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DIE FURCHE 16.11.2023

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DIE FURCHE · 4612

DIE FURCHE · 4612 Gesellschaft16. November 2023Erkaufte Zeit?Längere Ausbildungszeiten,höhereErwerbstätigkeit,Kinderwunsch:Auf jungen Frauenlastet großer sozialerDruck. Das macht dieDebatte über „SocialEgg Freezing“deutlich.Foto: iStock/mi-viriDas Gespräch führte Katja HeineEgg Freezing“,also das Entnehmenund Einfrieren vonEizellen, um biolo-„Socialgisch vorzusorgenund eine spätere Schwangerschaftzu ermöglichen, ist nach aktuellerGesetzeslage in Österreichverboten. Nach einer Bürgerinitiativeim Februar 2023 wird nuneine Gesetzesänderung im Parlamentdiskutiert. Die FURCHE hatBürgerinitiativengründerin SabrinaKrobath und „Aktion Leben“-General sekretärin Martina Kronthalerzur Diskussion über Pround Kontra gebeten.DIE FURCHE: Die Geburtenrate inden westlichen Ländern sinkt.Gesellschaftliche Rahmenbedingungenverschieben die Familienplanungimmer weiter nachhinten. Social Egg Freezing ist eineaktuell diskutierte Möglichkeitzur Steigerung der Chancenspäter Schwangerschaften. Wasspricht dafür, was dagegen?Martina Kronthaler: Frauen sollennicht die Symptome einer unzureichenden– ist ja nicht erst seitder aktuellen Regierung so – Familienpolitikausbaden müssenoder von ihrem Arbeitgeber dazugedrängt werden, Eizellen für spätereinzufrieren, damit dieser ihreArbeitskraft in jungen Jahren störungsfreinützen kann. Es kannnicht sein, dass Frauen glauben,mit ihrem Körper gesellschaftspolitischeVersäumnisse reparierenzu müssen. Wir möchten,dass Frauen Entscheidungen treffenkönnen, basierend auf umfassenderInformation und Beratung.Und bitte: Keine Geschäfte mit derAngst vor Kinderlosigkeit! Ein nurgeringer Prozentteil der Frauennimmt die eingefrorenen Eizellenspäter tatsächlich in Anspruch.Lesen Sie zumThema auch„Wider die grenzenloseHybrisdes Machbaren“(19.3.2015) vonJosef ChristianAigner auffurche.at.„Social Egg Freezing“ beschäftigt derzeit das Parlament. Sabrina Krobathdrängt mit einer Bürgerinitiative auf eine Gesetzesänderung. Im Streitgesprächmit Martina Kronthaler („Aktion Leben“) sieht sie darin „Wahlfreiheit“.„Für ein Kindtut man alles“Sabrina Krobath: Es ist wichtig,dass Frauen selbstbestimmt mitihrem Körper und ihrer Familienplanungumgehen können. Dazugehört, dass sie Eizellen einfrierenlassen können. Es ist eine Art Versicherungfür die Zukunft. Manmuss sich Kinder leisten können,nicht nur finanziell, sondern emotional.Alles hat sich nach hintenverschoben, die Ausbildung, dieLebenserwartung etc. Da ist es nurfair, wenn auch die Möglichkeit,Kinder zu bekommen, und damitdie Fruchtbarkeit ausgedehntwird. Es bedeutet Chancengleichheit:Männer dürfen ihre Samenohne medizinische Notwendigkeiteinfrieren lassen.DIE FURCHE: Wie betrachten Sie diemit dem Eingriff einhergehendenGesundheitsrisiken für Frauen?Kronthaler: Social Egg Freezingund In-vitro-Fertilisation-Behandlungen(IVF, Anm. d. Red.) sinddurchaus komplikationsreich:Es bedeutet eine höhere Wahrscheinlichkeitvon Schwangerschaftsdiabetes,Bluthochdruck,Präeklampsie, Kaiserschnitt undFrühgeburt. Und es gibt genügendStudien, die belegen, dassauch mit IVF die Chancen auf eingesundes Kind mit dem Alter derFrau signifikant sinken. Man gewinntalso auf den ersten Blick etwasZeit, aber nicht ohne Risikenfür Frauen und Kinder.Krobath: Entschuldigung, aberda muss ich jetzt einhaken. Manwird über die Risiken aufgeklärt.Dann unterschreibt man, wiebei jeder OP auch, dass man informiertwurde. Und die medizinischenKomplikationen darf„ Es kann nicht sein, dass Frauen glauben,mit ihrem Körper gesellschaftspolitischeVersäumnisse reparieren zu müssen.“Martina Kronthalerman nicht verallgemeinern. Ärztekönnen nicht Gott spielen undeine Schwangerschaft herbeizaubern.Und es hängt auch immervom Alter und der Krankheitsvorgeschichteab. Es gibt natürlichkeine Garantie, dass man amEnde mit einem Kind nach Hausegeht, aber es kann die Chancensteigern. Wegen meines Altershatte ich fünf Hormonbehandlungenund musste 40.000 Eurozahlen, und es stimmt, es istkein Spaß. Aber zum Glück ginges bei mir nach mehrmaligen Versuchengut. Für einen Kinderwunschtut man alles. Und Frauensollen diesbezüglich nichtbevormundet werden.Kronthaler: Wir sind auch froh,wenn es gut läuft und das Kindgesund zur Welt kommt wie beiIhnen, Frau Krobath. Dennochmuss uns bewusst sein, dass esein Programm für wenige ist, undvor allem ist es ein frauenpolitischesThema: Weniger als achtProzent der eingefrorenen Eizellenwerden genützt, und nur einDrittel davon führt dann auch zueiner Schwangerschaft, es gibt alsonur eine geringe Erfolgsrate.Social Egg Freezing birgt die Gefahrin sich, dass junge Frauen ihrefruchtbare Phase verstreichenlassen, weil sie sich in falscher Sicherheitwiegen.Krobath: Woher nehmen Sie dieDaten, Frau Kronthaler? Mir sinddiese Zahlen nach umfangreicherRecherche nicht untergekommen.Es stimmt, dass viele Frauen dieeingefrorenen Eizellen doch nichtnützen. Der Grund ist, dass sie esdoch geschafft haben, auf natürlichenWegen schwanger zu werden.Social Egg Freezing ist nur als eineArt Vorsorgeversicherung gedacht,man kann sie nützen oder ebennicht. Laut meinen Recherchenund Rücksprache mit Expertenliegt die Chance, damit schwangerzu werden, bei 60 bis 80 Prozent.DIE FURCHE: Social Egg Freezing istbereits in einigen europä ischenLändern erlaubt. Welche sozialenAuswirkungen hat das?Krobath: Es verhindert die altersbedingteVerschlechterung der Eizellenund damit den Druck, derdurch das „Ablaufen der biologischenUhr“ entsteht. Der Zeitpunktfür die Familiengründungwird nicht mehr allein durch dasAlter determiniert, sondern durchbiografische Voraussetzungenund Familienleitbilder. Diese umfassenneben der sozialen Komponente– unter anderem gesichertesEinkommen, gute Wohn- undBetreuungssituation – auch einepsychologische Komponente: Eine„gute Mutter“ stellt ihr Kind insZentrum und ihre eigenen Interessenzurück. Dies geht mit einerdavorliegenden längeren Selbstverwirklichungsphaseeinher.Frauen, die sich später für eineMutterschaft entscheiden, müssennicht das Gefühl haben, etwasverpasst zu haben. Außerdemnimmt das den Druck bei der Partnersuche.Stichwort: Wahlfreiheit.

DIE FURCHE · 4616. November 2023Gesellschaft13Martina Kronthaler, Generalsekretärinvon „Aktion Leben Österreich“, siehtSocial Egg Freezing kritisch.Sabrina Krobath fordert mit ihrer Bürgerinitiativeeine Gesetzesänderungbezüglich Social Egg Freezing.„ Hätte ich mein Kind schon früherbekommen, hätte ich meine internationaleFirma nicht so gut aufgebaut oder meinKind wäre komplett fremdbetreut gewesen. “Sabrina KrobathFoto: Franziska SafranekFoto: Bernd HorstKronthaler: Wir sehen hier einezunehmende Belastung für Frauen.Wir wollen eine gleichberechtigteBetreuung der Kinder undgenug Unterstützung für Mütter.Frauen sollten Kinder nicht hinterKarriere reihen müssen. Mankann grundsätzlich noch langegenug arbeiten, Kinder zu bekommenhat aber ein Ablaufdatum.Karriere sollte auch nach beziehungsweisemit Kindern möglichsein. Und auch bei der Betreuungist uns Wahlfreiheit wichtig: Essoll die Möglichkeit geben, dasssich Eltern selbst um ihre Kinderkümmern, so sie das wollen, aberauch, dass sie ihre Kinder in einegute Betreuung geben können.Das ist auch wichtig für Bildungund Chancengleichheit.DIE FURCHE: Selbstbestimmungist ein Hauptargument für SocialEgg Freezing, das aber mit hohenKosten verbunden ist. Wie steht eshier um soziale Gerechtigkeit?Krobath: Momentan gibt es beimIVF-Fonds vom Gesundheitsministeriumnur Unterstützung zueiner künstlichen Befruchtung,wenn man gewisse Kriterien, wieAltersgrenzen und Partnerschaft,erfüllt. Das Ziel unserer Bürgerinitiativeist es, dass der Staat inZukunft unter gewissen Voraussetzungenund Rahmenbedingungendie Kosten für das Social EggFreezing übernimmt. Selbstverständlichmuss der Staat dafür sorgen,die Vereinbarkeit von Familieund Beruf besser auszu bauen.Kronthaler: Für mich wirft dasThema auch wirtschaftsethischeFragen auf. Frauen sollen nicht fürfalsche Hoffnungen und leere Versprechenbezahlen. Wir finden esfragwürdig, dass ein Geschäft mitder Sorge um Kinderlosigkeit gemachtwird und ein soziales Ungleichgewichtentsteht. Die Vereinbarkeitvon Familie und Berufist ein gesamtgesellschaftlichesProblem, das sich nicht durch EggFreezing beheben lässt, denn nurfinanziell gut situierte Frauenkönnen sich das überhaupt leisten.DIE FURCHE: Es geht um emotionale,körperliche und finanzielle Belastungen.Wird der gesellschaftlicheDruck hier auf Frauen abgewälzt?Krobath: Social Egg Freezing hatden Vorteil, dass Frauen keinenDruck mit Blick auf ihre Familienplanunghaben. Hätte ich meinKind schon früher bekommen,dann hätte ich meine internationaleFirma nicht so gut aufgebaut –oder ich hätte sie gut aufgebaut,aber mein Kind wäre komplettfremdbetreut gewesen. VieleFrauen sind mit Anfang 30 auchnoch nicht bereit für ein Kind, mitder Gefahr, am Ende ohne Kinderdazustehen. Wie gesagt, es fungiertals eine Versicherung – dafürzahle ich ja auch, und entwederich brauche sie oder eben nicht.Kronthaler: Ein Grund, warumFrauen sich erst später Kinderwünschen, ist auch, dass sichMänner in jüngeren Jahren oftnoch nicht bereit fühlen, Vater zuwerden. Wir möchten die Ursachendes Problems angehen undüberlegen, wie wir Fruchtbarkeitgenerell verbessern und das Lebenmit Kindern in jüngerem Altermit Freude ermöglichen können.Das bedeutet Wahlfreiheit für uns.„ Selbstbestimmungund Karriere vonFrauen dürfen demKinderwunsch nichtentgegenstehen.Social Egg Freezingist sicher nicht diebeste Lösung, aberes ist eben eine. “Sabrina KrobathDIE FURCHE: Angenommen, Sie beidewären in einer Regierungskoalition:Würden Sie sich auf einen Gesetzesvorschlageinigen können?Kronthaler: Für uns ist die Datenlagenoch zu dünn – wir bräuchtenmehr Studien auch zur IVFin Österreich und sowieso mehrUnterstützungsmaßnahmen fürSchwangerschaften in jüngeremAlter. Auch in jungen Jahren könnenMenschen liebevolle Elternsein, die gut genug sind für ihreKinder! Es muss nicht alles perfektsein, und wir Menschen wachsenan und mit unseren Aufgaben.Krobath: Mehr Studien und Informationfordern auch wir. Und mehrAufklärung über Fruchtbarkeit sowiemehr Tests, damit man weiß,ob die Fruchtbarkeit aufgrund derGenetik oder einer Krankheit frühereingeschränkt wird. Jedenfallsdürfen Selbst bestimmungund Karriere dem Kinderwunschnicht entgegenstehen. Social EggFreezing ist sicher nicht die besteLösung, aber es ist eben eine.Foto: iStock/bluecinemaEizellen entnehmen und einfrieren zu lassen, sehen viele Frauen als ihreChance zur biologischen Vorsorge. In Ländern, in denen es diese Möglichkeitgibt, steckt aber auch großes wirtschaftliches Interesse dahinter.Das Geschäft mitdem KinderwunschVon Katja Heine und Victoria SchwendenweinDas Durchschnittsalter für Erstgeburten in Europabeträgt mittlerweile rund 30 Jahre. Tendenzsteigend. Das hat sich in den vergangenendrei Jahrzehnten rasant verändert. 1991 wurden etwadie Menschen in Österreich durchschnittlich im Altervon 25 Jahren zum ersten Mal Eltern. Heute liegt dasDurchschnittsalter bei Erstgeburten bei 31,5 Jahren.Das liegt unter anderem an der höheren weiblichenErwerbstätigkeit, erweiterten Bildungs- sowie Karrieremöglichkeiten oder fehlenden Partnern. Die natürlicheFruchtbarkeit nimmt allerdings im Schnittab dem 35. Lebensjahr stark ab.Laut WHO hat jedes sechste Paar, weltweit und aufdas gesamte Erwachsenenalter gerechnet, Schwierigkeiten,schwanger zu werden. Der aktuelle Trendder späteren Familienplanung könnte damit zu ungewollterKinderlosigkeit führen. „Egg Freez ing“, alsodas Einfrieren von Eizellen, beschreibteinen medizinischenVorgang und Eingriff, bei demeiner fruchtbaren Frau zuerstHormone für Eizellenwachstumgegeben, die Eizellen dannentnommen und in flüssigemStickstoff eingefroren werden.Dies passiert, um eine spätereSchwangerschaft mit künstlicherBefruchtung bis zur Menopausezu ermöglichen.Fehlende Datenlage„ In anderen Ländernist Social Egg Freezingerlaubt. In den USA gibtes sogar Unternehmen,die die Kosten desEgg Freezing für ihreArbeitnehmerinnenübernehmen. “In Österreich ist diese Praxis nur bei medizinischerIndikation erlaubt, also dann, wenn aufgrund eineskörperlichen Leidens oder einer Therapie die Fortpflanzungsfähigkeitverlorengeht – beispielsweisevor einer Chemotherapie oder bei Ovarialzysten. DasEinfrieren von Eizellen aus Gründen der Familienplanung,also zur Vorsorge und Sicherung der Fruchtbarkeitin zunehmendem Alter, ist in Österreich lautFortpflanzungsmedizingesetz verboten und wird alsVerwaltungsdelikt geahndet.Derzeit prüft das Parlament eine Gesetzesänderung.Die österreichische Bioethikkommission, dieden Bundeskanzler in medizinisch-ethischen Fragenberät, hat sich in diesem Fall aus Gründen der reproduktivenAutonomie der Frau bereits mehrheitlichfür Social Egg Freezing ausgesprochen. Nun wurdeeine Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaftfür Reproduktionsmedizin und Endokrinologiebeantragt. Grund für die Auseinandersetzung mitdem Thema ist die Bürgerinitiative „Zukunft Kinder! –Für eine selbstbestimmte Familienplanung“ von SabrinaKrobath (siehe Streitgespräch links). Sie hat die500 notwendigen Unterschriften erhalten, um im Parlamentbehandelt zu werden.In anderen Ländern, wie etwa Deutschland undTschechien, ist Social Egg Freezing bereits erlaubt. Inden USA gibt es sogar Unternehmen, die die Kostendes Egg Freezing für ihre Arbeitnehmerinnen übernehmen.Während Österreich beim Social Egg Freezingkonservativ und Deutschland liberal ist, verhältes sich bei der Eizellenspende umgekehrt: Diese istin Österreich gesetzlich erlaubt und in Deutschlandnicht. Für beides gilt allerdings: Forschung und Studienzu diesem Thema sind mangelhaft.Eine Zahl gibt es aus der Schweiz: Die Anzahl anFrauen, die dort Social Egg Freez ing in Anspruch nehmen,beträgt jährlich zwischen 300 und 400, mit einerstark steigenden Tendenz. Expertenerwarten einen Anstiegauf 2000 bis 10.000 Frauenjährlich.Die Wahrscheinlichkeit, mitEgg Freezing und da rauffolgenderkünstlicher Befruchtung erfolgreichschwanger zu werden,hängt maßgeblich vom Alter beider Eizellenentnahme und derAnzahl der entnommenen Eizellenab.Enorme KostenNach einer im Journal für Gynäkologische Endokrinologieberechneten Zahl betragen die Kosten für Eizellenentnahmeund Lagerung in Deutschland imSchnitt 14.000 Euro (Annahme für eine 35-jährigeFrau, mit drei notwendigen Stimulationen zu je 3000bis 4000 Euro, Lagerungskosten zwischen 200 und300 Euro pro Jahr, mit sieben Jahren Lagerung undTransferkosten von rund 2000 Euro); bei medizinischerIndikation werden die Kosten in Deutschlandvon der Krankenkasse übernommen.In Österreich, wo die Eizellenentnahme bei medizinischerIndikation erlaubt ist, müssen die Kostengrundsätzlich selbst getragen werden. Es gibt abereinen vom Gesundheitsministerium eingerichtetenFonds (IVF-Fonds), der bei Erfüllung gewisser Kriterien– wie Alter und Partnerschaft – Kosten übernimmt.Wie auch immer die Politik nun entscheidet –es gibt Handlungsbedarf.Wie weit darfSelbstbestimmunggehen? Social EggFreezing legt dieFamilienplanung„aufs Eis“. Die Politikmuss nun darüberentscheiden, ob dasauch in Österreichgültiges Rechtwerden soll.

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