder Hinsicht ein Loser. Ein Glück nur, dass seine Frau Johanna als Lehrerin gutes, verlässliches Geld verdient. Ohne sie hätte es schwerlich Kredite bei der Bank gegeben, um ein Häuschen zu finanzieren. Sehnsucht nach Ordnung ohne Mühe Obendrein weiß Lars um seine Jämmerlichkeit und versucht sie sich mit philosophischen und soziologischen Konstruktionen schönzureden. Dass Theorie und Praxis so unangenehm auseinanderklaffen, das ist für ihn das Problem: „Also die Ordnung in Gedanken muss sich dann eben noch in die materielle Wirklichkeit verwandeln, also im marxistischen Sinne geht es eben nicht um eine Phänomenologie der Ordnung, sondern um die realexistierende Sauberkeit. Es reicht nicht, den Hausrat zu interpretieren, man muss ihn auch verändern. Man muss den Wischer vom Stiel auf den Mopp stellen. Also die Quantität des Putzens im Kopf muss eben noch in die Qualität der Sauberkeit im Haus umschlagen.“ Nele Pollatschek hat einen komischen Roman voller Slapstickszenen geschrieben, der mit glasklaren Sätzen punktet und einen überzeugenden Spannungsbogen aufbaut. En passant erzählt die Autorin vom ständigen Nichtgenügen eines sympathischen Versagers, der sich – auch sprachlich – in seiner eigenen Welt eingerichtet hat. Lars sehnt sich nach einem gelingenden Leben, nach einer Ordnung, deren Herstellung keine Mühe bereitet. Er braucht keine Klimakrise, keine Kriege und keinen Donald Trump, um der Welt nicht gewachsen zu sein. Sein kleiner Alltag genügt. Dass seine Frau sich eine Auszeit genommen hat und ihr Leben auf den Prüfstand stellt, macht die Sache nicht besser. Der Countdown läuft. Die Mitternachtsglocken läuten schon … Kleine Probleme Roman von Nele Pollatschek Galiani 2023 208 S., geb., € 23,70

DIE FURCHE · 3 18. Jänner 2024 Literatur 19 In seinem Roman „Der Toten Sonne“ schildert der russische Literat Iwan Schmeljow die Gräueltaten der Bolschewiki zu Beginn der 1920er Jahre auf der Krim ‒ eine Lektüre, die schon Thomas Mann Mut abverlangte. Einblick in die Hölle Von Georg Dox Der Schmerz war nicht zu heilen. Sein Sohn Sergej wird 1921 von den Bolschewiki getötet. Kurz danach, im Februar 1922, verlässt der Autor die Halbinsel Krim (wo er einige Jahre zuvor Zuflucht gesucht und gefunden hatte und wo jetzt ebenfalls Rotarmisten wüten). Über Berlin reist er nach Paris, an den Sammelplatz der Ersten Emigration. Hier wird er bis zu seinem Lebensende 1950 bleiben, ein unversöhnlicher Gegner der Sowjetunion. Iwan Schmeljow, geboren 1873, stammt aus einer Moskauer Kaufmannsfamilie. Vor der Oktoberrevolution hat sich der Jurist ein gewisses literarisches Renommee erarbeitet, neben Erzählungen und Kurzgeschichten besonders durch den auch ins Deutsche übersetzten Roman „Der Mensch aus dem Restaurant“ aus dem Jahre 1911. Der innere Monolog des Kellners eines Luxusrestaurants entsprach dem kritischen Geist seiner Zeit und wurde von Maxim Gorki gelobt, was für fortschrittliche Schriftsteller einem Ritterschlag gleichkam. Weltumkehr in Rot Die Oktoberrevolution führte zu einer Wende und konnte radikaler nicht ausfallen. Der Roman „Die Sonne der Toten“ (so der Titel der deutschen Erstübersetzung, zum neuen Titel später) zeigt, ja, man kann das ruhig so sagen: die Hölle. Er erzählt vom Wüten der Bolschewiki auf der Krim zu Beginn der 1920er Jahre. Mit altmeisterlicher Genauigkeit malt Schmeljow Bilder vom Ende der Welt. Verständnis für die Anlaufschwierigkeiten der Revolution oder Zeilen der Rechtfertigung ‒ keine Spur. Für die Apologeten des blutigen Treibens, vor allem, wenn sie im sicheren Ausland leben, hat Schmeljow nur Hass und Verachtung. Nun ist eine prononcierte politische Haltung nicht immer der beste Ratgeber für künstlerisches Gestalten. Eine geschlossene Handlung verbietet sich, denn sie würde den Grausamkeiten des Bürgerkrieges am Ende noch so etwas wie Sinn verleihen. Immer wieder hebt der Ich-Erzähler neu an, immer wieder treten neue Schicksale vor unser inneres Auge, die den Irrsinn der revolutionären Umtriebe illustrieren. Ja, man staunt, dass selbst bei denen, die gar nichts mehr haben, noch das Allerletzte gestohlen, zerstört, vernichtet wird. In einer schönen poetischen Wendung, und davon gibt es in diesem Text nicht wenige, lernen wir mit einem Blick auf eine geplünderte Bibliothek: „Leergelesen sind längst alle Bücher“. Die Wut über den Verlust ist lange schon verraucht. Die Kräfte des Ich-Erzählers, seiner Nachbarn und Leidensgenossen schwinden, der Hunger ist allgemein. Wo einst Überfluss herrschte, ist Leere. Sie alle, die hier an einem der schönsten Landstriche der Schwarzmeerküste gestrandet sind, wissen, sie sind verlassen, niemand kommt zu ihrer Rettung. Es ist alles verloren. Idioten und Verbrecher führen ein Willkürregime. Zufällig ist man noch am Leben, die Soldateska macht keinen Unterschied. Auch wenn man sich längst in Ruinen eingerichtet hat: Wer noch ein Hemd am Leib hat, wird zum Klassenfeind. So oder so. Formal steht das Werk noch ganz im Banne der Erzähltradition von Turgenjew bis Tschechow. Aber alles, was hier ausgebreitet wird, ist eben von gänzlich anderer Art. Oder anders gesagt: Das nicht umsonst so geliebte und verehrte Stammpersonal der russischen Literatur (repräsentiert etwa durch Tschechows Erzählungen oder Stücke) wird hier zur Hinrichtung geführt. Wenn man also wissen will, wann die sogenannte russische Foto: Friedrich / Interfoto / picturedesk.com Lesen Sie von Georg Dox auch: „Dostojewski: Immer dem nächsten Skandal entgegen“, vom 10.11.2021, furche.at. Bis zu seinem Tod in Frankreich blieb Iwan Schmeljow (1873‒1950) mit der Sowjetunion unversöhnt. Welt ein für allemal und unwiederbringlich zu Ende gegangen ist, so kann man ihr hier bei ihren letzten Zügen zusehen. Und da bekommt der Roman, bei aller Zeitgebundenheit, doch so etwas wie Aktualität: Das Todesdatum nämlich muss man sich merken. Wenn in der aktuellen Lage mit dem Begriff der „russischen Welt“ auf infamste Weise Schindluder getrieben wird! Es versteht sich von selbst, dass in sowjetischen Zeiten, zumindest im eigenen Einflussbereich, von derlei Literatur nicht die Rede sein durfte. Interessant vielleicht, dass in den Zwanzigerjahren Thomas Mann auf Schmeljow aufmerksam wurde, sich von der Lektüre erschüttert zeigte und dem Autor die besten Referenzen „ Formal steht das Werk noch ganz im Banne der Erzähltradition von Turgenjew bis Tschechow. Aber alles, was hier ausgebreitet wird, ist eben von gänzlich anderer Art. “ ausstellte, auch wenn dann doch Iwan Bunin den Nobelpreis bekam. Die Bekanntschaft hatte Folgen, denn die erste Übersetzung ins Deutsche stammt von Katia Manns Cousine Käthe Rosenberg, die neben Schmeljow und Bunin auch Bücher von Vita Sackville-West und André Gide ins Deutsche übertrug; eine reizvolle Mischung! Begegnung mit Thomas Mann Thomas Mann hat in seinem Essay „Pariser Rechenschaft“ über eine Begegnung mit Schmeljow in Paris Anfang 1926 Folgendes berichtet: „Ich bin erschüttert, wie ich dann bei ihm sitze, an dem improvisierten Notbehelf von Schreibtisch, und in dies zerfurchte, abgezehrte Gesicht im weißen Barte blicke, in das jene Greuel sich eingezeichnet haben, die man in der ,Sonne der Toten‘ nachlesen mag, wenn man Mut hat, und das einem Mann von fünfzig Jahren gehört, aber fünfzehn Jahre älter erscheint.“ Das Zitat stammt aus einem Artikel von Christiane Pöhlmann (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. April 2022), die auch für die neue Übersetzung von Schmeljows Roman zuständig ist. Pöhlmann trifft den Ton genau, der Text ist unbelastet von Russizismen, poetisch, wo es notwendig ist, und sachlich präzise. Bleiben also keine Wünsche offen. Zum Titel möchte man einwenden: Hoffentlich richtet er keinen Schaden an! Das Russische kommt mit zwei Wörtern aus, Käthe Rosenberg brauchte vier. Der hier gefundene Kompromiss klingt preziös ‒ und das ist das Buch, dessen Lektüre Mut verlangt, nun wirklich nicht. Der Toten Sonne Roman von Iwan Schmeljow Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann Die Andere Bibliothek 2023 320 S., geb., € 45,30 LITERATUR Das vollkommene Ganze Von Oliver vom Hove Auch Bewährtes von Peter von Matt ist bewahrenswert. So versammelt der Band mit dem amüsanten Titel „Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten“ ein gutes Dutzend neuer Aufsätze, Reden, Nachworte, die der renommierte Schweizer Germanist zu verschiedenen Anlässen und an unterschiedlichen Orten bereits öffentlich gemacht hat. Dennoch wird für den Leser unschwer ein innerer Zusammenhalt erkennbar, der durch die Persönlichkeit des Autors, seine stets spürbare Entdeckerleidenschaft und die exquisite Stilkunst garantiert ist. Die eindrucksvolle literarische Bildung und weit über sein Fach hinausreichende Belesenheit sind ein verlässlicher Kompass für die schwungvollen Ausfahrten des 86-jährigen Literaturforschers in unbekannte Deutungsgewässer. So untersucht er etwa die komische Wirkung der Dummheit in den verschiedenen literarischen Gattungen. Er schwärmt von der „mächtigen Entfaltung der Spannweite und Vieltönigkeit der deutschen Sprache“, die sich beispielsweise in den Shakespeare-Übersetzungen zeigt. Und er bedauert, dass Nestroy und Grillparzer außerhalb Österreichs kaum gespielt werden (über Grillparzer hat er einst dissertiert). Die Beiträge sind eine Mischung, die nur ein erfahrener und beherzter Geist sich zumuten kann. Die erlauchte Gästeschar bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2012 konfrontierte der Festredner von Matt ausgerechnet mit der Frage: „Darf es denn überhaupt Kunst geben, den Überfluss schlechthin, solange es Menschen gibt, denen es an Brot und Früchten und sauberem Wasser fehlt?“ Und gab gleich selbst die Antwort: „Tatsächlich ist es so, dass in allen Kulturen die Verschwendung mehr ist als ein zynischer Luxus der Besitzenden oder ein Einschüchterungsritual der Herrschenden. Sie ist ein Glücksfaktor für alle.“ Denn: „Die Kunst und das Fest treffen sich im Akt der Verschwendung“, und beides wird, begründet im gesetzlosen Kern der Kunst, „ein Ereignis der Freiheit“. Im Titelessay geht der Autor auf den oftmals prekär gewordenen Umgang der Öffentlichkeit mit der Wissenschaft ein. Bis in die Wahlergebnisse hinein schlägt sich spätestens seit Corona eine dumpfe Wissenschaftsskepsis nieder. „Offenbar provoziert der Wissenschaftler die Menschen schon durch seine bloße Existenz“, bemerkt von Matt. „Zu dem illusionären System, das die Klischees über die Wissenschaft insgesamt bilden, gehört auch die Ahnungslosigkeit darüber, wie rasch Volk und Regierung bereit sind, gegen Wahrheiten vorzugehen, die nicht wahr sein dürfen.“ Das vollkommene Ganze, von dem die Menschheit seit jeher träumt, vermag die in viele Einzeldisziplinen geteilte Wissenschaft nicht zu erfüllen. Es muss sich daher in Mythen, Märchen, Sagen Ausdruck verschaffen: „Die Menschen wollen die Deutung des Ganzen, und diese ist nur im Mythos möglich. Auf die Erzählungen vom innersten Zusammenhalt aller Dinge können sie nicht verzichten“, schreibt er. Die lustvollen Betrachtungen über Literatur, Theater, Musik und das alltägliche Leben kommen, wie bei von Matt gewohnt, ganz ohne professorale Gravitas daher. Sie sind anregend wie kräftige Schlucke belebenden Kaffees aus feinen Moccatassen. Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten Die Möglichkeiten der Literatur Von Peter von Matt Hanser Verlag 2023 240 S., geb., € 26,80

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