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DIE FURCHE 17.05.2023

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DIE

DIE FURCHE · 20 8 International 17. Mai 2023 Gefallene Monumente Im Dezember 2022 wurde das umstrittene Denkmal von Katharina II. in Odesa gestürzt. Auch von der russischen Stadtschreibweise „Odessa“ hat man sich mittlerweile verabschiedet. Von Stefan Schocher Der ukrainische Präsident war zuletzt auf Tour: Rom, Berlin, Aachen, Paris, London. Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben dabei weitreichende Zusagen für weitere Waffenlieferungen gemacht. In Rom gab es demonstrative Rückendeckung. Im Vatikan herrschte allerdings gedämpfte Stimmung. Einig war man sich nur, dass der Krieg eine humanitäre Tragödie ist. Wie weit man inhaltlich auseinanderliegt, verdeutlichten schon die Mitbringsel: Papst Franziskus schenkte Wolodymyr Selenskyj eine Skulptur, die einen Olivenzweig darstellt; Selenskyj überreichte Franziskus eine auf eine durchlöcherte Splitterschutzweste gemalte Ikone. Mit Kritik an Russland hatte sich Franziskus stets zurückgehalten. Das ist ein Grund für die Kühle. Ein anderes ist das Verständnis von Frieden als Abwesenheit von offenem Krieg. Und so sagte Selenskyj auch: „Wir laden den Papst ebenso wie alle anderen Führer ein, für einen gerechten Frieden einzutreten, aber vorher müssen wir alles Übrige erledigen.“ Soll heißen: den militärischen Sieg erreichen. Dabei haben die beiden zumindest eines gemeinsam: Sie sind Träger des Aachener Karlspreises. Der Preis geht an Personen des öffentlichen Lebens, die sich für die Einheit Europas einsetzen. Selensky wurde der Preis am Sonntag verliehen. Franziskus hatte ihn 2016 erhalten. Da war die Welt noch eine andere – zumindest in der Wahrnehmung Westeuropas. Russische Ortsnamen verbannt Aber Russlands Krieg in der Ostukraine hatte da längst begonnen. Ein Krieg, der – wie sich heute zeigt – nicht mehr war als ein Vorscharmützel eines Russland, das nach Unterwerfung seiner Nachbarn und imperialer Größe strebt, während man sich in der Ukraine bereits damals aktiv daranmachte, Russland aus genau diesem Grund aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Seit 2015 sind Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus dort rechtlich gleichgestellt und gelten als kriminelle Regime. Ende April aber hat Selenskyj diese Regelung auf eine neue Stufe gehoben – und ein Gesetz unterzeichnet, das die Umbenennung aller russischen Ortsnamen vorsieht. Ein zweites Paragraphenwerk sieht die Kenntnis der ukrainischen Sprache sowie der Geschichte des Landes als Grundvoraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft vor. Es gehe um „Entkolonialisierung“ und „Entrussifizierung“. „ Russland hat immer versucht, die Ukraine zu vernichten. Wir müssen deshalb beginnen, uns eine Welt ohne russisches Imperium vorzustellen. “ Lesen Sie dazu auch Stefan Schochers Besprechung des Buches „Mitten im zivilisierten Europa“ (2.11.2022) auf furche.at. Der soeben mit dem Karlspreis ausgezeichnete Wolodymyr Selenskyj treibt die „Entrussifizierung“ der Ukraine weiter voran. Warum, erklärt der Philosoph Wachtang Kebuladse. „Eine Geschichte der Gewalt und des Krieges“ Wachtang Kebuladse, ukrainisch-georgischgriechischer Philosophieprofessor an der Taras Schewtschenko-Universität in Kyiv. Foto: Privat Foto: imago / zuma Wire „Meines Erachtens ist das sehr wichtig“, sagt Wachtang Kebuladse, Professor für Philosophie an der Taras Schewtschenko-Universiät in Kyiv. Er sehe nicht ein, wieso es im Zentrum Kyivs etwa einen Platz gebe, der nach Leo Tolstoi benannt sei, einem Schriftsteller, der nie in der Ukraine gelebt oder über die Ukraine geschrieben habe und dessen Moskau-zentriertes Weltbild darüber hinaus heute von Russlands Propaganda benutzt werde. Das, während nach ukrainischen Literatur-Ikonen wie Scholem Alejchem oder Walerjan Pidmohylnyj nur Sack- und Nebengassen in Vororten benannt seien. Es brauche eine kritische postkoloniale Dekonstruktion all dessen, so Wachtang Kebuladse. Denn es seien eben Orte, Plätze, Straßen, Städte über die Russland seinen Anspruch auf die Ukraine herleitet. Es gab einmal einen Witz in der Ukraine: Wenn man die Adresse der Verwaltung einer Stadt nicht kannte, dann schickte man den Brief an „Leninplatz 1“. Die Ukraine war die Sowjetrepublik mit der höchsten Dichte an Lenin-Bezügen in Ortsbezeichnungen, in Straßennamen oder durch Statuen. In Dnipropetrowsk hatte das absurde Ausmaße: Vom Lenin-Platz konnte man durch die Lenin-Straße über die Lenin-Brücke zur einer Fabrik spazieren, die nach Lenin benannt war. Und Grigori Iwanowitsch Petrowsk, der Namenspatron der Stadt, war einer der Schlüsselverantwortlichen für eines der einschneidendsten Ereignisse, das die Ukraine im 20. Jahrhundert heimgesucht hat: den Holodomor, die massenhafte Hungersnot in Folge von organisiertem Nahrungsentzug durch die Sowjets Anfang der 1930er-Jahre. Gezielt wurde da Getreide aus latent renitenten Dörfern in die bereits sowjetisierten Städte gebracht. Bis zu fünf Millionen Menschen starben. Dnipropetrowsk war ein Zentrum dieser Praxis. Die Stadt war demnach ein Tatort – benannt nach einem Täter. Heute sind die Leninstatuen verschwunden, die Leninplätze wurden umbenannt. Dnipropetrowsk heißt heute Dnipro. Begonnen hat dieser Prozess spätestens am 8. Dezember 2013 im Zentrum Kyivs. Dort, wo der in Stalin-Gotik gehaltene Prachtboulevard Chreschtschatyk in den Bessarabia-Markt übergeht und wo der Schewtschenko-Boulevard seinen Anfang hat, hatten sich im Zuge der Maidan-Revolution Tausende versammelt, um ein Monument zu Fall zu bringen: einen Lenin in rötlichem Granit, leicht nach vorne gebeugt, als hätte er Verdauungsprobleme. Viele Lenins fielen in der Folge. Viele Monumente anderer Sowjets. Und auch Orte wurden umbenannt: Aus Artjomowsk wurde zum Beispiel wieder Bachmut. Oder eben Dnipro. Grundlage dafür sind vier Gesetze aus dem Jahr 2015: Die Gleichstellung der kommunistischen und der nationalsozialistischen Regime und das Verbot der Propaganda für diese; die Öffnung von Archiven bis zum Bestand des Jahrs 1991; das Gesetz über die Verlegung des Gedenktages des Sieges über Nazi-Deutschland vom 9. auf den 8. Mai; und das Gesetz über den Status der Veteranen der UPA – also jener Untergrundarmee, die bis in die 1950er-Jahre gegen die Sowjets gekämpft hatte. Mit diesem Gesetz wurden der Unabhängigkeitskampf gegen die Sowjetherrschaft sowie die Veteranen der UPA erstmals als legitim eingestuft und vor allem entkriminalisiert. Die Umbenennung von Orten ist also nur sichtbarstes Zeichen eines grundlegenden Sinneswandels. Das substanziellste Stück des Gesetzespakets ist die Öffnung der Archive – im wesentlichen zweier Archive: jenem der KP und jenem der Sicherheitsdienste. Ein größeres sowjetisches Geheimdienstarchiv gibt es nur in Moskau – und das ist unter Verschluss. Eine entsprechende Fundgrube über das Gebaren von acht Jahrzehnten Sowjetherrschaft ist dieses Archiv also – in einem Land, in dem die Sowjetunion vielfach als Besatzungsmacht agiert hat. Dunkle Erinnerung an Holodomor Da finden sich laut Historikern etwa Belege für die Planung des Holodomor. Russland stellt diese „Jahre des Hungers“, wie es beschönigend heißt, aber als administrativen Unfall dar. Strategiepapiere finden sich da über die Formung der ukrainischen Geschichtsschreibung im sowjetischen Sinn – und solche über die Brandmarkung jeglicher ukrainischer Unabhängigkeitsbestrebungen bis hin zum Gebrauch der ukrainischen Sprache als nazistisch und faschistoid – Narrative, die sich bis heute in die westliche Betrachtung der Ukraine fortgepflanzt haben. Auch Strategiepapiere sind da zu finden, wie der Holodomor in das kollektive Gedächtnis der Ukraine propagandistisch eingebaut werden sollte. „Wir sollten unsere eigene Geschichte schreiben, da Russland unsere Geschichte ständig umgeschrieben hat“, sagt Wachtang Kebuladse zur FURCHE. Und weiter: „Wir brauchen keine neue Geschichte, wir brauchen unsere eigene Geschichte.“ Russlands Frontalangriff auf die Ukraine hat diesem Ansinnen neuen Schub verliehen. Im Fokus war die russische Propaganda, die den Anspruch Moskaus eben mit historischen Bezügen argumentiert: Ortsnamen, Straßenbezeichnungen, Plätze, umstrittene Monumente wie das von Katharina II. in Odesa oder auch die Schreibweise von Orten (ukrainisch Odesa, russisch Odessa) sind die sichtbaren Zeichen dieses Anspruchs. Wachtang Kebuladse nennt das Orte, „die die russische Anwesenheit hier markieren“. Die ukrainisch-russische Geschichte sei eben „eine Geschichte der Gewalt und des Krieges“, sagt Kebuladse. Und dieser Krieg habe nicht im Februar 2022 begonnen. Auch nicht 2014. Dieser Krieg tobe seit 300 Jahren. Denn: „Russland hat immer versucht, die Ukraine zu vernichten“, sagt der Philosoph. Man müsse damit beginnen, sich eines vorzustellen: eine Welt ohne russisches Imperium.

DIE FURCHE · 20 17. Mai 2023 Religion 9 Die Firmung ist oft der letzte Kontakt junger Menschen zur katholischen Amtskirche. Dabei geht es gerade darum, mit „einem gut gefüllten Rucksack“ durchs Leben gehen zu können. Drei Ansätze, damit nach Sakrament und Fest kein leises Servus folgt. Von Michaela Hessenberger Richard Weyringer ist ein Mann, der Chancen beim Schopf packt. Wenn Grundwehrdiener, meist um die 18 oder 19 Jahre alt, am allerersten Tag ihre Uniformen ausfassen und in der Schwarzenbergkaserne in Salzburg Aufstellung nehmen, dauert es nicht lange, bis sie von seiner Arbeit erfahren. Auch Soldatinnen und Soldaten bei Einsätzen im In- und Ausland ist er bekannt. Weyringer ist Militärpfarrer. Einer, mit dem man reden kann. Und zwar über das ganze Leben. Ganz ohne Scheu. „Ich habe die Möglichkeit, junge Leute noch einmal mit dem Glauben und der Kirche in Kontakt zu bringen, auch, wenn sie jahrelang nicht mehr daran gedacht haben“, sagt er. „So, wie ein Kaufmann seine Ware anpreist, so sage ich ihnen, was ich im Angebot habe: Gott, Jesus, den heiligen Geist. Auf die können sie sich auch in Ausnahmesituationen verlassen.“ Eine Ausnahmesituation ist es allemal, wenn junge Erwachsene einrücken; bisher Gewohntes hat keinen Wert mehr. Nun geht es um das Befolgen von Befehlen, das Einhalten von Zeitplänen und um das Auskommen mit den Kameraden. „Manchen geht das seelisch an die Substanz“, erzählt Weyringer. Dann komme er als Militärseelsorger ins Spiel. Dass die Rekruten ihre Sorgen lieber mit ihm anstatt mit den Psychologinnen und Psychologen teilen, weiß der Priester aus Erfahrung. „Ich bin im Namen des Glaubens für sie da – und an das Beichtgeheimnis gebunden. Das nehmen erstaunlich viele in Anspruch. Und hier spreche ich irgendwann das Thema Firmung an – meistens in größerer Runde und erst mit einem Augenzwinkern. Dann werden die ersten hellhörig.“ Warum? Weil die Firmung ein Sakrament ist, das bestärkt. Zuspruch können junge Menschen gut brauchen. Weil Weyringer ein sportlicher Mensch ist, findet er schnell eine Gesprächsbasis. Er versucht zu vermitteln, dass es beim Bundesheer nicht nur um körperliche Kraft geht, sondern auch um die seelische und geistige Stärke. Und schon ist er wieder beim Thema Firmung. Das lateinische Wort firmare bedeutet schließlich nichts anderes als „stärken“. Sein Ziel als Seelsorger sei, dass keine Seele einen Sprung erleidet, sondern stets gestärkt bleibt. Wer sich entscheidet, die Stärkung durch die Firmung anzunehmen, hat oft auch ein weiteres Motiv – ein anstehendes Amt als Taufpatin oder -pate. Die Firmvorbereitung können Rekruten wie Soldaten übrigens während der Dienstzeit absolvieren. Weyringer bittet die Kommandanten, sie für ein paar Einheiten bei ihm freizustellen. Die Firmerlaubnis erhält er vom Militär- oder Erzbischof – und nicht selten sieht er seine Firmlinge aus der Kaserne später bei Taufen und Hochzeiten wieder. Körperkraft und Seelenstärke Schauplatzwechsel in die Benediktinerabtei Michaelbeuern. Dieser steht mit Abt Johannes Perkmann ein Priester vor, der bereits an die 10.000 Mal die Firmung gespendet hat. Ob es für Jugendliche noch attraktiv ist, sich firmen zu lassen? Der Mönch nickt. „Ich nehme viel Interesse an der Firmung wahr. Bei manchen ist das Empfangen dieses Sakraments eigene Überzeugung. Bei manchen spielt die Überzeugung der Eltern die etwas größere Rolle. Bei Schulklassen, die geschlossen zur Firmung gehen, ist die Gemeinschaftserfahrung vorrangig. Oft staune ich über ein großes Reservoir an Tradition, das Jugendlichen und Eltern am Herzen liegt.“ Warum es die Firmung überhaupt braucht, liegt für Perkmann auf der Hand. Als zugrunde liegenden Wunsch sieht er – ebenso wie der Militärpfarrer – die Bestärkung junger Leute in einer Lebens- „ Teenager dürfen sehen, dass wir uns viel für sie antun. Dazu kommt die Bestärkung, dass sie nach der Feier mit einem besonderen Segen durch ihr Leben gehen “ Abt Johannes Perkmann Die etwas andere Stärkung phase, „die ohnehin nicht leicht ist“. Der Abt spricht von der Pubertät. Deshalb ist ihm wichtig, dass sich die Verantwortlichen in den Pfarren richtig Mühe geben, ein schönes Fest zu gestalten. „Teenager dürfen sehen, dass wir uns viel für sie antun und dass sie uns viel wert sind. Dazu kommt die Bestärkung, dass sie nach der Feier mit einem besonderen Segen durch ihr Leben gehen.“ Er wünscht den Mädchen und Burschen, dass sie mit einem gut gefüllten Rucksack unterwegs sind, GLAUBENSFRAGE Foto: imago / Zoonar Zum Thema siehe auch „Firmung für die Kirche“ am 19.5.1998 von Walter Kirchschläger, nachzulesen auf furche.at. Spurenlese zu Himmelfahrt Salbung mit Chrisam Bei der Firmung wird der Heilige Geist auf die Empfänger(innen) des Sakraments herabgerufen, Zeichen dabei sind die Salbung mit Chrisam und die Handauflegung durch den Firmspender. „in dem das Grundvertrauen steckt, dass es einen Gott gibt, der ihnen begegnen und der sich ihnen zuwenden kann“. Wenn sie im Zuge der Firmvorbereitung die Fähigkeit gewinnen, über ihren Glauben Auskunft zu geben, sei das gut. „Sie sollen die Sinn-Fragen im Leben spüren – und wissen, wo es Antworten gibt.“ Die Firmung beschreibt Abt Johannes Perkmann auch als Auftrag an die Jugendlichen, mit ihrem Glauben etwas Aktives anzufangen – beispielsweise in ihrer Heimatpfarre. Eine begeisternde Firmvorbereitung wäre für ihn ein guter Grundstein dafür. Dass trotz vieler Bemühungen nur wenige junge Leute den Sprung in ein lebendiges Pfarrleben wagen, ist dem Benediktiner durchaus und schmerzlich bewusst. Deshalb gefällt ihm auch der Ansatz, mit Seelsorge bei Events wie Konzerten und Festivals zu sein – also auch dort, wo das junge Leben pulsiert. Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt so mancher Teenager findet auch die in Salzburg recht aktive Loretto-Gemeinschaft mit ihrem Pfingstkongress, zu dem bei Spitzenzeiten tausende begeisterte Jugendliche im Dom zu Salzburg und in der Stadt unterwegs ware – stets zwischen Lobpreis, Katechesen und groß angelegten Beichten. Mittlerweile ist das Mega-Event in kleinere Feste im In- und Ausland aufgesplittet. Wem das zu freikirchlich-evangelikal vorkommt, der kann sich eine tiefschürfende Firmvorbereitung im Jugendzentrum YoCo abholen. Betreiberin ist die Katholische Jugend (KJ) Salzburg. „Wer – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der eigenen Pfarre zur Firmung oder zur Vorbereitung geht, ist bei uns gut aufgehoben“, sagt Geschäftsführer Bengt Beier. „Uns sind individuelle Gespräche mit den Firmlingen wichtig und wir schätzen ihre reflektierten Entscheidungen.“ Ansonsten unterstützt die KJ Pfarren mit jeder Menge Ideen und Materialien, „damit alle die Chance haben, die Firmung als Sakrament der Zusprache und als Geschenk des Heiligen Geistes zu erleben“. Auch er plädiert – wie Abt Johannes Perkmann – für eine abwechslungsreiche Vorbereitung und ein gelungenes Fest „mit viel Freiheit“. Die Firmung an eine Stempelkarte mit etlichen Pflichten und (Gottesdienst-)Anwesenheitslisten zu knüpfen – wie es nicht selten in der Vorbereitung geschehe –, sei jedenfalls kein Weg, junge Leute nachhaltig für Kirche zu begeistern. Von Hildegund Keul Im Bibelgarten meiner Heimatgemeinde, der aus dem 19. Jahrhundert stammt, stellt eine der vielen Kapellen und Grotten die Himmelfahrt Jesu dar. Im Hintergrund bringt ein farbenfrohes Glasfenster die Sehnsuchtsstadt Jerusalem zum Leuchten. Davor ein leerer Raum. Am Boden verweisen zwei Fußabdrücke darauf, dass hier jemand anwesend war. Das Abwesende verweist auf eine Präsenz, die fehlt. Mich erinnern diese Darstellung von Christi Himmelfahrt an die unzähligen Abdrücke menschlicher Hände, die heute noch in vielen Höhlenmalereien der Steinzeit zu finden sind. Als ich vor einigen Jahren einmal in einer solchen Höhle stand und vor mir diese Zeichen von Menschen sah, die vor tausenden von Jahren dort lebten, rückten mir diese Menschen merkwürdig nah. Es war ein berührender Moment. Die Spur, die gelegt wird, verleiht dem Abwesenden Präsenz. Die Anwesenheit des Abwesenden – welche Paradoxie. Der Mystikforscher, Historiker und Jesuit Michel de Certeau interessierte sich besonders für Paradoxien. Daher hatte er ein Faible für dieses Fest, das heute um seine säkulare Plausibilität ringt. Certeau begriff die Leere, die die Himmelfahrt hinterlässt, als eine Freisetzung. Sie „gibt den künftigen Gemeinden Raum“. Die Jüngerinnen und Jünger können nicht mehr an Jesu Lippen kleben. Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, dass Jesus ihnen sagt, wo es langgehen soll – nicht einmal und schon gar nicht später, als sie die Bibel in Händen halten. Es reicht nicht aus, Vergangenes bewahren zu wollen. Die Gemeinden werden in eigene Verantwortung gesetzt, in eine „pluralistische Ordnung realer Beziehungen“. Das Entschwinden eröffnet die Möglichkeit zu Neuem. Ist die Kirche heute bereit, diese Verantwortung zu übernehmen und die Chance der Freisetzung zu ergreifen? Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg.

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