DIE FURCHE · 466 Politik16. November 2023Die SPÖ hat ihr linkes Profil geschärft, die FPÖ radikalisiert sich rechts. Als Folge will sich die Volkspartei unter Karl Nehammer „in der Mitte“positionieren. Doch dazu müsste man die eigene ordnungs- und grundsatzpolitische Leere überwinden. Ein Gastkommentar.ÖVP: Die Mitte bleibt freiVon Clemens Martin AuerDie ÖVP-Spitze träumt davon, imHerbst 2024 in der politischenMitte die Nationalratswahl positivfür sich zu entscheiden.Dort hätte sie auch eine strategischeAlleinvertretung, nachdem die FPÖrechts außen und die SPÖ unter AndreasBabler nunmehr deutlich links blinkt (vgl.„Zeitbild“ Seite 16). Nur das strategischePotenzial allein wird die Wähler(innen)in der Mitte nicht überzeugen: Es fehlt derÖVP an inhaltlicher Positionierung.Politische Sekundärtugenden wie Berechenbarkeit,Verlässlichkeit, Versöhnlichkeitund damit Glaubwürdigkeit allein reichenbei weitem nicht, um die freie Mittezu überzeugen. Diese Sekundärtugenden,die der ÖVP früher durchaus zuzuschreibengewesen wären, brauchen zunächst politischeInhalte und Überzeugungen. Undgenau diese sind der Kurz- und Nehammer-ÖVPabhandengekommen: Die politischePraxis der letzten Jahre bezeugt eineunübersehbare ordnungs- und grundsatzpolitischeLeere.Keine vernünftigen Eingriffe in die PreiseBeispiele gefällig? Die ordnungs- undgrundsatzpolitischen Positionen einer ökosozialenMarktwirtschaft wurden letztesJahr am Beginn der Energiekrise schlichtwegmit reiner Marktgläubigkeit verwechselt.Der intrinsische ÖVP-Grundsatzwurde vergessen, wonach den rein profitorientiertenkapitalistischen Selbstzweckendes Marktes mit kräftigen Regulatorienentgegenzuwirken ist, damit diesozialen und wirtschaftlichen Interessender Mehrheit in der Bevölkerung geschütztwerden können: Es hat keine politisch vernünftigenEingriffe in die Preisbildung amEnergiemarkt gegeben. Was dann in derFolge zu einer überhitzten Inflation führte,mittlerweile in der dritten und viertenWelle. Das wirkt sich auf die große Mehrheitder Menschen hochgradig negativ aus.Die ordnungspolitische Leere bei derInflationsbekämpfung hat einen weiterenintrinsischen ÖVP-Grundsatz verletzt,nämlich den Schutz des Eigentums: DieKLARTEXTDer stille LuxusKurz einmal weg von den Kriegen, zu denunnützen Dingen: Mode. Eine hochkomplexeSache. Früher einmal waren es dieFarben, die Saisonen, die Vorbilder. Mittlerweilegeht fast alles. Aber nur fast. Wie sendet mandie richtigen Signale ästhetisch-monetärer Superioritätin der Alles-geht-Szene?Jenseits der seinerzeitigen Konformismenmuss man in der individualistischen Gesellschaftdurch körperliche Dekoration seine Besonderheitzum Ausdruck bringen. Das ist herausfordernd:Weiß man doch kaum, wie mansich selbst beschreiben soll – und dann kommtnoch die „Übersetzungsaufgabe“ (in Form dertextilen und kosmetischen Visualisierung) dazu.In der singularisierten Aufmerksamkeitsökonomiesoll jeder einzigartig und doch anschlussfähigfür die anderen sein. Da muss man einbisschen auf die Pauke hauen, um wahrgenommenzu werden. Ergebnis sind die Grauslichkeitender unteren Promi-Ebenen. Dort herrschtdumpfe Grellheit, in jeder Hinsicht.Der neueste Trend ist freilich quiet luxuryFoto: APA/BKA/DRAGAN TATICSkeptikerunter sich?„Unter Kurz undNehammer ist dieÖVP zur euroskeptischenPartei geworden“,meintAuer. (Im Bild Nehammerbeim Treffenmit Orbán am17. Juli 2023 imRahmen des EU-CELAC-Gipfels)Nationalbank hat errechnet, dass das realeGeldvermögen der Österreicher(innen)in den beiden Jahren 2022 und 2023 alleininflationsbedingt um rund 17 Prozent geschrumpftist. Das heißt: Sparvermögen,Rücklagen für die Altersvorsorge und andereFormen des Geldvermögens, wie essich die von der ÖVP rhetorisch gelobten„fleißigen“ Menschen erarbeiten, sind wegenfalscher Inflationspolitik um 17 Prozentweniger wert.Anderes Beispiel, das Menschen besondershart trifft: In den überhitzten Mietmarktwurde ordnungspolitisch nicht oderVon Manfred Prisching– ein Hinweis für Weihnachten.Der groß etikettierteMarkenname wirdproletenhaft, stattdessenzeigt man Einfachheit inbester Qualität. (Eigentlich war das immer so.)Für die vorgeführte Bescheidenheit (schlichterPullover, aber erlesenes Kaschmir) muss manfreilich oft unbescheidene Summen zahlen.Kleines Handtäschchen um ein paar Tausender.Die Stücke gehen dennoch gut über den Ladentisch.Das spricht für die zuverlässigeDummheit der luxuriösen Klasse, die man jenseitsjeder Kostenwirklichkeit „ausnehmen“kann. Die reine Symbolik funktioniert. UnserMitleid hält sich in Grenzen. Manche greifenohnehin zur ununterscheidbaren Imitation fürdie Mittelschicht, wo dasselbe Produkt um den(realistischeren) Zehntelpreis offeriert wird.Der demonstrative Luxus muss wandern.Der Autor ist Professor für Soziologiean der Universität Graz.nur halbherzig oder viel zu spät eingegriffen.Warum? Weil die ÖVP das Marktinteresseder (wenigen) Vermieter überdas marktwirtschaftliche und damit sozialeInteresse der großen Mehrheit derMieter gestellt hat. Anstelle eines simplengesetzlichen Eingriffs in die indexgebundeneWertsicherung der Mietengibt es für viele Haushalte katastrophalefinanzielle Auswirkungen auf die eigenewirtschaftliche Situation.Diesen drei Beispielen des sozial- undwirtschaftspolitischen Scheiterns würdeder Bundesparteiobmann entgegenhalten,dass man mit Transferzahlungen aus demSteuerhaushalt „die Kaufkraft der Bürgergestärkt habe“. Abgesehen von den schnellverpufften Einmaleffekten solcher Transferzahlungenist das eine merkwürdigeAussage einer ÖVP, die ansonsten das Prinzip„Leistung muss sich lohnen“ hochhält:Lediglich rund 20 Prozent leistungsstarkerEinkommensbezieher sind die Nettozahlerdieser gewaltigen Umverteilungsmaschine.„ Die ÖVP, die unter JosefRiegler die zukunftsweisendenGrundlagen einer ökosozialenMarktwirtschaft festgelegt hat,ist heute in dieser Frage eineinhaltsbefreite Bewegung. “Anderes Beispiel des Verlusts an grundsatzpolitischenHaltungen der ÖVP: Die Parteiwar unter Alois Mock, Erhard Busek undWolfgang Schüssel die starke europapolitischeKraft in Österreich. Kein EU-Beitrittohne das Wirken der ÖVP. Heute? Die ÖVPunter Sebastian Kurz und Karl Nehammerist zur euroskeptischen Partei geworden,unfähig, zum Beispiel Lösungsvorschlägefür das von ihr kritisierte Schengenregimezu entwickeln. Man ist schlichtweg „dagegen“,ohne zu wissen, was anders zu machensei. Das letzte europapolitisch profilierteUnter „Fairness– Schlüsselfür sozialeGerechtigkeit“schrieb ClemensMartin Auer am7.2.2002 überdas Sozialwort.Gesicht, Othmar Karas, hat man aus der Parteivertrieben. Warum? Weil Diskurs, einRingen um Positionen unerwünscht ist. Füreine demokratische Partei tödlich.Abstrakter gehalten: Die ÖVP, die unterJosef Riegler programmatisch die zukunftsweisendenGrundlagen einer ökosozialenMarktwirtschaft festgelegt hat,ist heute in Fragen der ökologischen Umsteuerungin der Wirtschaftspolitik eineinhaltsbefreite politische Bewegung. Geradein einer Koalition, die in diesen Fragennicht ideologischen Aktivismus, sondernökosozialen Hausverstand bräuchte.Junge Wähler, angesichts der Klimakrisebesorgte Eltern und Großeltern erreichtsie damit nicht.Inhaltsleere gilt in der ÖVP auch in fastallen Fragen der Sozialpolitik, egal ob Pensionen,Gesundheit, Arbeitsmigration, Sicherungdes Gemeinwohls. Ist etwas Nennenswertes,außer vielleicht am Rande derAgrarpolitik, in den letzten fünf Jahren inErinnerung geblieben?Die Mitte steht der ÖVP aber strategischimmer noch offen. Karl Nehammer mussnur begreifen, dass Zuwanderung alleinnicht das Thema sein kann. Ein frischer,moderner, der komplexen Zeit angemessenerinhaltlicher Blick auf die Grundprinzipiender ökosozialen Marktwirtschaft,somit eine auf das Gemeinwohl ausgerichteteWirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik,wäre der Schlüssel zum Erfolg. Eine Kombinationaus solchen frischen Inhalten undden schon erwähnten Sekundärtugendenwäre ein Erfolgskonzept; und ein paar Leute,denen gesellschaftliche Anliegen undnicht die Propaganda à la Sebastian Kurzein Anliegen sind.Die Wähler(innen) in der Mitte würdeneine ÖVP dringend brauchen – angesichtsdessen, dass SPÖ und FPÖ aus der Mitteabgewandert sind.Der Autor war von 1993 bis 2003 unter ErhardBusek und Wolfgang Schüssel Leiterder politischen Abteilung der ÖVP; späterSektionschef im Gesundheitsministerium.
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