DIE FURCHE · 42 2 Das Thema der Woche Allmächtig? 17. Oktober 2024 AUS DER REDAKTION Der „starke Mann“ ist zurück. In den USA könnte jener Donald Trump wiederkehren, der seinen Mob zum Sturm aufs Kapitol animierte. Und in Österreich stellt der selbsternannte „Volkskanzler“ und Systemsprenger Herbert Kickl den Kanzleranspruch. Umso wichtiger ist ein funktionsfähiges Parlament. Doch was, wenn an dessen Spitze jemand steht, der bewusst die Abläufe torpediert? Genau vor dieser Frage stehen die 183 neuen Nationalratsabgeordneten vor ihrer konstituierenden Sitzung am 24. Oktober. Soll die FPÖ den Ersten Nationalratspräsidenten stellen – der in Österreich faktisch unabsetzbar ist? Wir haben dazu mit dem scheidenden – und selbst heftig kritisierten – Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka gesprochen. Ergänzend bringen wir im Fokus „Allmächtig?“ ein Interview mit dem australischen Rechtswissenschafter William Partlett, der sich mit dem Strongman-Phänomen auseinandersetzt. Neben Macht war im Gespräch mit Sobotka freilich auch die Explosion des Antisemitismus seit dem 7. Oktober ein Thema. Katharina Tiwald erzählt im Kompass aus ihren Erfahrungen als Mittelschullehrerin, Hellmut Butterweck hat einen scharfen Offenen Brief an den PEN-Club verfasst, und Eva Schobel porträtiert ein israelisch-palästinensisches Künstlerpaar. Im Nahen Osten zu leben, ist für die beiden nicht mehr möglich. Strongmen und Terror allerorten. (dh) Das Gespräch führten Doris Helmberger und Wolfgang Machreich Sieben Jahre lang hat Wolfgang Sobotka das zweithöchste Amt der Republik bekleidet – und war trotz permanenter Kritik an seiner Amtsführung (vom U- Ausschuss bis zum goldenen Flügel) unabsetzbar. Am 24. Oktober, bei der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Nationalrats, wird seine Nachfolge bestimmt. Kommt sie aus der FPÖ? Zum Abschied hat Sobotka DIE FURCHE ins – auf seine Initiative hin rundumerneuerte – Hohe Haus eingeladen. Die Vitrinen im prunkvollen Vorraum seines Büros leeren sich langsam; die Gastgeschenke aus Yad Vashem und der Knesset sind geblieben. Grob und fein Wolfgang Sobotka gilt als Virtuose der Macht – und zugleich als musischer Feingeist. In den U-Ausschüssen hat er viel Vertrauen verspielt, im Engagement gegen Antisemitismus Respekt gewonnen. DIE FURCHE: Herr Präsident, wir wollen mit Ihnen über Macht sprechen: über die Macht Ihres Amtes; und über die Macht des Politikers Wolfgang Sobotka. Zu beidem gehört, inhaltlich Akzente setzen zu können. Bei Ihnen war es zuletzt das Thema Antisemitismus. Vergangene Woche haben Sie eine neue Studie über Judenhass bei den Jungen präsentiert (vgl. Kasten). Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig? Wolfgang Sobotka: Weil Antisemitismus per se antidemokratisch ist. Wenn man überzeugend für die liberale Demokratie eintritt, muss man auch diese Gefährdung bekämpfen. Der Antisemitismus hat leider eine lange Tradition: Er ist aus dem christlichen Antijudaismus geboren, hat sich bei den Nationalen gezeigt und ist dann in der Rassenlehre der Nationalsozialisten kulminiert. Heute erleben wir auch einen linken Antisemitismus, der sich gegen Israel wendet. Und durch die Migration werden wir auch noch mit Antisemitismus aus Ländern konfrontiert, wo Judenhass als Staatsräson gilt. Schließlich gibt es Antisemitismus auch in der Mitte der Gesellschaft – und in den Feuilletons. DIE FURCHE: Wo ziehen Sie die Trennlinie zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus? Sobotka: Dort, wo es um Delegitimierung, Dehumanisierung oder die Ablehnung des Staates Israel als Element des Jüdischen als solches geht. Wenn Sie heute die israelische Politik kritisieren, müssen Sie auch den täglichen Beschuss der Hisbollah seit 20 Jahren erwähnen; und dazusagen, dass die Hamas sich bewusst hinter Zivilisten und in Schulen versteckt; oder dass dort, wo am 7. Oktober 2023 der größte Massenmord an Juden seit der Schoa stattgefunden hat, linke Friedensaktivisten gelebt haben. DIE FURCHE: Die Person, die am 24. Oktober in dieses Amt gewählt wird, kann ganz andere Akzente setzen. Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass die FPÖ als stimmenstärkste Partei – gemäß den bisherigen Usancen – das Vorschlagsrecht haben soll. Zugleich dürfe nur eine Person infrage kommen, die „zu den demokratischen Grundsätzen steht und nicht mit irgendwelchen Ideen aus der Vergangenheit in Berührung kommt oder dies mit Augenzwinkern geschehen lässt“. Würden die schlagenden Burschenschafter Norbert Nemeth und Harald Stefan, die kurz vor der Nationalratswahl auf einem Begräbnis eines SS-Veteranen waren, diesen Ansprüchen genügen? Sobotka: Es gibt in der FPÖ auch noch andere Leute, die früher durchaus einen „liberalen Flügel“ abgegeben hätten. Fotos: Carolina Frank Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka über die symbolische und reale Macht seines Amtes, Missbrauchsgefahren, Kickl, Kurz und sein Image als Machtmensch par excellence. „Ich habe Haltung bewiesen“ DIE FURCHE: Nämlich? Sobotka: Walter Rosenkranz etwa, der kommt aus keinem deutschnationalen Dunstkreis ... DIE FURCHE: … aber er ist ebenfalls Mitglied einer Burschenschaft, konkret der Libertas, die bereits 1878 aus „rassischen“ Gründen keine Juden aufnahm. „ Jemand, der das Ewiggestrige bzw. nationalsozialistisches Gedankengut verharmlost, ist als Nationalratspräsident nicht akzeptabel. “ Sobotka: Man muss auch bei den schlagenden Verbindungen differenzieren, und das sage ich als Mitglied des Cartellverbandes, so kurios eine solche Verteidigung klingt. Aber ich bin eben auch Historiker, und die Burschenschaften sind in der Nazizeit erst einmal alle aufgelöst worden, nicht alle haben sich das nationalsozialistische Gedankengut angeeignet. Man muss sich die Person jedenfalls sehr genau ansehen. Es wäre auch ungewöhnlich, wenn man erst in der Sitzung damit konfrontiert werden würde. Noch einmal: Jemand, der das Ewiggestrige bzw. nationalsozialistisches Gedankengut verharmlost, ist für mich nicht akzeptabel. DIE FURCHE: Das gilt wohl auch für den nächsten Kanzler. Die Entscheidung der ÖVP gegen Herbert Kickl bleibt aufrecht? Lesen Sie über Wolfgang Sobotka auf furche.at auch „Der Präsident, schillernd in der Galerie“ (9.11.22) von Wolfgang Machreich. Sobotka: Ja, Parteiobmann Karl Nehammer hat ihn vor und nach der Wahl ausgeschlossen. Ganz einfach, weil auf ihn kein Verlass ist. Für uns hängt das wirklich an der einen Person. Man kann nicht fünf Jahre lang jemanden mit Ausdrücken bewerfen, die ich hier nicht wiedergeben möchte, und dann sagen: Jetzt ist alles anders. Das ist ein bisschen zu billig. Denken Sie nur, wie oft Kickl unter der Gürtellinie agiert hat. Ich bin auch kein Akteur, der im politischen Schlagabtausch immer zimperlich ist, aber es gibt gewisse Grenzen, die man einzuhalten hat. DIE FURCHE: Beruht diese Einschätzung auch auf Ihren Erfahrungen als Vorgänger von Herbert Kickl im Innenministerium? Sobotka: Absolut, das ist meine persönliche grenzenlose Enttäuschung über diese Person. Ich habe ihm damals das Innenministerium in einer durchaus wohlmeinenden Art und Weise übergeben. Gebracht hat das nichts, er hat inhaltlich gar nichts bewirkt. Er hat ein Pferd bestellt, einen blauen Teppich eingeführt und ein paar Schilder aufgehängt. Damals habe ich auch darauf gedrängt, dass die FPÖ die braunen Flecken in ihrer Vergangenheit aufarbeitet. H.-C. Strache war auch bereit dazu. Aber Kickl hat das kaltblütig abgedreht. DIE FURCHE: Auch der Bundespräsident misstraut Kickl, er sprach nach der Wahl von einer „Pattsituation“ ... Sobotka: Nein! Es gibt keine Pattsituation, es gibt genügend andere Möglichkeiten. Es sind immerhin 71 Prozent, die Kickl nicht gewählt haben. Und 71 Prozent werden ja wohl in der Lage sein, eine Mehrheit mit 50 Prozent zustande zu bringen. DIE FURCHE: Aber Herr Präsident, Sie waren in der ÖVP einer jener, die maßgeblich für das Ende der SPÖ-ÖVP-Koalition 2017 verantwortlich waren. Jetzt reden Sie einer Neuauflage das Wort?
DIE FURCHE · 42 17. Oktober 2024 Das Thema der Woche Allmächtig? 3 Sobotka: Wer mich kennt, weiß, dass ich immer ein Großkoalitionär war. Das hat schon in meiner Heimatgemeinde Waidhofen angefangen, wo ich gewohnt war, die Sozialdemokraten immer zu respektieren. Bei Werner Faymann, unter dem ich in die Regierung gekommen bin, war das auch noch ganz anders als mit seinem Nachfolger Christian Kern. Der hat gewisse Sachen nicht akzeptieren können und ist irgendwie auch über seine eigene Eitelkeit gestolpert. Und Reinhold Mitterlehner hätte die ÖVP einfach zu Schanden gefahren. Darum habe ich es unterstützt, als Sebastian Kurz die Reißleine gezogen hat. Dazu bekenne ich mich auch. Ich habe jedem Frontmann immer meine ganze Loyalität gegeben. Meinem Bürgermeister seinerzeit in Waidhofen, Erwin Pröll in Niederösterreich und natürlich Sebastian Kurz und jetzt Karl Nehammer. Mitterlehner aber nicht, weil er es nicht konnte und nicht gut gemeint hat mit der ÖVP. DIE FURCHE: Nach dem Höhenflug mit Kanzler Kurz ist die ÖVP wieder dort, wo sie war. Sobotka: Ja, das wird aber die Geschichte einmal neu zu bewerten haben. Das muss man richtig einordnen. Die damalige Koalition unter Kern und Mitterlehner hat absolut nicht funktioniert, weil man sich gänzlich misstraut hat. Ich habe ein Jahr lang mit meinem damaligen Kollegen Hans Peter Doskozil das Sicherheits- und Krisengesetz verhandelt, und es ist nie zu Ende gekommen, immer gab es andere Ausreden. So kann man eine Zusammenarbeit nicht gestalten. Sehen Sie sich im Vergleich dazu die Koalition zwischen Türkis und Grünen an. Auch da gab es große Gegensätze, aber man hat sich klar verpflichtet, wie man damit umgeht. Das ist jetzt dasselbe. DIE FURCHE: Der Umgang zwischen ÖVP und Grünen war zuletzt auch nicht allzu harmonisch. War es ein Fehler, dass die ÖVP nach Ibiza die Koalition mit der FPÖ beendet hat? Kickl blieb als Sieger übrig. Es gab U-Ausschüsse, Gerichtsverfahren – und nicht wenige Malversationen, bei denen Sie im Fokus standen. Sobotka: Diese Malversationen waren dergestalt, dass man die Politik mit dem Gerichtssaal getauscht hat. Man hat mich einfach kontinuierlich angezeigt. Ich war das schon aus Niederösterreich gewohnt. Für viele war ich immer wieder ein Reibebaum, den man bewusst gesucht hat. Aber bis heute sind alle 20 Verfahren alle eingestellt worden – bis auf eines, das nach wie vor läuft. Und diese Denunziationen gegen meine Person, insbesondere was das Mock- Institut anbelangt, waren kein Ruhmesblatt, auch nicht für den Journalismus in Österreich. „ Über Sebastian Kurz lasse ich persönlich nichts kommen. Ich wüsste nicht, was er Ehrenrühriges getan hätte. Das Problem war, dass man Thomas Schmid vertraut hat. “ DIE FURCHE: Sie sind sich keines Fehlverhaltens bewusst? Sobotka: Mein Fehler war, dass ich etwas zu flapsig in einem TV-Interview mit einer Zeitung formuliert habe. Das würde ich heute nicht mehr so formulieren, das war missverständlich. DIE FURCHE: Sie sprechen von einem Interview 2020 auf OE24-TV über Inserate und Spenden der Novomatic, in dem Sie gesagt haben: „Sie kennen das Geschäft ja. Fürs Inserat gibt’s ein Gegengeschäft.“ Sobotka: Das war natürlich so gemeint, dass ich, wenn ich eine Leistung in Form von Inseraten anbiete, auch eine Gegenleistung erhalte. Alle Vorwürfe gegen mich, von Amtsmissbrauch bis hin zu falschen Zeugenaussagen, haben sich letztlich als Legenden und falsch rausgestellt. Und glauben Sie mir, die Staatsanwaltschaft hat lange gesucht. Aus welchen Gründen bei mir ewig ermittelt wurde, das mögen andere beurteilen, ich habe es nicht verstanden und meine Rechtsanwälte auch nicht. DIE FURCHE: Apropos „Reibebaum“: War Leonore Gewessler so etwas wie das grüne Pendant zu Ihnen? Im EU-Renaturierungs- Streit war die ÖVP bei ihr rasch mit einer Strafanzeige zur Hand. Die WKStA hat diese dann sehr schnell zurückgelegt. Sobotka: Ja, bemerkenswert, wie schnell dieser Fall eingestellt wurde. Interessant, nicht? Bei ihr war das in wenigen Wochen vom Tisch. Und bei mir, in läppischen Fällen, hat sich das zwei Jahre und länger dahingezogen. Aber das ist Geschichte. DIE FURCHE: Zur Geschichte nach Ibiza gehört, dass in den U-Ausschüssen eine politische Kultur innerhalb der ÖVP deutlich wurde, die man gelinde gesagt als unschön bezeichnen muss. War Kurz doch nicht die Idealbesetzung an der Spitze der Volks partei? Sobotka: Also über Kurz lasse ich persönlich nichts kommen. Ich wüsste nicht, was er Ehrenrühriges getan hätte. Das Problem war, dass man Thomas Schmid vertraut hat. Das habe ich damals nicht für gut gehalten, und meine Meinung über ihn hat sich bestätigt. DIE FURCHE: Wenn Sie nichts Kritikwürdiges an Sebastian Kurz sehen, was spricht dann eigentlich dagegen, dass er wieder die Führung der ÖVP übernimmt? Sobotka: Es ist derzeit keine Situation, über die Kanzlerschaft zu diskutieren. Karl Nehammer führt die Partei mit einer derartigen Ruhe, er hat sie in einer ganz schwierigen Situation konsolidiert. Man muss auch sehen, welche Krisen diese Regierung durchgemacht hat: Covid, die Kriege, die Inflation … Daran gemessen hat die Regierung hervorragend gearbeitet. Einen Kanzler Nehammer auszuwechseln, der von allen getragen wird, ihn überhaupt infrage zu stellen, ist ja fast grotesk. Außerdem hat sich Kurz beruflich anders orientiert und macht dort einen guten Job. DIE FURCHE: Prägend für Ihre Amtszeit waren die parlamentarischen U-Ausschüsse, in denen Sie den – vielfach kritisierten – Vorsitz führten. Sie haben die Ausschüsse Eine Woche ist Wolfgang Sobotka noch Herr im Hohen Haus. Zum Abschied hat er FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger und Reporter Wolfgang Machreich empfangen. Die Langversion dieses Interviews finden Sie unter „Ich habe Haltung bewiesen“ auf furche.at sowie unter diesem QR-Code: „ Im Rückspiegel sieht man vieles, was man anders hätte machen können. Vielleicht hätte ich mich manchmal mehr zurücknehmen können: Aber ich muss sagen, ich habe vieles richtig gemacht. “ als „Mischung aus Aufklärung und Agitation“ bezeichnet. Was braucht es, damit in Zukunft mehr die Aufklärung und weniger die Agitation im Vordergrund steht? Sobotka: Wir haben viele Reformvorschläge gemacht: zum Beispiel einen rotierenden Vorsitz. Nach wie vor halte ich das Zitierverbot aus Strafakten für richtig. Das gibt es in Deutschland nicht und in keiner anderen ausgeprägten Demokratie. Absolut unmöglich ist es für mich, wenn von der Justiz gemachte Kollateralfunde, die mit dem Fall nichts zu tun haben, aus Jux und Tollerei ins Parlament geschickt werden. Dort hält sich dann keiner an das Veröffentlichungsverbot, und damit werden Menschen ruiniert. Ich kann von mir behaupten, dass ich eine gewisse Robustheit und Resilienz habe, das hat nicht jeder Politiker. Und wir werden gut daran tun, dieses Amt nicht zur Gänze zu beschädigen. Wer sollte sich nächstes Mal noch für ein Ministeramt zur Verfügung stellen, wenn er oder sie sieht, was man mit einem Menschen tun kann? Diese Frage muss sich die Bevölkerung stellen, die müssen sich aber auch die Journalisten stellen. Welche Leute will ich noch haben? Es geht nicht, über alle herzufallen und sich dann zu wundern, wenn nurmehr die Kickls dieser Welt überbleiben. Das ist auch eine Verantwortung der Medien! DIE FURCHE: Was antworten Sie denen, die Sie als Personifizierung eines Machtmenschen beschreiben? Schmeichelt Ihnen das, oder ärgert Sie so eine Beschreibung? Sobotka: Ich bewerte das nicht. Ich habe Macht immer positiv gesehen. Die Macht eines Amts gibt Gelegenheit, etwas zu bewegen. Deshalb bin ich in die Politik gegangen. Ich habe angefangen, weil die Musikschullehrer bei mir in Waidhofen damals keine sozialrechtlich abgesicherte Stellung hatten. Dafür habe ich seinerzeit in der Gemeindepolitik begonnen und mich dafür eingesetzt, dass Leute angestellt werden. Dann ist das Schritt für Schritt weitergegangen. Und mein Amt als Nationalratspräsident habe ich unter anderem auch dafür genützt, um den Antisemitismus zu bekämpfen. Aber alles im Leben hat zwei Seiten. Auch in diesem Bereich werde ich von vielen angefeindet. Kurz gesagt: Ich war immer ein politischer Unternehmer und kein Unterlasser. DIE FURCHE: Würden Sie rückblickend sagen, dass Sie Fehler gemacht und bei der Ausübung von Macht diese auch missbraucht haben? Sobotka: Missbrauch mit Sicherheit nicht! Denn Missbrauch heißt ja immer, dass man das bewusst getan und seine Macht negativ eingesetzt hätte. Und zur Frage nach Fehlern: Im Rückspiegel sieht man vieles, was man anders hätte machen können. Vielleicht hätte ich mich manchmal einfach mehr zurücknehmen können. Aber ich habe auch vieles richtig gemacht. Ich habe bei vielem wirklich Haltung bewiesen und bin nicht gleich beim ersten Gegenwind umgefallen. In der Rückschau besehen hält sich das bei mir die Waage. ZUR PERSON Präsident, der aufsteht und aufregt Energisch – und umgänglicher als im U-Ausschuss: So zeigt sich Wolfgang Sobotka im FURCHE-Gespräch. Auf der Stirn prangt die obligate Lesebrille, hinter ihm großformatige Kunst und eine Fotogalerie seiner Familie. Der Weg ins Büro von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka führt an den Porträts seiner Vorgänger vorbei. Noch fehlt sein Konterfei, aber bereits jetzt ist klar, dass er „als die bisher schillerndste Person in die Ahnengalerie der Nationalratspräsidenten eingehen“ wird, wie es in einem FURCHE-Porträt heißt. Wobei sich die Zuschreibung nicht auf helle Seiten beschränkt, was sich in den miserablen Vertrauenswerten Sobotkas widerspiegelt. Sobotka, 1956 in Waidhofen an der Ybbs geboren, stammt aus einer musischen Familie, studierte Geschichte, Violoncello, Musikpädagogik und arbeitete als Musikschulleiter. Sozialrechtliche Missstände brachten ihn in die Gemeindepolitik (siehe Interview); er war Bürgermeister, Landesrat, Innenminister, seit 2017 ist Sobotka Präsident des Nationalrats. Ein roter Faden seiner politischen Arbeit ist der Einsatz gegen Antisemitismus. Vorige Woche präsentierte er die bedenklichen Ergebnisse einer Studie im Auftrag des Parlaments zu Antisemitismus bei jungen Menschen (siehe Artikel S. 12 sowie www.parlament.gv.at). Mit dem 2020 etablierten Simon- Wiesenthal-Preis wird Sobotkas Engagement gegen Antisemitismus vom Parlament fortgesetzt. Bei der Einrichtung des Preises sagte Sobotka: „Erst dann, wenn jeder im Wirtshaus aufsteht, wo er hört, dass ein Witz gemacht wird oder verächtlich geredet wird, erst dann wird es uns gelingen, Antisemitismus einzudämmen.“ Dass Sobotka überall aufsteht und vehement seine Position vertritt, davon kann man auch nach seinem Wechsel vom Parlament in die Politische Akademie der ÖVP ausgehen. (wm)
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