DIE FURCHE · 3 14 Diskurs 18. Jänner 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Ich war einfach nur wahnsinnig unsicher Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ihr letzter Brief hat mich zum Lesen verführt. Ich gestehe, die Werke von Herrn Fosse sind noch nicht an der Reihe, aber vielleicht demnächst. Selbstverständlich werde ich, wenn ich mich diesen widme, meine Meinung mit Ihnen und unserer Community teilen. Ja, ich werde versuchen, zumindest den ersten Teil zu lesen. Falls Sie eine Zurückhaltung heraushören, sie ist dem „langsamen Lesen“ geschuldet. Denn während Ihre Interpretation des „langsamen Lesens“ romantisch, entschleunigend klingt und mir Lust auf meine Kuscheldecke und einen Pfefferminztee bereitet, ist meine Assoziation mit „langsamem Lesen“ eine unangenehme. Übergestülpte Vorurteile „ 2013 kontrollierten zwei Computerwissenschafter Gödels Gottesbeweis, der für gültig befunden wurde. “ Als Kind fiel mir das Lesen nämlich gar nicht so leicht. Zwar hatte ich Interesse an Büchern und Geschichten, die mir sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter mehrmals täglich vorlesen mussten, aber die Buchstaben wollten nicht als Wort in einem Guss aus meinem Mund. Wahrscheinlich war ich auch ungeduldig. Das bin ich heute leider manchmal noch immer. Jedenfalls fühlte ich mich von der Unterrichtspraxis meiner damaligen Lehrerin gequält. Aufstehen, nach vorn gehen und laut vorlesen, um dann, kaum hatte ich mich versprochen, vor der gesamten Klasse bloßgestellt zu werden. Glauben Sie mir, es lag nicht an meiner Erziehung, ich war einfach nur wahnsinnig unsicher. Und diese Art der Pädagogik machte mich immer scheuer. Es war sogar einer der Gründe, warum ich mir nicht sicher war, ob ich überhaupt Journalistin werden könnte. Ähnlich wie bei meinem aktuellen Gesangsunterricht war da aber auch eine Stimme in mir, die sich mit dem Verhalten meiner Lehrerin auseinandersetzen wollte. Die die mir übergestülpten Vorurteile, ich sei einfach „eine dumme Tussi“, wie sie mir mit neun Jahren vor versammelter Klasse erklärte, nicht akzeptieren wollte. Mehr Raum möchte ich dieser Person allerdings nicht schenken. Gestern Abend habe ich übrigens „Reise zu den Grenzen der Vernunft“, eine Biografie über den Mathematiker Kurt Gödel, zu Ende gelesen. Spirituelle Themen Er entdeckte, dass jedes sinnvolle logische System Sätze enthalten muss, die wahr, aber niemals beweisbar sind. Es ist wirklich ein interessantes Buch, man erfährt viel über die zwischenmenschlichen Beziehungen von Gödel, zum Beispiel seine Freundschaften mit Albert Einstein oder Oskar Morgenstern. Beide versuchten, ihren zu Paranoia neigenden Freund vor sich selbst zu beschützen. Auch in jener Zeit, als sich Gödel mit philosophischen und „spirituellen“ Themen beschäftigte. 1941 brachte er eine Formelfolge zu Papier, die beweisen sollte, dass Gott existiert. Um seinen Ruf nicht zu schädigen, hielt er seine Formel jedoch jahrzehntelang geheim. 2013 kontrollierten zwei Computerwissenschafter Gödels Gottesbeweis, der für gültig befunden wurde. Natürlich, damit ist die Frage nach der Existenz eines göttlichen Wesens (oder mehrerer) noch nicht endgültig geklärt, aber spannend finde ich es trotzdem. Mit diesen Worten beende ich meinen Brief an Sie und mache mich auf den Weg in die Buchhandlung. Von Oliver vom Hove Alexander Van der Bellen drängt als Politiker nicht nach In FURCHE Nr. 45 Volksnähe, sondern nach Überzeugung durch Weckrufe 3800 5. November 2015 an die Vernunft. Eine Relektüre zum 80. Geburtstag. Am 18. Jänner feiert der Bundespräsident seinen 80. Geburtstag. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter hat Alexander Van der Bellen damit schon 15 Jahre lang hinter sich gelassen, und beim Erreichen des Endes seiner Amtszeit 2029 wäre er mit 85 Jahren der älteste österreichische Bundespräsident jemals. 2015 schrieb Van der Bellen seine Memoiren („Die Kunst der Freiheit“, Brandstätter Verlag). Oliver vom Hove über Österreichs wohl bekanntesten Raucher, der heuer eine Regierungsbildung vor sich hat. Kein Volkstribun Ihre Memoiren legen Politiker meist erst vor, wenn sie von der Bühne ihres Wirkens abtreten. Indes, mittlerweile ist das längst nicht mehr so unverbrüchlich die Regel. Heute kann der mehr oder weniger gedankenreiche Rückblick in Buchform nicht selten auch als willkommenes Werbemittel dienen, als Antrieb für den beruflichen Vorwärtsgang. [...] Mit Humor und feiner Ironie lässt der Intellektuelle Van der Bellen in diesem Buch seine Gedanken wandern. Es ist ein wohltuend persönlicher Einblick in den eigenen Werdegang, der dem Leser geboten wird. Er selber bezeichnet ironische Gelassenheit als seine Grundhaltung. Gelernt haben will er sie bei den Klassikern der amerikanischen Kriminalliteratur, bei Figuren wie Raymond Chandlers Philipp Marlowe oder Dashiell Hammetts Sam Spade, die er als unterdrückter Schüler am Akademischen Gymnasium in Innsbruck für sich entdeckt und zu Sehnsuchtsbildern der Freiheit hochstilisiert hat. Der dort waltende Direktor, ein wahrer Auerhahn in der Tracht eines Schützenmajors, war für seine reaktionären Ansichten stadtbekannt. Einem Kulturkampf mit ihm wegen seines Bluejeans- Verbots an der Schule ging der Einwanderersohn wohlweislich aus dem Weg. [...] Foto: APA / Max Slovencik Politiker mit Ecken und Kanten Ab 1976 lernte der habilitierte Ökonom Van der Bellen Hörsäle aus der Perspektive des Katheders kennen: erst in Innsbruck, dann ab 1980 in Wien. Unter Kreisky Mitglied bei den Sozialisten, wurde er unter Vranitzky wegen fehlender Mitgliedsbeiträge aus der Partei hinauskomplimentiert. Die Entfremdung war ohnedies tief, vor allem wegen der starren SP-Haltung zu Zwentendorf und Hainburg. Der Wirtschaftsprofessor an der Uni Wien dockte bei den Grünen an – und wurde ab 1997 mit seiner wohlüberlegten Gestion elf Jahre lang ihr erfolgreicher Bundessprecher. [...] Doch Klugheit schützt nicht vor Fehleinschätzungen. So bringt der passionierte Raucher gleich mehrfach das idyllische Bild von der genussvoll unter einem hochalpinen Gipfelkreuz gerauchten Zigarette als Argument wider Rauchverbote vor – als ginge es dabei nicht um Nichtraucherschutz, vorwiegend in geschlossenen Räumen. [...] Der besonnene Ordinarius hat politisches Gewicht in der Republik gewonnen: als freier Kopf, der aus eigener Erfahrung und Einsicht urteilt. Dessen persönliche Werte die Grundwerte des Staats nicht desavouieren, sondern zu stärken vermögen. Er drängt nicht nach Volksnähe, sondern nach Überzeugung, durch Weckrufe an die Vernunft. Ein Politiker mit Ecken und Kanten, kein Teigaffe, wie man in Tirol sagen würde. AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. 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DIE FURCHE · 3 18. Jänner 2024 Diskurs 15 Am 1. Jänner trat das Bundes-Krisensicherheitsgesetz in Kraft. Doch ohne die Regelung der Bund-Länder- Schnittstelle ist es im Ernstfall eine Katastrophe in sich. Ein Gastkommentar. Der Krisenberater, eine österreichische Erzählung Wieder beginnt ein neues Jahr, und wieder ist Österreichs Regierung auf der Suche nach neuen Beratern, die sich wie Don Quijote auf den Weg machen, um das Unlösbare zu lösen. Kein Wunder in Anbetracht der Krisen, die sich nach der Pandemie nun wieder kriegerischen Auseinandersetzungen zuwenden: Das afghanische „Vietnam II“ im August 2021, die russische Invasion in der Ukraine 2022 und der jüngste Ausbruch des Hamas-Israel-Kriegs gehören nicht nur für den scharfen geopolitischen Analysten Herfried Münkler zu den größten Herausforderungen: „Die Welt ist in Aufruhr“, konstatiert er. Wir leben in einer Ära geopolitischer Verschiebungen, der Multipolarität und des Wettbewerbs der Weltordnungen. Die Polarisierung nimmt zu, Freiräume schließen sich, und Menschenrechte werden weltweit ausgehöhlt. Laut einer Studie von IDEA Stockholm aus dem Jahr 2023 leben bereits 72 Prozent der Weltbevölkerung in autokratischen Systemen, verglichen mit 46 Prozent vor zehn Jahren. Das schafft auch Platz für disruptive Aspekte in den sozialen Medien: mit ultracrepidarianism (so nennt man es, wenn Personen kritisieren, beurteilen oder Rat geben auf einem Gebiet, auf denen sie keine Experten sind), mit dem Zusammenbruch unserer traditionellen Geschäftsmodelle für freie Information, der Verbreitung von Falsch- und Fehlinformationen, der Vereinnahmung der Medien durch staatliche Behörden und große Tech-Cluster sowie subtilen Formen von Autoritarismus. All das lässt Vertrauen schwinden. Heikle Umsetzungsphase Aber ohne Information keine Handlungsfähigkeit, geschweige denn Krisenbewältigung. Kommen wir also zum Thema: Bereits am 8. November 2022 hat die Regierung den Entwurf eines neues Bundes-Krisensicherheitsgesetzes (B-KSG) vorgestellt. Gegenstand: der Krisenfall. Unscharf, aber anwendungsfreundlich beschrieben: eine Gefahr außergewöhnlichen Ausmaßes für Leben und Gesundheit, öffentliche Ordnung, Sicherheit, Umwelt oder das wirtschaftliche Wohl, deren Abwehr dringend erforderlich ist. Mehr als zwei Jahre spä- Foto: Privat ter, am 1. Jänner 2024, trat das Gesetz in Kraft. Am 8. Jänner endete die Bewerbungsfrist für die Funktion des Regierungsberaters, der Regierungsberaterin – kaum bemerkt von der Öffentlichkeit und wohl noch mit einem Fragezeichen zum Zeitpunkt der tatsächlichen Besetzung versehen. Gleichzeitig ist die geplante Diskussion des Entwurfs einer neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie im Parlament am 26. Jänner geplatzt. Wie lang war es doch gleich bis zu den Wahlen? Vollmundig hieß es von der Parlamentsdirektion am 1. Februar 2023 zu den Zielen der Gesetzesvorlage: Schaffung von Strukturen, DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Ursula Werther-Pietsch „ Durch das Gesetz nimmt die Komplexität zu, während die Reaktionszeit in Krisenfällen bekanntlich schrumpft. “ insbesondere eines Bundeslagezentrums – Location im Keller unter dem zuständigen Innenministerium am Minoritenplatz – sowie von definierten Ablaufprozessen, Fachgremien und Kontaktstellen, die ein Zusammenwirken in Krisenfällen sicherstellen sowie in Normalzeiten eine Vernetzung und regelmäßigen Austausch gewährleisten. Alles wunderschön. Nur ohne im Ernstfall die Schnittstelle zwischen Bund und Ländern zu regeln, ist es eine kleine Katastrophe in sich. In einer bundesweiten Krise müssen sich daher weiterhin neun Landesregierungen und die Bundesregierung auf eine gemeinsame Strategie verständigen, wobei die Hauptverantwortung bei den Ländern liegen wird. Diese sind wiederum nur anlassbezogen in den KSG-Gremien vertreten. Zur Kompetenzübertragung an den Bund oder einer Aufgabenerweiterung des Bundesheeres kam es erst gar nicht. Zudem (wie Philip Röhr von der Universität Graz in einer wissenschaftlichen Arbeit zum Schutz kritischer Infrastruktur im Krisenfall schreibt) überrascht die Mitwirkung des Hauptausschusses des Nationalrats statt des im Krisenfall eher arbeitsfähigen Ständigen Unterausschusses, wie etwa im Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten in Artikel 18 B-VG vorgesehen. Damit bleibt man weit hinter dem Ziel rascher Krisenkoordination zurück. Erwartbare Kompetenzstreitigkeiten In der Krise ist der auf fünf Jahre bestellte Regierungsberater im Kanzleramt weder mit machtpolitischen Kompetenzen eines handlungsstarken Krisenmanagers ausgestattet, noch kann Expertise in politische Macht transferiert werden. Zur Entwicklung von Szenarien und alternativen Lösungen bräuchte er oder sie nämlich einen eigenen Fachstab, womit eine vermittelnde Rolle zur Regierungsspitze ermöglicht würde. Der krisenfeste Ausbau von Wissensmanagement ist immerhin eine Lehre aus der Pandemie. Auf den Punkt gebracht: Die Verdünnung des Informationsflusses nach oben ist das eigentliche Problem. Da das B-KSG nicht festlegt, wo die Beratungsfunktion innerhalb der Behördenhierarchie zu verorten ist, sind Kompetenzstreitigkeiten zu erwarten, so auch Röhr. Die Komplexität des Regierungshandelns nimmt zu, während die zur Verfügung stehende Reaktionszeit in Krisen bekanntlich schrumpft. Ein Regierungsberater – und dessen Stellvertreter, wie es im Gesetz ohne gebührliches Gendern heißt – wird bestellt, ein Krisenkabinett, Fach- und Beratungsgremien eingerichtet. Ob uns das im Ernstfall hilft? Die Autorin ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Graz und der Bundeswehr Universität München sowie Herausgeberin der Zeitschrift The Defence Horizon Special Edition. QUINT- ESSENZ Die Wutbauern Von Brigitte Quint Der Anderl. Er hat den Hof seines alleinstehenden Onkels nach dessen Tod übernommen. Von diesem Onkel erzählt man sich, er wäre zu wählerisch gewesen bei den Frauen. Ja, und als er das dann nicht mehr war, hätte er keine mehr gefunden, die sich „das antut“. Das Aufstehen um 5.30 Uhr. Sieben Tage in der Woche. Die körperliche Arbeit. Die Verantwortung für die Tiere. Die Abhängigkeit vom Wetter. Das Heuen zu einer Zeit, in der die anderen am Badesee liegen. Ja, und auch die Tatsache, dass der Berufsstand des Bauers, der Bäuerin von so manchem regelrecht belächelt wird. Als der Anderl vor 20 Jahren den Hof übernommen hat, da dachte ich: Der Kerl ist noch jung, der findet bestimmt eine, die das mit ihm durchzieht. Zwar gab es Schönere, aber er war lustig, gewieft und unsagbar fleißig. Doch der Anderl ist ebenfalls allein geblieben. Ich werde den Gedanken nicht los, dass er keine gefunden hat, die sich „das antut“. Ihn wiederum scheint sein Beruf zu erfüllen. Weil er gerne in der Natur ist, Tiere mag, keinen Luxus braucht, das Erbe seines Onkels bewahren will. Als ich mir die Rede des deutschen Finanzministers am Brandenburger Tor angeschaut habe, dachte ich an den Anderl. „Alle müssen ihren Beitrag leisten“, verteidigte FDP-Chef Lindner die Subventionskürzungen für Agrardiesel. Ausgerechnet Christian Lindner. Der mit dem schwarzen Porsche 911 SC. Der, der diese Prunk-und- Protz-Hochzeit auf Sylt gefeiert hat, literweise Champagner ausschenken ließ. Ich finde, dass solche wie der Anderl längst ihren Beitrag leisten. Sie fügen sich, halten Haus und Hof zusammen, schuften bei Wind und Wetter im Freien, stehen nachts auf, wenn eine Kuh kalbt, nehmen es hin, wenn der Nachbar von seiner Fernreise schwärmt. Sie arbeiten wie Topmanager, nur ohne deren Gehalt, ohne Porsche, Protz, Prunk, Champagnergelage. Der Anderl und seine Gleichgesinnten (schon klar, nicht alle) sind auf staatliche Subventionen angewiesen. Würden sie sich auf das Milchgeld (oder Christian Lindner) verlassen, wären sie verlassen. Diese Wutbauern sind eine erfrischende gesellschaftliche Entwicklung. Solche vibes waren bitter nötig. NACHRUF Stark und präsent Ja, tatsächlich, die spätere Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hatte ihr eine Rolle zugeschrieben, jene der Jackie (erkennbar als Jacqueline Kennedy Onassis) in „Jackie und andere Prinzessinnen“. Das Prinzessinnendrama wurde am Tag der österreichischen Nationalratswahl am 24. November 2002 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Regie führte Hans Neuenfels. Elisabeth Trissenaar, die am 13. April 1944 als Tochter eines holländischen Vaters und einer österreichischen Mutter in Wien geboren wurde, hatte im Max Reinhardt Seminar ihren späteren Ehemann Hans Neuenfels kennengelernt, sie hat über Jahrzehnte mit ihm gelebt und zusammengearbeitet. Elfriede Jelinek ging es, wie sie selbst einmal sagte, in diesen Prinzessinnendramen „darum, dass diese Ikonen der Frauenliteratur wie Bachmann, Plath oder eben Haushofer in eine Situation kommen wie Odysseus auf seiner Fahrt: weibliche seefahrende Helden. Sie müssen das Blut des Opfertiers trinken, um aus ihrem Schattendasein wenigstens kurz ins Leben zurückkehren zu können. Die Figuren sind alle weiblich, und natürlich gibt es dabei immer auch meine typischen Selbstironisierungen. Immer wird auch diese Verzweiflung thematisiert, das Bewusstsein der eigenen Lächerlichkeit.“ Das braucht Schauspielkunst, keine Frage. Und Elisabeth Trissenaar war eine Meisterin ihres Fachs. Sie spielte ohnehin keine glatten Frauenrollen, die lange Liste ihrer Darstellungen zeigt das: Trissenaar war Ibsens „Nora“ und „Hedda Gabler“, Kleists „Penthesilea“, Euripides’ „Elektra“, Tschechows Warja in „Der Kirschgarten“, Lessings „Emilia Galotti“, Strindbergs „Fräulein Julie“, Heiner Müllers Marquise de Merteuil in „Quartett“. Große Bekanntheit erlangte sie durch ihre Mitwirkung in Filmen von Rainer Werner Fassbinder: „Bolwieser“, „In einem Jahr mit 13 Monden“, „Die Ehe der Maria Braun“ und als Lina in der Verfilmung von Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Sie drehte mit Doris Dörrie („Keiner liebt mich“), Robert van Ackeren („Das andere Lächeln“), Agnieszka Holland („Bittere Ernte“), Rainer Kaufmann („Kalt ist der Abendhauch“), Michael Herbig („Die Geschichte vom Brandner Kaspar“). Von 1987 bis 1989 verkörperte sie bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft im „Jedermann“ neben Klaus Maria Brandauer. Sie spielte stark, sie war präsent. Am 14. Jänner starb Elisabeth Trissenaar 79-jährig in Berlin. (bsh) Foto: APA / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen Elisabeth Trissenaar, geboren am 13. April 1944 in Wien, gestorben am 14. Jänner 2024 in Berlin.
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