DIE FURCHE · 10 9. März 2023 Diese Darstellung wird weder der Person Küberl in seinem letztwöchigen Gastkommentar besteht darin, den ORF Jahren 1933–1938 war Graf als Direktor des noch den zeitlichen Umständen gerecht. In den in die Lage zu versetzen, seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht treter einer Berufsgruppe. Der Ausdruck „Aus- Kärntner Bauernbunds primär Interessenver- zu werden. Dabei geht es dem Autor um die finanziellen Möglichkeiten. Der öffentlich-recht- Begriff und dürfte daher nicht unkommentrofaschismus“ ist ein ideologisch umkämpfter liche Auftrag beinhaltet aber noch ein anderes tiert verwendet werden. (Da das autoritäre Regime entscheidende Merkmale des Faschismus Gebot, nämlich jenes nach Objektivität – oder zumindest das Bemühen darum. Dieses ist mit nicht beinhaltete, hat sich das „Haus der Geschichte Österreich“ bewusst für den Ausdruck keinem monetären Aufwand verbunden, sondern erfordert bloß die Sorgfalt, die man als „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“ entschieden. Konsument erwarten darf. Nur dann wird es Eine Dokumentation in ORF III über diese Zeit eine entsprechende Akzeptanz für welches trägt den Titel „Kanzlerdiktatur“.) Wie sehr Finanzierungsmodell auch immer geben. Leider lassen manche ORF-Redakteure genau diese besondere Verantwortung vermissen, zu der sie in einem öffentlich-rechtlichen Medium verpflichtet sind. Ein Beispiel aus dem Radioprogramm von Ö1, für das der ORF den Anspruch, Kultursender zu sein, geradezu wie eine Monstranz vor sich herträgt, mag dies verdeutlichen. Problematisch sind natürlich nicht Mychalewicz Von Paul die Musiksendungen, die sich weithin großer Beliebtheit erfreuen, sondern vielmehr die Sprechsendungen. Dabei geht es vor allem um die erweiterten Nachrichtenprogramme, „Journale“ genannt, aber auch die Magazine. Das Ziel: Denunzierung Das „Morgenjournal“ befasste sich unlängst mit der Umbenennung einer Kärntner Bundesheerkaserne. Diese war bisher nach Generalmajor Alois Windisch benannt, sollte aber aufgrund des Vorwurfs von Kriegsverbrechen gegen ihn einen neuen Namen erhalten. Der in dem Beitrag als Namensgeber Vorgesehene war Ferdinand Graf von der nationalsozialistischen der erste Verteidigungsminister der Zweiten Diktatur als Gegner eingestuft wurde, lässt sich Republik (1956–1961), Ferdinand Graf (ÖVP). daraus ableiten, dass er von 1938 bis 1940 in Gestapohaft sowie in den Konzentrationslagern Das Setting verhieß eine seriöse Abhandlung des Themas, nämlich ein Interview (von Stefan Kappacher, Anm.) mit einem als Experten In seiner politischen Tätigkeit in der Zwei- Dachau und Flossenbürg verbringen musste. präsentierten Historiker (Florian Wenninger, ten Republik war er von 1945 bis 1956 Staatssekretär im Innenministerium, wo er gegen Anm.). Rasch wurde aber klar, dass das Ziel in der Denunzierung Grafs als ungeeignet für die Ende der Besatzungszeit diskret die B-Gendarmerie als Vorstufe für das neue Bundes- Namensgebung bestand. Die Botschaft: Graf war „Austrofaschist“, sein „Pluspunkt“ KZ-Aufenthalt wird ihm aber gestrichen wegen der gen waren, zeigte sich kurz danach im Oktober heer aufbaute. Wie wichtig diese Vorbereitun- Gespräche, die er nach 1945 mit ehemaligen 1956 während des Aufstands in Ungarn und Nationalsozialisten führte. seiner Niederschlagung durch sowjetische Truppen. Die Bundesregierung machte damals unmissverständlich klar, dass Österreich seine Grenzen verteidigen werde. Diese Fakten hätte man in einem öffentlich-rechtlichen Medium erwarten dürfen. Aber so sehr die tendenziöse Darstellung des Radiobeitrags irritiert, so wenig überrascht sie: Manche ORF-Journalisten bemänteln ihre politische Schlagseite mit dem Pochen auf ihre Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit in der Berichterstattung. Das Redaktionsstatut darf aber kein Freibrief für Willkür in Sendungsbeiträgen sein. Selektive Wahrnehmung? Mit Recht gab es zuletzt öffentliche Kritik nach dem Bekanntwerden von mehreren Fällen politischer Einflussnahme auf Redakteure, wobei auch hier die Selektivität in der Wahrnehmung und in der Berichterstattung darüber auffällig war. Während die Vorgänge in Niederösterreich in epischer Breite ausgewalzt wurden, flackerten Hinweise zu Kärnten nur kurz auf und verschwanden rasch wieder. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. So gewinnt man den Eindruck, im ORF funktionieren wie in einem Staat die checks and balances nicht (mehr). Von keinem Redakteur wird verlangt, dass er seine politische Gesinnung an der Garderobe abgibt. Sehr wohl aber kann ein unverrückbares Berufsethos erwartet werden. Hörer und Seher haben Anspruch auf Berichterstattung nach bestem Wissen und Gewissen. Sie wollen nicht mit Agitation belästigt werden. Im geschilderten Beispiel werden viele Hörer nicht gleich gemerkt haben, inwiefern der Beitrag tendenziös ist. Schließlich kann man nicht mit allen geschichtlichen und politischen Ereignissen hinreichend vertraut sein. Aber irgendwann fällt auf, dass bestimmte Journalisten immer wieder in dieselbe Richtung argumentieren und sich jeweils die Interviewpartner aussuchen, die ihnen ins Konzept passen. Doch gerade in der aktuellen Diskussion sollten sie das vielleicht noch vorhandene Vertrauen nicht leichtfertig verspielen. Der Autor ist Historiker und Anglist sowie Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Wien. a gibt es dieses legendäre Foto: eine Familie vor dem Brandenburger Tor, auf der Ostseite Berlins. Die Aufnahme stammt als eine der Ersten Kaja Kallas setzte aus dem Jahr 1988. Damals war Kaja Kallas elf Jahre alt, und Hebel für Waffenlieferungen an die ihr Vater hatte appelliert: „Atmet tief ein. Hier weht die Luft der Freiheit zu uns herüber.“ Eine Anekdote, die von Estlands Premierministerin gern und oft erzählt wird. Die Perestroika Gorbatschows habe Bei der Parlaments Ukraine in Gang. seinerzeit den Sowjetbürgern Reisen ins sozialistische Ausland erleichtert. Kallas Eltern hatten die Chance ergriffen und fuhren mit wurde ihre Partei wahl in Estland Tochter und Sohn so nahe gen Westen wie nur möglich. stärkste Kraft. 33 Jahre später wird Kaja Kallas als erste Frau in der Geschichte Estlands zur Ministerpräsidentin gewählt. Ein Amt, das ihr einigermaßen vertraut gewesen sein dürfte – auch ihr Vater Siim Kallas hatte es zwischen 2002 und 2003 inne. Zeitmäßig allerdings steht die Tochter hilfe an die Ukraine geleistet und über 60.000 Vertriebene aufgenommen. Eine Linie, an der Regierungschefin Kallas weiter festhalten will. längst länger an der Spitze Estlands. Vor einer knappen Woche ging die heute 45-Jährige mit ihrer proeuropäischen Reformpartei bei der Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse erklärte sie: „Wir müssen in Parlamentswahl erneut als klare Siegerin hervor. Eine zweite Amtszeit unsere Sicherheit investieren, unser aggressiver Nachbar ist nicht verschwunden und wird auch nicht verschwinden, also müssen wir da- scheint Kallas so gut wie sicher. Beobachter begründen ihren Erfolgskurs vor allem mit ihrer Haltung zum russischen Angriffskrieg. Während andere europäische Staatschefs Anfang 2022 noch auf Russland dass Estlands (rund 1,3 Millionen Einwohner) Wort am Tisch der EU mit arbeiten.“ Kallas’ politischer Mentalität sei es auch zu verdanken, einzureden versuchten, setzte Kallas bereits erste Hebel für Waffenlieferungen an die Ukraine in Bewegung. Die Gefahr eines Krieges sei es aus Brüsseler Diplomatenkreisen. Die Luft der Freiheit im eigenen inzwischen das gleiche Gewicht habe wie jenes größerer Staaten, heißt „real“, sagte sie fast einen Monat vor Kriegsbeginn. Mittlerweile hat Land atmen, diese Handlungsmaxime scheint Kaja Kallas strikt zu Estland mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Militär- verfolgen und bereits in der Kindheit geprägt zu haben. (bqu) Von Brigitte Quint tille Reserve. Eine grauenhafte Begrifflichkeit. Es heißt, sie sei weiblich. Wenn ich sie höre oder lese, läuft in meinem Kopf ein Film ab. Ich sehe Männer. Mittleren Alters. In dunkelblauen Anzügen. Sie sitzen an einem Konferenztisch, diskutieren. Über den Arbeitskräftemangel. So finde das Unternehmen X keine Mitarbeiter mehr. Ebenso das Unternehmen Y. Auch Z tue sich schwer. Vor dem Meeting hat jemand mit jemandem vom AMS gesprochen, gefragt, warum es keine Bewerber schicke. Das Profil der Arbeitssuchenden passe nicht zu X, Y, Z, war ihm erklärt worden. Zu gering qualifiziert. Was nun? Die Analyse eines ökonomischen Forschungslabors wird aufs Tablet gebracht. Dort heißt es, dass Jahr für Jahr tausende Mädchen maturieren, studieren und danach mit ihren Magistern, Mastern oder Bachelorabschlüssen abtauchen. Ins Familienleben. Sie könnten was. Theoretisch. Aber es fehle an Selbstvertrauen, um einer richtigen Arbeit nachzugehen. Das wiederum wäre für X, Y, Z der Jackpot. Diese Heimchen sind dankbar. Und unaufdringlich. Und vor allem fleißig. Einfluss, Macht, ein CEO-Posten – mitnichten streben sie danach. Das wäre auch anmaßend. Die big jobs sind ohnehin besetzt oder längst anderen big boys versprochen. An solche eben, die den Kopf frei haben; in deren Superhirnen keine Quälgeister herumschwirren, die für Schularbeiten lernen müssen, krank werden oder in den Ferien eine Betreuung brauchen. Stille Reserve. Sie ist weiblich und DIE Antwort auf den Arbeitskräftemangel. Still, tüchtig, ohne Begehr. Das gefällt den Männern in meinem Film. Jetzt müssen sie nur noch die fleißigen Lieschen herauslocken aus ihrem Nest. Dieser Punkt kommt auf die Agenda. Klappe zu. Einen aufgelegten Elfmeter zu verschießen, kann schon mal passieren. Aber den Schuss auf Dauer zu verweigern, ist doch ein bisschen grenzwertig. Die Kanzler partei mag in der Dauerkrise sein, den „Menschen da draußen“ mögen Rekordinflation, explodierende Mieten und sonstige Folgen der „Zeitenwende“ um die Ohren fliegen, und die SPÖ verharrt in einem kuriosen Gegenprogramm: dem dolce far niente. Nun gut, die Roten halten eine lukullische Tradition in Ehren, in der man den Barolo zu schätzen weiß – aber wird dolce vita reichen, um in stürmischer Zeit den „Führungsanspruch“ zu stellen? Immerhin ist man jetzt in die Gänge gekommen und tritt zwar nicht mit neuen Ideen, dafür aber mit einer alten Personaldebatte an die Öffentlichkeit. Doch die Frage, ob der hantige Hans Peter Doskozil der bedächtigen Pamela Rendi- Wagner das Ruder aus der Hand nehmen soll, gleicht der Wahl zwischen verschiedenen Schlaftabletten. Um endlich aufzuwachen, empfiehlt sich der Blick nach Italien: Dort zeigt die designierte Vorsitzende des Partito Democratico gerade, was Politik mit „Peperoncino“ bedeuten kann – mit Charme, aber gegen Meloni. Vielleicht hat ja Elly Schlein ein feuriges Rezept parat? Martin Tauss DIE FURCHE · 11 16 Forum 16. März 2023 DIE FURCHE EMPFIEHLT Literatur und Wein FESTIVAL 2023 lädt Literatur & Wein unter dem Generalmotto „Identität. Zugehörigkeit. Verortung.“ internationale wie heimische renommierte Lesegäste ins Stift Göttweig, in die Artothek Niederösterreich und ins Literaturhaus NÖ. Die Eröffnung des Festivals bestreitet der 2012 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Schriftsteller Liao Yiwu. Literatur & Wein Literaturhaus NÖ 20. bis 23. April www.literaturundwein.at Evangelisches Erinnern TAGUNG Vom 19. Bis 21. April findet die wissenschaftliche Tagung „evangelisches:erinnern“ in Wien statt. Diese Tagung widmet sich der aktuellen Forschung zu und Diskussion von evangelischen Erinnerungskulturen im deutschsprachigen Raum. Thematisch liegt der Fokus insbesondere auf der Zeit von den Weltkriegen bis in die Gegenwart. evangelisches:erinnern Albert Schweizer Haus 19. bis 21. April www.ash-forum.at Europa in Szene FESTIVAL „Gedankenfreiheit“ ist der rote Faden, der sich diesen Frühling durch alle Formate des Festivals „ Europa in Szene“ seit 2. März bis 2. April in Wiener Neustadt zieht. Eröffnet wird mit Václav Havels „Audienz“, gefolgt von einer Neuinterpretation von Schillers „Don Karlos“. Die „Nach(t)gedanken“ bilden den zweiten Akt jeder „Audienz“- Vorstellung. Europa in Szene Wiener Neustadt bis 2. April 2023 www.wortwiege.at IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Aus der Seele gesprochen Das Virus, das bleibt Von Doris Helmberger, Nr. 9, Seite 1 Mit Ihrem Leitartikel sprechen Sie mir wieder einmal voll aus der Seele! Ich freue mich sehr über die Entwicklung der FURCHE, in der so viel Kritisches, Nachdenkliches, Informatives und Erfreuliches zu lesen ist. Raphaela Keller via Mail Spaltungs-Virus ausrotten wie oben Ihre Einstellung zu diesem Thema macht mich traurig. Je tiefer die Gräben, desto stärker wird der Hass und das Unverständnis auf beiden Seiten sein. Deshalb ist es das Gebot der Stunde, dieses Virus der Spaltung ein- für allemal auszurotten und aufeinander zuzugehen, wenn wir in Zukunft in Frieden zusammenleben wollen. Waltraud Fritz Kärnten Vertiefung der Gräben? wie oben Nach der Lektüre des Leitartikels scheint mir das Virus, das bleibt, die Ausgrenzung zu sein. Ich bin sehr irritiert darüber, wie hier nach Vertiefung der Gräben gerufen wird. Und welch indirekte Verharmlosung der Geschichte, wenn Herrn Kickls verfehlte Wortwahl „senile Mumie“ die Chefredakteurin an „dunkle Zeiten“ denken lässt. Dr. Stephan Hofinger 6080 Igls Corona-Besserwisser wie oben sowie Austritt aus dieser Kirche Leserbrief von Renate Müller Nr. 7, Seite 16 Zur Aufarbeitung der Corona-Zeit ruft der Bundeskanzler zur Versöhnung auf. Die Neunmalklugen wissen im Nachhinein alles besser – nicht nur in der FPÖ. Frau Dr. Müller bedauert in ihrem Leserbrief, dass am Höhepunkt der Pandemie kein einziger Priester Widerstand geleistet hätte gegen das Betretungsverbot in den Krankenhäusern usw. und die Sterbenden ohne priesterlichen Beistand gehen mussten. Dazu muss man sagen: 1. Kam das Verbot nicht von der Kirche, sondern vom Staat (strengster Lockdown). 2. Angesichts der Fotos mit den endlosen Leichenzügen in Norditalien zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufzurufen, ist wohl sehr jenseitig. Die Grundregel ist: Alles ist aus dem zeitlichen Kontext zu verstehen – auch die Diskussion um die Impfpflicht 2021. 2023 sind alle klüger. Pfarrer Karl Niederer Pfarre St. Anna-Gösting 8051 Graz „Tendenziöse“ Redakteure? ORF: Keine Agitation auf unsere Kosten! Von Paul Mychalewicz Nr. 10, Seite 15 Den Vorwurf, ORF-Redakteurinnen und -Redakteure seien „tendenziös“ oder hätten eine „politische Schlagseite“, weisen wir zurück. Er entkräftet sich auch von selbst, wenn er sich – wie hier — auf Aussagen eines Wissenschafters im ORF bezieht. Dr. Martin Biedermann ORF-Unternehmenssprecher 1136 Wien in wesentliches Anliegen von Franz E PORTRÄTIERT Die Luft der Freiheit als Maxime D Foto: Privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Foto: APA / AFP / Ludovic Marin Diskurs Der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF umfasst auch das Objektivitätsgebot. Mit tendenziösen Beiträgen droht man das noch vorhandene Vertrauen zu verspielen. Ein Gastkommentar. ORF: Keine Agitation auf unsere Kosten! „ Manche ORF- Journalisten bemänteln ihre politische Schlagseite mit dem Pochen auf ihre Unabhängigkeit. “ Zweierlei Information S QUINT- ESSENZ Klappe – zu (lassen) ZUGESPITZT Roter Peperoncino Die andere Art zu fliegen Von Johannes Schmidl und Das Kreuz mit der Kurzstrecke von Martin Tauss Nr. 9, Seiten 22–23 15 Diese beiden Artikel geben ein schönes Beispiel ab, wie verschieden man Informationen lesen kann. Im Artikel von Johannes Schmidl steht, dass der CO2-Ausstoß der globalen Fliegerei dem von Japan gleichkommt, was einen Ausstoß von einer Milliarde Tonnen entspricht. Dazu kommt die jährliche Steigerung um 2,5 Prozent. Im Artikel „Das Kreuz mit der Kurzstrecke“ hingegen wird dieses Thema so kommentiert: „Wir sollten sehr realistisch mit solchen Maßnahmen (nämlich dem Verbot von Kurzstreckenflügen) sein, denn der Flugverkehr trägt nur drei Prozent zu den weltweiten Emissionen bei.“ Diese drei Prozent sind aber offensichtlich eine Milliarde Tonnen! Für mich bedeutet ein Anteil von drei Prozent in Bezug auf den weltweiten CO2-Ausstoß auf jeden Fall viel! Karl Wagner 2362 Biedermannsdorf Geistvolles Wirken Auch im Abschied bleibt die Nähe Von Heinz Nußbaumer Nr. 8, Seite 14 „Journalist sein gehört zu den schönsten Berufen der Welt“, dessen ist sich Heinz Nußbaumer nach langjähriger Herausgeberschaft der FURCHE gewiss. Mit viel Herzblut und geistiger Auseinandersetzung hat er seinen Beruf als Berufung in einer herausfordernden Zeit gelebt. Immer wieder postuliert Heinz Nußbaumer: „Ohne Dialog geht es nicht.“ Feindbilder müssen mühsam abgebaut werden gegenüber fremden Kulturen, Religionen, Andersdenkenden, ... Ich bin dankbar für seine wichtige und gewichtige Stimme in einer vielfältigen, aber auch zerrissenen Gesellschaft. Unvergesslich bleibt sein Erfahrungsschatz, den er uns aus den vielen Begegnungen mit Präsidenten, Patriarchen, Mönchen vom Berg Athos, Imamen, den Begegnungen mit Jugendlichen, Kinderdorfbewohner(inne)n, ... nahe gebracht hat. Ich freue mich, dass DIE FURCHE auch weiterhin im Blätterwald der Printmedien den Wert und die Würde des Menschseins hoch halten wird. In großer Dankbarkeit für das geistvolle Wirken von Heinz Nußbaumer. Mag. Josef Lehenauer Eugendorf Wertvoll Beim Fasten aus dem Vollen schöpfen. Von Martin Tauss Newsletter „Lesestoff fürs Wochenende aus dem FURCHE- Navigator“, 24. Februar Herzlichen Dank für diese so wertvolle Sendung! Dr. Ingeborg Reinprecht Mödling Hinweis: Unsere Mittwochs- und Freitagsnewsletter mit Artikel-Empfehlungen aus der aktuellen Ausgabe und dem FURCHE-Navigator können Sie unter furche.at/newsletter abonnieren. Die Österreichischen Lotterien sind als Sponsor der Kategorie „Entdeckung“ mit an Bord. „Romy“- Newcomer gesucht Die Verleihung der „Romy“ ist alljährlich der emotionale Höhepunkt der Film- und Medienbranche, der Gewinn der begehrten Statuette quasi wie ein Lotto Sechser für die Preisträger:innen. Emotionen wecken und gewinnen – das sind auch bei den Spielen der Österreichischen Lotterien die zentralen Inhalte. Und so haben die Österreichischen Lotterien heuer die Patronanz für die Kategorie „Entdeckung männlich/weiblich“ übernommen. Seit 1990 werden die beliebtesten Schauspieler:innen und profiliertesten TV-Journalist:innen im Rahmen einer glanzvollen Gala mit dieser prestigeträchtigen Statuette ausgezeichnet. Auch heuer sind wieder zahlreiche ORF-Stars unter den Nominierten in neun Kategorien. Und auch wenn nicht aus jedem Talent ein Star vom Format einer Romy Schneider werden kann, ist es wichtig, gerade den Newcomern eine Bühne zu bieten. Wer letztendlich das Rennen macht, entscheidet das Publikum. Noch bis 19. März können Stimmen auf www.kurier.at/ romy abgegeben werden. Die Gala zur Verleihung der „Kurier Romy“ findet am Samstag, dem 22. April 2023 in der Wiener Hofburg statt und ist ab 21.10 Uhr auf ORF 2 zu sehen. Wer die Romy in Händen halten darf erfahren wir am 22. April 2023 Foto: © Kurier / Romar Ferry IN KÜRZE RELIGION ■ Neue Zölibatsdiskussion RELIGION ■ Segen für Homosexuelle REILIGION ■ Nicaragua bricht mit Vatikan GESELLSCHAFT ■ Therapie für Kinder gefordert Papst Franziskus hat in Interviews eine Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester nicht ausgeschlossen. Auch heimische Bischöfe nahmen dazu Stellung. So betonte der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl, Zölibat und Ehe seien gleichermaßen wertvoll. Ähnlich äußerte sich Feldkirchs Bischof Benno Elbs. Kardinal Christoph Schönborn meinte im ORF, dass es in Österreich zahlreiche verheiratete katholische Priester gibt, die einer katholischen Ostkirche angehören, wo der Zölibat nicht für alle Priester verpflichtend ist. Schönborn wörtlich: „Das ist sicher kein dramatisches Thema und darüber wird geredet und kann auch weitergeredet werden.“ Bei der letzten Vollversammlung des Synodalen Wegs in Deutschland (vgl. auch Seite 11) wurden mit einer Zustimmung von 80 Prozent der kirchliche Segen für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht. Allerdings stimmten 20 der 58 Bischöfe dem Text nicht zu. Die nötige Sperrminorität von einem Drittel der Bischöfe wurde dennoch nicht erreicht, da die meisten sich der Stimme enthielten. Rom reagierte irritiert auf den Beschluss: Ortskirchen könnten keine Entscheidungen treffen, die die Weltkirche betreffen, sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in Rom. Der Vatikan werde nun den Dialog mit den deutschen Bischöfen fortsetzen. Nicaragua hat die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl gekappt. Grund ist ein Interview von Papst Franziskus, in dem er Nicaragua und das sandinistische Regime mit kommunistischen Diktaturen und dem Nationalsozialismus verglich. Papst Franziskus hatte dem argentinischen Portal Infobae gesagt, der Umgang des Regimes mit dem zu einer langen Haftstrafe verurteilten Bischof Rolando Alvarez erscheine ihm so, als wolle man die „kommunistische Diktatur von 1917 oder die Hitler-Diktatur von 1935 hierherbringen“. Er könne die Führungsfigur in Nicaragua nur für eine unausgeglichene Person halten, so Franziskus. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Österreich hat sich durch die Pandemie weiter verschlechtert. Das zeigen Daten zur internationalen HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children Study) sowie Auswertungen der Beratungshotline „147 ‐ Rat auf Draht“. Birgit Satke, Leiterin der Notrufnummer 147 warnt vor gefährlichen Entwicklungen. Die Auswirkungen der derzeitigen Energiekrise und die damit verbundene Armutsgefährdung vieler Familien seien in der aktuellen Auswertung noch nicht berücksichtigt. Sie fordert den Ausbau niederschwelliger Beratungsangebote und von Therapieplätzen.
DIE FURCHE · 11 16. März 2023 Geschichte 17 Gegen den Strich Mit klugen Zeichnungen und Texten im Stil einer Graphic Novel ergänzt der Illustrator Lenz Mosbacher die Ausstellung, die sich offenem Streik und stiller Gegenwehr widmet. Von Christian Jostmann uns a Würschtl und a Bier – und mir wer’n niemals rebellier’n“: Was die „Gebts Simmeringer Band Rotzpipn beim FM4-Protestsong- Contest 2012 über Österreich im allgemeinen sang, gilt es nicht besonders für das weite Land jenseits der Wiener Stadtgrenzen? Von wegen! Wie aufsässig dieses Land sein kann, bekamen die Regierenden in Niederösterreich am 29. Jänner 2023 zu spüren. Dabei hatten sie es beileibe nicht an Fürsorge für die eigenen Leute fehlen lassen. Kaum ein Land war so großzügig in der breitflächigen Verteilung von Subsidien an sein von Pandemie, Teuerung und anderer Unbill gebeuteltes Volk wie Niederösterreich. Doch an den Urnen blieben diesmal viele den Dank schuldig. Widerstand und Gegenwehr Wie groß das Panoptikum an Protest bewegungen in Niederösterreich in den letzten 175 Jahren war, zeigt das Haus der Geschichte in St. Pölten in seiner aktuellen Schau „Aufsässiges Land“. Lauffeuer der Proteste Die Protestwahl vom 29. Jänner ist kein Thema der diesjährigen Sonderausstellung „Aufsässiges Land. Streik, Protest und Eigensinn“ im St. Pöltener Haus der Geschichte. Sie beginnt mit der „Revolution“ von 1848, die Österreichs Bauernschaft die Befreiung von der Erbuntertänigkeit bescherte, und endet bei der „Besetzung“ der Hainburger Au 1984, einem Markstein der österreichischen Umweltbewegung. Dazwischen erzählt die Ausstellung eine Reihe spannender Episoden aus gut hundert Jahren Aufbegehren und Unbotmäßigkeit im Land Niederösterreich. Wer auf der Mariazeller Straße durch das Städtchen Traisen fährt, kann nicht das große Stahlwerk übersehen, das sich zwischen den bewaldeten Hängen des Tales erstreckt. Aber wer weiß schon, dass hier einst 86 Tage lang einer der brutalsten Streiks der Habsburgermonarchie ausgefochten wurde? Die „Fischer’sche Weicheisenund Stahlgießerei“ in Traisen gelangte 1894 in Besitz des Wiener Industriellen Alfred Edler von Lenz, der sie zu einem florierenden Rüstungsbetrieb ausbaute. 1905 belieferte Lenz das von Japan bekriegte Russland mit Granathülsen. Seine Arbeiterschaft, die sich binnen zehn Jahren vervielfacht hatte, entlohnte er schlecht, woraufhin 400 Arbeiter in den Streik traten. An Lieferverträge gebunden, lenkte der Fabrikant scheinbar ein. Doch umgehend ließ er in Ungarn und Kroatien mehrere hundert Streikbrecher anwerben und mit der Bahn nach Traisen verfrachten, wo ein massives Militäraufgebot seine Werkhallen schützte. Ausgesperrt und entlassen, mussten die Streikenden mit ihren Familien das Weite suchen. Dass die streikenden Arbeiter 1905 den Kürzeren zogen, schreibt Co-Kurator Martin Prinz auch deren Wiener Genossen zu. Fixiert auf politische Kompromisse, so sein Verdacht, habe die Sozialdemokratie Victor Adlers den Arbeitskampf in Traisen nur mangelhaft unterstützt. Dieselbe Kritik formuliert Prinz in einem anderen Kapitel der Ausstellung: dem „Jännerstreik“ von 1918. Der nahm in den Daimler-Motorenwerken Wiener Neustadt seinen Anfang und griff wie ein Lauffeuer auf andere Länder der vom Krieg ausgezehrten Monarchie über. Schließlich standen rund 750.000 Arbeitskräfte der Rüstungsindustrie in Streik, viele davon Frauen. Sie protestierten gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen und forderten das Ende des Krieges. Womöglich hätten sie ihr Ziel sogar erreicht, wenn die sozialdemokratische Führung in Wien die Streikbewegung nicht gespalten und ausgebremst hätte – so bis heute die linksradikale Lesart der Geschichte. Den alten Vorwurf „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ ausgerechnet hier, bei den ländlichen Antipoden des „Roten Wien“, wiederzufinden, ist nicht ohne Pikanterie. Stille Formen des Protests Nun sind Streiks von Industriearbeitern, auch wenn sie in Traisen oder – um andere in der Ausstellung präsentierte Beispiele zu nennen – 1896 in Neunkirchen oder 1978 im Traiskirchener Semperit-Werk ausbrechen, nicht typisch für „den ländlichen Raum“. Es wäre auch sehr verkürzt zu sagen, dass in diesen Kämpfen „das Land“ gegen städtische Eliten, seien es Kapitalisten oder Parteifunktionäre, aufbegehrt hätte. Denn die hier protestierten, zählten ja nicht mehr zur urwüchsigen Landbevölkerung. Die kommt in der Ausstellung auch vor, etwa in Gestalt von Sai- „ Den alten Vorwurf ,Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!‘ ausgerechnet hier wiederzufinden, ist nicht ohne Pikanterie. “ Foto: Lenz Mosbacher sonarbeiterinnen, Dienstboten und Wilderern. Die Aufhebung des adligen Jagdprivilegs war eine zentrale Forderung der „Revolution“ von 1848 gewesen, über die ja auch gesagt wurde, „dass die Hasen und Rehe ursprünglich mehr Teil an der Volkserhebung hatten als die politischen Ideen“. Doch das Jagdpatent von 1849 band die Ausübung der Jagd de facto an Großgrundbesitz. Wilderer protestierten dagegen, indem sie trotzdem auf die Pirsch gingen, und wurden dafür mitunter zu „sozialen Rebellen“ stilisiert. Eher heimlichen Protest übten auch Mägde, Knechte sowie Tagelöhnerinnen und Tagelöhner: die einen, indem sie einfach „entwichen“ oder sich in der Speisekammer des Dienstherrn schadlos hielten, die anderen etwa durch Tachinieren. Solche „stillen“ Formen des Protests werden in der Geschichtsforschung mit dem Begriff „Eigensinn“ beschrieben. Die Isolation ländlicher Arbeitskräfte, bei den häufig im Ausland rekrutierten Tagelöhnern durch Sprachbarrieren verstärkt, erschwerte damals wie heute die Organisation von offenem Widerstand gegen Ausbeutung in diesem Sektor. Dagegen war der bäuerliche Mittelstand seit Ende des 19. Jahrhunderts bestens organisiert. So konnten Bauern, nicht einverstanden mit Kreiskys Agrarpolitik und ein größeres Stück vom wohlfahrtsstaatlichen Kuchen einfordernd, auf ihren Traktoren 1971 den Verkehr in Wien lahmlegen. Von der Traktordemo gibt es TV-Bildmaterial, vom Semperit-Streik und aus der Hainburger Au ebenfalls. Doch sonst sind anschauliche Dokumente ländlichen Aufbegehrens offenbar rar gesät. Das Kuratoren-Team um Christian Rapp hat aus der Not eine Tugend gemacht, indem es den Zeichner Lenz Mosbacher engagierte. Seine klugen Illustrationen im Stil einer Graphic Novel füllen den Raum, der sonst mangels materieller Überreste leer geblieben wäre. Auf Pappe gezogen und als Mobiles aufgehängt, wirken sie auf den Besucher wie ein Wald, dessen dichter Baumbestand allerdings ein wenig den Blick auf die brachliegenden Felder in Niederösterreichs Protestlandschaft verstellt. Wo sind die renitenten Bauern? Was man sich in einem „aufsässigen Land“ alles hätte erwarten können, in der Ausstellung aber nicht findet: renitente Bauern, die 1848 wie anderswo im Deutschen Bund ihre Grundherren festsetzen; Landarbeiter, die sich zu Gewerkschaften zusammenschließen wie um 1900 in Spanien; Widerstand gegen die Diktatur des Ständestaats ab 1934. Endlich die Protestkultur der „neuen sozialen Bewegungen“, die seit den 1970er Jahren in Westeuropa zum Alltag gehört: Demonstrationen für die Rechte von Frauen, von Homosexuellen, gegen Militarismus, Ausländerhass und Neonazismus ... – gab es nichts davon in diesem Land? Eine mögliche Erklärung für die Brachen bietet das Intro der Ausstellung. Es ist dem oberösterreichischem Bauernaufstand von 1595/97 gewidmet, der auch das Mostviertel ergriff und von Adel und Kirche blutig niedergeschlagen wurde. Das mag lange her erscheinen, aber wenn man die Holzschnitte betrachtet, die Axl Leskoschek für den 1953 erschienenen Roman „Schwert in des Bauern Hand“ des Göstlinger Autors Franz Xaver Fleischhacker schuf, dann begreift man, wie tief sich die Erfahrung feudaler Gewalt in das Gedächtnis des Landes eingegraben hat. Aufsässiges Land Streik, Proteste und Eigensinn Haus der Geschichte Niederösterreich Bis 21. Jänner 2024 www.museumnoe.at
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