DIE FURCHE · 33 4 Das Thema der Woche Wie anfangen? 17. August 2023 Jetzt oder nie! Just im Sommer 2023, in dem der Klimawandel verstärkt spürbar wird, gibt es einen Rekord im Flugverkehr. Für Thomas Brudermann ein psychologisch erklärbares Paradoxon. „ Ich halte es für problematisch, sich immer nur auf die Strukturen hinauszureden. Auch wenn jeder Einzelne nur einen kleinen Beitrag leisten kann, ist das in Summe relevant. “ DIE FURCHE: Dass man der eigenen Wirtschaft im globalen Wettbewerb schadet, wenn man beim Klimaschutz vorangeht, ist freilich eine weitere beliebte Ausrede. Brudermann: Der Verzicht auf Klimaschutz kostet uns mittel- und langfristig mehr als Investitionen in Klimaschutz. Das sage ich – zugegeben – auch unter dem Eindruck, dass meine Heimatgemeinde im Lavanttal Anfang August von einem massiven Starkregenereignis betroffen war. Klimabedingte Extremereignisse sind teuer – doch darüber wird selten gesprochen. Das ist wiederum verhaltensökonomisch zu erklären: Ausgaben von heute scheinen relevanter als jene in der Zukunft. DIE FURCHE: Wobei Sie umgekehrt auch Angst als wenig hilfreich dabei sehen, eine Verhaltensänderung zu beginnen. Brudermann: Angst ist aus evolutionärer Sicht eine sehr wichtige Emotion. Ihre typischen Handlungsoptionen bestehen aber darin, entweder zu erstarren oder wegzulaufen. Beides bringt uns beim Klimaschutz nicht weiter (vgl. S. 10–11). Wobei die Angst nachvollziehbar ist, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt. Wir müssen also mit dieser Angst produktiv umgehen. Das Gespräch führte Doris Helmberger Eigentlich wüssten die meisten, was zum Schutz des Klimas getan werden muss: weniger Treibhausgase emittieren und generell auf Nachhaltigkeit achten. Doch im individuellen Leben wie auch in der Politik herrscht das große Scheitern. Warum das so ist, versucht Thomas Brudermann zu erkunden. Im Buch „Die Kunst der Ausrede“ hat der an der Uni Graz tätige Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe seine Erkenntnisse prägnant zusammengefasst. DIE FURCHE hat mit Brudermann, der bei den „Tagen der Transformation“ unter dem Motto „Anfängerinnen“ über „Bequeme Ausreden oder unbequeme Fakten?“ referieren wird (siehe Tipp), gesprochen. DIE FURCHE: Herr Brudermann, beginnen wir mit einer Diskrepanz: Just im Sommer 2023, der von Wetterextremen und voranschreitender Klimaerhitzung geprägt ist, wird so viel geflogen wie noch nie. Wie ist das zu erklären? Thomas Brudermann: Aus psychologischer Sicht ist das relativ gut zu erklären. Erstens haben viele durch die Pandemie gefühlt Jahre des Verzichts hinter sich – und jetzt das Gefühl, etwas aufholen zu müssen. Ein weiterer Grund sind die aktuellen, multiplen Krisen, die Unsicherheit auslösen und den Horizont verengen. Man schaut nicht mehr so weit in die Zukunft, sondern lebt eher im Hier und Jetzt – nach dem Motto „Jetzt oder nie!“. Zudem sind die sozialen Medien voll von Bildern schöner Urlaubsdestinationen, von denen viele nur mit dem Flugzeug erreichbar sind. Die Kunst der Ausrede Von Thomas Brudermann Oekom 2022 256 S., kart., € 23,50 Das vollständige Gespräch mit Thomas Brudermann ist unter diesem QR-Code sowie auf furche.at als Podcast nachzuhören. Der Klimapsychologe Thomas Brudermann über „Die Kunst der Ausrede“, mit der sich viele lieber selbst täuschen, als nachhaltig zu leben – und wie man endlich beginnen könnte. „Wir müssen vorangehen“ DIE FURCHE: Dass selbst klimabewusste Menschen in den Urlaub fliegen, ist das beste Beispiel für die „Kunst der Ausrede“, die Sie in Ihrem Buch beschreiben. Sie sprechen von einem „self-serving bias“ – auf Deutsch eine „selbstwertdienliche Wahrnehmungsverzerrung“. Was bedeutet das? Brudermann: Dass wir uns selbst oft deutlich besser wahrnehmen, als wir tatsächlich sind. Wenn wir etwa Müll trennen, das Licht ausschalten und den Deckel beim Kochen draufgeben, haben wir das Gefühl, wir schützen damit das Klima. Das sind zwar gute Dinge – deren Folgen man sofort merkt. In den wichtigen Bereichen Mobilität und Ernährung das Verhalten zu ändern, also weniger Auto zu fahren, weniger zu fliegen oder weniger Fleisch zu essen, fällt deutlich schwerer. In den Umweltkampagnen der letzten 20 Jahre hat man zwar gehofft, dass die einfachen Dinge der Startpunkt dafür sein könnten, auch die schwierigen zu beginnen. Aber die meisten Menschen nehmen die kleinen Dinge eher als Entschuldigung dafür, die eigentlich wirksamen Dinge nicht zu tun. Zugespitzt wird das etwa durch Kompensationszahlungen bei Flügen. Natürlich kann es helfen, Umweltschäden durch Aufforstungsprojekte zu kompensieren. Aber besser wäre es, den Schaden gar nicht erst anzurichten. DIE FURCHE: Eine typische Ausrede, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, lautet: „aber China“. Sprich: Das kleine Österreich kann nichts ausrichten, entscheidend sind die großen Player. Stimmt das nicht? Brudermann: Hier zeigt sich das Phänomen der Umweltweitsichtigkeit. Menschen haben die Tendenz, Umweltprobleme dann als schlimmer wahrzunehmen, wenn sie anderswo passieren. Kohlekraftwerke in China oder brennende Regenwälder in Brasilien nehmen wir – berechtigterweise – Foto: tzivanopoulos Thomas Brudermann ist Professor am Institut für Umweltsystemwissenschaften der Universität Graz. als schlimm wahr. Die Entwicklungen bei uns vor Ort – etwa die Bodenversiegelung oder die seit 1990 noch immer nicht gesunkenen Emissionen im Verkehr – betrachten wir hingegen als weniger problematisch. Diese Weitsichtigkeit gibt es aber auch umgekehrt. Jemand in China kann etwa mit Fug und Recht sagen: Wir haben historisch nur 14 Prozent der globalen Emissionen verursacht, die USA und Europa viel, viel mehr. Und in Indien könnte man darauf hinweisen, dass Europäer pro Kopf fünfmal so viel CO₂-Emissionen ausstoßen. Natürlich brauchen wir kollektive Lösungen. Die Frage ist aber: Wer geht voran? Und ich denke schon, dass die reichen Länder, die das Schlamassel hauptsächlich angerichtet haben, vorangehen und andere Länder unterstützen müssen. Nächste Woche im Fokus: Foto: iStock/simonapilolla DIE FURCHE: Und was ist mit dem Argument, dass man das eigene Verhalten eigentlich gar nicht ändern muss, weil wir ohnehin technologische Lösungen finden – Stichwort „Technologieoffenheit“? Brudermann: Aus psychologischer Sicht ist dieser Optimismus verlockend, weil er unsere Bequemlichkeit bedient. In der Realität gibt es zwar Bereiche, die wir durch Technologie einigermaßen klimafreundlich hinbekommen – etwa Energieerzeugung und Wärmegewinnung. Aber in den genannten Bereichen Mobilität und Ernährung sind die Kapazitäten – Stichwort E-Fuels – begrenzt. Blinder Optimismus ohne Verhaltensänderung ist hier nichts anderes als Realitätsverweigerung. DIE FURCHE: Kommen wir am Schluss zur Grundsatzfrage, wo eigentlich das Anfangen wichtiger ist: beim individuellen Lebensstil – oder beim politischen Ringen um bessere Rahmenbedingungen? Brudermann: Beides wirkt ineinander. Deshalb müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, die individuelle Klimafreundlichkeit erleichtern. In der Mobilität muss man etwa die Subventionen für den Flugverkehr stoppen und dafür sorgen, dass die Menschen nicht immer und überall auf das Auto angewiesen sind. Zugleich halte ich es aber auch für problematisch, sich nur auf die Strukturen auszureden. Auch wenn jeder Einzelne nur einen kleinen Beitrag leisten kann: In der Summe ist das relevant. Und wenn sich daraus eine soziale Dynamik ergibt – siehe den Trend zum Vegetarismus –, dann wird das entscheidend. VERANSTALTUNGSTIPP Tage der Transformation Unter dem Motto „Anfängerinnen“ widmen sich die „Tage der Transformation“ des Vereins „Globart“ von 31.8. bis 2.9. in Stift Melk jenen Menschen, die angesichts von Krisen Neues wagen. Es referieren neben Thomas Brudermann u. a. Eva von Redecker und Svenja Flaßpöhler. Infos und Tickets: globart.at Idealismus scheint im abgeklärten, postfaktischen Zeitalter fehl am Platz. Und wenn man für seine Ideale eintritt, wie die Klimakleber, dann beruht das auf wissenschaftlichen Fakten. Warum Überzeugung dennoch essenziell ist und wie sie uns hilft, ein erfüllteres Leben zu führen.
DIE FURCHE · 33 17. August 2023 Politik 5 Von Wolfgang Machreich Arnold Pritz wäre die Idealbesetzung für die von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Bildungsminister Martin Polaschek (beide ÖVP) angekündigte Informationsund Bildungsoffensive zum Thema Umfassende Landesverteidigung. In deren Rahmen sollen „insbesondere junge Menschen für Fragen wie ‚Warum gibt es das Bundesheer oder was bedeutet Geistige und Militärische Landesverteidigung?‘“ sensibilisiert werden. Pritz unterrichtet seit über dreißig Jahren an einem Lungauer Gymnasium Geschichte und Englisch. Neben dieser pädagogischen Erfahrung verfügt Pritz als Hauptmann der Reserve sowie Blauhelm-Soldat auf UN-Friedensmission in Zypern über reiche militärische Expertise. Und Pritz organisierte mit einem befreundeten Journalisten viele Jahre Workshops an seiner Schule, „wo wir versucht haben, unseren Schülern und Schülerinnen natürlich auch den Sinn der Landesverteidigung zu vermitteln – als überzeugte Österreicher und Milizsoldaten“. Umso gewichtiger ist seine Meinung zur interministeriellen Auffrischungskur für Geistige Landesverteidigung: „Wenn die Minister glauben, sie ändern mit solchen Kampagnen etwas am Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler, dann geht das weit an der Realität vorbei“, sagt Pritz. „Wenn man das von oben aufsetzt“, sei das „nettes window dressing, aber herauskommen wird da nichts“. Mehr Geschichte, mehr Miliz Was bräuchte es statt dieses Fensterschmucks, um jungen Menschen Einsicht in die Geistige Landesverteidigung zu vermitteln? Zur Beantwortung dieser Frage holt Pritz weit in die bildungs- und verteidigungspolitische Verfasstheit Österreichs aus. Er spricht von „systemischen Problemen“ – und zählt dazu die Stundenkürzungen beim Geschichtsunterricht: „Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, geht nur über massiven Ausbau der politischen Bildung und des geschichtlichen Bewusstseins ab dem 20. Jahrhundert.“ Auf militärischer Seite sieht er ohne ein funktionierendes Milizheer mit ausreichenden Übungen kein Rückgrat für die Geistige Landesverteidigung in der Bevölkerung. „Stattdessen kleben wir nur Pflaster auf einen Patienten, der längst halbtot ist.“ Unerlässlich für die „begeisternde“ Vermittlung Geistiger Landesverteidigung ist für Pritz zudem, „dass Milizsoldaten authentisch über ihre Erfahrungen berichten – und warum sie das tun“. Wenn ein Informationsoffizier in Uniform ins Gymnasium komme, mache er sich „eher lächerlich“. Foto: Wolfgang Machreich Neben Soldaten als Quereinsteigern gegen den Lehrermangel soll auch die Geistige Landesverteidigung neu aufgestellt werden – mit neuem Lehrplan und Lehrkräften als externen Informationsoffizieren. Eine gute Idee? Welch Geistes Verteidigung? Derzeit gibt es in Österreich rund 600 Informationsoffiziere, die Schülerinnen und Schüler über Bundesheer, Grundwehrdienst und Zivildienst informieren oder dem Publikum bei Angelobungen und Leistungsschauen Rede und Antwort stehen. Im April dieses Jahres absolvierten zudem erstmals 21 Salzburger Lehrerinnen und Lehrer aller Schultypen ein dreitägiges Ausbildungsseminar zum „Informationsoffizier/ extern“. Das Pilotprojekt ist als Vorzeigemodell der Geistigen Landesverteidigung für alle Bildungsdirektionen in den Bundesländern gedacht. Dass Bedarf am Ausbau des Pools an Informationsoffizier(inn)en mit zivilem Lehrpersonal besteht, könnte aus den im Juni publizierten Ergebnissen einer im Auftrag des Verteidigungsministeriums durchgeführten repräsentativen Studie herausgelesen werden: 86 Prozent der Befragten sprachen sich hier dafür aus, in der Schule über Sinn und Aufgaben des Bundesheeres zu informieren (45 Prozent stimmten „völlig zu“, 41 Prozent „eher zu“). 72 Prozent begrüßten im Schulkontext Informationen über Karrieremöglichkeiten beim Bundesheer. Gefragt nach der Wehrbereitschaft in der Bevölkerung, zeigten sich aber nur 31 Prozent grundsätzlich bereit, Österreich mit der Waffe zu verteidigen. Befragungen unter Informationsoffizieren ergaben, dass bei ihren eigenen Schuleinsätzen vor allem die Beratung zu Wehrdienst und Bundesheer-Jobs im Fokus des Interesses stehe, während der Bedarf an den Inhalten Geistiger Landesverteidigung enden wollend sei. Zwei Schulbuchoffiziere Mit Beginn des kommenden Schuljahres treten die neuen Lehrpläne für Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe in Kraft. Laut Bildungsminister und Verteidigungsministerin wird darin das Konzept der Umfassenden Landesverteidigung verankert. Zwei in die Schulbuchkommission eingebundene Offiziere sollen dabei „die sachliche Richtigkeit“ der Inhalte zur Landesverteidigung überprüfen. Werner Wintersteiner hat die neuen Lehrpläne vor sich auf dem Tisch „ Die neuen Lehrpläne stellen die Suche nach einer gerechten Friedensund Sicherheitsordnung in den Mittelpunkt. “ liegen. Der emeritierte Universitätsprofessor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in Klagenfurt sowie Gründer des dortigen „Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik“ zitiert aus dem Kapitel Allgemeine Bildungsziele und Leitvorstellungen: „Wesentliche pädago gische Bereiche, die diesen Kompetenzerwerb unterstützen, sind die Bildung für nachhaltige Entwicklung, Politische Bildung mit Global Cit i zen ship Edu ca tion, Friedenserziehung und Am 18. August 1983 fordert Erhard Busek im Gastkommentar „Friede in Freiheit“, die Erziehung zu Frieden in Familie und Schule ernster zu nehmen; nachzulesen auf furche.at. Nicht nur mit Waffen Zur Umfassenden Landesverteidigung gehören neben der militärischen auch die geistige, zivile und wirtschaftliche Ausrichtung sowie neuerdings die ökologische Landesverteidigung. Menschenrechtsbildung.“ Und ein paar Absätze weiter heißt es, Politische Bildung „vermittelt ein Verständnis für Zusammenhänge und Probleme der Menschheit und legt dar, dass eine faire Verteilung und Nutzung von Ressourcen, eine gerechte Friedens- und Sicherheitsordnung und die Einhaltung von Menschenrechten Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben auf dieser Welt sind“. Für Wintersteiner ist diese Ausrichtung der neuen Lehr pläne „eine klare Vorgabe, die Suche nach einer gerechten Friedensund Sicherheitsordnung in den Mittelpunkt zu stellen“. Insofern komme ihm die aktuelle Diskussion über die Geistige Landesverteidigung „ziemlich schief vor“. UNO- und EU-Leitlinien Dass Bildungs- und Verteidigungsministerium diese Debatte starten, „die weder den Akzentsetzungen noch Schwerpunkten des neuen Lehrplans entspricht“, nennt er „eine Kommunikationsstrategie, die vom Wesentlichen ablenkt“. In seinen Augen wesentlich seien die internationalen Entwicklungen auf Ebene der Vereinten Nationen und der EU, sagt er – und verweist auf eine hochrangige UN-Bestimmung zu Fragen der politischen Bildung, die gerade aktualisierte „Recommendation“ von 1974. Österreich sei rechenschaftspflichtig und müsse regelmäßig berichten, was man an internationaler Erziehung und Friedenserziehung leiste. Ähnliches gelte für die unter Mitwirkung des österreichischen Bildungsministeriums im Vorjahr beschlossene „Dublin Declara tion“, die ebenfalls globale Bildung in den Mittelpunkt stelle. „Statt der jetzt vom Zaun gebrochenen Debatte um Geistige Landesverteidigung möchte ich sehen, wie diese Verpflichtungen in der Schule umgesetzt werden“, sagt Wintersteiner. „Wenn die einzige neue Maßnahme ist, zwei Offiziere in die Schulbuchkommission zu schicken, kommt mir das unangepasst, unangemessen und lächerlich vor.“
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