DIE FURCHE · 42 18 Musik & Literatur 17. Oktober 2024 Glücklose Liebe Die 2008 uraufgeführte Oper „Passion“ fußt auf der Orpheus-Sage und der Geschichte von Lots zur Salzsäule erstarrten Frau. In den Titelrollen Wolfgang Resch und Melis Demiray (im Bild). Von Walter Dobner Erneut ist die Neue Oper Wien ihrem Ruf als Wiens avanciertestem Musiktheater gerecht geworden. Bereits 2008 wurde Pascal Dusapins „Passion“ – was gleichermaßen mit Leidenschaft wie Leiden zu übersetzen ist – beim Festival d’Aixen-Provence, in dessen Auftrag es auch entstanden ist, uraufgeführt. Jetzt erlebte diese Oper in zehn Szenen ihre österreichische Erstaufführung im Wiener MuTh. Der von der Orpheus-Sage und der Geschichte von Lots zur Salzsäule erstarrten Frau inspirierte Inhalt dieses 80-minütigen Werks ist rasch erzählt: Zwei Menschen, Lui und Lei, erkennen ihre Zuneigung zueinander. Wiederholt sehen sie sich mit schwierigen Situationen konfrontiert. All ihr heftiges Verliebtsein kann letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie doch nicht füreinander bestimmt sind. Die Frau, Lei, so deutet es jedenfalls Ursula Horners auf beredte Gesten konzentrierende wie sich darauf beschränkende Regie, stirbt am Ende von der Hand ihres Geliebten Lui – ein deutlicher Hinweis auf das Thema Frauenmorde. Gli altri, die Anderen (ausgeführt von sechs ideal aufeinander eingestimmten, in schwarzen Kostümen agierenden Studierenden der Kunstuniversität Graz), begleiten das Geschehen. Sie eröffnen mit ihren Madrigal-artigen Gesängen Einblicke in das Innere der beiden um sich und ihre Beziehung kämpfenden, weiß gewandeten Hauptprotagonisten. Deren anspruchsvol- Eine österreichische Erstaufführung und ein altes Theater in neuem Glanz: Pascal Dusapins „Passion“ im MuTh und Mozarts „Idomeneo“ am Theater an der Wien. Diesmal hatte die Moderne die Nase vorn le Gesangsparts wurden von Melis Demiray und Wolfgang Resch virtuos bewältigt. Ihr intensives Ringen um ein Sich-Öffnen wie auch das Gefühl, in Situationen gefangen zu sein, reflektiert auch Norbert „ Der französische Auftraggeber wünschte sich ein Musiktheater, das auf Claudio Monteverdi Bezug nimmt. Deswegen verknüpft Dusapin Monteverdis Klangideal mit klanglichen Idiomen der Gegenwart. “ Foto: Armin Bardel Chmels Bühnenarchitektur: zwei in einem spitzen Winkel zusammengeführte, hoch aufragende Wände, die im Laufe des Geschehens auseinandergehen, quasi den Weg für Neues freimachen. Der französische Auftraggeber wünschte sich ein Musiktheater, das auf Claudio Monteverdi Bezug nimmt. Deswegen verknüpft Pascal Dusapin in seiner mehr subtilen als dramatischen Musik – für die er auf eine kleine Orchesterbesetzung, zum Teil auch Live-Elektronik setzt – ausdrücklich Monteverdis Klangideal mit klanglichen Idiomen der Gegenwart, die auch Geräusche miteinbeziehen. Diese klangflächenartige Verschmelzung schafft – wie es der Intendant der Neuen Oper Wien, Walter Koberá, am Pult seines solistisch besetzten Ensembles eindrucksvoll demonstrierte – vor allem Momente nachdenklicher Eindrücklichkeit, weniger nervige Spannung. Dem Premierenapplaus, den der für diese Erstaufführung extra angereiste und für sein bisheriges Œuvre mehrfach international ausgezeichnete Komponist entgegennehmen konnte, tat dies keinen Abbruch. Wäre es nicht auch eine gute Idee gewesen, mit diesem Stück, das die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft kritisch hinterfragt, die zu Monatsende beginnende neueste Ausgabe von „Wien Modern“ zu eröffnen? So bleibt Mozart auf der Strecke Zwei Jahre waren für die Renovierungsarbeiten am Theater an der Wien vorgesehen. Mittlerweile präsentiert sich das Haus mit einem großzügigeren Foyer und neuen Pausenräumen. Aber ganz sind die Arbeiten noch nicht abgeschlossen. Damit sind erst nächstes Jahr wieder szenische Produktionen möglich. Dennoch wollte man auf die seit Langem geplante Wiedereröffnungspremiere nicht verzichten. So entschied man sich, Mozarts „Idomeneo“ konzertant aufzuführen. Jene Oper, mit der man seinerzeit, im Jänner 2006, auch die neue Ära dieses Hauses als wiederum klassisches Musiktheater eröffnet hatte. Eine klug, die jüngere Historie dieses Musiktheaters in Erinnerung rufende Idee. Aber damit hatte es sich auch schon. Wechselte sich in der Ära Roland Geyer das Who’s who der Alten Musik am Dirigentenpult ab, so waltete diesmal mit dem hierzulande kaum bekannten Briten David Bates hier ein Interpret, der mit dieser Musik hörbar wenig anzufangen wusste. Weder stilistisch und noch weniger, was ihren Gehalt anlangt. Spannung kam kaum auf, bald dominierte Eintönigkeit. Das Spiel der Wiener Symphoniker ließ erkennen, wie wenig der Dirigent sie für seine von hektischer Gestik begleiteten Intentionen einnehmen konnte. Glücklos blieb man auch bei der Wahl der Sänger – egal ob Attilio Glasers blasser Titelheld, Emily Sierras sich zu emphatisch gebärdender Idamante, Elena Tsallagovas höhenscharfe, übersteigerte Elettra. Die für Jeanine De Bique als Illia eingesprungene Slávka Zámečníková hatte offensichtlich zu wenig Zeit, um sich für diese Herausforderung entsprechend vorzubereiten, selbst wenn sie sich im Laufe des Premierenabends steigerte. Blieb, wie so oft, wieder einmal der exzellente Arnold Schoenberg Chor als das eigentliche Ereignis dieses enttäuschenden Abends. Wäre es nicht besser gewesen, diese Wiedereröffnung zu verschieben? Passion Neue Oper Wien im MuTh, 17.10. GANZ DICHT VON SEMIER INSAYIF Poetische Entgrenzungen & explosive Sprachlust „w ir verflechten unsere Glieder für die Nacht / lösen und verknoten uns wieder / finden uns am Morgen so / ganz ineinander verwirrt“. So lauten vier Verszeilen aus dem Gedichtband „DUNKELDU“ von Valerie Melichar. Wir begleiten ein Ich als Liebende, Geliebte, als reflektierende, empfindende Frau und Mutter, im Alltag und in außergewöhnlichen Situationen eines Lebens. Kapitel 1 und 5 sind Langgedichte, die in ihren Zusammenhängen erzählende Strukturen aufweisen. In den Kapiteln 2, 3 und 4 findet man zum Teil kürzere bis mittellange Gedichte. Im ersten Abschnitt wird die Poesie einer Kennenlern- und Liebesgeschichte erfahrbar. In weiterer Folge läuft es auf eines der vielleicht extremsten subjektiven Erlebnisse hinaus, nämlich Schwangerschaft und Geburt. Da heißt es etwa: „wie viele Tage noch / bis die Welt untergeht / und eine neue anfängt?“ Die Gedichte sind alle in freien Versen und beinahe völlig ohne Interpunktion notiert, nur ganz selten tauchen Reime auf, dafür häufen sich englische Einwürfe. „… du bist meditation / singular and unpredictable“. Melichars Sprachkunst eröffnet berührende, poetisch-existenzielle Entgrenzungen, die imstande sind, durch sämtliche Zellen zu diffundieren. „alles nur weil // und später / aus trotz“, „in mir haust eine wölfin“, so lauten die jeweiligen Anfänge der ersten beiden Gedichte aus dem neuen Gedichtband „Heul doch!“ von Isabella Krainer. Und dieses Aufheulen ist Programm, ist Herz dieser aufmüpfigen, kritischen, weiblich kämpferischen Poesie und zeigt sich auf vielfältige Art und Weise in den vier Kapiteln dieses Zyklus. Auch selbstkritische Töne tauchen auf: „sisters / singen sich / keine lieder / treffen sich lieber // unverwandt // um herauszufinden / welche von ihnen / die schwächste ist“. Es sind 84 meist kurze Gedichte, ungebunden, in freien Rhythmen, mit Assonanzen, Reimen und in durchgehender Kleinschreibung notiert. Auf Satzzeichen wird vollkommen verzichtet. Es sind meist nur ein bis drei Wörter pro Verszeile, was den Charakter ihrer Schärfe und Prägnanz, im Sinne eines Aufheulens, unterstreicht und ihre Einprägsamkeit verstärkt. Die meisten Texte sind in Standardsprache gehalten, einzelne jedoch auch dialektal. In ihren präzisen, sich in viele Richtungen öffnenden Anspielungen mit oft spielerisch experimentellem Wortwitz, bewegenden menschlichen Inneneinsichten, beißendem Humor, Augenzwinkern und ernsthafter Gesellschaftskritik stellen sie explosive, ja oft unheimliche Mischungen dichterischer Essenzen dar. „ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in der Alten Schmiede (nächstes: 17.10.2024) Lyrik vor. DUNKELDU Gedichte von Valerie Melichar Edition Melos 2023 92 S., geb., € 24,– Heul doch! Gedichte von Isabella Krainer Limbus 2024 96 S., geb., € 15,–
DIE FURCHE · 42 17. Oktober 2024 Theater 19 Den ewigen Fortgang von Dummheit und Dreistigkeit zeigt Stephanie Mohrs Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“ im Theater in der Josefstadt. Von Julia Danielczyk Ein „Lehrstück ohne Lehre“ untertitelte Max Frisch sein wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstandenes Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“. Zieht man denn gar keine Lehren aus den Erfahrungen, fragt Frisch. Gibt es keine Chance, aus der Geschichte zu lernen? Seit Donnerstag ist das Stück am Theater in der Josefstadt zu sehen, Anfang des kommenden Jahres zeigt es das Landestheater Niederösterreich, und als Schullektüre hat es längst seinen festen Platz. Dass Frischs politische Parabel aus dem Jahr 1958 wieder Konjunktur hat, hängt mit gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zusammen. Wie leichtgläubig kann man sein, fragt man sich, wenn man politische Parolen allzu ernst nimmt? Und was ist mit der Verfasstheit einer Gesellschaft, die sich allerlei Unwahrheiten einreden lässt? Zugleich aber auch: Wie wehrlos ist man gegenüber Verbrechern, die offen sagen, was sie wollen? Kurz: Wo sollte man genau zuhören und hinsehen, statt vor lauter falsch verstandenem Modernismus mitzumachen? Scheuklappen der Eitelkeit Weltreligion „Opportunismus“ Dass Angst kein guter Ratgeber ist, gilt als Binsenweisheit. Dass Angst aber ein Indikator sein kann, der Gefahren anzeigt und mit Verstand überprüft werden sollte, könnte man der Binsenweisheit hinzufügen. Die Titelfigur in Frischs Stück hat nämlich zu Beginn große Angst. Herr Biedermann hat erfahren, dass sich Brandstifter in der Umgebung befinden, die sich als Hausierer tarnen, auf Dachböden einnisten und dann Häuser anzünden. Vielleicht ist die Pyromanie für den Haarwasserfabrikanten Gottlieb Biedermann nicht ganz zu verstehen, diese pure Lust an der Vernichtung, die Freude am Feuer, am Gleichmachen. Sein Unverständnis aber schützt ihn nicht vor Schaden, diesen Allerweltsmann, den „Jedermann“, wie der Brandstifter Josef Schmitz sagt. Gottlieb Biedermann ist von Frisch als kleingeistiger Durchschnittsbürger gestaltet. Wie sein Name verrät: gottesfürchtig und nach außen wohltätig, innen spießig und angepasst, eitel und gefallsüchtig, in Wirklichkeit aber ungefällig und eiskalt. An der Josefstadt spielt ihn Marcus Bluhm, dessen Erscheinung bereits auf Ungereimtheiten hinweist: Ein Glatzkopf vertreibt Haarwasser? Ein genauer Blick würde die Wahrheit ans Tageslicht bringen, nämlich dass er ein Scharlatan ist, ein Beutelschneider, nichts weiter. Doch wie der Schelm denkt, so ist er, lautet eine andere Binsenweisheit. Und so geht er selbst den Brandstiftern auf den Leim – oder vielmehr auf die Zündschnur. Ganz offen schleppen sie Benzinfässer ins Haus, klagen über den Mangel an Holzwolle und verlangen Streichhölzer von ihrem naiven Gastgeber. Als Biedermanns Frau Babette Bedenken äußert, antwortet er schlicht: „Es sind keine Brandstifter, ich habe sie selbst gefragt.“ Doch ist dieser Biedermann nicht nur ein Dummkopf, sondern vielmehr einer, der auf die Schmeicheleien der Brandstifter nicht mehr verzichten möchte und dessen Eitelkeit und Scheinmoral bestätigt werden. Er ist ein Mitläufer, der keine Entscheidungen trifft und lieber andere mit ins Verderben stößt, als selbst Haltung zu beziehen. Die „Weltreligion“ Opportunismus hat Frisch stets interessiert. Das verband ihn auch mit dem Direktor des Burgtheaters und des Zürcher Schauspielhauses Achim Benning, über den Frisch (auch in diesem Zusammenhang) sagte: „So ein Glück für Zürich, aber ob die’s merken?“ Genau jene von Frisch dargestellte Art rückhaltloser Anpassungsbereitschaft hat die beiden Künstler zeitlebens beschäftigt. Dabei gerät auch der aktuelle Direktor des Theaters in der Josefstadt ins Visier, der die Metaphorik des Feuers an „seiner Bühne“ ins Spiel bringt: Herbert Föttinger „brennt für das Theater“, entgegnete er heftigen Vorwürfen, nämlich mit Drohungen Foto: Moritz Schell In Schutt und Asche Die Warnungen bleiben ungehört. Am Ende obsiegen die Brandstifter, Biedermanns Kleingeistigkeit führt in den Abgrund. Mit Alexandra Krismer (Babette) und Marcus Bluhm (Biedermann). „ Dass Frischs politische Parabel aus dem Jahr 1958 wieder Konjunktur hat, hängt mit gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zusammen. “ und Jähzorn das Haus zu leiten. Der Schauspieler, der sich gerne selbst in Hauptrollen ins Rampenlicht setzt, musste nun einen Verhaltenskodex unterzeichnen, der respektvollen Umgang mit dem Ensemble garantieren soll. Wie dehnbar der Begriff des Respekts ist, macht Frisch deutlich: Während Gottlieb Biedermann die verbrecherischen Speichellecker willkommen sind, werden Angestellte, die ihr Recht einfordern, kalt abserviert. Regisseurin Stephanie Mohr zeichnet sowohl ihn als auch die Brandstifter recht klar als selbstgefällige, polternde Männer, dreist und dumm. Vor seinen Augen bereiten der ehemalige Ringer Josef Schmitz (Robert Joseph Bartl) und sein Pyromanen-Freund Willy Eisenring (Dominic Oley) alles für das große Feuer vor und kündigen dieses auch an. „Die Wahrheit ist immer noch die beste Tarnung“, reiben sie ihrem Quartiergeber unter die Nase. Gottliebs Ehefrau Babette (Alexandra Krismer) hingegen riecht den Braten. Sie warnt ihren Mann, der sämtliche Alarmsignale missachtet. Verbrüderung lautet seine Devise. Dem setzt Regisseurin Mohr das Wissen der Frauen entgegen: Die Figur des ohnmächtigen Intellektuellen, der vergeblich versucht, Gehör zu finden, hat Mohr mit Theresa Hübchen besetzt. Und statt schwadronierender Feuerwehrmänner, die von Heldentaten träumen, inszeniert Stephanie Mohr einen Frauenchor, der einen Prolog über die Gefahren des Rauchens auf der Bühne hält und am Ende Schutt und Asche aufräumt. Mit Albträumen und dem Nachspiel in der Hölle (eine Szene, die Frisch erst nach der Uraufführung verfasste) überhöht Mohr das Geschehen: Die Biedermanns sind in der Hölle gelandet, wo ihnen die Brandstifter als Teufel begegnen. Mit surrealen Bildern lässt Mohr dieses Stück enden, das den ewigen Fortgang von Dummheit und Dreistigkeit zeigt. Viel Applaus für ein hochaktuelles Stück. Biedermann und die Brandstifter Theater in der Josefstadt, 19., 20.10. Zerschnittene Welt. Stadt & Land 7.–10. November 2024 Krems an der Donau David Grossman, Anne Weber, Nikolaj Schultz, Lisz Hirn, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Lorena Simmel, Patrícia Melo u. v. m. Informationen und Tickets: www.europaeischeliteraturtage.at +43 (0) 2732 / 908033
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