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DIE FURCHE 16.03.2023

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DIE FURCHE · 11 22 Wissen 16. März 2023 Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Gefühle, aber echt! Er wirkt zunehmend wie ein Wink mit dem Zaunpfahl: Seit zehn Jahren wird der Internationale Tag des Glücks am 20. März gefeiert. Damit wollen die Vereinten Nationen ihre Anerkennung gegenüber Staaten ausdrücken, die Wohlstand auf eine Art messen, die über die materielle Dimension hinausgeht. Zumal sich Glück im Gegensatz zu materiellen Gütern vermehrt, wenn man es teilt. Ein spannender Befund jüngerer Studien ist die Tatsache, dass solche Gefühle oft im Netzwerk auftreten, wonach „das Glück, das wir für andere gleichsam einspeisen, direkt oder auch auf nicht mehr nachvollziehbaren Umwegen zu uns zurückkommt“, wie der Sozialmediziner Michael Kunze im Buch „Der Glückskompass“ (2021) berichtet. Der Weltglückstag soll demnach für Programme genutzt werden, die zu einem höheren Grad an Verbundenheit führen. Angesichts der Klimakrise, die nolens volens eine gesellschaftliche Umorientierung erforderlich macht, klingt das aktueller denn je. Ein wohlklingender Begriff wie „Zeitwohlstand“ bringt diese neue Orientierung gut auf den Punkt. Existenzielle Redlichkeit „ Angenommen, es gäbe die Möglichkeit, an eine ‚Erlebnismaschine‘ anzudocken, die dauerndes Glück generiert. Würden Sie dies tun? “ Yuval Noah Harari zeichnet eine andere, individualistische Version vom Glück: Den biochemischen Schlüssel zum höchsten Gefühl zu finden, hält der israelische Historiker für eines der großen Projekte des technologisch optimierten Menschen. Wenn die Natur uns bislang nur flüchtige Glücksmomente schenkt, könne man vielleicht bald mit treffsicheren Medikamenten nachhelfen. Aber abgesehen davon, dass Harari die Psychopharmakologie maßlos überschätzt – wäre das prinzipiell ein plausibler Weg? In seinem Buch „Anarchie, Staat und Utopia“ (1974) hat der Philosoph Robert Nozick folgendes Gedankenexperiment vorgeschlagen: Man hat die Möglichkeit, sich an eine „Erlebnismaschine“ anzuschließen, die einen Zustand andauernden Glücks generiert. Würden Sie dies tun? Interessanterweise fand Nozick heraus, dass die meisten Menschen sich dagegen entscheiden würden. Der Grund: Viele Menschen schreiben Glückseligkeit per se keinen besonderen Wert zu. Stattdessen sollte das Glück in einer Form von Erkenntnis, ethischer Tugend, künstlerischer Leistung oder irgendeinem anderen höheren Gut verwurzelt sein. Wir wünschen uns, kurz gesagt, dass unser Glück gerechtfertigt ist. Eine wahnhaft fixierte „Glückseligkeitsmaschine“ zu sein, ist dann doch keine so schöne Aussicht. Nozick sah darin eine Widerlegung des Hedonismus – und folgerte daraus, dass man nur glücklich sein will, wenn es echten Kontakt mit einer tieferen (oder höheren) Wirklichkeit gibt. Vielleicht, so ließe sich weiterdenken, ist ja existenzielle Redlichkeit mit dem größten Glücksgefühl verbunden. Das würde dann auch bedeuten, sich aus etwaigen Selbsttäuschungen über das Glück individuell und kollektiv zu befreien. Foto: picturedesk.com / EXPA / JFK Von Laura Anninger Ein Viertel der Erdoberfläche der Nordhemisphäre wird von Permafrost beeinflusst – also Untergrund, der mindestens zwei Jahre in Folge null Grad oder weniger hat. Wer bei dem Begriff zuerst an Sibirien denkt, irrt nicht, sind doch dort die größten Flächen. Weitere dauerhaft gefrorene Flächen finden sich in der Antarktis, Alaska, Kanada und im tibetischen Hochplateau. Doch auch in den Alpen, ab einer mittleren Höhe von 2500 Metern, gibt es Permafrost. In Österreich bedeckt er rund zwei Prozent der Staatsfläche, vor allem in den höchsten Lagen der Zentralalpen. Nachgewiesen ist er an Standorten in den Hohen und Niederen Tauern, im Dachstein-Massiv und in den Ötztaler Alpen. Wo er sich befindet, hängt von vielen Faktoren ab: dem Untergrund, der Topografie, der Exposition – und damit Besonnung – und der Temperatur. Unterwegs in den Hohen Tauern Sehen kann man ihn in den Alpen nicht. Die einzige Ausnahme sind Blockgletscher – gefrorene Schutt/Eis-Gemische, die sich langsam abwärts wälzen. Von ihnen gibt es tausende in den heimischen Alpen; seit den 1950er-Jahren verlieren sie laufend an Eismasse. Einer der größten findet sich im Dösental bei Mallnitz in Kärnten. Andreas Kellerer-Pirklbauer misst Er bedeckt fast viermal so viel Fläche wie die heimischen Gletscher – und geht im Rekordtempo verloren. Was wir bislang (nicht) über heimischen Permafrost und die gravierenden Folgen seines Rückgangs wissen. Der kalte Unsichtbare schon lange, wie er sich erwärmt und seine Geschwindigkeit verändert. Der Geograf lehrt und forscht an der Universität Graz und ist einer der versiertesten heimischen Permafrost-Experten. Seit 2006 betreibt er mit Kollegen ein Messnetzwerk im Kärntner und Tiroler Teil des Nationalparks Hohe Tauern. Forschende verwenden auch numerische Modelle, um Verteilung und Veränderung von Permafrost nachzuweisen. Diese sind aber auch nur so gut wie die Daten, mit denen man sie speist. Jene aus dem Messnetz in den Hohen Tauern helfen „ In Österreich gibt es nur zwei staatlich betriebene Messstellen. Im Gegensatz zur Schweiz fehlt bislang ein national koordiniertes Netzwerk. “ zu verstehen, was mit dem Permafrost in Zeiten der Klimakrise passiert. Deren Folgen haben die Alpen seit Beginn der Industrialisierung um zwei Grad erwärmt. „Durch das Langzeit-Monitoring kennen wir die Veränderungen in der Bodentemperatur, im Frostgeschehen und dadurch auch im Permafrost der Hohen und Niederen Tauern sehr gut. Wir sehen: Die Temperaturen ändern sich markant. Die Jahresmittel-Temperaturen und auch die Sommer-Temperaturen nehmen stark zu“, sagt Kellerer-Pirklbauer. An vielen Orten ist Permafrost allerdings unsichtbar. Dennoch degradiert er im Rekordtempo. Die Auftauschicht wird im Mittel der Jahre immer dicker. Um zu sehen, wie sich der gefrorene Untergrund darunter verändert, verwenden Forschende geophysikalische Methoden und sehen mit Bohrlöchern in die Tiefe.

DIE FURCHE · 11 16. März 2023 Wissen 23 Kitzsteinhorn Permafrost ist in den Hohen und Niederen Tauern, im Dachstein- Massiv und in den Ötztaler Alpen nachgewiesen. Eines der wenigen Bohrlöcher zur Inspektion findet sich am Kitzsteinhorn. In der Schweiz gibt es 30 Bohrlöcher an 27 Standorten. Koordiniert werden sie national und zentral im „Swiss Permafrost Monitoring Network“ (PERMOS). Diese dichte Infrastruktur ergibt sich aus der Topografie: Unter fünf Prozent der Staatsfläche liegt Permafrost. Das Abschmelzen des Permafrost-Eises und die Erwärmung von Permafrost ist in der Schweiz zudem schon lange auf der Agenda, da diese Vorgänge Siedlungen, Hütten, Straße und Seilbahnen gefährden. Hierzulande wird in Kooperationen zwischen Universitäten und Institutionen geforscht. Ein national koordiniertes Messnetz hat Österreich nicht. „Es gibt nur zwei staatlich gemanagte Messstellen im gesamten Land. Das hatte man früher nicht im Blick“, sagt der Permafrost-Forscher und Bergführer Jan Beutel. Er hat den direkten Vergleich. Nachdem er lange in der Schweiz forschte, leitet der Experte für Sensornetzwerke jetzt den Fachbereich Technische Informatik an der Uni Innsbruck und ist auch Teil von PERMOS. Die wenigen heimischen Bohrlöcher befinden sich am Hohen Sonnblick und am Kitzsteinhorn in den Hohen Tauern. Sie sind nur 25 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Die Degradation von Permafrost ist ein Effekt, der wohl kaum mehr aufzuhalten ist. „Die Wärme, die bereits im Boden ist, ist schon unterwegs. Das ist wie ein Kachelofen. Eingeheizt ist er schon“, sagt Jan Beutel. Da die Eisbedeckung der steilen Nordwände immer weiter zurückgeht, rechnet er mit mehr „Felssturzaktivitäten“: „Dazu muss der Permafrost nicht auftauen, sondern lediglich wärmer werden. Dadurch wird das Eis etwa in Klüften und Felswänden deformierbarer. Auch schon beim Annähern an das Abschmelzen können sich Felsstürze und Massenbewegungen lösen“, ergänzt sein Kollege Andreas Kellerer-Pirklbauer. Gefährdete Anstiege Passiert ist das hierzulande etwa im Jahr 2007. Vom Mittleren Burgstall, einem Berg nahe der Pasterze, brach eine Felsflanke ab. Gründe waren auch der Rückgang von Gletscher und die Degradation von Permafrost. Passieren solche Prozesse in der Nähe einer Wanderroute oder einer Hütte, kann es gefährlich werden. Geht Permafrost zurück, wird Material wie Schutt oder Geröll lose. Dieses kann etwa Wanderwege verschütten. Passiert ist das schon mehrmals beim Zustieg der Kürsingerhütte im Obersulzbachtal in den Hohen Tauern, der immer wieder verlegt wird. Im Juli 2021 mussten über 30 Menschen ausgeflogen werden. Auch die Gipfelanstiege vom Padasterjoch-Haus in einige Gipfel der Stubaier Alpen sowie Anstiege über die Pasterze sind gefährdet. Beispiele aus anderen Alpenstaaten zeigen: Auch immer mehr Berghütten sind von den Folgen des schwindenden Permafrosts betroffenen. Im Jahr 2016 schloss der Deutsche Alpenverein deswegen das Hochwildhaus in den Ötztaler Alpen. 2019 stürzte das Bivouac des Périades, welches 91 Jahre am Mount Blanc stand, ab, weil der Fels darunter durch Permafrost-Rückgang instabil wurde. Nach 127 Jahren wurde letztes Jahr auch die Mutthorn-Hütte im Berner Oberland geschlossen. Die Aussichtsterrasse drohte abzustürzen. In Österreich stehen kaum Hütten auf gefährdetem Untergrund. Dafür war ausgerechnet das Observatorium und das Zittelhaus am Hohen Sonnblick, dem wichtigsten Permafrost-Messpunkt, bedroht. Da Mitte der 2000er-Jahre der Rückgang des Permafrosts das Fundament der Infrastruktur brüchig machte, stehen beide Gebäude heute auf betoniertem Unterbau. Jan Beutel von der Universität Innsbruck geht davon aus, dass in Zukunft auch hierzulande viel alpine Infrastruktur zurückgebaut wird. Ein weiteres Problem, das sich in der Schweiz zeigt, sind sogenannte Kaskadeneffekte. Ein Beispiel für ihre Wucht ist der Piz Cengalo. Seit einem Jahrzehnt brechen immer wieder Felsen von der Nordwand des Berges im Kanton Graubünden. Im August 2017 fielen dadurch rund drei Millionen Kubikmeter Gestein auf Gletschereis, das durch die Energie des Aufpralls schmolz. Das Material führte in Kombination mit Starkregen entlang des Flusses Bondasca zu einem Murenabgang. Acht Menschen starben. Solche Kaskadeneffekte werden hierzulande noch weniger beobachtet. In Gefahrenzonenplänen kommen sie aktuell nicht vor. „ Geht Permafrost zurück, wird Schutt oder Geröll lose. Passieren solche Prozesse in der Nähe einer Wanderroute oder einer Berghütte, kann es gefährlich werden. “ Wollen wir auch in Zeiten der Klimakrise sicher in den Alpen unterwegs sein, müsste man also auch mehr darüber wissen, was sich im Untergrund abspielt. So kann man sich auf die unumkehrbaren Folgen vorbereiten: dass Permafrost mit steigender Temperatur immer weiter zurückgehen wird. Gerade für die Klimawandel-Anpassung braucht es Langzeitmessungen, wie Andreas Kellerer-Pirklbauer sie in den Hohen Tauern durchführt. „Wichtig ist zu sichern, dass man an mehreren Standorten, am besten über Österreich verteilt, standardisierte Messungen durchführt. So kann man lange Datenreihen bekommen, die dann auch klimatisch relevante Aussagen zulassen“, sagt der Forscher. Wichtig wäre, die Messnetzwerke weiter auszubauen und auf solide finanzielle Beine zu stellen. Schon 2016 resümierten Forschende dies im Langzeit-Forschungsprojektes PermAT unter der Leitung von Andreas Kellerer-Pirklbauer. Experten suchten darin Strategien, wie sich Österreich an die zunehmende Permafrost-Degradierung anpassen kann. Mit mindestens 1,5 Millionen Euro zur Implementierung und rund 200.000 Euro zum jährlichen Betrieb bezifferten sie die Kosten, um hierzulande ein mit der Schweiz vergleichbares Netzwerk zu errichten. Bis heute ist dies im nationalen Rahmen nicht passiert. „Für ein gutes Forschungsnetzwerk braucht es eine bessere Finanzierung von staatlicher Seite und eine gewisse Priorisierung von politischer Seite“, fordert deshalb Permafrost-Forscher Jan Beutel. Er selbst sucht nun den Kontakt zu Seilbahn-Betreibern. Das Ziel: Neue Messstandorte, um mehr über alpinen Permafrost zu lernen. DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Wiederaufbau Nr. 13 • 30. März Damit die Zerstörung nicht das letzte Wort hat: über den Wiederaufbau – von der Türkei über Notre-Dame bis zur Ukraine – als politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Positionierung gegen Katastrophe und Krieg. Liebe im Alter Nr. 15 • 13. April Viele ältere Menschen sind allein: Ihre Partner sterben oder sie trennen sich, neue Leute lernen sie seltener kennen. Doch die Medizin plädiert für erfüllte Beziehungen in späten Jahren und ermutigt, offen darüber zu sprechen. Pressefreiheit Nr. 17 • 27. April 2022 stürzte Österreich in den Rankings der Pressefreiheit ab. Wie stellt sich die Lage ein Jahr später dar? Was tut die Politik, was machen die Medien, um die Presse freiheit im Land zu verbessern? Wahlen in der Türkei Nr. 19 • 11. Mai Die Folgen der Erdbeben werden auch die türkischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr prägen. Steht das Ende der Ära Erdoğans bevor – oder schafft er es, die Krise für sich zu nutzen? Über ein Land im Schockzustand. Aufbruch – Abbruch Nr. 21 • 25. Mai Zu Pfingsten feiern die Christ(inn)en die „Geburt“ der Kirche. Was bedeutet dieses Fest, wenn die Kirchen leer und die Institution in der Krise ist wie selten zuvor? Welche Zukunftsszenarien gibt es? Vatertag Nr. 23 • 7. Juni 2023 Die Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gleichzeitig werden Eltern mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Was bedeutet es heute, Vater zu sein? *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Ein Ostern? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. Nr. 14 • 6. April Der Termin des Osterfests kann zwischen West- und Ostkirchen um mehrere Wochen differieren: nicht zuletzt für die Ökumene ein Ärgernis. Warum ist das so, und welche Chancen bestehen auf eine globale Einigung beim Ostertermin? 20 Jahre Lektorix Nr. 16 • 20. April Kinder- und Jugendliteratur hat nicht den Stellenwert, den sie verdient. DIE FURCHE aber zeichnet seit 2003 monatlich Bücher für Junge und Junggebliebene aus. Wir feiern das anlässlich der Leipziger Buchmesse. Aus für das Auto? Nr. 18 • 4. Mai Der Klimawandel ist Motor für die größten Veränderungen der Autoindustrie seit Erfindung des Automobils. Gibt es grünen Individualverkehr? Und wie kann individuelle Mobilität ohne kollektive Schäden funktionieren? Psyche und Therapie Nr. 20 • 17. Mai Seit der Corona-Pandemie ist die psychische Gesundheit zum Megathema unserer Gesellschaft geworden. Wie steht es um die Versorgung – und was bringt das neue Psychotherapie- Gesetz? Böses Russisch? Nr. 22 • 1. Juni 2023 Russisch ist die vierthäufigste Sprache, aus der Bücher in andere Sprachen übersetzt werden, sie ist die Originalsprache bedeutender Werke der Weltliteratur. Über die Folgen des Krieges auf die Kultur des Russischen. Adam Smiths Erbe Nr. 24 • 15. Juni 2023 Vor 300 Jahren wurde der schottische Moralphilosoph Adam Smith geboren. Er gilt als der Begründer der klassischen Nationalökonomie. Sind seine Annahmen über wirtschaftliches Handeln bis heute maßgeblich?

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