DIE FURCHE · 11 6 International 16. März 2023 Von Jan Opielka • Warschau Da war er wieder, der hohe Gast aus den USA. Schon zum zweiten Mal innerhalb von nur elf Monaten machte US-Präsident Joe Biden auf dem Flughafen Jasionka Halt, diesmal beim Zwischenstopp auf seinem Weg nach Kiew und von dort nach Warschau. Viel Aufhebens gab es darum in der Stadt, zu der der Regionalflughafen gehört, kaum. Das Leben im 200.000 Einwohner zählendem Rzeszów ging – wie gewohnt – weiter. „Wir spüren den Krieg und spüren ihn gleichzeitig nicht, wachen jeden Tag mit dem Wissen auf, dass er nah ist, doch die Anwesenheit der Amerikaner gibt uns Sicherheit“, sagt Barbara Kędzierska, die seit einigen Jahren das lokale Online-Portal czytajrzeszow.pl betreibt, beim Gespräch mit der FURCHE. „Wir sind so eine Art polnisches Ramstein geworden – und das schafft ein Plus an Sicherheit.“ Auch wenn der Vergleich mit der deutschen US-Basis hinkt – von der Größe und Struktur der Ramstein-Basis, der Zahl des US-Personals, der technisch-militärischen Möglichkeiten –, die aktuelle Bedeutung Rzeszóws ist immens. Die Asphaltpiste des Flughafens ist mit 3200 Metern genauso lang wie die in der deutschen US-Basis. Die größten Flieger können hier landen – in den letzten Monaten sind es vor allem Transportflugzeuge, vollbeladen mit Waffen, die von hier aus in die rund 80 km östlich liegende Ukraine gebracht werden. US-Einheiten tauchten hier bereits kurz vor Ausbruch des Krieges auf, später kamen Soldaten anderer NATO-Staaten. Die Bedeutung der Stadt als Waffenhub bewog den russischen Duma-Abgeordneten Konstantin Zatolin in einer TV-Sendung Ende Jänner dazu, eine „terroristische Attacke“ zu erwägen. „Wir müssen in einer Weise agieren, dass man uns nicht demaskieren kann. Ein Angriff mit Raketen auf Rzeszów wäre zu viel. Wir können es aber so weit bringen, dass etwas explodiert“, sagte Zatolin. Auch wenn der Politiker in Russland keine bedeutende Figur ist – er spricht das Selbstverständliche aus: für verdeckte russische Sabotageaktionen jenseits der Ukraine wäre der Knotenpunkt Rzeszów logisches Ziel. US-Armee auf örtliche Hotels verteilt Das weiß auch General Tomasz Bąk, Professor an der Privat-Hochschule für Recht und Verwaltung (WSPiA) in Rzeszów. Als praxiserfahrener Militär unterrichtet er seit Jahren im Rahmen des Studiengangs „Innere Sicherheit“, bei dem Kader für Zivilverwaltung und uniformierte Dienste ausgebildet werden. „Natürlich könnte KLARTEXT Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von Jan Opielka „Waffen sind Brandbeschleuniger“ (1.2.2023) auf furche.at. Wollen Frauen nicht arbeiten? Vergangene Woche hat der Bundeskanzler unter dem Motto „Österreich 2030“ eine „Rede zur Zukunft der Nation“ gehalten. Ein zentrales Thema dabei war die Frage, wie man das Erwerbspotenzial der Bevölkerung besser ausschöpfen kann. Aber wie gehen wir dieses Ziel am besten an? Obwohl der Kanzler diese Tatsache nicht direkt angesprochen hat, liegt eines der wichtigsten Potenziale für den Anstieg der Erwerbsarbeit bei den Frauen. Laut Statistik Austria arbeitet aktuell über die Hälfte von ihnen nur Teilzeit, Tendenz steigend. Bei Frauen mit Kindern unter 15 Jahren beträgt diese Quote sogar über 70 Prozent, aber auch bei kinderlosen Frauen ist der Anteil mit 30 Prozent vergleichsweise hoch. Warum ist das so? Wollen Frauen nicht mehr arbeiten? Die Antwort liegt in der Definition von Arbeit. Laut Zeitverwendungserhebung von 2008/2009 (aktuellere Daten gibt es nicht!) leisten Frauen pro Woche durchschnittlich 27 Stunden unbezahlte Arbeit, Männer nur halb so viel. Lediglich 40 Prozent der Arbeitsstunden, die Die südostpolnische Stadt Rzeszów und ihr Flughafen sind zum Drehkreuz für westliche Waffentransporte geworden. Welche Folgen hat das für die Bewohner? Ein Ortstermin. Unscheinbar unheimlich wichtig Von Julia Mourao Permoser Frauen wöchentlich leisten, werden bezahlt. Oft ertönt in diesem Zusammenhang ein Aufruf zum Ausbau der Kinderbetreuung. Das ist in der Tat unerlässlich. Aber es gibt etwas noch Grundlegenderes, das geändert gehört: Die Männer müssen endlich im Haushalt anpacken! Oder um den Bundeskanzler zu paraphrasieren: Wer zwei gesunde Hände hat, muss diese auch benutzen, um die Toilette zu putzen und das Baby zu tragen. Denn Frauen werden erst ihr volles Potenzial in der Erwerbsarbeit ausschöpfen können, wenn Männer einen größeren Anteil unbezahlter Arbeit übernehmen. Im Übrigen schreibe ich diese Kolumne, während ich gleichzeitig das Abendessen koche und die Kinder in der Badewanne sitzen. Und danach träume ich weiter von einer Kanzler-Rede zur Zukunft der Frauen im Jahr 2030. Die Autorin ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. „Klein-Brüssel“ Rzeszów wurde ob des Krieges in der Ukraine zu einem wichtigen Treffpunkt und Waffendepot. Russland in einer Wahnsinnstat Rzeszów als erstes Objekt angreifen. Doch wir müssen uns klar machen: Moskau verfügt über Waffen, die ihm Angriffe auf das gesamte Gebiet Polens ermöglichen“, sagt er beim Interview auf dem modernen Campus. Wahrscheinlich sei ein Angriff aber nicht. „Der Kreml weiß: Jedwede Attacke könnte auch Bürger anderer Staaten treffen – und einen globalen Konflikt lostreten.“ Daher seien zwar auch in Rzeszów eine gewisse Erregung und Sorge zu sehen. „Doch ich beobachte keine besonders nervösen Handlungen, die zeigen, dass die Menschen verängstigt und paralysiert sind.“ Die ersten US-Soldaten kamen zunächst in einer riesigen Kongresshalle am Flughafen unter, inzwischen sind sie in eine eigene provisorische Basis ein paar Kilometer nördlich des Flughafens gezogen. Einige wohnen auch in Hotels der Gegend. Hoteliers und Gastro-Betriebe in der Stadt reiben sich nicht nur wegen ihnen die Hände: Medien aus der ganzen Welt, Mitarbeiter(innen) staatlicher und nicht-staatlicher Hilfsorganisationen, Vertreter der UNO und EU – gepaart mit der Rolle als Waffenhub hat die Stadt klar an Bedeutung gewonnen. „Klein-Brüssel“ nennt Bürgermeister Konrad Fiołek seine Stadt inzwischen. Lokaljournalistin Barbara Kędzierska sagt, die Menschen „empfinden tatsächlich eine Art Stolz, dass Rzeszów jetzt in aller Munde ist – auch wenn der Grund dafür ein trauriger ist.” „ Ich will nicht schlecht über Meisterwerke dramatischer Literatur aus Russland denken, nur weil ein wahnsinniger Despot sein Land in einen Konflikt mit der Welt führt. “ Direktor Nowara Dabei vermitteln das kleine zivile Passagierterminal des Flughafens oder auch die Gegend rund um den Hauptbahnhof nicht gleich den Eindruck, als gehöre Rzeszów zu den derzeit strategisch wichtigsten Städten Europas. Viele Ecken spiegeln eher provinzielle Tristesse denn großstädtische Ambitionen. Im südlichen Stadtzentrum indes stehen einige imposante Hochhäuser, einige weitere sind in Bau. Sie wirken für eine 200.000 Einwohner(innen) zählende Stadt Foto: Jan Opielka auf den ersten Blick wie eine Nummer zu groß. Auf den zweiten weniger. Die Hochschulen der Stadt mit ihren derzeit knapp 50.000 Studierenden hauchen hier fühlbar Leben ein – sie sind Kaderschmieden etwa für die im Zentrum und Umland ansässige Luftfahrtbranche. Die Arbeitslosigkeit lag Ende 2022 bei nur 4,2 Prozent – in der Region ist sie doppelt so hoch. Allenthalben werden Straßen ausgebaut, Rzeszów dürfte auch nach einem erhofften Kriegsende wichtiger Transmissionsriemen in die Ukraine bleiben. In einer Buchhandlung am historischen Marktplatz, der seit Langem hergerichtet ist, arbeitet Wanda Nowarczuk*. Um die Sicherheit macht sich die 44-Jährige keine Sorgen. „Ich denke, wir sind eine der bestgeschützten Städte des Landes“, sagt sie und verweist auf die Präsenz der Amerikaner. Ihr Stolz rührt aber auch noch von woanders: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Rzeszów im Mai 2022 mit dem Titel „Retter-Stadt“ ausgezeichnet, neben der Grenzstadt Przemyśl die einzige in Polen, wegen ihrer Verdienste bei der Aufnahme von Geflüchteten. „Die Menschen hier haben sich nicht nur direkt nach Kriegsbeginn mit den Flüchtlingen solidarisiert, sondern tun das weiterhin.“ Heute leben bis zu 40.000 ukrainische Vertriebene in der Stadt. Viele haben Arbeit gefunden, auch reguläre Wohnungen. Die Preise für Kauf und Miete von Wohnraum sind in der Stadt stärker gestiegen als in anderen Städten der Region. Bei einigen Bewohner(inne)n sorgt das für Unmut. „Wenn nun Studierende in die Stadt kommen, dann haben sie Probleme, denn die Ukrainer können sich die Wohnungen leisten und mieten sie zu höheren Preisen. Es kommen viele Flüchtlinge, die wohlhabend sind. Es ist wie immer: Es sind die Armen, die für das Vaterland kämpfen“, sagt ein Taxifahrer eher lapidar als erbost. Die Worte könnten auch von Grzegorz Braun stammen. Der landesweit bekannte Sejm-Abgeordnete des rechtspopulistischen Parteienbündnisses „Konfederacja“ hat in Rzeszów seinen Wahlkreis. Für ein Gespräch hat er keine Zeit, E-Mail-Fragen beantwortet er trotz Zusage nicht – Fragen, warum er auf Kundgebungen den „Stopp der Ukrainisierung Polens” und eine Begrenzung der Hilfen für Flüchtlinge verlange? Kein Raum für hysterische Russophobie Bis auf Weiteres agieren Braun und sein Parteienbündnis nicht nur in Rzeszów in der Nische, die Zustimmung zur „Konfederacja“ hat im ersten Kriegsjahr laut Umfragen nicht zugenommen, nennenswerte anti-ukrainische Proteste gibt es nicht. In der neuen Realität scheint aber auch kein Raum für hysterische Russophobie. Im Gegenteil: das hiesige Wanda-Siemiaszkowa-Theater führt aktuell auch zwei russische Klassiker im Programm: „Der Meister und Margarita“ des in Kiew geborenen russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Und „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow. „Ich will nicht schlecht über Meisterwerke dramatischer Literatur oder Musik aus Russland denken, nur weil ein wahnsinniger Despot sein Land in einen derart riesigen Konflikt mit der Welt führt“, sagt Jan Nowara, Direktor und künstlerischer Leiter des Theaters. Sein Haus kooperiert seit Jahren mit dem Nationaltheater von Lemberg, und Proteste gegen die russischen Werke habe es nicht gegeben, beide seien gut besucht. „Menschlichkeit wird für Kunstschaffende immer wichtiger sein als der Schrecken des gewaltsamen Konflikts, der Teil der Weltgeschichte ist.“ Am Tag nach Bidens Zwischenstopp sind etwa hundert Reisende im Passagierterminal von Jasionka. Die zwei Batterien des US-Patriot-Raketenabwehrsystems sind von hier aus nicht zu sehen. Dafür auf einem Vorfeld zwei US-Maschinen – ein Militärtransportflugzeug und eine Air-Force-Reservemaschine des US-Präsidenten. Ein Polizist sendet dezente Handzeichen: Keine Fotos, bitte! Seine Weisung wirkt seltsam halbherzig. Alles sicher hier? * Name von der Redaktion geändert.
DIE FURCHE · 11 16. März 2023 International 7 Vor zwanzig Jahren greifen US-Truppen und eine „Koalition von Willigen“ den Irak an und stürzten Diktator Saddam Hussein. Über eine schwere Fehlentscheidung, die bis zum heutigen Tag nachwirkt. Regime Change gescheitert Von Markus Schauta In den Morgenstunden des 20. März 2003 fallen die ersten Bomben auf Bagdad. 48 Stunden später sind die Koalitionstruppen 200 Kilometer weit ins Landesinnere vorgedrungen. Bei der täglichen Pressekonferenz für internationale Journalisten in Bagdads Palestine Hotel bezeichnen irakische Regierungsvertreter den raschen Vormarsch indes als Fake News. Selbst als die Journalist(inn)en am 7. April vom Hotel aus US-Panzer am anderen Tigrisufer sehen können, leugnet der Pressesprecher weiterhin beharrlich den Einmarsch der US-Truppen. Es sollte seine letzte Pressekonferenz gewesen sein. Dreieinhalb Wochen später und knapp sieben Wochen nach Beginn der Offensive erklärt George W. Bush den Krieg für beendet. Mit dem Fall Bagdads endet die fast 25-jährige Herrschaft Saddam Husseins. In Washington feiert die Regierung Bush den Sieg. Wie geplant, war die Invasion schnell und ohne allzu große Verluste (138 US-Amerikaner wurden während der Offensive getötet) verlaufen. Die Neokonservativen in der Regierung und all jene, die den Einmarsch befürwortet hatten, sehen sich bestätigt. Noch können sie den Krieg gegen den Terror, den Präsident Bush als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 ausgerufen hatte, als Erfolg verkaufen. Aggressive Ent-Baathifizierung Im Dezember 2003 stellt sich mit der Festnahme Saddam Husseins ein weiterer Erfolg ein. US-Soldaten hatten den ehemaligen Diktator in einem Erdloch nahe seiner Heimatstadt Tikrit entdeckt. Der ehemals mächtigste Mann des Irak wird am Flughafen von Bagdad inhaftiert und über mehrere Wochen von CIA und FBI verhört. Als ihn der CIA-Analyst John Nixon fragt, was seiner Meinung nach aus dem Irak werden würde, antwortet er: „... zum Schlachtfeld für alle jene, die Amerika bekämpfen wollen.“ Er sollte Recht behalten. Als Saddam Hussein am 30. Dezember 2006 gehängt wird, steckt die US-Armee bereits bis zum Hals im irakischen Nachkriegssumpf. Die Truppenzahl war von Beginn an zu niedrig angesetzt worden. Die Soldaten können das Plündern nicht verhindern, das auf den Sturz des Regimes George W. Bush im Jahr 2008 beim Besuch eines US-Armee-Camps – wenige Stunden zuvor hatte er eingestanden, dass US-Truppen ein Jahrzehnt oder länger im Irak bleiben könnten. folgt: Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser und Museen werden leergeräumt. Um den Einfluss der Baathisten zu beseitigen, leitet der US-Zivilverwalter Paul Bremer eine aggressive Ent-Baathifizierung ein. Der Baath-Partei angehörende Beamte werden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, die irakische Armee aufgelöst. Schiitische Milizen füllen das Machtvakuum, dem wiederum stellt sich sunnitischer Widerstand entgegen. Tausende der ihrer Zukunft beraubten Baathisten aus Armee und Geheimdienst schließen sich Al-Qaida und später dem Islamischen Staat (IS) an. Ihre militärische und geheimdienstliche Expertise wird ausschlaggebend sein für den Erfolg der Terrororganisationen. Als 2005 die ersten freien Wahlen stattfinden, tobt im Irak ein blutiger Bürgerkrieg. Schiitische und sunnitische Milizen kämpfen um die Macht im Staat und gegen die Besatzungstruppen. Längst sind die Nachbarstaaten in den Konflikt involviert: So nimmt Teheran Einfluss auf schiitische Parteien und finanziert deren Milizen. Damaskus wiederum erlaubt Tausenden sunnitischen Jihadisten aus aller Welt über Syrien in den Irak einzusickern. Die Sicherheitslage ist verheerend. Bombenanschläge und Selbstmordattentate stehen auf der Tagesordnung. Gleichwohl explodieren die Kosten des Irak-Einsatzes. Ein großer Teil des Geldes fließt in private Sicherheitsfirmen, die mit dem Schutz der am Wiederaufbau und der Verwaltung beteiligten Zivilisten beauftragt werden. Bald ist klar, dass die vom Weißen Haus veranschlagte Summe von maximal 200 Milliarden US-Dollar mitnichten ausreichen wird. Auch offenbaren sich weitere Ungereimtheiten: Trotz intensiver Suche können keine Massenvernichtungswaffen gefunden werden. Auch die Demokratisierung, die die US-Regierung nun als Grund für die ohne UN-Mandat durchgeführte Invasion anführt, lässt auf sich warten. Zu viele der von der US-Regierung ausgewählten Exil-Iraker entpuppen sich als ungeeignet, das Land zu regieren. Allen voran Ahmad Chalabi, einer der einflussreichsten Befürworter der US-Invasion, der 2004 wegen Spionage für den Iran verhaftet worden war. Die Bilanz: Der von Washington als „billiger Blitzkrieg“ verkaufte Einmarsch wird nach Vietnam zum zweitlängsten Krieg der US-Geschichte. Schätzungen des US-Ökonomen Joseph Stiglitz zufolge, kostete die Foto: APA / AFP / Mandel Ngan Lesen Sie auch eine Analyse aus dem Jahre 1982 von J. F. Balvany: „Versöhnung Irak-USA“ (20.5.1982); auf furche.at. „ Die ethnisch-religiösen Konflikte – durch das Proporzsystem zementiert – blieben ungelöst. Korruption und Misswirtschaft fressen den Reichtum des Öllandes. “ neunjährige Besatzung die amerikanischen Steuerzahler drei Billiarden US-Dollar. Auch in Hinblick auf die Gefallenenzahlen kann keine Rede von einer glimpflichen Konfrontation sein: Bis 2011 sind rund 4500 US-Soldaten gefallen und Zehntausende verwundet. Rund hunderttausend Soldaten kehren mit schweren psychischen Störungen aus dem Krieg zurück. Ferner verliert eine halbe Million Iraker(innen) während der achtjährigen Besatzungszeit ihr Leben – die meisten durch direkte Gewalteinwirkung wie Schüsse und Bombenangriffe. Der Abzug der US-Truppen 2011 begünstigt zudem den Aufstieg des Islamischen Staates, der ab 2014 weite Teile des Iraks kontrolliert. Es dauert drei Jahre, inklusive einer weiteren US-geführte Koalition, um das Kalifat im Irak zu zerschlagen. Milizen haben Waffen nie abgegeben Auch zwanzig Jahre nach der Invasion ist der Irak instabil. Die ethnisch-religiösen Konflikte, die nach Saddam Husseins Sturz hochkochten und durch das Proporzsystem politisch zementiert wurden, sind bis heute nicht gelöst. Politische Parteien teilen sich die Ressourcen des Staates untereinander auf. Korruption und Misswirtschaft fressen den Reichtum des Öllandes, während Millionen Menschen um ihr tägliches Überleben kämpfen. Schätzungen der Weltbank zufolge leben 22 Prozent der Irakerinnen und Iraker in Armut, ein Drittel der Jugendlichen hat keine Arbeit. Mittlerweile beherrschen Spannungen innerhalb des schiitischen Spektrums das Land. Das ist umso besorgniserregender als zahlreiche dieser Parteien militarisiert sind – Milizen, die im Kampf gegen den IS ab 2014 hochgerüstet wurden und ihre Waffen bis heute nicht abgegeben haben. Auch der IS ist nicht verschwunden und verübt weiterhin Anschläge – in manchen Monaten sind es über hundert. Der Einmarsch in den Irak war ein Zögling des von Bush nach 9/11 ausgerufenen Krieges gegen den Terror. Zwanzig Jahre später herrscht unter Experten Konsens, dass die Kritiker dieser überstürzten und eskalierenden US-Politik Recht hatten. Die Frage, ob der Irak heute besser dastünde, wäre Saddam Hussein an der Macht geblieben, ist aber unbeantwortbar. Vielleicht hätte einer seiner Söhne die Nachfolge angetreten oder aber der Diktator wäre von einem seiner Offiziere gestürzt worden. Tatsache ist: Die Invasion und der Sturz des Machtinhabers haben zu Machtverschiebungen in der Region geführt, die dem Terrorismus Auftrieb gegeben und Teheran sowie den Mullahs zu einem dominanten Einfluss im Irak verholfen haben. Die neoimperiale Idee, mittels Regime Change die liberale Demokratie westlichen Vorbilds zu verbreiten und die Welt dadurch sicherer zu machen, ist zumindest am Beispiel des Irak gescheitert. Die Zukunft der Arbeit Heute sehen wir eine von der digitalen Welt erschöpfte Bevölkerung, die sich statt mehr lieber weniger Arbeit wünscht. Und das obwohl die demografische Schere immer weiter auseinanderklafft. Nun macht sich eine junge Generation ihre eigenen Vorstellungen vom Stellenwert der Arbeit. Nicht zuletzt hat die Vollzeit-Debatte von Arbeitsminister Martin Kocher für neue Diskussionen gesorgt. Über die Zukunft der Arbeit. furche.at/chancen
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