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DIE FURCHE 17.04.2025

DIE FURCHE

Österreichische Post AG · WZ 02Z034113WRetouren an Postfach 555 · 1008 WienDIE FURCHE · Hainburger Straße 331030 Wien · T.: (01) 512 52 61-016 · 17. April 2025DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 81. Jg. · € 6,–MIT BEILAGE FÜRIHRE VORSORGE!Das Themader WocheSeiten 2–4AuferstehungKreuze, die vorder Kremation vonSärgen mit Unbekanntenabgenommenwurden. DieSkulptur Ljcrossfitljvon HermannGlettler thematisiertden Tod unddie Verzweiflung,aber auch dieHoffnung, die mitdem christlichenOsterglaubeneinhergeht.Foto: Glettler/JesionkaDie Krisenhaftigkeit der Welt lässt die Sehnsucht wachsen, sich auszuklinken. Doch unsereVerantwortung verschwindet nicht. Über den Mut zum Tun und Ostern als Ernstfall der Hoffnung.Von guten MächtenVon Doris HelmbergerEs ist halb drei Uhr nachts, alsJohn Brown mit einem Koffervoll Geld am Empfang der Beechwood-Privatkiniksteht undein Zimmer verlangt. Es sei einNotfall, sagt er: „Ich brauche dringend Pflege.“Zwar fehle ihm nichts, doch er sucheeinen Ort, an dem er bleiben könne. Ohneetwas tun zu müssen. Ohne etwas entscheidenzu müssen. Ohne behelligt zu werdenvon dem Irrsinn da draußen.„A Separate Peace“ lautet das Theaterstückvon Tom Stoppard, das schon in den1960er Jahren eine Welt am Rande desBurnouts skizzierte – und unter dem Titel„Separatfrieden“ bis 15. Mai im Wiener TheaterNestroyhof Hamakom zu sehen ist.Mr. Browns Versuch der Flucht vor derWirklichkeit wird am Ende scheitern, soviel sei verraten. Verständlich ist der radikaleRückzug, ja die Selbstwegsperrungdes einstigen Berufssoldaten aber allemal,auch und gerade 2025. Klimakrise, Kriegeund das Treiben bösartiger Narzissten anden globalen Schalthebeln überrollen dengefühlten Handlungsspielraum des Einzelnen.Dass die Abgründe der Welt heute nonstopvia Smartphone zu uns durchdringenund „Künstliche Intelligenz“ menschliche„ Was Dietrich Bonhoeffermeint, ist das genaueGegenteil des Verschwörungsgeraunesder Trumpisten.“Kompetenz abzulösen scheint, verstärktden Eindruck von Überwältigung. Die Folgensind vielfach Resignation, Verzweiflung,Zynismus – oder eben Rückzug.Doch die Wirklichkeit geht nicht weg,wenn man sich in den geschützten Bereichdes Biedermeier begibt. Sie bleibt – und mitihr die Notwendigkeit, sich zu ihr zu verhalten.Geschehen lassen ist die eine Option;Verantwortung übernehmen und notfallsWiderstand leisten die andere.Glaube hier, Politik da?Wie viel Mut das in totalitären Regimenerfordert, zeigt das Beispiel des vor80 Jahren ermordeten evangelischenPfarrers und Widerstandskämpfers DietrichBonhoeffer (vgl. FURCHE Nr. 14). SeinenAnspruch, in der Nachfolge Jesu demunmenschlichen Nazi-Regime und der„Vergottung“ Adolf Hitlers zu widersprechen,bezahlte Bonhoeffer am 9. April 1945im KZ Flossenbürg mit seinem Leben.Glaube hier, Politik da: Dieser Zweiteilungwidersetzte sich Bonhoeffer. Geradeim Weltlichen zeige sich das Christliche,war seine Überzeugung. „Willst du Unvergängliches,so halte dich an Vergängliches,willst du Ewiges, so halte dich an Zeit-liches, willst du Gott, so halte dich an dieWelt“, sagte er in einer Predigt. Oder nochzugespitzter: „Ich fürchte, dass die Christen,die nur mit einem Bein auf der Erde zustehen wagen, auch nur mit einem Bein imHimmel stehen.“Dass der Aufruf zur Nachfolge „ohne billigeGnade“ breiten Raum für Interpretationenbietet, ist klar. Dass Bonhoeffer nunausgerechnet von Donald Trumps MAGA-Jüngern missbraucht wird und radikaleEvangelikale den Widerstandskämpferin einem Akt feindlicher Übernahme zurRechtfertigung ihrer Kapitolsturm- undDeportationsfantasien nutzen, machtsprachlos (vgl. FURCHE Nr. 12).Denn was Bonhoeffer meint, ist das genaueGegenteil des Verschwörungsgeraunesvon bösen Mächten, mit dem die Trumpistenund ihre Nachahmer für Paranoiasorgen: Es ist die Überzeugung, dass derRaum der Freiheit groß ist, dass jeder undjede Einzelne gegen Unmenschlichkeit undUnrecht wirksam werden kann – und dassVerzweiflung und Tod nicht das letzte Worthaben. „Von guten Mächten wunderbar geborgen,erwarten wir getrost, was kommenmag“, heißt es in Bonhoeffers legendärem,1944 in Gestapo-Haft verfasstem Gedicht.Nicht vielen ist solches Vertrauen gegeben.Aber gerade Ostern, dieser „Ernstfallder Hoffnung“, um mit dem ReligionssoziologenBernhard Welte zu sprechen, kannein Anlass sein, neben allem Wirklichkeitssinnauch den Möglichkeitssinn zu pflegen.Die Welt könnte immer noch besser werden.Weit über einen „Separatfrieden“ hinaus.doris.helmberger@furche.atDIESE WOCHE MITLITERATURBEILAGERebellische Frauen und widerspenstigeTexte: Zum Welttag desBuches am 23. April präsentiertBrigitte Schwens-Harrant wiederein booklet mit neuer Literaturaus Österreich.Foto: iStock/jacoblund (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)@diefurche@diefurchefurche.atRebellische Frauen und widerspenstige Texte:neue Literatur aus Österreich.@diefurche.bsky.socialDie FurcheNr. 84Literaturbeilage17. April 2025Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0

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