DIE FURCHE · 33 12 Wissen 17. August 2023 Foto: Dolecek Persina- Naturpark Der Naturpark in Bulgarien umfasst mehrere benachbarte Inseln und Feuchtgebiete, in denen weltweit bedrohte Vogelarten zu finden sind. Der Archipel besticht mit malerischen Sandbänken. Foto: WILDisland © DANUBEPARKS/Persina NP/Ivanov - WILDislands Foto: Grotensohn Der Donau-Kammmolch gilt in Österreich als stark gefährdete Art (oben: Europäische Sumpfschildkröte). Von Sonja Bettel Mitte der 1970er Jahre entstand bei einem Hochwasser bei Orth an der Donau eine Schotterinsel im Fluss. Auf dem Schotterhaufen wuchsen bald Pflanzen, die bei Badegästen und Kajakfahrern sehr beliebt waren: Tomaten. Ihre Samen stammten aus Küchenabfällen, die mit Abwasser oder von Schiffen in die Donau gelangt waren. „Die Paradeiser waren sehr groß, weil sie gut mit Wasser und Nährstoffen versorgt waren. Man musste nur Salz und Brot mitbringen, und schon hatte man eine Jause“, erzählt der Biologe, Natur- und Kulturvermittler Manfred Rosenberger, der die Donau auen seit seiner Kindheit kennt. Kein Wunder also, dass die Insel im Volksmund bald den Namen „Paradeis- Insel“ erhielt. Doch das Paradeiserparadies währte nur wenige Jahre. Bald übernahmen Pionierpflanzen wie Purpurweiden und Barbarakraut das Terrain. Später siedelten sich andere Weiden, dann Eschen und Pappeln an, beobachtete Rosenberger. Heute sei die Insel mit ihren 4,78 Hektar Fläche durch vom Fluss abgelagerten Schotter und Sand etwa doppelt so groß wie zu Beginn. Die ältesten Bäume würden nun allmählich zusammenbrechen. Diese Sukzession, also die natürliche Abfolge von Ökosystemen, ist typisch für Auen und macht sie zu wertvollen Lebensräumen. Auf den Schotterbänken und in den Ufergewächsen der Paradeis-Insel brüten beispielsweise Flussregenpfeifer und Flussuferläufer, weshalb das Betreten der Insel, die zum Nationalpark Donau-Auen gehört und ein „Natura 2000“-Schutzgebiet ist, heute verboten ist. Auch für Wildschweine und andere Wildtiere ist die Insel ein Rückzugsgebiet. Rückbau des Ufers Bei niederem Wasserstand, der im Zuge des Klimawandels häufiger auftritt, sind der Bereich hinter der Insel und der Zufluss zum Donaunebenarm Große Binn aber nicht mehr gut durchströmt. Grund dafür sind frühere menschliche Eingriffe: Schon hundert Jahre vor der Entstehung Ein EU-Projekt widmet sich dem Erhalt der schönsten und ökologisch wertvollsten Inseln in der Donau. Ein Besuch bei Naturschätzen im großen Strom – von der österreichischen „Paradeis-Insel“ bis zum neu geschaffenen Vogelparadies im bulgarischen Persina. Wilde Trittsteine der Schotterinsel war die Donau im Raum Wien begradigt und befestigt worden, um Überschwemmungen und Verlagerungen des Flussbettes zu verhindern. Auch im Bereich Orth an der Donau ist das Ufer teils mit Steinen befestigt. Leitwerke in Längsrichtung und quer verlaufende Dämme (Buhnen) regulieren den Strom. Sie sorgen dafür, dass der Fluss möglichst das ganze Jahr über eine ausreichend tiefe und breite Fahrrinne hat. Schließlich ist die Donau eine internationale Wasserstraße. „ Inseln sind Rückzugsraum für Pflanzen und Wildtiere in Landschaften, die zunehmend vom Mensch beansprucht werden. “ Die Österreichische Wasserstraßen- Gesellschaft „viadonau“, die sich um ebendiese kümmert, hat deshalb gemeinsam mit dem Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung der Universität für Bodenkultur (BOKU) und dem Verein „Danubeparks“ die Revitalisierung der Paradeis-Insel zu einer Pilotmaßnahme eines internationalen Forschungsprojekts erkoren. „DANUBE4all“ wird vom EU- Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon Europe“ finanziert und ist heuer angelaufen. Bis Ende 2027 wird das Projekt abgeschlossen sein. „Das Ufer soll rückgebaut, und die Buhnenwurzeln sollen abgesenkt werden“, erklärt Julia Kneifel, Projektmanagerin von „viadonau“. Die Planung der Renaturierung wurde kürzlich an das Wiener Wasserbau-Ingenieurbüro RIOCOM vergeben, die Arbeiten werden voraussichtlich im Winter 2024/25 durchgeführt werden. Die BOKU wird untersuchen, welche Auswirkungen die Renaturierung auf die Pflanzen und Tiere auf der Insel hat. Auch die angrenzenden Auen sowie das Geschiebe werden dabei untersucht. Brutplätze für Seeadler Die Paradeis-Insel gilt als eine der „wildesten“ Inseln des österreichischen Abschnittes der Donau. Sie ist einer der prioritären Schauplätze des Projekts „WILDislands“ von „Danube Parks“, dem Netzwerk der Schutzgebiete der gesamten Donau. Bei einer Konferenz des Netzwerks an der unteren Donau habe einer der Vortragenden gefordert, die Inseln der Donau unter Naturschutz zu stellen, weil sie wichtige Brutplätze für Seeadler und viele andere Vögel seien, erzählt Georg Frank, Generalsekretär von „Danube Parks“ mit Sitz im österreichischen Nationalpark Donau- Auen. Daraus entstand das Projekt „WILDislands“, das aus dem EU-Programm „LIFE“ für einen Zeitraum von sechs Jahren mit einem Budget von 14,2 Millionen Euro gefördert wird. „An der gesamten Donau gibt es etwa 900 Inseln. Davon sind nach unserer Analyse 147 Inseln mit circa 14.000 Hektar Fläche sehr naturnah. Dort gibt es kaum Infrastruktur und kaum menschliche Nutzung. Für diese Inseln möchten wir donauweite Schutzstrategien entwickeln“, erklärt Frank. Die Renaturierung der Paradeis- Insel bei Orth orientiere sich am „WILDisland“-Konzept und stehe mit diesem in vollem Einklang. Außerdem werden der Nationalpark Donau-Auen und die „viadonau“ gemeinsam die Schwalbeninsel bei Stopfenreuth in Niederösterreich renaturieren, die wegen ihrer hohen ökologischen Bedeutung ebenfalls nicht betreten werden darf. Das untere Ende der Insel ist mit Blockwurf befestigt; dieser soll entfernt werden. Weiters werden zwei Kilometer befestigtes Ufer rückgebaut und Buhnen adap tiert, damit auch hier die Donau ungehindert zwischen Insel und Ufer strömen kann. „Inseln stehen für die Dynamik von Flüssen“, erklärt Georg Frank ihre Bedeutung. Sie sind Lebensraum von Arten, die sich an diese Dynamik angepasst haben, und Rückzugsraum für Wildtiere und Pflanzen in Landschaften, die immer mehr von Menschen beansprucht werden. Durch die Regulierung der Donau und anderer Flüsse in Europa sei diese Dynamik jedoch reduziert worden. Die Projektpartner von „WILDislands“ möchten deshalb die Europäische Kommission und auch die Donauländer überzeugen, die wilden Inseln außer Nutzung und unter strengen Naturschutz zu stellen. Sie sollen quasi als Trittsteine zur Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt fungieren. Weitere 250 Inseln mit rund 60.000 Hektar gelten als Kategorie B mit großem Revitalisierungspotenzial. Doch auch Inseln der Kategorie C könnten wieder zu wilden Inseln werden, wie das Beispiel Palets in Bulgarien zeigt. Die Insel befindet sich bei Flusskilometer 584
DIE FURCHE · 33 17. August 2023 Wissen 13 am rechten Flussufer, zwischen Nikopol und Belene, und gehört zum Persina-Naturpark. Bei Niederwasser sieht man ihre wunderschönen Sandbänke. Allerdings haben sich auf der Insel Palets invasive Arten wie Hybridpappeln und Amorpha fruticosa, genannt Scheinindigo, breitgemacht und die natürlich vorkommenden Arten verdrängt. Diese Pflanzen müssten gerodet, ihre Wurzelstöcke und Schösslinge ausgegraben und durch standorttypische Silberweiden, Weißpappeln, Schwarzpappeln, Stieleichen und Flatterulmen ersetzt werden. Allerdings benötigt man dafür Maschinen, denn die Insel ist fast 40 Hektar groß und mehr als die Hälfte der Fläche mit invasiven Arten überwuchert. Sie ist noch dazu das ganze Jahr über von Wasser umströmt, was positiv ist für Wildtiere, die sich zurückziehen wollen. Es bedeutet jedoch auch, dass Forstmaschinen und gerodete Bäume und Sträucher übers Wasser transportiert werden müssen. Pelikanplattform Die Projektmanagerin des Persina-Naturparks, Stela Bozhinova, und ihre fünf Kolleginnen und Kollegen haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie sich von Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen. Auf Persina, der größten und namensgebenden Insel des Naturparks, befand sich von 1949 bis 1989 ein kommunistisches Zwangsarbeitslager. Noch heute wird auf der Insel ein staatliches Gefängnis betrieben. Bis 1970 gab es auf Persina die größte Kolonie von Reihern, Ibissen, Löfflern und Kormoranen in der bulgarischen Donau mit circa 7000 Nestern. Die Errichtung eines Damms rund um die Insel zur Gewinnung von Weide- und Ackerland und der Bau des Donaukraftwerks Eisernes „ Die Wiedervernässung der Feuchtgebiete hat Arten zurückgebracht: Schnatternd und krächzend tummeln sich Purpurreiher, Blässhühner, Braune Sichler und Zwergdommeln. “ Tor zwischen Serbien und Rumänien führten jedoch zur Austrocknung der meisten Feuchtgebiete. Die Vögel verschwanden. 1981 wurden verbliebene Feuchtgebiete auf Persina und der kleineren Insel Kitka unter Schutz gestellt. 2006 wurde der Persina-Naturpark mit mehreren Inseln plus Festland auf einer Gesamtfläche von 22.000 Hektar gegründet. Zum Vergleich: Der Nationalpark Donau-Auen ist 11.000 Hektar groß. Um die Feuchtgebiete zu renaturieren, wurde der Damm auf Persina an drei Stellen geöffnet. Während des Hochwassers im Frühjahr kann nun Donauwasser auf die Insel fließen, dann werden die Wehre geschlossen. Die Wiedervernässung der Feuchtgebiete hat bereits Pelikane und andere Vogelarten wieder angelockt. „Dieses Jahr haben wir 34 Brutpaare in unserer Kolonie“, erzählt Daniela Karakasheva vom Persina-Naturpark leise flüsternd auf dem Aussichtsturm der Insel. Mit dem Fernglas kann man eine Gruppe der großen Vögel mit dem markanten Schnabel auf einer für sie gebauten hölzernen Plattform auf ihren Nestern sitzen sehen – umgeben von Wasser, das etwa zwei Meter hoch auf der Wiese steht. An einer flacheren Stelle tummeln sich laut schnatternd und krächzend Purpurreiher, Rothalstaucher, Bläshühner, Braune Sichler, Enten und eine Zwergdommel. Das sei ein sehr erfolgreiches Projekt gewesen, sagt Persina-Projektmanagerin Bozhinova sichtlich stolz. Sie hofft, dass sich die bulgarische Regierung eines Tages dazu durchringen kann, das Gefängnis und die Landwirtschaft auf Persina aufzugeben – damit die ganze Insel wieder richtig wild werden kann. DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Politik lernen Nr. 35 • 31. August 2023 Seit Max Webers Vortrag „Politik als Beruf“ wird das Politikhandwerk mit dem Bohren harter Bretter beschrieben. Wie Politik-Lernen heute funktionieren kann, zeigt eine Spurensuche beim Europäischen Forum Alpbach. Der Westen Nr. 37 • 14. September 2023 Er ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern steht für eine – angeschlagene – Weltmacht: der Westen. Wo beginnt und endet er? Was ist darunter zu verstehen? Beginn einer Reihe – gefolgt vom Süden, Osten und Norden. Die große Synode Nr. 39 • 28. September 2023 Das Arbeitspapier (Instrumentum laboris) zur römischen Weltsynode von 4. bis 29. Oktober hat Hoffnung auf mehr Gemeinsamkeit und Teilhabe in der katholischen Kirche geweckt. Wird sie erfüllt werden können? Klasse Job? Nr. 36 • 7. September 2023 Die Schule ist der Grundstein für das weitere Leben. Was muss geschehen, damit Schüler(innen) für die Arbeitswelt gerüstet werden? Und wie wird dabei auch der Lehrberuf wieder zum „Klasse Job“? Wird alles gut? Nr. 38 • 21. September 2023 Das 26. Philosophicum Lech widmet sich der Dialektik der Hoffnung – und fragt, ob Immanuel Kants berühmte Frage „Was dürfen wir hoffen?“ nicht längst umformuliert werden müsste: „Dürfen wir überhaupt noch hoffen?“ Mädchen Nr. 40 • 5. Oktober 2023 Mädchen müssen einerseits viele gesellschaftliche Erwartungen erfüllen, andererseits sind sie in Teilen der Welt immer noch von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Ein Fokus zum Weltmädchentag am 11. Oktober. UMFRAGE ZU „WILD ISLANDS“ Einbindung aller Beteiligten Wie können die Aktivitäten für den Fluss- und Inselschutz im Donauraum besser gestaltet und kommuniziert werden? Dieser Frage widmet sich derzeit eine Untersuchung in allen Donauländern, durchgeführt im Rahmen des „WILDislands“-Projekts (wildisland.danubeparks.org). „Es handelt sich um eine repräsentative Umfrage, die wir durchführen, um herauszufinden, wie die Menschen in den verschiedenen Ländern die Donau und unsere Schutzmaßnahmen wahrnehmen“, sagt die Projektmanagerin Elena Kmetova. „Das soll uns dabei helfen, unsere Botschaften und Informationskampagnen auf die Bedürfnisse der Besucher, der Einheimischen und unserer wichtigen Stakeholders abzustimmen.“ Wer mitmacht, kann an einem Gewinnspiel teilnehmen. Die Umfrage ist im Internet unter folgendem Link zugänglich: www.surveymonkey.com/r/JWKL6B7 (mt/sb) Die schlanken, amselgroßen Bienenfresser zählen zu den buntesten Vögeln in ganz Europa. Im Nationalpark Donau-Auen sind sie im Sommer regelmäßige Gäste. Slowenien Nr. 41 • 12. Oktober 2023 Von 18. bis 22. Oktober 2023 präsentiert sich Slowenien als Ehrengast auf der alljährlichen Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass blicken wir ins Nachbarland: Was tut sich politisch? Was tut sich literarisch? Erinnern anno 2023 Nr. 43 • 26. Oktober 2023 Vor 85 Jahren bildeten in Wien die Novemberpogrome 1938 den end gültigen Auftakt zur Schoa. In Wien wütete der staatliche Mob besonders arg. Wie kann Gedenken stattfinden, wenn die meisten Zeitzeug(inn)en tot sind? Schätze der Natur Nr. 45 • 9. November 2023 Ökosysteme erbringen auch aus wirtschaftlicher Sicht gigantische „Leistungen“. Welche Ansätze gibt es gegen den Verlust der biologischen Vielfalt? Ein Fokus zu den „Tagen der Biodiversität“ an der BOKU Wien. Der Süden Nr. 42 • 19. Oktober 2023 Die FURCHE nimmt die nächste Himmelsrichtung in den Fokus: Vom „globalen Süden“ über die Südhemisphäre bis hin zum Südpol gilt es, politisch, geografisch oder geschichtlich unterschiedliche Aspekte zu beleuchten. Häfen-Elegie Nr. 44 • 2. November 2023 Kein Ende der Klagen über den Strafvollzug: zu viel Wegsperren, zu wenig Resozialisierung. Während Radikalisierung, Gewalt- und Drogenprobleme wachsen, schrumpft der Jugendvollzug. Was ist zu tun? Der Osten Nr. 46 • 16. November 2023 Kitsch, Korruption, Kommunismus: Der Osten ist mit unzähligen Narrativen versehen. Noch heute gilt er als Gegenstück zu Kapitalismus und Konsum. Aber was steckt hinter den Klischees? Und was macht den Osten heute aus? *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 Foto: Kreinz JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR.
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