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DIE FURCHE 16.10.2024

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DIE FURCHE · 42 24 24 17. Oktober 2024 Illu: Rainer Messerklinger Foto: Amela Ristić „Gemeinsam leben statt kämpfen!“ Eva Schobel hat über Jasmin Avissar und Osama Zatar auch ein „Hörbild“ gestaltet – zu hören am Samstag, 19. Oktober, um 9.05 Uhr auf Ö1. Lesen Sie dazu auf furche.at auch Wolfgang Machreichs Beitrag „Jetzt ist die Zeit für Krieg“ (18.10.24) über die Reaktionen von Friedensaktivisten auf den 7. Oktober. Von Manuela Tomic Blaues Wunder MOZAIK Wochenlang turnten wir zu „Blue“, dem Hit der italienischen Eurodance-Gruppe Eiffel 65. Die Lehrerin, die uns für das Sommerfest in Völkermarkt 1999 drillte, brüllte gegen die Boxen an, aus denen das Lied in Dauerschleife donnerte. Kurz vor dem Fest suchte sie jene Schülerinnen aus, die auf der Bühne den Robo dance hampeln durften. Ich gehörte zu den Auserwählten. Während die anderen Mädchen vor Freude kreischten, wurde ich blass vor Angst. Zwei Tage vor unserer Show geschah das Wunder: Eine Biene stach mich im Freibad in den rechten großen Zeh, der, als ich weitertanzen wollte, dick anschwoll. Zum Auftritt humpelte ich im grünen Spaghettishirt und in Blue Jeans in den Festsaal der Neuen Burg, wo schon ein Schwarm von Eltern lauerte. Die anderen Tänzerinnen hübschen sich hysterisch vor dem Spiegel auf. Panisch lief ich aufs Klo, um meinen Zeh zu lüften. Er schaute aus meinem Strumpf und war blau wie ein Schlumpf. Die Stimme der Lehrerin, die mich suchte, gellte über den Gang. Doch ich blieb buckelig auf der Kloschüssel sitzen, und mein tanzwütiger Zeh summte still: „I’m blue / Da ba dee da ba di / Da ba dee da ba di / Da ba dee da ba di / Da ba dee da …“ FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Von Eva Schobel Am 7. Oktober 2023 ist Jasmin Avissar in Dortmund, wo die leidenschaftliche Tänzerin immer wieder in ihrem Brotberuf als Choreografin arbeitet. Die 13-jährige Tochter Leila begleitet sie. Als die Nachrichten vom Massaker der Hamas über die beiden hereinbrechen, reagiert Jasmin das erste Mal in ihrem Leben mit Panik. „Ich habe diese Panik geradezu körperlich gespürt“, erinnert sie sich. Nicht vor der Hamas hatte sie Angst, die ja weit weg war, sondern vor den Menschen in ihrer Umgebung. „Wir haben sofort aufgehört, hebräisch miteinander zu sprechen. Wir wollten nicht als Jüdinnen erkannt werden.“ Denn wie viele, fragt sich Jasmin, hätten diesen Terroranschlag als gerechte Reaktion auf die Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen Staat empfunden? Es seien nicht Palästinenser gewesen, die so reagiert hätten; sondern Europäer, rechts und links , hätten sich im antisemitischen Ungeist gefunden. Osama Zatar sitzt am 7. Oktober 2023 in seinem Winzerhäuschen am Stadtrand Wiens, in dem er auch an seinen Skulpturen arbeitet. Skulpturen mit einem politischen value, wie er sagt. An den Wänden hängen einige seiner berühmtesten Objekte, Waffen, die er in Gebrauchsgegenstände umgearbeitet hat. Frei nach Isaiah 2/4: „Ihr sollt Pflugscharen aus Waffen schmieden … Kein Volk soll das Schwert gegen das andere erheben.“ „ Israelis und Palästinenser sind beide so verbunden mit diesem umkämpften Land. Wieso soll es den einen mehr gehören als den anderen? “ Jasmin Avissar Ein Gemetzel Osama ist auf Instagram unterwegs, als die schockierenden Nachrichten aus Israel eintreffen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass die Hamas dazu imstande sei, ein derartiges Gemetzel anzurichten. Seit seinem 15. Lebensjahr ist er ein strikter Gegner jedweder Gewalt. Damals ist er von seinem Dorf in der Westbank nach Israel gegangen, um zu arbeiten. Das war ein positiver Schock, erinnert er sich. Er ist auf keine Ablehnung gestoßen, sondern hat ganz normale, freundliche und hilfsbereite Menschen getroffen, die so gar nichts mit den jungen Soldaten zu tun hatten, die das Westjordanland kontrollierten. Er kann mit diesen Menschen gut reden, denn er hat im Rekordtempo Hebräisch gelernt. Und durchs Reden kommen die Leute zusammen. Als Kind hat er noch Waffen gebastelt. Attrappen, mit denen man nicht schießen konnte. Sieben Jahre war er alt, als 1987 der erste Palästinenseraufstand ausbrach, den man auch „Krieg der Steine“ nennt, weil die Palästinenser damals noch keine Waffen hatten. Wenn es nach Osama geht, dann hätte es dabei bleiben sollen. Die Geschichte eines israelisch-palästinensischen Künstlerpaars, das weder in Israel noch in Palästina zusammenleben konnte – und schließlich in Wien landete. „Vollgepumpt mit Ideologie“ Nach der Jahrtausendwende, als er und Jasmin einander kennen- und lieben lernen, sind sie Anfang 20 und arbeiten in einem Tierheim in Atarot, genau in der Mitte zwischen Jerusalem und Ramallah. Dieses Grenzgebiet ist rechtliche Grauzone. Was gehört zu Israel, was zum Westjordanland? Osama, der Israel verlassen musste, nachdem der Osloer Friedensprozess von Radikalen beider Seiten bekämpft wurde und die Hamas jede Woche einen israelischen Bus in die Luft jagte, nützt diese geografische Ungewissheit. Doch vor den Augen des jungen Paars werden reale Verhältnisse geschaffen, die nicht auf ihre Liebe Rücksicht nehmen. Die separa tion wall, die Sperrmauer zwischen Israel und dem Westjordanland, wird bald fertig sein. Kurzentschlossen heiraten die beiden. Aber Osama darf trotzdem nicht in Israel bleiben. Also zieht Jasmin mit ihm nach Ramallah. Doch nach einem halben Jahr stellen die beiden fest, dass ihr Zusammenleben dort zu gefährlich ist. Jeden Tag muss sie auf dem Weg zur Arbeit in Jerusalem den Checkpoint an der Grenze passieren. „Die jungen Soldaten dort“, erzählt Jasmin, „sind mit der Ideologie vollgepumpt, dass sie ihre Landsleute vor den Palästinensern schützen müssen, die alle Juden umbringen wollen. Und dann kommt da jemand wie ich und geht unbehelligt hin und her.“ Das ist verdächtig. Immer länger wird sie festgehalten, immer öfter muss sie ihren Anwalt kontaktieren. Noch gefährlicher sind die Kontrollen in der Westbank. Mehr als einmal wird das Paar aus dem Taxi geholt. Jasmin erinnert sich an den krassesten Fall. Osama und sie werden in ein Feld geführt und in der brennenden Sonne stehen gelassen. Der Kommandant des Trupps sagt zu Jasmin: „Es wäre doch schade, wenn ich dich hier demnächst an einem Baum baumeln sehe.“ Unerschrocken verlangt sie seine Dienstnummer. „Da ist er in seinen roten Jeep gesprungen und davongefahren.“ Aber wohin jetzt, mitten im Niemandsland? Osama ruft in seinem Dorf an und erreicht einen alten Mann, der seine drei Söhne verloren hat – ein sogenannter Kollateralschaden. Der alte Mann holt Jasmin und Osama ab. „Er ist ein guter Mann“, sagt Osama, „er hat uns geholfen, trotz seines Schmerzes.“ Er meint, erklärt Jasmin, dass er auch mir geholfen hat, obwohl ich Israelin bin und Israelis seine Söhne umgebracht haben. Politisch d’accord Zu meinem letzten Gespräch mit Jasmin und Osama treffen wir uns bei ihm daheim, wo er lange mit Jasmin und Leila zusammengelebt hat. 2008 hat er eine Einladung von Karlheinz Essl zur Gruppenausstellung „overlapping voices“ in Klosterneuburg erhalten. Palästinensische und israelische Künstler haben dort gemeinsam ausgestellt. 2010 sind Jasmin und Osama dann nach Wien gezogen, im selben Jahr kam auch ihre Tochter zur Welt. Seit 2021 sind sie in Freundschaft geschieden. „Wir sind persönlich auseinandergewachsen, aber politisch d’accord“, sagt Jasmin: Die Kritik an den Verbrechen der israelischen Regierung sei kein Antisemitismus, solange man nicht denen recht gebe, die Israel auslöschen wollten. Osama hat mit der Sängerin Isabel Frey die „Standing Together“-Bewegung in Österreich initiiert. Jüdische und arabische Menschen demonstrieren gemeinsam für den Frieden. Auch Jasmin setzt sich in ihrem künstlerischen Wirken für den Frieden ein. Mit diesem sieht es im Moment finster aus. Aber resignieren wollen Jasmin und Osama nicht. „Israelis und Palästinenser sind beide so verbunden mit diesem umkämpften Land. Und ich verstehe nicht, wieso es den einen mehr gehören sollte als den anderen“, sagt Jasmin. Und Osama ergänzt: „Das Leben ist so kurz. Wir müssen wissen, dass wir zusammenleben können, statt gegeneinander zu kämpfen.“ Die Autorin ist freie Literaturwissenschafterin und Journalistin.

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