3 · 18. Jänner 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Therapieplatz gesucht? Bitte warten! Der Bedarf an Logopädie und Ergotherapie steigt stark. Doch das Angebot ist knapp – und teuer. Eine Recherche. · Seite 12 Polen: Eine weltanschauliche Wende Gender – eine Sisyphusarbeit Mystisch, titanisch, plakativ Donald Tusks Kabinett distanziert sich von der Amtskirche, minimiert Religion in der Schule und spricht sich für die Ehe für alle aus. · Seite 8 Der Theologe Gerhard Marschütz argumentiert engagiert für einen Dialog mit den Gender-Theorien, anstatt sie zu verteufeln. · Seite 9 Das Architekturzentrum Wien zeigt Objekte aus Hans Holleins Archiv und konfrontiert sie mit Projekten jüngerer Büros. · Seite 24 Das Thema der Woche Seiten 2–6 Lenin missbrauchte Marx’ Vision von Gerechtigkeit, verantwortete Millionen Todesopfer – und wird von Parteien bis heute heroisiert. Warum? Zum 100. Todestag. Mörder eines Menschheitstraums Bild: iStock / Valerie Loiseleux (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Bild: iStock/FrankRamspott Das Widerborstige einer Region Neues Jahr, neue Kulturhauptstadt: 2024 zeigen Bad Ischl und 22 Nachbargemeinden im Salzkammergut eine kulturelle Leistungsschau, die Vergangenes reflektiert und neue Impulse und Chancen bietet. Seite 17 Provokation ist seit jeher das Kerngeschäft von Herbert Kickl. Nun verspricht er auch noch „Erlösung“. Dämonisierung hilft ihm, Warnung und Entzauberung braucht es gleichwohl. Den Heiland spielen AUS DEM INHALT Ist die Kluft noch zu überwinden? Trumps Vorwahltriumph in Iowa befeuert die Polarisierung in den USA weiter. Die Initiative „Braver Angels“ versucht dagegenzuhalten. Vorbild für Österreich? Seite 7 Von Doris Helmberger Es ist etwas ins Rutschen gekommen. Dieses Gefühl, diese Ahnung, die viele seit Langem beschleicht, hat dieser Tage reichhaltige Nahrung erhalten: international durch den absehbaren Durchmarsch Donald Trumps in Richtung Präsidentschaftswahlen im November; auf europäischer Ebene durch die Aussicht auf einen Höhenflug der rechtspopulistischen Europa-Feinde beim Urnengang im Juni; in Deutschland durch die (gekaperten) Bauernproteste sowie ein publik gewordenes Geheimtreffen von Deportationsfantasten; und in Österreich durch die anhaltende Hilflosigkeit gegenüber Herbert Kickls radikalisierter FPÖ. Vom blauen Scharfmacher und Chefideologen ist man seit Jahrzehnten vieles gewohnt: Die Provokation gehört gleichsam zum Kerngeschäft des langjährigen Redenschreibers und nunmehrigen Redenhalters Kickl. Ob es um den einstigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde ging („Dreck am Stecken“) oder um den amtierenden der Republik („greise Mumie in der Hofburg“): Die sprachspielerische Menschenverachtung war und ist bei ihm Programm. „ ,Ein Stinktier kann man nicht überstinken‘, meinte EVP-Chef Weber. Sonst stinken am Ende alle. “ Längst sind diese Attacken freilich Teil einer umfassenden Erzählung geworden: von Knechtung und Befreiung, von bösen Mächten und rettenden Lichtgestalten, von „denen da oben“ und „uns da unten“. Und die Pandemie fügte dieser Unterdrückungs- und Befreiungserzählung noch zahlreiche, grell ausmalbare Kapitel hinzu. Die Fabel von der „Einheitspartei“ Jörg Haider bezeichnete sich 1999 noch als „Schutzpatron“ derer da unten in diesem vermeintlichen Kampf. Herbert Kickl versteigt sich mittlerweile schon dazu, den Heiland oder Messias zu mimen. Kaum anders ist zu deuten, was der FPÖ-Chef vergangene Woche beim Neujahrstreffen der Partei im steirischen Premstätten von sich gab. Man kämpfe gegen eine „unheilige Allianz“ von „Einheitspartei“, „Systemmedien“ und einzelnen politischen Köpfen, die er schon auf „Fahndungslisten“ führe, fabulierte Kickl vor johlender Menge. Doch: „Erlösung ist in Sicht.“ Er selbst werde gleichsam als blauer Herkules „dieses schlangenartige Gebilde“, diese „politische Hydra“ zermalmen und „den Stier zu Boden ringen“. In den Geschichtsbüchern werde dereinst nachzulesen sei, dass das „Ab- streifen der Ketten durch die Bevölkerung 2024 in der Schwarzl-Halle begonnen hat“! Fast wäre man geneigt, über so viel parareligiöses Pathos zu schmunzeln – wäre es nicht eine neue Eskalationsstufe im Angriff auf die liberale Demokratie. Deren Zertrümmerung – nicht weniger als das ist es, was die „Erlösung“ nach Willen und Vorstellung Herbert Kickls am Ende bedeutet. Aushebelung internationaler Grundrechte, Ausstieg aus europäischen Verträgen und „Neutralität“ zwischen Aggressoren und ihren Opfern: Das ist die „Befreiungs“- Vision des selbsternannten „Volkskanzlers“. Dass er sich dabei auch am verstorbenen Geschichtslehrer der Nation, Hugo Portisch, vergreift und dessen einstiges Plädoyer für Verständnis gegenüber Russland in die Zeit nach dem Angriff auf die Ukraine transferiert, ist nur noch schamlos. Doch wie reagieren? Die Ratlosigkeit ist groß. (Mediale) Dämonisierung spielt dem Empörungs-Unternehmer nur weiter in die Hände, diese Dynamik ist seit Haider sattsam analysiert. Konkrete Folgen einer „Erlösung“ von der Demokratie zu benennen und den „Heiland“ Kickl zu entzaubern, bleibt die große Herausforderung. Insbesondere Karl Nehammer, der am 26. Jänner als Auftakt dieses Wahljahrs in Wels seine Grundsatzrede hält, ist hier herausgefordert. Zieht er nur rhetorische Grenzen – oder tatsächlich politische? „Ein Stinktier kann man nicht überstinken“, meinte EVP-Chef Manfred Weber zum Umgang von Konservativen mit Rechtspopulisten. Sonst stinken und rutschen am Ende alle. doris.helmberger@furche.at Auge des lachenden Christus Horst Junginger, Ex-Inhaber der von Adolf Holl gestifteten Professur für Religionskritik in Leipzig, über Holl als begnadeten Religionszauberer. Seite 10 Mehr Gleichstellung im Beruf Frauen verdienen weniger Geld als Männer. Wie man diese und weitere Benachteiligungen ändert, erklärt die Journalistin Verena Bogner in ihrem neuen Buch. Seite 11 Frankenstein-Feminismus Regisseur Yorgos Lanthimos hält im Film „Poor Things“ der Welt den Spiegel vor – in viktorianischer Verkleidung und mit der Kraft von Opulenz und Absurdität. Seiten 20–21 Der Schlaf der gerechten Oktopusse Das dezentrale Nervensystem und das kuriose Verhalten der Kopffüßer faszinieren die Wissenschaft: eine Reise in die Tiefen des Meeres und der Evolution. Seite 22 furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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