DIE FURCHE · 33 10 Gesellschaft 17. August 2023 Das Gespräch führte Victoria Schwendenwein Vor genau fünf Jahren, am 20. August 2018, startete Greta Thunberg ihren „Schulstreik für das Klima“. Die Protestkultur der Jugend sorgt seither für Aufsehen. Aber wer ist diese Jugend? In der FURCHE diskutieren dazu Raphaela Hemet („Letzte Generation“) und Junos-Bundessprecherin Sophie Wotschke. Lesen Sie zu diesem Thema auch den Gastkommentar „Die unpolitische Jugend?“ (8.11.2022) von Elena Heuberger auf furche.at. DIE FURCHE: Seit den Anfängen von „Fridays for Future“ haben sich die verschiedensten Formen des Protestes formiert. Wie verschaffen sich junge Menschen am besten Gehör? Raphaela Hemet: „Fridays for Future“ begannen 2018 mit ihren Protesten, die sehr erfolgreich waren. Es sind tausende Menschen allein in Österreich auf die Straße gegangen, noch viele mehr europaweit und global. Dann kam die Pandemie dazwischen, und wir können nicht sagen, wie sich das noch entwickelt hätte. Seitdem hat sich nicht viel verändert, die Emissionen steigen weiter. Deswegen entwickeln sich auch die Protestformen weiter. Und das sehen wir gerade mit der „Letzten Generation“. Wir sagen: Das, was es braucht, ist nur noch mit friedlichem zivilem Widerstand erreichbar, weil eben alles andere bis jetzt nicht funktioniert hat. Sophie Wotschke: Ich denke, es braucht einen demokratischen Grundkonsens, was im Bereich Klimaschutz zu tun ist. Da muss man die Bevölkerung mitnehmen. Ich denke aber leider, dass in den letzten fünf Jahren das Thema Klimaschutz extrem polarisierend geworden ist – vor allem durch Themen wie Tempo 100 oder den ewigen Diskurs über Verbote. In Wahrheit braucht es eine Systemrevolution, die vor allem auf die Industrie geht anstatt auf Lifestylevorgaben. Wir müssen auch die EU-Ebene ganz stark mitdenken. Aktuelles Beispiel ist das Freihandelsabkommen Mercosur: Es gibt eine Palette an wichtigen Umweltstandards, die da mitgenommen würden. Aber ÖVP und Grüne blockieren das aus parteitaktischen Gründen auf EU-Ebene. Das muss man aufzeigen. Das geschieht aber derzeit nicht. Im aktuellen Diskurs liegt der Fokus auf den „Klimaklebern“ anstatt auf echten Maßnahmen. DIE FURCHE: Stichwort polarisierend: Wir erleben in Österreich eine Diskussion über „Normal-“ und „Andersdenkende“, in der die „Letzte Generation“ als radikal bezeichnet wird. Die Junos haben diese als „das Schlechteste, das dem Klimaschutz passieren konnte“, bezeichnet. Warum? Wotschke: Weil es die Debatte noch weiter aufheizt. Weil es genau den Leuten, die populistisch agieren – wie der FPÖ –, eine Angriffsfläche gibt, gegen Klimaschutz zu mobilisieren. Die darf man hier aber nicht bieten. Es gibt in Österreich seit mehr als 900 Tagen kein Klimaschutzgesetz – und man muss dafür sorgen, dass die Regierung endlich ins Machen kommt. Man sollte hier nicht ablenken und Nebenbaustellen eröffnen, wo man in Wahrheit nur über die Protestformen diskutiert, aber nicht über den Klimaschutz. Hemet: Ich sehe nicht, dass man den Klimaschutz oder die Akzeptanz dafür schmälert, indem man zivilen, friedlichen Widerstand als Protestform übt. Die Mehrheiten sind ja nach wie vor da – ob Klimaschutz notwendig ist, muss nicht mehr diskutiert werden. Immer wenn über unsere Proteste berichtet wird, wird auch über unsere Forderungen berichtet – unter anderem dass das Klimaschutzgesetz endlich beschlossen werden muss. Im Diskurs ist also beides miteinander verbunden. Populistische Strömungen argumentieren nicht faktisch, wir können diese also sowieso nicht mit faktischen Argumenten, die seit Jahrzehnten bekannt Foto: APA / Klaus Titzer Seit 2018 hat der weltweite Klimaprotest immer wieder die Massen bewegt. Um mehr zu erreichen, formieren sich aber stetig neue Formen des Protestes. Lesen Sie zum politischen Protest der Jugend auch den Beitrag „Protestkultur reloaded“ (28.9.2019) von Manuela Tomic auf furche.at. Was haben sich Vertreter der „Letzten Generation“ und junger Parteiorganisationen – etwa der Neos – zum Klimaschutz zu sagen? DIE FURCHE bat zum Streitgespräch. „Die Angst vor Verlust adressieren“ sind, bekämpfen. Trotzdem stehen die Fakten fest: Wir müssen handeln. Und damit können wir nicht warten, bis endlich alle überzeugt sind. Es geht darum, dass die Regierung – und da stimmen wir überein – endlich sinnvolle Maßnahmen setzt. DIE FURCHE: Wie lenkt man denn die Diskussion wieder auf den eigentlichen Kern – den Klimaschutz – zurück? Wotschke: Um das Thema voranzutreiben, muss man in den Diskurs gehen. Und ich finde, exakt das macht die „Letzte Generation“ nicht. Ich glaube also, die Hol- und Bringschuld ist hier woanders. Es wäre an unserer Generation, zu sagen: „Schaut, da „ Es wäre an unserer Generation, zu sagen: ,Schaut, da sind die Argumente 1, 2, 3. Es kann nicht mehr so weitergehen.‘ “ Sophie Wotschke (24) sind die Argumente 1, 2, 3. Es kann nicht mehr lange so weitergehen.“ Es ist unglaublich wichtig, dass sich junge Leute engagieren – und zwar in allen Parteien, um dort den Klimaschutz voranzutreiben. Es gibt unglaublich viele Wege, aber ich glaube tatsächlich, die „Letzte Generation“, die sich Leuten in den Weg stellt, Kunstwerke anschüttet und Hotels ansprayt, schafft genau eines: nämlich negative Emotionen gegenüber dem Thema Klimaschutz. Hemet: Diskurs und Demokratie leben davon, dass es eine Vielfalt an Meinungen und Möglichkeiten gibt, auch abseits von Parteien. Und dazu gehören auch unsere Proteste. Für langes Argumentieren haben wir keine Zeit mehr, es muss jetzt gehandelt werden. Das Wie muss dabei jede Gruppe für sich entscheiden, wobei Protestformen sich auch ändern, weiterentwickeln und anpassen können und müssen. Was wir tun, tun wir nicht gern, wir sehen es aber als leider notwendig an. Die Klimakatastrophe zieht sich durch alle Bereiche und wird immer mehr Teil des Alltags, deshalb tragen wir unsere Proteste auch dorthin. Die Gesellschaft muss anfangen, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Und mit unseren Krisengesprächen, die jede Woche in mehreren Städten und online stattfinden und die explizit zur Teilnahme am Diskurs einladen, möchten wir dafür Raum schaffen. DIE FURCHE: Greta Thunberg wurde das internationale Gesicht der Klimabewegung. Sie wurde wegen der Blockade eines Hafens verurteilt. Wie ist das zu beurteilen? Hemet: Hier zeigt sich eine Weiterentwicklung: Die Person, die „Fridays for Future“ als Bewegung begründet hat, übt jetzt auch friedlichen zivilen Widerstand. Mich überrascht das nicht. Wenn man fünf Jahre lang auf die Straße geht mit angemeldeten Protesten, die also im rechtlichen Rahmen passieren, und dabei so viele Leute damit anspricht und mitnimmt – wenn man so viel öffentliche Aufmerksamkeit in so kurzer Zeit generiert und sogar vor der UN sprechen darf – und trotzdem nichts passiert: Dann ist es einfach die natürliche Steigerung. Wotschke: Ich kenne den Sachverhalt nicht eins zu eins. Es ist durch Medienberichte immer sehr schwer zu beurteilen, ob es gerechtfertigt war oder nicht. Aber rein faktisch sind Häfen wichtige Wirtschaftsdrehorte und kritische Infrastruktur. Natürlich ist es schädlich, wenn Häfen blockiert werden, weil Medikamententransporte, Kleidungstransporte etc. dort blockiert werden. Wenn man sich so über den Diskurs und auch teilweise über das Strafrecht hinwegsetzt, dann darf man sich nicht wundern, wenn einem das Leute nachher übelnehmen. Hemet: Ich weiß nicht, in welchen Strafbereich Greta Thunberg fällt. Wir fallen mit unseren Straßenprotesten in das Verwaltungsstrafrecht und damit in die gleiche Kategorie wie Leute, die zu schnell mit dem Auto fahren, das heißt, das ist die gleiche Kategorie von illegalem Handeln. Sophie, du nennst „Fridays for Future“ als Beispiel, wie man besser in den Diskurs eintreten könnte. Aber jetzt hat ja auch Greta Thunberg an friedlichem zivilem Widerstand teilgenommen. Auch wenn eine Einzelperson nicht immer mit ihrer Be-
DIE FURCHE · 33 17. August 2023 Gesellschaft 11 Fünf Jahre ist es her, dass sich „Fridays for Future“ formierte. Seither hat sich vieles bewegt. Den Kampf um das Klima führen aber längst nicht mehr nur „die Jungen“. Eine Analyse. wegung gleichgesetzt werden sollte, würde mich interessieren, wie du das dann einordnest? Wotschke: Ich verstehe den Frust, weil nichts passiert und daher andere Protestformen gesucht werden. Aber ich glaube, genau in diesem Moment wäre es wichtig, weiter mit Argumenten zu überzeugen. Man sollte jedenfalls der Versuchung widerstehen, Leute in ihrem täglichen Leben zu blockieren, um – so entsteht der Eindruck – seine Forderungen der breiten Bevölkerung aufzudrängen. Hemet: Ich verstehe das, wir haben beide einen akademischen Background und sind dementsprechend immer an einem argumentativen Diskurs interessiert. Das Problem ist: Wir haben keine Zeit mehr für Überzeugungsarbeit, die sowieso nicht mehr notwendig ist. Und wir fordern ja nicht, dass unsere Meinung umgesetzt wird, sondern dass das Klimaschutzgesetz beschlossen und die Empfehlungen des Klimarates umgesetzt werden. DIE FURCHE: Die „Letzte Generation“ forderte zuletzt auch, dass „die Reichen“ ihren Beitrag leisten müssten. Was bedeutet das? Hemet: Wir fordern, dass das reichste Prozent der Bevölkerung, das für den Großteil der CO₂-Emissionen verantwortlich ist, auch als Faktor mitbedacht wird, wenn es um die Lösung des Problems geht – zum Beispiel, indem klimaschädliches Handeln wie das Fliegen mit Privatjets entsprechend besteuert wird. Es kann einfach nicht sein, dass die da ungeschoren davonkommen und weiter ihrem verschwenderischen Lebensstil zum Nachteil des größeren Teils der Bevölkerung frönen. Wotschke: Ich finde, exakt das lenkt von den wichtigen Klimaschutzfragen ab. Die Frage ist nicht, wie man „die Reichen“ im Alltag beschneiden kann, sondern wie wir die Industrie auf klimafreundliche Beine stellen. Um die soziale Frage zu adressieren, sollte man unbedingt einen empathischeren Diskurs anstreben und auch die Religionswissenschafterin Raphaela Hemet (26) koordiniert als Mitglied der „Letzten Generation Österreich“ die Vernetzung in Graz. Rechtswissenschafterin Sophie Wotschke (24) ist Bundesobfrau der Jungen Neos (Junos). Der „Letzten Generation“ steht sie kritisch gegenüber. Foto: FH Technikum Foto: Junos Angst vor Wohlstandsverlust adressieren. Ich glaube, die Frage ist, wie man als Wirtschaftsstandort Österreich Klimaschutz schafft, der sinnvoll ist und wirkt. Unsere Wissenschaft und Forschung ist exzellent. Dann ist der Wohlstand nicht gefährdet, sondern man kann ihn – durch österreichische Innovation – sogar weiter ausbauen. Hemet: Aber wie soll ich als Kind aus einer Arbeiterfamilie in der Klimakatastrophe meinen Wohlstand halten und überleben, wenn andere weiterhin Ressourcen verschwenden dürfen und im Gegenteil zu mir den Luxus haben, sich von den Folgen der Klimakatastrophe komplett abzuschotten? Die Klimakatastrophe betrifft als Erstes jene, die am wenigsten zu ihr beigetragen haben – und das sind die nicht Wohlhabenden. Wohlstandssicherung als Thema der Klimakatastrophe ist unweigerlich an die unfaire Verteilung dieses Wohlstandes gekoppelt. „ Wie soll ich als Kind aus einer Arbeiterfamilie in der Klimakatastrophe überleben, wenn andere den Luxus haben, sich von den Folgen der Klimakatastrophe komplett abzuschotten? “ Raphaela Hemet (26) DIE FURCHE: Auf welchen ethischen Werten fußt eure Argumentation? Hemet: Was immer wieder betont werden muss – auch hinsichtlich der Sorgen um Radikalisierungstendenzen –, ist, dass die „Letzte Generation“ eine friedliche Bewegung ist. Das heißt: Auch wenn Personen aggressiv und gewalttätig gegen uns agieren, bleiben wir trotzdem gewaltfrei, wie man immer wieder sehen kann. Die Frage, was wir als legitime Handlungen sehen, wird daher auch unter der Prämisse der Gewaltfreiheit gestellt. Autoreifen aufstechen wäre für uns zum Beispiel nicht legitim, weil es Menschen gefährden würde und folglich nicht gewaltfrei wäre. Wir differenzieren daher: Unsere Proteste sind nicht legal, aber sie sind – angesichts der Krise – legitim. Wotschke: Also unsere Handlungsweise basiert recht simpel auf dem Grundverständnis, dass wir in einer Demokratie leben; und eine Demokratie davon lebt, dass man einen Diskurs pflegt, damit sich bei Wahlen Mehrheiten bilden – und aufgrund dieser Mehrheiten dann die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden. Hemet: Aber was ist, wenn die Maßnahmen dann nicht umgesetzt werden? Demokratische Prinzipien sind auch für die „Letzte Generation“ wichtig. Nur: Wenn die dann nicht eingehalten werden von einer Regierung, indem Konsens nicht umgesetzt wird, muss es eine gesunde Demokratie aushalten, dass friedlicher ziviler Widerstand geübt wird. Wotschke: Natürlich. Aber ich halte es wie gesagt für diskursschädlich. Und ich denke, dass genau diese Art des Protestes dazu führt, dass bei Wahlen Parteien, die nicht oder zumindest nicht hundertprozentig hinter dem Klimaschutz stehen, dazugewinnen. DIE FURCHE: Gibt es etwas, worauf man sich abschließend einigen könnte? Hemet: Die faktenbasierten Lösungen gibt es. Dass diese jetzt dringend umgesetzt werden müssen: Ich glaube, da sind wir uns einig, das muss passieren. Wotschke: Ich denke schon, dass es in den Maßnahmen, die wir präferieren, gewisse Unterschiede gibt. Aber dass endlich mehr passieren muss, da sind wir uns alle einig. Das ungekürzte Streitgespräch lesen Sie auf furche.at. Das Erwachsen des Protestes Von Victoria Schwendenwein Feuer auf griechischen Inseln, Hagelstürme in Italien, Fluten und Muren in der Steiermark und Kärnten: Der Sommer 2023 hat gezeigt, dass extreme Wetterverhältnisse auch in Europa keine Ausnahme mehr sind. Die Folgen der globalen Klimaerhitzung werden damit auch bei uns zunehmend seh- und spürbar. Um gegen diese Entwicklung anzukämpfen, engagiert sich die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter bei „Scientists for Future“ – einer Gruppe, die aus „Fridays for Future“ entstanden ist. Seit die damals 15-jährige Schwedin Greta Thunberg vor fünf Jahren die „Fridays“ (FFF) angestoßen hat, wurde die Bewegung vielfach als Teil der globalen Jugendkultur im Bereich des politischen Protestes eingeordnet – ähnlich der Jugendbewegungen der 1960er Jahre. Tatsächlich hat sich in den letzten fünf Jahren einiges bewegt. Thunberg und ihre Mitstreiter(innen) sprechen bei Klimakonferenzen, treffen sich mit dem Who’s who der Politik und fordern die Umsetzung der vom Weltklimarat vorgegebenen Maßnahmen. „Fridays for Future“ konnte sich damit als ernstzunehmender Player auf der politischen Bühne etablieren und auch viele weitere Gruppen – von Politik bis Kirche – ins Boot holen. In Tirol beispielswei se gingen durch FFF so viele Menschen wie noch nie in der Zweiten Republik auf die Stra ßen: 20.000 Personen mobilisierte man im September 2019. Laila Kriechbaum ist eine der Tiroler „Fridays for Future“-Aktivistinnen. Die 20-Jährige betont vor allem den Dialog mit der Politik – und dass in Tirol der Fokus auf der Landwirtschaft liege. Corona-Pandemie als Bremse Seit der Großdemonstration vor vier Jahren hat FFF Tirol im Austausch mit der Politik unter anderem erreicht, dass Photovoltaikanlagen künftig in der Größe von 100 Quadratmetern (statt 20 Quadratmetern) genehmigungsfrei gebaut werden dürfen; und dem Landeshauptmann-Stellvertreter wurde ein landwirtschaftliches Konzept vorgelegt, um Tirol zur Ökomodellregion nach dem Vorbild Bayerns und der Steiermark (Beispiel Kaindorf) zu machen. Dennoch sehen viele Klimaaktivist(inn)en die „Fridays for Future“-Bewegung gebremst. Als Grund dafür wird oft die Corona-Pandemie ins Treffen geführt. Das Medium für den Protest – die Demonstration – wurde in dieser Zeit von anderen Gruppierungen genutzt, nämlich just jenen, die der Klimabewegung, den Corona-Maßnahmen und der Impfung kritisch gegenüberstanden und -stehen. „Fridays for Future“ verlagerte währenddessen den Protest ins Internet, organisierte online Kundgebungen und versuchte, seine Anliegen auf diesem Weg weiterzubringen. Da in Österreich große Erfolge wie die Erneuerung des Klimaschutzgesetzes weiter auf sich warten lassen, wird den „Fridays“ von Kritiker(inne)n allerdings auch ihre Wirksamkeit abgesprochen. Der da raus resultierende Unmut ist die Wurzel vieler neuer Protestformen (vgl. links). Mit ihnen kamen neue Reibungspunkte. Vor allem die Aktionen der „Letzten Generation“ sind umstritten. „Protest ist gut – solange er sich im gesetzlichen Rahmen befindet“, sagt etwa der Grazer Jus-Student Elias Edegger. Der 22-Jährige ist derzeit im Vorstand der „Carolina Graz“, einer Verbindung des österreichischen Cartellverbandes. „Wenn Demonstrationen von der Politik wenig beachtet werden, muss man sich etwas Neues einfallen lassen“, stört er sich grundsätzlich nicht an provokanten Protesten – solange die richtigen Personen adres siert werden. Im Falle der „Letzten Generation“ sieht er das aber derzeit nicht. Dort fehle es an neuen Ideen, um die Politik zu erreichen, meint er. Verena Winiwarter sieht den Protest der „Letzten Generation“ weniger problematisch. Auch die der Gruppierung vorgeworfene Radikalität erkennt die Umwelthistorikerin nicht. „Das ist gewaltfreier Widerstand. Wenn sie aggressiv sind, dann höchstens gegen sich selbst“, stellt die Wissenschafterin fest. „Ihre Vorbilder ist vermutlich eher Martin Luther King als Terroristen.“ Historisch betrachtet kenne man so etwas bereits aus den Zeiten des Vietnamkriegs, als Studierende in den USA gegen den Kriegseinsatz junger Männer mobilisierten. Was gegenwärtige Be- „ Die Aktivisten erreichen die Regierung nicht, solange die demografische Mehrheit Pensionisten sind. Es braucht Arbeitsteilung zwischen Jung und Alt. “ Verena Winiwarter wegungen von jenen des 20. Jahrhunderts unterscheide, sei die Forderung nach einer kompletten Systemveränderung. „Die, die das Problem verursachen, sind die Einzigen, die es lösen können“, sagt die Expertin. In die Pflicht nimmt sie dabei nicht nur die Jungen: „Die Aktivist(inn)en erreichen die Regierungen nicht, solange die demografische Mehrheit Pensionisten sind“, erklärt sie. Daher brauche es auch Gruppierungen wie die „Scientists for Future“, damit hier auch eine Art Arbeitsteilung zwischen Jung und Alt geschehen kann. Streik als Mittel bleibt umstritten Allgemein zeigt sich die Wissenschafterin überzeugt, dass es den Klimaprotest so lange geben werde, bis er seinen gesellschaftlichen Zweck erfüllt habe. Dazu brauche es tatsächlich auch stärkere Formen. „Man müsste das Streiken ernster nehmen, tatsächlich die Arbeit niederlegen, um das System zu wandeln“, meint Winiwarter – und spricht damit einen umstrittenen Punkt an. Schließlich wurde in gewissen Bereichen – wie zum Beispiel im Schulwesen – die Teilnahme an Demonstrationen zuletzt von Vorgesetzten untersagt, von anderen aber auch erlaubt. So kamen unter anderem auch ganze Schulklassen zu den Protesten. Schulzeit für den Klimastreik zur Verfügung zu stellen, bleibt allerdings weiter kontroversiell Kaum noch Zweifel gibt es dagegen an den Auswirkungen der Klimaveränderung, denn diese sind mittlerweile im Alltag angekommen – nicht nur auf Sizilien, wo im Juli der historische europäische Spitzenwert von 48 Grad gemessen wurde.
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