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DIE FURCHE 16.03.2023

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DIE FURCHE · 11 2 Das Thema der Woche Film in Dialog 16. März 2023 Mit der letzten Diagonale der Ära Schernhuber/Höglinger kommen die ob der Pandemie turbulenten Jahre auch für das Festival des österreichischen Films zu einem schon wieder „normalen“ Ende. Aber die jüngsten Missbrauchs- Diskussionen rund um Filme lassen – ebenso wie die gesellschaftlichen Polarisierungen – auch die heimische Film branche nicht ungeschoren. Von Matthias Greuling Redaktion: Otto Friedrich Für die aus Tirol stammende Filmcutterin Monika Willi war es die bislang höchste Ehre ihres beruflichen Schaffens: Willi, die viele Filme von Michael Haneke oder Michael Glawogger geschnitten hat, schaffte es in diesem Jahr auf die Nominierungsliste bei den Oscars, und zwar für den Filmschnitt zum Drama „Tár“ von Todd Field, das sich um eine despotische Dirigentin (Cate Blanchett) dreht. Blanchett selbst war auch nominiert, insgesamt hatte der Film Chancen auf sechs Auszeichnungen. Willi musste knapp vor der Verleihung aufgrund eines Unfalls ihre persönliche Teilnahme absagen, und am Ende ging „Tár“ völlig leer aus, weil heuer ein anderer Film die Academy begeisterte: Mit sieben Trophäen zog die Independent-Sci-Fi-Komödie „Everything Everywhere All at Once“ vom Feld. Die Höhen und die Tiefen, sie liegen im Filmgeschäft ganz nahe beieinander. Aber die Nominierung Willis hat auch gezeigt: Ein Oscar liegt für heimische Film-Kreative keineswegs in unerreichbarer Ferne. Auch, wenn es heuer mit Österreichs Preis-Hoffnung nicht geklappt hat, sind die Oscars dennoch so etwas wie der Leuchtturm fürs internationale Filmgeschäft. Da ist auch eine kleine Branche wie in Österreich schnell elektrisiert, obwohl es hierzulande nur selten darum geht, das große Einspielergebnis zu erreichen. Das ist schließlich die Prämisse der Oscars: Ausgezeichnete Filme verzehnfachen gerne ihren Umsatz an der Kinokasse oder im Strea - ming- und Home-Entertainment-Bereich. Filmkunst feiern, nicht den Kommerz Hierzulande schmückt man sich jedoch lieber mit Preisen, die die Filmkunst feiern, nicht den Kommerz. Dennoch adelt gerade der Oscar selbst Filmkunstwerke auf eine unerreichte Weise: Man erinnere sich an Michael Hanekes „Amour“, der 2013 so ziemlich jeden Filmpreis des Planeten abgeräumt hatte, inklusive der Goldenen Palme. Aber erst mit dem Oscar für Haneke (und insgesamt fünf Nominierungen) war der Erfolg perfekt – da hatte also der weltgrößte Preis für Filmkommerz ausgerechnet Hanekes Filmkunst prämiert, die von Kommerz meilenweit entfernt ist. Es ist wohl die Aura dieses Oscars, die für den alten Hollywood-Glanz steht; eine Illusion, der sich sogar die Hanekes dieser Welt nicht verwehren können und wollen. Jeder Welterfolg beginnt aber ganz woanders, nämlich da, wo man zu Hause ist. Viel wurde heuer darüber spekuliert, ob „Corsage“ es ins Oscar-Rennen schaffen würde, doch die moderne Sisi-Verfilmung von Marie Kreutzer scheiterte im Rennen an einer erstaunlich starken Konkurrenz – und nicht so sehr am kurz davor aufgekommenen Kinderpornografie-Fall rund um Florian Teichtmeister, der im Film Kaiser Franz Joseph spielt. Der Umgang mit der Causa Teichtmeister hat die ganze Branche aufgeschreckt und zu einer Debatte darüber geführt, wie und ob man die Kunst losgelöst von ihren Protagonisten bewerten kann und darf. Diese Diskussion befindet sich erst am Anfang, zumal Teichtmeisters Prozess krankheitsbedingt auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. „ Die Diagonale hat unter der Intendanz von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger ein Tor zu einer Demokratisierung des Filmschaffens aufgestoßen. “ Am 14.3.2019 erklärte Ludwig Wüst seine Art des Filmemachens, nachzulesen unter „Im ‚Alkoholiker- Manta‘“ auf furche.at. Die Diagonale bringt Österreichs kleine Filmbranche wieder in Graz zusammen. Sie ist auch ein Ort, der eine Familie eint. Eine Familie, deren Mitglieder gar vom Oscar träumen dürfen. Oscar ist keine Utopie mehr Ein zweiter Fall hat die Filmbranche im Herbst aufgerüttelt, als man Ulrich Seidl vorwarf, Kinder am Set beim Dreh zu seinem Film „Sparta“ schlecht behandelt zu haben. Seidls Karriere hat Schaden genommen, die genauen Umstände der Dreharbeiten wurden nicht wirklich geklärt, der Film wird auch bei der diesjährigen Diagonale zu sehen sein, ehe er im Mai in den Kinos anläuft. Ein Nachgeschmack bleibt. Die Lehren aus diesen beiden Fällen liegen auf der Hand: Auch und gerade beim Film, wo Menschen lange Zeit zusammen auf engstem sozialen Raum miteinander verbringen, ist es nötig, genaue Regeln für den Umgang miteinander zu erlassen, ähnlich einer Hausordnung in einem Internat. Freiwillige Selbstkontrolle ist nach wie vor kein Instrument der Wahl. Von den verstörenden Ereignissen zurück zu Österreichs filmender Kulturszene: Das Schöne am österreichischen Film ist, dass er nie seine Wurzeln vergessen hat, Goldene Palmen hin, Oscar her. Das zeigt auf erfrischende Weise jedes Jahr die Diagonale in Graz, wo man heuer einen besonderen Abschied feiert – vom Intendanten-Duo Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger (siehe Interview rechts). Den beiden ist in den vergangenen acht Jahren gelungen, woran einige Vorgänger gescheitert sind: Die Diagonale zu einem echten Branchenevent zu machen, bei dem man auch das Gefühl hat, alte Freunde zu treffen. Die offene Form, die Schernhuber und Höglinger etabliert haben, sie muss dieser Filmschau erhalten bleiben, wenn nach der heurigen Ausgabe die Geschicke in die Hände von Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar übergeben werden. Die familiäre Atmosphäre muss bestehen bleiben. Feuerwerk filmischer Kleinode Indes schickt sich die Diagonale 2023 an, noch einmal ein Feuerwerk der heimischen Filmkunst-Kleinode zu werden, was sich schon anhand des Eröffnungsfilms „Das Tier im Dschungel“ von Patric Chiha gut ablesen lässt: Darin sinnieren Anaïs Demoustier und Tom Mercier jahrzehntelang in einem Nachtclub von einer Sehnsucht, die immer auf sich warten lässt und niemals wirklich in ihre Leben tritt; ein Film wie ein Schwebezustand zwischen Melancholie und Vergänglichkeit, im Musikteppich zwischen Disco und Techno, komponiert zu samtweicher Eleganz. Ein Film, der mehr Zustand ist als Erzählung, und damit die Aura des österreichischen Films ziemlich gut umreißt, im Sinne der Frage: Was kann Kino sein, und wie weit darf es gehen? Es gibt kaum eine wagemutigere Filmszene als die österreichische. Auch diesen Beweis tritt die Diagonale an: Ludwig Wüst ist einer der radikalsten Erzähler der Branche, und in Graz wird man ihm Tribut zollen mit einem Spezialprogramm der Reihe „In Referenz“. Wagemutige Filmszene Auch Goran Rebić rollt man den Teppich aus, ebenso wie der wunderbaren Margarethe Tiesel, die bereits zur Eröffnung mit dem Großen Diagonale Schauspielpreis ausgezeichnet wird. Auch ihr fehlte es nie an Wagemut, und gerade deshalb ist sie der schlüssige Schlusspunkt in der Ära Schernhuber/ Höglinger, die stets auch auf die wenig ausgetretenen Filmpfade abseits der staatlich geförderten Filmakademie-Abgänger geachtet hat. Sich dem Besonderen, das außerhalb des österreichischen „Mainstream“ steht, zu widmen, auch das erfordert Wagemut, den das Intendanten-Duo mit breitem Lächeln aufgebracht hat. Die Diagonale hat so über die letzten Jahre ein Tor zu einer Demokratisierung des Filmschaffens aufgestoßen: Es kann einem Film, der mit wenig Budget und ohne die Fördergelder des Österreichischen Filminstituts oder diverser Landesförderungen gedreht worden ist, heute niemand mehr so ohne weiteres absprechen, ein österreichischer Film zu sein. Es können heute auch Menschen Filme drehen, die keine einschlägige, akademische Herkunft haben, die bis vor wenigen Jahren noch Quasi-Bedingung war, als Filmemacher überhaupt anerkannt zu werden. Im besten Sinne ist der österreichische Film heute unterwegs in eine Richtung, die ihm die Diagonale als Plattform auch mitgegeben hat: Vom Oscar zu träumen, das muss keine Utopie mehr sein. Foto: Ludwig Wüst I Am Here Markus Schramm in Ludwig Wüsts „I Am Here!“, der auf der Diagonale seine Premiere feiert. Wüst zeigt einen Mann und eine Frau, beide ca. 50, die nach jener Stelle suchen, wo sie vor sehr langer Zeit etwas vergraben hatten. Ein verschüttetes Trauma bricht so auf ...

DIE FURCHE · 11 16. März 2023 Das Thema der Woche Film in Dialog 3 Der Höhepunkt der Amtszeit war ungeplant: Aber dass die Diagonale nach dem Lockdown 2020 wieder in die Kinos zurückkehren konnte, war für die beiden Intendanten dann doch eine Offenbarung. Ein Gespräch über Österreichs Film am Vorabend der Diagonale 2023. „Wollen Stimmen in Dialog setzen“ Das Gespräch führte Otto Friedrich Welt brennt, und ihr geht ins Kino?“ Diese süffisante Frage, von Peter Schernhuber im FURCHE-Antritts- „Die interview 2016 gemeinsam mit Sebastian Höglinger gestellt , ist anno 2023 um nichts weniger relevant. Im Gegenteil: Die Zeitläufte erscheinen noch prekärer und das Intendanten-Duo der Diagonale, das heuer zum letzten Mal an der Spitze des Festivals österreichischer Filme in Graz steht, konnte sich nicht nur eigene Wünsche erfüllen, sondern musste die Pandemie mit der Totalabsage der Diagonale 2020 und das langsame Wiederauferstehen des Festivals danach schultern. Heuer findet das Filmfest wieder zu den „alten Konditionen“ statt. DIE FURCHE: Als Sie Ihre Intendanz begonnen haben, war Österreich in einer politisch polarisierten Situation – Stichwort Migrationskrise. Heute ist die Lage noch gespannter. Welchen Einfluss hatte das auf den Film? Peter Schernhuber: Gerade der österreichische Dokumentarfilm ist ja nicht nur Seismograf gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, sondern hat sich auch immer als Akteur verstanden. Das hat historisch damit zu tun, dass er vielfach eng mit sozialen Bewegungen einherging. Zudem sind neue Perspektiven hinzugekommen, was auch mit der Veränderung der Gesellschaft insgesamt zu tun hat. Die Filmschaffenden sind globaler unterwegs, vernetzter, haben unterschiedliche soziale Hintergründe und familiäre Bindungen. Das ist auch auf der Leinwand sichtbar. DIE FURCHE: Ein Booster der Polarisierung war die Pandemie, die natürlich die Diagonale ganz massiv betroffen hat. Sebastian Höglinger: Wir wurden im März 2020 wirklich kalt erwischt, als wir das Festival eine Woche vor Start absagen mussten. Im ersten Moment gab es zunächst das Gefühl einer gewissen Solidarität, dass man geschaut hat: Was lässt sich retten? Letztlich ist ja die gesamte Kinobranche in einen Wirbel geraten, wobei im Speziellen für die Filmproduktion auch relativ schnell Hilfsmaßnahmen da waren. Aber was wir schon stark gespürt haben und nach wie vor spüren, ist die Veränderung der Rhythmen, der Routinen: Wann gehen Filme ins Kino? Wo werden Filme überhaupt noch gesehen? Wo erreicht man das Publikum? Wie kommt es wieder zurück? Da können natürlich Festivals durch ihre zugespitzte Form der Rezeption möglicherweise Rückenwind geben. Es fällt mir aber schwer zu sagen, dass die Krise vorbei ist. DIE FURCHE: Ist durch die Pandemie etwas verloren gegangen? Schernhuber: Das knüpft an die sehr präsente Rede von der Polarisierung und der Spaltung an: Die wird eigentlich gern als Faktum hingenommen. Da läuft man schon Gefahr, es sich zu bequem zu machen in der Vorstellung, dass die Gesellschaft gespalten ist und wir versöhnen müssen, wie es in den politischen Reden heißt. Vielleicht haben wir generell verlernt, zur Kenntnis zu nehmen, dass man immer in Widersprüchen lebt und dass es einer Gesellschaft darum geht, diese Widersprüche zu thematisieren. Gesellschaften sind dann resilient, wenn sie in der Lage sind, unterschiedliche Meinungen zuzulassen und Meinungsverschiedenheiten auch als Bereicherung zu sehen. In der Pandemie war sehr stark die Tendenz vorhanden: Es gibt eine richtige Sichtweise – und auf die sind alle einzustimmen. Das halte ich für fatal. DIE FURCHE: Haben Sie das auch bei der Planung eines Festivals wie der Diagonale im Hinterkopf? Schernhuber: Man kann natürlich darüber diskutieren, wie heterogen und vielstimmig die österreichische Filmbranche überhaupt ist. Aber natürlich ist der Versuch da, unterschiedliche Stimmen in Dialog zu setzen – das war auch immer schon ein Stück weit der Anspruch der Diagonale. Höglinger: Letztlich kann man aber nicht alles abdecken und teilweise sind die Meinungen dann doch sehr ähnlich: Man bewegt sich in seinen Bubbles. Da wirklich auszubrechen, ist nicht immer leicht. Generell ist es fast unmöglich, alle Ecken des österreichischen Filmschaffens in einer Festivalwoche nebeneinander und möglichst gleichwertig zur Aufführung zu bringen. Aber es sollte der Anspruch sein. Wir haben uns immer vorgenommen, die Diagonale „in der Mitte“ anzusetzen. Deswegen haben wir auch versucht, die vermeintlichen Gräben zwischen dem „Kunstfilm“ und dem „Publikum“ aufzubrechen. DIE FURCHE: Im Programm der diesjährigen Diagonale findet man sogar einen Film von Franz Antel, bislang ein No-Go – „Casanova & Co.“ aus 1977, der im Rahmen der Marisa-Mell-Retrospektive läuft! Höglinger: Gerade in einer historischen Kontextualisierung des österreichischen Filmschaffens ist es fast notwendig, solche Filme zur Aufführung zu bringen. Man lässt sich ja tatsächlich am besten in verschiedenen Perspektiven auf diese Schauspielerin ein. Das Referat für Frauen und Gleichstellung in Graz liest diese Reihe beispielsweise und vollkommen zu Recht ganz dezidiert feministisch – obwohl Mell eine Schauspielerin war, die mehrheitlichen in leichten und schlüpfrigen Geschichten agierte. DIE FURCHE: Die Filmbranche war zuletzt weniger künstlerisch im Gerede, sondern mit den Verhältnissen beim Filmemachen. Die Regisseurin Katharina Mückstein hat da die #metoo-Debatte in Österreich eingemahnt. Es hat dann die Diskussion um Ulrich Seidl und die Verhältnisse am Set von „Sparta“ gegeben. Und dann ist der Fall Teichtmeister gekommen. Inwieweit spielen diese Diskussionen für Ihre Arbeit eine Rolle? Schernhuber: Ganz zentral und massiv, weil die Diagonale natürlich auch der Ort ist, wo die Filme, die da diskutiert werden, aufeinandertreffen und in einem Verhältnis zueinander stehen, und das Festival immer auch ein Platz ist, um die kulturellen und politischen Rahmenbedingungen zu besprechen. Fragen von Macht und Machtmissbrauch sind in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt. Und so sind sie auch in der Mitte der Diagonale, in der Mitte der österreichischen Filmbranche zu finden. Es ist nichts, was an den Rändern stattfin- „ Wir haben uns vorgenommen, die Diagonale ‚in der Mitte‘ anzusetzen. Deswegen haben wir versucht, vermeintliche Gräben zwischen dem ‚Kunstfilm‘ und dem ‚Publikum‘ aufzubrechen. “ Sebastian Höglinger det und was man jetzt einfach verdrängen könnte. Zentral erscheint uns, die medial präsenten Fälle auch individuell zu betrachten. Denn der Fall Teichtmeister ist natürlich in keiner Weise mit der Auseinandersetzung um Ulrich Seidls „Sparta“ vergleichbar. DIE FURCHE: Aber sie betreffen auch die Rezeption der jeweiligen Filme. Der Film „Corsage“, in dem Florian Teichmeister mitspielt, wird zurzeit im Kino nicht gezeigt (auf der Diagonale läuft er sehr wohl). Da haben viele daran intensiv mitgearbeitet, deren Arbeit nun „verschwindet“. Schernhuber: Das wird man fürs Erste als gegeben nehmen müssen. Aber diese Zuspitzung auf die Gladiatorenfrage – Daumen rauf, Daumen runter – verkürzt die Auseinandersetzung. Für uns war es von Anfang an wichtig, dass wir uns Zeit nehmen zu recherchieren, zu reflektieren und das Gespräch mit jenen zu suchen, die hier fachkundiger, erfahrener und versierter sind – im Fall von „Corsage“ etwa mit Lesen Sie das Diagonale- Antrittsinterview von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger vom 3.3.2016 auf furche.at. Foto: © Diagonale/Sebastian Reiser Zwei Intendanten Sebstian Höglinger (li.) und Peter Schernhuber stehen seit 2015 an der Spitze der Diagonale. Zuvor leiteten sie das Jugend-Medien- Festival YOUKI in Wels. Kinderrechtsexpertinnen und -experten. Da haben wir sehr schnell gemerkt, dass dieses reflexhafte Wegdrängen – statt Kontexte schaffen wollen – vielleicht auch etwas sehr „Österreichisches“ ist. In dem Sinne geht es dann auch immer um den Umgang mit dem Skandal. DIE FURCHE: Dies ist nun Ihre achte und letzte Diagonale. Gibt es etwas, was Sie als Höhepunkt benennen würden? Höglinger: Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil es acht so ungewöhnliche Jahre waren – mit einem großen Loch in der Mitte. Dass wir dann 2021 wieder ins Kino zurückkehren konnten – mit verschärften Maßnahmen, aber trotzdem mit einem Team, das weiterarbeiten und dem Festival treu bleiben wollte, obwohl wir 2020 absagen mussten – dieser Zusammenhalt war für mich wahnsinnig schön. Das ist kein klassischer Höhepunkt und es fällt mir auch schwer, das überhaupt in Worte zu fassen: nicht einfach durchzutauchen, sondern gemeinsam wieder aufzutauchen. Das fand ich schon emotional sehr interessant. DIE FURCHE: Aber gab es nicht auch einen filmischen Höhepunkt? Höglinger: Da war gewiss im Vorjahr die Eröffnung mit Kurdwin Ayubs „SONNE“: Wir haben Ayub sehr lange begleitet, auch schon in Wels beim Jugend-Medien-Festival YOUKI, wo sie als ganz junge Filmemacherin in den Wettbewerben war. Wir durften sie ihre ganze Karriere hindurch begleiten, bis hin zum Encounters-Wettbewerb auf der Berlinale, wo „SONNE“ einen Preis bekommen hat. Dass sie dann den Eröffnungsfilm auf der Diagonale stellte, hat auch biografisch gesehen berührt und war ein inhaltliches Highlight. DIE FURCHE: Das war 2022: Kurdwin Ayub wurde zum neuen Stern am österreichischen Filmhimmel, der das Lebensgefühl einer jungen Generation zwischen den Kulturen in Szene gesetzt hat. Heuer eröffnet die Diagonale mit Patric Chihas „Das Tier im Dschungel“: Das ist ganz anders … Schernhuber: Patric Chiha arbeitet ja in Paris und der Film ist auch in französischer Sprache. Aber die Einladung zur Diagonale soll zeigen, dass man hier in Österreich seine Arbeit wahrnimmt und diese auch schätzt. Es ist ja etwas Großartiges, wenn österreichische Filmschaffende international reüssieren. Der Film wurde teilweise in Wien gedreht und wäre ohne das Mitwirken der österreichischen WILDart FILM und der österreichischen Schnittmeisterin Karina Ressler nicht denkbar gewesen. Der Film ist sehr musikalisch, der Soundtrack stammt vom Wiener Dino Spiluttini und ist auch die dramaturgische Leitlinie durch die Jahre von 1979 bis 2001, die Zeitspanne, die dieser Film zum Thema hat. Bei Patric Chiha sieht man diese Verknüpfungen, die uns stark ein Anliegen waren – und zwar nicht nur die Frage: Was ist der österreichische Film? Sondern auch: Wo findet der österreichische Film statt? In unserem Antrittsjahr haben wir plakativ gesagt, der österreichische Film finde nicht nur zwischen Boden- und Neusiedlersee statt. Chihas Film kann so auch als Hinweis verstanden werden, dass österreichischer Film vielleicht doch nicht immer Deutsch oder Wienerisch spricht, sondern vielsprachig ist.. Höglinger: Der Film ist ein wahres Popkulturkaleidoskop. Vor allem ist es ein europäischer Film: Es ist schon unser Anliegen, darauf hinzuweisen: Die Diagonale findet in Graz statt. In Österreich. In Europa. In der Welt.

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