DIE FURCHE · 20 2 Das Thema der Woche Die Psycho-Baustelle 17. Mai 2023 AUS DER REDAKTION Der Mai ist schön. Weniger schön ist das Wetter – und am wenigsten schön ist für uns Furchianerinnen und Furchianer, dass der Wonnemonat traditionell einhergeht mit höchst unschönem Stress. Die Arbeit an Ihrer Lieblingswochenzeitung bleibt nämlich weitgehend gleich, auch wenn das gute Stück wegen Christi Himmelfahrt schon einen Tag vor der Zeit recherchiert, geschrieben, lektoriert, gedruckt und hoffentlich problemlos vor Ihre Tür geliefert wird. Wenn dann noch ein paar Unwägbarkeiten – Türkei! – dazukommen, wird es richtig abenteuerlich. Umso mehr freut mich das Ergebnis, das wir Ihnen diese Woche präsentieren können: den von Martin Tauss und Jana Reininger konzipierten Fokus „Die Psycho-Baustelle“ über die geplante Neugestaltung der Psychotherapieausbildung, den aktuellen zweiten Fokus auf die Teuerung, zu dem WIFO-Chef und FURCHE-Freund Gabriel Felbermayr einen Gastkommentar über die „Gierflations“-Rhetorik beigesteuert hat, die Geschichte über das Phänomen Firmung von Michaela Hessenberger, den scharfen Gastkommentar von Peter Plaikner über die Medienpolitik, die Literaturfestivals-Betrachtung von Anton Thuswaldner, das Gespräch mit dem Komponisten und Dirigenten Heinz Karl Gruber – und den dritten Mini-Fokus auf Europas Spätstart in die Künstliche Intelligenz. Kommende Woche werden kluge Köpfe darüber beim diesjährigen Pfingstdialog in Seggauberg sinnieren. Ist doch schön, dieser Mai. (dh) Von Josef Christian Aigner Vor etwa 32 Jahren schrieb ich zum damals neuen österreichischen Psychotherapie-Gesetz einen Kommentar, in dem ich den damaligen Kanzler Vranitzky in einer Persiflage durch mehrere Facharztpraxen hetzte, um nachzuweisen, dass seiner Depression keine körperliche Erkrankung zugrunde liege. Nur dann besteht ein Anspruch auf kassenbezuschusste Psychotherapie. Die Regierung hatte damals offenbar einen Knicks vor der Ärzteschaft vollzogen und vor der zweiten Psychotherapie-Sitzung einen Arztbesuch verlangt, um physische Ursachen auszuschließen. Ob das so einfach festzustellen ist, war nebensächlich – es ging offenbar nur um den Krankenschein. Auch damals gab es also schon merkwürdige fachfremde Regelungen im Bereich der Psychotherapie. Mit diesem Zuschuss von 21,80 Euro konnten einkommensschwache Betroffene sich übrigens jahrzehntelang (und bis heute mit neuerdings ganzen 28,93 Euro) ohnehin keine solche Behandlung leisten, außer über die beschränkten Plätze in einem der Ländermodelle. Dieser anhaltende gesundheitspolitische Missstand scheint der Politik aber weniger Kopfzerbrechen zu machen als die Neuregelung der Ausbildung, die offenbar wegen des „Wildwuchses“ an Angeboten in Verruf geraten ist – und nun durch ein eigenes Studium saniert werden soll. Neoliberale Bildungspolitik In Österreich gibt es ja eine geradezu inflationäre Zahl anerkannter Psychotherapie-Schulen (heute ganze 23!), während in Deutschland gerade mal fünf wissenschaftlich ausgewiesene Verfahren zugelassen sind. Böse Zungen meinen, die Aufnahme beispielsweise des „Neurolinguistischen Programmierens“ (NLP) hätte etwas mit der damals zeitgleichen Ausbildung einer scheidenden Ministerin zu tun gehabt ... Wie auch immer: Die Kräfte, die diese Inflation hierzulande bewirkt haben, sind vielleicht dieselben, die heute einen Wildwuchs an Ausbildungsangeboten und deren Qualität beklagen. Jedenfalls stehen wir vor einer Reform des Psychotherapie-Gesetzes, das nun die Qualitätszügel straffer ziehen will – nämlich in Form der Akademisierung. Die Ausbildung besteht ja zunächst aus einem Propädeutikum, das einen Gleichstand zwischen verschiedenen Quellen-Ausbildungen herstellen soll – und auch mancherorts in Form universitärer Weiterbildung angeboten wird. Danach kommt ein Fachspezifikum, das die schulenspezifische Behandlungspraxis samt Neuordnung In Österreich gibt es 23 anerkannte Psychotherapie-Schulen und 43 Fachgesellschaften, die in der Ausbildung aktiv sind. Das neue Psychotherapie-Gesetz soll an den öffentlichen Unis ein Studium etablieren; Kooperationen mit den Fachgesellschaften gelten als wünschenswert. Viele Fragen sind noch strittig. Lehrtherapie bereitstellt. All das soll nunmehr den Universitäten anheimgestellt werden. Der Missstand soll also „begradigt“ werden, indem man – wie heute bei fast allen sozialen und Pflegeberufen – einen Bachelor und Master erwirbt. Woher aber dieses Vertrauen in die Universitäten? Kritiker(innen) sprechen allgemein von „Akademisierungswahn“, der die ganze neoliberale Bildungspolitik durchzieht. Und wenn „Hinz und Künzin“ heute für alles Mögliche einen Bachelor oder Master bekommen, warum soll man das den Psychotherapeut(inn)en vorenthalten? Damit aber trifft die Strategie, Bildungsqualität an ein „universitäres Mascherl“ zu binden, nun eine „ Wenn ‚Hinz und Künzin‘ heute für alles Mögliche einen Bachelor oder Master bekommen, warum soll man das den Psychotherapeut(inn)en vorenthalten? “ Profession, deren Erlernen – vor allem im Fachspezifikum – ein Maximum an persönlichkeitsbildender, selbstreflexiver Bildung verlangt. Ebenso wie Zeit und Raum für Diskurs und kollegialen Austausch. Können Universitäten das heute bieten? Nach 35 Jahren Universitätsdienst und der Leitung mehre- Heikle Arbeit Seit dem Psychotherapie-Gesetz von 1990 gibt es in der Ausbildung eine enge Verzahnung von Theorie, Praxis, Selbsterfahrung und Supervision. Die Psychotherapie-Ausbildung könnte künftig an die öffentlichen Universitäten wandern. Das Vertrauen in die Akademisierung ist jedoch gerade in diesem Fall zu hinterfragen. Ein Gastkommentar. Ein Studium wie andere auch? Foto: Dagmar Weidinger rer Propädeutikums-Uni-Lehrgänge sowie nach Kenntnis der Entwicklung der Lehr- und Lernkultur an den Unis in den letzten Jahrzehnten – unter der Ägide der Bologna-Doktrin und ihrer Verschulung aller Studien – hege ich daran große Zweifel. So fragt man sich, wer an den Universitäten diese Fächer überhaupt vertreten kann? Es sollen fünf Standorte in Österreich und an ihnen Institute mit jeweils vier Professuren (also 20 gesamt) eingerichtet werden. Wer jemals das Gerangel auch um nur einzelne Professuren erlebt hat, weiß, wie realistisch das ist. Und wo sind die akademisch derart qualifizierten Bewerber(innen)? Forschen etwa gilt nicht als Aufgabe versierter Psychotherapeut(inn)en, warum auch? Und welche der 23 Therapieschulen kriegt dann, wenn überhaupt, welche Professur und an welchem Institut? Freiraum für Selbsterfahrung Da ist von Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften die Rede: Aber wer soll (mal 23) aufgrund welcher Kompetenzen dies leisten? Und was ist mit dem universitär völlig unüblichen „Einzelunterricht“, also Selbsterfahrung, Eigentherapie usw.? Wo bietet die Uni eine Möglichkeit für die bisher in den Fachgesellschaften kollegial durchgeführten, teils unter Schweigepflicht stehenden Beratungen? Wenn ich etwa an meine Lehranalyse, in der ich rund 600 Stunden als vielleicht wichtigsten Kern der Ausbildung überhaupt auf der Couch verbracht habe, und an den intensiven kollegialen Austausch zu konkreten Fällen etc. denke – wie soll das alles in einem Durchschnitts-Uni-Betrieb geschehen? Und vielleicht noch mit ECTS-Punkten versehen und mit Ziffernnoten bewertet werden? Man kann also aus kritischer Distanz sagen, dass eine solche spezielle Ausbildung als Universitätsstudium mehr Probleme als Qualitätssicherung bringt. So wollten Privatuniversitäten, die darin auch ein Geschäftsmodell sahen, mittels eines Regelstudiums schon länger „Normstudierende“ ab 18 Jahren der Psychotherapie zuführen: Damit würde die anspruchsvolle therapeutische Fachausbildung mit 21 Jahren beginnen – bisher war die Aufnahmebedingung 24 Jahre. Es bleibt jedem überlassen, wie sinnvoll das in einem heute als Spätadoleszenz zu bezeichnendem Alter sein kann. Mangelnde Gesellschaftskritik Das bedeutet, dass die Rahmenbedingungen der neuen Ausbildung viel zu unkritisch gesehen werden. Warum – wenn schon eine Akademisierung wegen des Vergleichs zu anderen Sozialberufen unausweichlich scheint – nicht eine mehr Freiraum versprechende Möglichkeit des Zusammenwirkens mit den Universitäten wie etwa jetzt schon in Weiterbildungslehrgängen (von Studierenden selbst zu finanzieren)? Und warum soll eine weiterführende Berufsausbildung als Studium gratis sein? Aber auch bei lockerer universitärer Anbindung müsste der stark persönlichkeits- und selbsterfahrungsorientierte Teil der Ausbildung bei den Fachgesellschaften verbleiben. Wäre es nicht „logisch“, diesen dafür erfahrensten Einrichtungen abseits akademischer Etikettierung weiterhin ein Hoheitsrecht einzuräumen? Und warum nicht eine Akkreditierungsinstanz wie anderswo auch, vor der sich die fachspezifischen Anbieter legitimieren müssen? Nicht zuletzt bleibt etwas, das mir wichtig erscheint, in all den Überlegungen unberücksichtigt: Psychische Leiden sind letztlich auch zutiefst gesellschaftlich bedingt. Ob Identitätsprobleme, Sinnkrisen, Traumatisierungen aus ungünstigen Erziehungsverhältnissen u. a. m. – all das bedarf neben einer einfühlsamen therapeutischen Behandlung und Begleitung auch einer gesellschaftstheoretischen und -politischen Problematisierung durch erfahrene Expert(inn)en. Und zwar mit dem aufklärerischen Ziel, zur Primärprophylaxe beizutragen, also psychische Störungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Das würde letztlich auch den gesellschaftlichen Wert psychotherapeutischer Professionalität enorm erhöhen. Der Autor ist emeritierter Bildungswissenschaftler, Psychotherapeut und Sexualtherapeut in Innsbruck.
DIE FURCHE · 20 17. Mai 2023 Das Thema der Woche Die Psycho-Baustelle 3 Die Berührung von Klientinnen und Klienten war lange Zeit ein Tabu in der Psychotherapie. Markus Angermayr über den neuen Stellenwert und die existenzielle Dimension der Leiblichkeit in der Behandlung. Das Gespräch führte Dagmar Weidinger Halt geben – das ist eines von vielen Konzepten, das Psychotherapeut(inn)en in ihrer Ausbildung lernen. So auch der Existenzanalytiker und Philosoph Markus Angermayr. Was es bedeutet, wenn Halt nicht nur ein Wort, sondern eine Berührung ist, erfuhr er zum ersten Mal in einem Breema-Seminar für Körperarbeit vor 22 Jahren. Seit damals ist der Körper aus seiner Praxis nicht mehr wegzudenken, wie er im Gespräch mit der FURCHE erklärt. Das Interview fand im April anlässlich seines Eröffnungsvortrages am Internationalen Kongress der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) in Wien statt. „Wir müssen mit dem Körper gehen“ DIE FURCHE: Herr Angermayr, haben Sie nie Angst als Therapeut, Sie könnten eine Grenze überschreiten, wenn Sie Ihre Klienten und Klientinnen berühren? Markus Angermayr: Ihre Frage zeigt schon, dass es in der Öffentlichkeit eine bestimmte Vorstellung von Körperpsychotherapie gibt, die sich auf die Frage zuspitzt, ob man hands-on arbeitet oder nicht. Das kann z. B. bedeuten, dass man dem Klienten bei einem schweren Thema anbietet: Wollen Sie einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, Halt im Rücken zu spüren? Direkte Berührung ist aber nur ein Aspekt von Körperpsychotherapie – sicherlich der heikelste. Auch meine Kollegen aus der Existenzanalyse waren zu Beginn skeptisch, was meinen Zugang betrifft. Da wir uns auf Viktor Frankl berufen, sehen wir unsere Schule schon gern als eine, die vom rein Geistigen her kommt. Ich halte das für zu wenig. DIE FURCHE: Aber es ist doch berechtigt, Klientinnen und Klienten, die eventuell bereits in der Vergangenheit Grenzüberschreitungen erlebt haben, keinem neuen Risiko aussetzen zu wollen. Ist der Verzicht auf Berührung nicht eine Art von Schutz? Angermayr: Diesen Aspekt gilt es tatsächlich immer im Auge zu behalten. Es braucht daher eine starke Anbindung an ethische Überlegungen. Unter welchen Umständen kann ein Therapeut ein derartiges Angebot machen? Abgesehen vom eigentlichen Berühren beginnt Körperpsychotherapie aber viel früher; es geht sicher nicht darum, dass man besonders „touchy“ ist. Die Berührung durch den Therapeuten ist nur die Spitze, denn das ist ein extrem starkes Instrument. Man behandelt auch nicht jede Krankheit mit dem Chirurgenmesser. Jeder gute Therapeut geht vom Verbalen zum Körper und dann wieder zum Verbalen zurück. Nur so kann die Berührung integriert werden. DIE FURCHE: Haben Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Praxis? Angermayr: Ich erinnere mich an einen Patienten nach überstandener Erschöpfungsdepression, der zu mir sagte: „Es ist wieder alles so schwer.“ Dann sprach er über seinen Beruf, seinen Alltag, seine Sorgen. Ich fragte ihn: „Was möchte Ihr Körper jetzt tun, wenn Sie ihn radikal ernst nehmen?“ Das Foto: Markus Angermayr Ganze war als freundliche Einladung formuliert. Meinem Klienten fiel sofort eine Antwort ein: „Mein Körper würde sich am liebsten hinlegen und die Decke über den Kopf ziehen.“ Auf meine Rückfrage, was er davon halte, dies tatsächlich für ein paar Minuten auszuprobieren, reagierte er positiv, sodass wir Decken und Pölster in meiner Praxis zusammensuchten. Schon bald spürte man, wie sein liegender Körper weicher wurde. Auch der Atem wurde viel ruhiger. Nach circa 15 Minuten spürte er: Es reicht jetzt. Am Schluss meinte er: „Mein Gott, es wäre so einfach.“ Auch wenn diese Intervention natürlich nicht all seine Probleme mit einem Schlag löste, konnte er die Erfahrung machen: Ich kann meinem Körper vertrauen. So lässt sich für jedes Thema ein körperlicher Ausdruck finden. Es ist wie ein Dialog: Der Verstand wird eingeladen nachzuspüren, was gerade da ist im Körper. Das ist ein kreativer Prozess, der vieles zu Tage bringen kann: Bilder, Sätze, Impulse, Gefühle. Foto: Markus Olga DIE FURCHE: Was wohl am stärksten für den Einbezug des Körpers spricht, ist die Trauma-forschung. Aktuelle Studienergebnisse lassen keinen Zweifel daran: Psychotherapeutische Behandlung ohne Berücksichtigung des Körpers ist nicht mehr „Stateof-the-art“. Inwiefern ist es möglich, mithilfe der Körperpsychotherapie rascher Fortschritte zu machen? Angermayr: Man sollte den Prozess mit dieser Methode nicht beschleunigen. Die Körperpsychotherapie kann vielmehr einen zusätzlichen Weg eröffnen. Besonders schwierige autobiografische Erinnerungen sind häufig verschüttet. Alles, was man hat, sind vage körperliche Ahnungen. In der von Eugene Gendlin entwickelten Methode des „Focusing“ würde man vom „Felt Sense“ sprechen. Gemeint ist damit gleichsam ein eingefalteter Sinn, der uns nur über den Körper zugänglich ist. Sind wir im Alltag achtsam, so können wir auf Anteile, die aus unserem „Leibgedächtnis“ kommen, aufmerksam werden. Jeder kennt das: Man erlebt eine Begegnung oder eine bestimmte Situation in einer Beziehung, und irgendetwas fühlt sich komisch oder merkwürdig an. Wir haben keine Worte dafür, aber wir spüren es. Genau dem gehen wir in der Körperpsychotherapie nach. DIE FURCHE: Hätten Sie wieder ein Beispiel? Angermayr: Ich erinnere mich an eine junge Ärztin, die im Alltag perfekt funktionierte, in ihrer Kindheit aber schwere Misshandlungen erlebt hatte. Sie wusste, dass der Vater die Mutter geschlagen hatte, wenn er betrunken war. In der Therapie tat sich jedoch über viele Stunden nichts. Wir sprachen immer wieder darüber, aber das Gesagte erreichte die tieferen Schichten nicht. Die ganze Dimension des Geschehenen war wie abgeschnitten vom Rest des Körpers. In einer Stunde beobachtete ich, wie sie beim Erzählen auf einmal die Füße anzog und sich verdrehte – wie eine Jugendliche am Sessel. Zusätzlich legte sie eine Hand wie schützend auf den Kopf. Ich stoppte sie in ihrer Erzählung und machte sie auf ihre Haltung aufmerksam. Da nahm sie ihre Verkrümmung wahr und sagte: „Es ist, als wolle ich mich verstecken. Wahrscheinlich war es doch viel schlimmer, als ich gedacht habe.“ In dem Moment begann sie zu zittern, dann kamen die Tränen. Über die Körpererinnerung entstand eine tiefe Berührung, die auch zu einer Erkenntnis führte. DIE FURCHE: Fließen die Erkenntnisse aus der Körperpsychotherapie und Traumaforschung eigentlich in die Ausrichtung des neuen Psychotherapiegesetzes ein? Dieses Trekking & Therapie Der therapeutische Prozess kommt beim Wandern oder Trekking gut in Bewegung. Manche Psychotherapeut(inn)en bieten daher auch entsprechende Seminare an. „ Besonders schwierige autobiografische Erinnerungen sind oft verschüttet. Alles, was man hat, sind vage körperliche Ahnungen. Wir haben keine Worte dafür, aber wir spüren es. “ „Dem Alltag fehlt die Theatralik“ (10.3.2021): Therapeutenpaar Alfried und Silvia Längle über die heutige Sinnsuche, auf furche.at. sieht vor allem große strukturelle Veränderungen in der Ausbildung vor. Gibt es diesbezüglich auch inhaltliche Überlegungen? Angermayr: Derzeit leider nein. Es müssten unbedingt curriculare Gespräche zwischen den Unis und den Fachgesellschaften stattfinden. Tatsächlich haben aktuelle Studien einen ziemlichen Schub bewirkt, sodass viele Fachgesellschaften begonnen haben, körperpsychotherapeutische Inhalte aufzunehmen. So hat etwa die personzentrierte Therapie nach Carl Rogers mittlerweile einen eigenen Körper-Ansatz. DIE FURCHE: Parallel gab es lange Zeit Versuche, die Körperpsychotherapie als eigene Fachrichtung zu etablieren – wie sieht es heute damit aus? Angermayr: Im Rahmen des neuen Gesetzes scheint dieser Zug endgültig abgefahren zu sein. Das neue Recht will die 23 in Österreich anerkannten Richtungen ja im Gegenteil in vier große Gruppen zusammenfassen. Hier wäre niemand daran interessiert, eine weitere Richtung zu etablieren. Das muss auch nicht sein – für mich ist die Körperpsychotherapie vielmehr ein Werkzeug, das jeder Schule zur Verfügung stehen sollte. DIE FURCHE: Was war eigentlich Ihr persönliches Initialerlebnis, um sich der Körperpsychotherapie zuzuwenden? Angermayr: Zu Beginn meiner therapeutischen Tätigkeit besuchte ich ein Seminar, in dem wir über die Kunst, den eigenen Weg zu gehen, sprachen. Das Ganze fand in einem Seminarhaus statt, mit guter Verpflegung etc. Es war seltsam, die ganze Zeit über das Gehen eines Weges zu sprechen, ohne selbst einen einzigen Schritt zu tun. So kam mir die Idee: Ich möchte Seminare „unterwegs“ machen, z. B. im Wandern von Hütte zu Hütte oder beim Trekking in der Wüste (siehe Bild). Meine ersten Erfahrungen auf gemeinsamem Weg unter freiem Himmel waren so verblüffend anders – verbindend, erdend und „horizontöffnend“ – als das Darüber-Reden im Seminarhaus, dass ich dem bis heute treu geblieben bin. Wir müssen die körperlichen Rhythmen viel mehr in die Therapie einbeziehen.
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