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DIE FURCHE 16.03.2023

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DIE FURCHE · 11 14 Diskurs 16. März 2023 AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Doris Helmberger und Wolfgang Machreich Nr. 2/12. Jänner 2006 NACHRUF Nachdenken über Logik, Ethik und das Nichts „So wie ein leises Blubbern“ Entscheidet unser Gehirn, bevor wir uns bewusst entschieden haben – wie die Tests von Benjamin Libet aus dem Jahr 1979 beweisen? Und ist der „freie Wille“ damit widerlegt? Keineswegs, meinte der Philosoph Ernst Tugendhat 2006. Im FURCHE-Interview sprach er über „Verantwortung“ – und wünschte sich eine Begründung von Moral ohne Gott. DIE FURCHE: Herr Professor Tugendhat, was würden Sie Hirnforschern wie Wolf Singer oder Gerhard Roth entgegnen, die behaupten, mit hirnphysiologischen Experimenten bewiesen zu haben, dass der freie Wille nicht existiert? Ernst Tugendhat: Ich würde sie fragen, wie sie das Problem des freien Willens verstehen. [...] Die Hirnforscher haben einfach zwei Dinge kombiniert: erstens die Forschungen von Benjamin Libet, wo bestimmte Zusammenhänge zwischen Wollen und vorausgehenden Gehirnveränderungen – so wie ein leises Blubbern – nachgewiesen wurden; und zweitens eine sehr viel globalere Behauptung, die auf der Überzeugung basiert, dass wir, wenn wir determiniert sind, also abhängig von inneren oder äußeren Ursachen, nicht frei seien. [Doch] „Willensfreiheit“ [ist] gerade nichts frei Schwebendes und sie widerspricht auch dem Determinismus nicht. [...] Es wäre vernünftiger, dieses Wort überhaupt zurückzustellen. Das zentrale Wort ist eher Verantwortlichkeit. Sie ist es ja auch, die wir etwa im Strafrecht brauchen. Die Voraussetzung dafür, dass wir jemanden zur Rechenschaft ziehen, ist ja, dass sein Handeln und Wollen eine bestimmte Struktur hat. [...Das] nennt man Zurechnungsfähigkeit. [...] Unter „Nachdenken über Ethik“ hat Nikolaus Halmer am 5.3.2020 Ernst Tugendhat zum 90. Geburtstag gewürdigt; siehe furche.at. Foto: picturedesk.com / dpa / Fritz Fischer Es war der schlimmstmögliche Moment in einem Journalistinnenleben: Da hat man soeben mit einem der größten Denker der Gegenwart gesprochen, will das Gesagte am Aufnahmegerät abhören – und berührt irrtümlich die Taste Erase. Doch Ernst Tugendhat war nicht nur ein kluger, sondern auch ein freundlicher Mensch: Ohne zu tadeln, war er bereit, das Interview einfach zu wiederholen (s. li.). Die Duldsamkeit dieses Mannes, der „täglich Blumenkohl“ zu essen pflegte, kontrastierte freilich mit der Schärfe seines Denkens. 1930 als eines von fünf Kinder einer jüdischen Industriellenfamilie in Brünn geboren, wuchs er in Ludwig Mies van der Rohes legendärer „Villa Tugendhat“ auf und kam (nach der Flucht der Familie nach Venezuela) bereits früh in Kontakt mit Martin Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit“. Es beeindruckte ihn tief. So studierte er nach dem Krieg in Stanford und dann Tübingen, wo er seine Habilitationsschrift über „Wahrheit“ bei Heidegger und Husserl verfasste. Angesichts des „Geraunes“ reifte aber das Bedürfnis nach Klarheit, das ihn schließlich zur analytischen Philosophie führte. 1966 wurde Tugendhat Professor in Heidelberg, 1975 folgte er seinem Freund Jürgen Habermas ans Starnberger Max-Planck-Institut und von 1980 bis 1992 wirkte er an der Freien Universität in Westberlin. Zunehmend beschäftigten ihn Fragen der Ethik und der Begründung von Moral, er selbst engagierte sich in der Friedensbewegung. Später dachte er über das Verhältnis von Egoismus und Mystik nach – und zuletzt 2006 „Über den Tod“: „Wer zu seinem gelebten Leben ‚Ja‘ sagt, tut sich leichter beim Übergang ins Nichts“, schrieb Ernst Tugendhat. Am 13. März ist er 93-jährig gestorben. (Doris Helmberger) DIE FURCHE: Sie haben sich lange mit der möglichen Begründung von Moral beschäftigt [...] Welche Rolle spielt in diesem Konzept das Gewissen? Tugendhat: Ich neige dazu, das Phänomen des Gewissens aufzubauen auf dem Gefühl des Schuldbewusstseins, das komplementär ist zum Empörungsgefühl der anderen. Ich weiß, dass viele Leute denken: Wir haben so eine innere Instanz, und es kommt darauf an, dieser inneren Instanz – egal ob sie göttlich begründet ist oder nicht – zu folgen. Das kann aber zu schrecklichen Dingen führen. [...] Auch Hitler ist irgendeiner inneren Instanz gefolgt. [...] DIE FURCHE: Was würden Sie einer gläubigen Person sagen, für die eine religiöse Begründung bindend ist? Tugendhat: Ich würde fragen, ob sie meint, dass das moralisch Gute gut ist, weil Gott es geboten hat – oder dass Gott es gebietet, weil es gut ist. Wenn die Person den zweiten Weg einschlägt, würde ich ihr sagen: Dann musst du eigentlich das Gutsein – unabhängig von dem, dass Gott es gebietet – definieren können. Wenn hingegen das Gebot nur darauf beruht, dass irgendein Wesen mich sonst bestraft, dann haben wir es mit dem alten Abraham-Problem zu tun. In der jüdisch-christlichen Tradition wird Abraham ja als großes Vorbild hingestellt, weil er ein moralisches Gebot – nämlich niemanden zu töten, schon gar nicht die eigenen Kinder – übertreten hätte, weil es sein Gott gebietet. Diese für uns heute sehr fragwürdige Geschichte bedeutet, dass man den Gehorsam einem Wesen gegenüber höher stellt als das Moralische. Außerdem: Was ist das für ein Gott, der so etwas fordert? Ein böser Gott. Einem religiösen Menschen würde ich also raten, die Moral nicht-religiös zu begründen: Erstens, weil die religiöse Begründung eine andere voraussetzt; und zweitens, weil wir uns heute innerhalb einer Gemeinschaft bewegen, die nicht mehr durch einen einzigen Glauben bestimmt ist. Wir Menschen wollen uns ja über alle Grenzen hinweg verständigen können. Auch moralisch. Lesen Sie hier den ganzen Text: Lehnen Sie sich ruhig aus dem Fenster! ERKLÄR MIR DEINE WELT Liebe Frau Hirzberger! Hubert Gaisbauer Publizist Ich bin recht froh, dass Sie auf meine Eröffnung unserer Dialog-Kolumne handfest geantwortet haben. Keine Scheu! Lehnen Sie sich ruhig aus dem Fenster, wenn’s nicht zu hoch liegt! Am besten wär’s: auf gleicher Höhe mit der aufgehenden Sonne, die sich in Ihren geöffneten Fensterflügeln spiegelt und mir sagt: Steh auf, Alter, der Frühling ist da! Bevor ich heute Philanthropisches (vulgo „Gutmenschliches“) schreibe, noch eine Replik auf Ihr kluges Contra: Dass die Sprache lebendig bleiben muss und wachsen soll, ist auch mir klar. Ich leide nur unter dem Wildwuchs, dem sie so oft überlassen ist. Es geht doch um den gepflegten Schnitt, der dauert zwar etwas länger, als wenn man unter vor- geblichem Zeitdruck den gerade gängigsten Code verwendet. Manchen sind ja „liebe Grüße“ in einem Mail gerade drei Buchstaben wert: mlg. Das ist achtlos und widerlich. Als Untergangspropheten abgekanzlert „ Papst Franziskus, ein ,alter weißer Mann‘ – noch dazu ganz weiß angezogen –, stärkt mir den Rücken, wann immer ich an jener Gemeinschaft zu (verz)zweifeln beginne, der ich zugehörig bin. “ Nun will ich aber konstruktiv nachdenken, was an Gutem zu „meiner Welt“ gehört, die ich Ihnen „erklären“ möchte. Eins auf alle Fälle: den Jungen den Rücken zu stärken! Zum Beispiel wenn sie sich für unsere Mitwelt ins Zeug legen. Und dafür – vor der imposanten Panoramaglaswand im 35. Stock eines Fortschrittspalastes – als Untergangspropheten abgekanzlert werden. Vor der Pandemie habe ich mich einige Male an den Zukunftsfreitagen unter die Jungen gemischt, mit einem Taferl, auf das ich Laudato si’ gemalt hatte. Ja, zu meiner Welt gehört eine kontaktfreudige und ermutigende Solidarität mit den Jungen. Meine Frau kann das Gespräch-Pflegen besser als ich – und über alle möglichen Grenzen hinweg. Ich habe unseren Enkelinnen dafür gerne – oft tagelang – Adalbert Stifter vorgelesen. Auch das kann den Rücken stärken! Oder wenn wir mitsammen in Ausstellungen gegangen sind. Das erklärt nicht die Welt, schafft aber Zugang zu ihr, Liebe vielleicht. Es gibt eine Zeile in einem Bachmann-Gedicht, die ist mir ein heiliger Vers: „Erklär mir, Liebe!“ – Jetzt schicken uns die Enkelinnen WhatsApps aus den Museen irgendwo in der Welt. Um in „meiner Welt“ zu bleiben: Ich will nicht übergehen, dass es in dieser Woche zehn Jahre sind, dass ein „alter weißer Mann“ – noch dazu ganz weiß angezogen – Papst geworden ist. Er stärkt mir den Rücken, wann immer ich an jener Gemeinschaft zu (ver)zweifeln beginne, der ich zugehörig bin und die vor zweitausend Jahren „Der Weg“ genannt worden ist. Ich weiß natürlich nicht, wie Sie darüber denken. Wo doch gerade in der Frauenfrage „das Ziel der Gleichberechtigung trotz Mut und Ausdauer“ (wie Sie schreiben) „nicht erreicht“ ist. Und ich fürchte: In der katholischen Kirche wird dies so schnell nicht sein. Da steht auch Franziskus, vielleicht nicht ganz freiwillig, mehr auf der Bremse als auf dem Gaspedal. Dennoch ist er – samt all seinen Schwächen – der Exorzist unserer Gleichgültigkeit den Problemen der Welt gegenüber – und ein Verkünder der Achtsamkeit auf alles, was noch blüht auf dieser Welt. Und zwar nicht nur im Frühling. Ich freue mich auf Ihre Antwort! Herzlich, Ihr Hubert Gaisbauer Den gesamten Briefwechsel zwischen Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. 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DIE FURCHE · 11 16. März 2023 Diskurs 15 Die harsche Kritik von Paul Mychalewicz in der letzten FURCHE am ORF und dem „Robert- Hochner-Preis“-Träger Stefan Kappacher ist unfundiertes Ressentiment. Eine Erwiderung. Journalismuskritik braucht Faktenbasis In seinem letztwöchigen Gastkommentar hat sich Paul Mychalewicz einen – ja: einen – „Morgenjournal“-Beitrag eines Redakteurs herausgegriffen, um zu behaupten, „mit tendenziösen Beiträgen“ drohe der ORF „das noch vorhandene Vertrauen zu verspielen“. Selbst wenn dieser eine Beitrag nicht objektiv gewesen wäre, berechtigte er zu keiner Verallgemeinerung. Aber weshalb war er denn nicht objektiv? Es ging um einen Bericht über die Umbenennung einer Bundesheer-Kaserne. In einer Kommission wurde der Vorschlag kontrovers debattiert, eine bisher nach dem Kriegsverbrecher Alois Windisch benannte Kaserne künftig nach dem ersten Verteidigungsminister der Zweiten Republik, Ferdinand Graf, zu benennen. „Rasch wurde aber klar, dass das Ziel in der Denunzierung Grafs als ungeeignet für die Namensgebung bestand“, unterstellt Mychalewicz. Er behauptet: „Graf war ,Austrofaschist‘, sein ,Pluspunkt‘ KZ-Aufenthalt wird ihm aber gestrichen wegen der Gespräche, die er nach 1945 mit ehemaligen Nationalsozialisten führte.“ PORTRÄTIERT Xi Jinpings rechte Hand Foto: Privat fe, also um 2000 Zeichen mehr als der Radiojournalist im „Morgenjournal“. Hier alle relevanten Informationen unterzubringen, ist ein kleines journalistisches Kunststück. Jeder einzelne Beitrag in der tagesaktuellen Berichterstattung – darunter fallen rundfunkrechtlich die Ö1-Journale – muss übrigens nicht alle Aspekte abdecken, besonders wenn es ohnedies zum Thema an mehreren Tagen Berichte gibt. Mit ein paar Rechercheklicks hätte Mychalewicz in der Medienberichterstattungsdatenbank „APA defacto“ das prüfen können. Er wäre auf zumindest einen weiteren Ö1-Bericht zum Thema gestoßen, vom gleichen Journalisten gestaltet und ebenfalls im „Morgenjournal“, bereits zwei Tage früher gesendet. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Fritz Hausjell „ Da hat jemand entweder keine Ahnung von den Axiomen eines freien Journalismus – oder er will sie schwächen. “ Dieser zweite Beitrag hebelt übrigens folgende finale Kritik von Mychalewicz vollends aus: „Aber irgendwann fällt auf, dass bestimmte Journalisten immer wieder in dieselbe Richtung argumentieren und sich jeweils die Interviewpartner aussuchen, die ihnen ins Konzept passen.“ Ein harter Vorwurf, der auch auf den Historiker Florian Wenninger gemünzt ist. Allerdings war er nicht der einzige Gesprächspartner, im Beitrag werden auch Auskünfte seitens des Verteidigungsministeriums referiert. Im ersten Beitrag zur Kasernen-Umbenennung Foto: APA / AFP / Greg Baker Vorenthaltene Informationen Das ist ein Vorwurf, der nicht hält. Es wurde nichts gestrichen, wie der Bericht von Stefan Kappacher verdeutlicht. Dieser endet ohne Auslassungen im „Ö1-Morgenjournal“ vom 17. Februar dieses Jahres mit folgenden Sätzen: „Graf war als austrofaschistischer Funktionär von den Nazis im KZ Dachau interniert. Nach dem Krieg war er Verbinder zu ehemaligen NSDAPlern, führte die Kameradschaftsverbände eng ans Heer heran und begrüßte den Kriegsverbrecher Windisch nach der Rückkehr aus jugoslawischer Haft an der Grenze. Ausgerechnet Graf, da könne man sich die Umbenennung gleich sparen, habe der Tenor auf diesen Vorschlag gelautet. Nach drei Minuten sei die Diskussion vorbei gewesen, heißt es dazu aus der Denkmalkommission.“ Einige dieser Fakten hat Mychalewicz allerdings seinerseits dem FURCHE-Publikum vorenthalten. Stattdessen hob er lobend hervor, dass Graf „gegen Ende der Besatzungszeit diskret die B-Gendarmerie als Vorstufe für das neue Bundesheer aufbaute“. Dabei hatte der Kritiker in der FURCHE rund 5200 Zeichen Platz für seine Vorwürkommt zudem mit O-Ton ausführlich der Vorsitzende der Denkmalkommission, der Historiker Dieter A. Binder von der Uni Graz, zu Wort. „Der Ausdruck ,Austrofaschismus‘ ist ein ideologisch umkämpfter Begriff und dürfte daher nicht unkommentiert verwendet werden“, lautet eine weitere Kritik von Mychalewicz an Kappacher. „Da das autoritäre Regime entscheidende Merkmale des Faschismus nicht beinhaltete, hat sich das ,Haus der Geschichte Österreich‘ bewusst für den Ausdruck ,Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur‘ entschieden“, behauptet Mychalewicz und ist damit zumindest recht unpräzise. Denn das HdGÖ verwendet in den Lexikon-Einträgen des „Digitalen Museums“ sowohl „Austrofaschismus“ als auch „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“, weiters „autoritäre Regierung Engelbert Dollfuß“ sowie „Dollfuß-Regierung“, je nach Autor(in). Es ist aber im Übrigen eine völlig verfehlte Kritik an Kappachers „Morgenjournal“-Beitrag: Dort ist in der einleitenden Moderation einmal von „Dollfuß-Diktatur“ die Rede und einmal vom „austrofaschistischen Funktionär“ Ferdinand Graf. Zwei Tage vorher sprach Kappacher vom „Dollfuß-Regime“. Das war‘s auch schon. Da hört jemand das schreckliche Wort „Austrofaschismus“, wo es nicht einmal ausgesprochen wurde. Übles ORF-Bashing Wie schlecht recherchiert darf eigentlich die Faktenbasis einer Kritik am Journalismus sein? Wie grob darf jemand austeilen, wenn jemand nichts als eine vorgefasste Meinung in der Hand hat? „Manche ORF-Journalisten bemänteln ihre politische Schlagseite mit dem Pochen auf ihre Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit in der Berichterstattung. Das Redaktionsstatut darf aber kein Freibrief für Willkür in Sendungsbeiträgen sein.“ Ich halte Sätze wie diese für eine grobe Verleumdung. Mit Journalismuskritik hat das nichts zu tun. Das ist übles ORF-Bashing. Davon haben wir in dieser Zeit bereits zu viel. Da hat jemand entweder überhaupt keine Ahnung von den zentralen Axiomen eines freien Journalismus und seinen Stützen – oder aber er will sie schwächen. Der Autor ist Medienwissenschafter an der Universität Wien. Li Qiang gilt als treuer Anhänger Xi Jingpings. Nun wurde er zum chinesischen Ministerpräsidenten gewählt. Es ist ein Name, der bis zum vergangenen Oktober außerhalb Chinas weitgehend fremd war, heute jedoch eines der höchsten Ämter der chinesischen Politik ziert: Li Qiang wurde vom chinesischen Volkskongress zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Der 63-Jährige folgt auf Li Keqiang, der nach zehn Jahren aus dem Amt scheidet. Vor allem für die Wirtschaft ist das Amt von großer Bedeutung. Denn während der Präsident in China für das große Ganze zuständig ist, obliegt die konkrete Wirtschaftsplanung traditionell eher dem Premier. Doch diese Aufteilung hat unter Xi Jinping stark gelitten. Er hat Li Keqiang deutlich weniger Spielraum gelassen und die Macht – wie auch in anderen Bereichen – bei sich konzentriert. Während der frühere Premier einem anderen politischen Lager angehörte, gilt Li Qiang als Vertrauter des Präsidenten. Qiang blickt auf eine lange Karriere zurück, die er vor allem an der wohlhabenden Ostküste Chinas verbrachte. Als Parteisekretär in Shanghai setzte er sich für die Interessen der Wirtschaft ein und warb gleichzeitig um ausländische Investitionen. Während seiner Amtszeit baute Tesla eine große Fabrik in der Stadt. „Er redet nicht so viel über Ideologie, sondern ein bisschen mehr darüber, wie man Dinge macht“, sagte Nis Grünberg vom China-Institut Merics in Berlin. Unter der Aufsicht von Li Qiang ging Shanghai während der Corona-Pandemie zunächst weniger restriktiv mit dem Virus um als viele andere Regionen Chinas. Da die Metropole jedoch einen Ausbruch im Frühjahr 2022 nicht in den Griff bekam, wurde die Stadt schließlich für zwei Monate in einen strengen Lockdown versetzt. Politisch hat Li Qiang das offenbar nicht geschadet. „Mehr als drei Jahre lang hat das chinesische Volk unter der starken Führung der Kommunistischen Partei gemeinsam gegen Covid-19 gekämpft, und jetzt haben wir einen großen und entscheidenden Sieg im Kampf gegen die Krankheit errungen“, sagte Li Qiang am Montag auf einer Pressekonferenz zum Abschluss der Jahrestagung des Pekinger Volkskongresses. Als Ministerpräsident, so Experten, wird er sich vor allem der High-Tech-Industrie zuwenden. Eine große Herausforderung angesichts der strikten „Null-Covid“-Politik und dem angeschlagenen Verhältnis zu den USA. (Jana Reininger, APA) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Des Trägers Faulheit Bruno Bötschi. Er arbeitet für ein Schweizer Onlineportal – und hat mir viel Arbeit erspart. Ich wollte eben loswettern, dass die Leute in der U-Bahn, auf der Straße, in den Wartezimmern, im Supermarkt fast ausnahmslos in Schwarz, Grau oder Dunkel-Dunkel-Khaki gekleidet sind. Kurzum: Eine kollektive Allergie gegen Farben scheint umzugehen. Ganz besonders gegen Ende des Winters, wenn die Hoffnung auf Frühling langsam zu keimen beginnt. Diese Phase geht bei mir meist mit einer Verkühlung einher. Ich kleide mich luftiger und bunter, obwohl es noch zu kalt ist. Also für das luftig. Nicht für das bunt. Womit wir wieder bei Bruno Bötschi wären. Der stört sich ebenfalls an der trostlosen Bekleidung seines Umfeldes. Im Gegensatz zu mir grantelt er nicht in eine Kolumne hinein, sondern geht konstruktiv an die Sache heran. So interviewte er einen Farbforscher, der erklärte: Das Innere würde nach außen gekehrt; und in der kalten Jahreszeit wäre eine gewisse Gemütstristesse festzustellen. Eine Designerin sagte zu ihm, dass dunkle Langweilerfarben Pölsterchen verdeckten, die sich über den Winter angesammelt hätten. Der Stilexperte Jeroen van Rooijen schiebt die farblose Kleiderwahl auf die Faulheit des Trägers. Weil sich gedeckte Töne einfacher kombinieren ließen. Und weil es in der Kälte eben viel zu kombinieren gäbe, handle der modeunbewusste Normalbürger zielorientiert. Aber stillos. Ich trage heute ein rotes Shirt und einen pinken Blazer. Die Farben beißen sich. In der morgendlichen Hektik ist mir das nicht aufgefallen. Nun sitze ich da wie ein Paradiesvogel. Zielunorientiert; gewollt und nicht gekonnt; kunterbunt. Bruno Bötschi, falls es Sie interessiert: Mein Seeleninnenleben ist damit hinlänglich beschrieben. Reminiszenz Gelernte Burgenländer erinnern sich an einen Altvorderen, Theodor Kery, der 1966 Landeshauptmann des jüngsten Bundeslandes wurde. Der Politiker festigte die Herrschaft seiner Partei im damaligen Armenhaus Österreichs, welche die SPÖ erst kurz zuvor errungen hatte. Kerys Name ist untrennbar mit einem unglaublichen Modernisierungsschub im Osten Österreichs verbunden: höhere Schulen vom Norden bis in den Süden, Kulturzentren (meist von einem Architekten designt), die heute zum Gutteil wieder abgerissen sind, eine Autobahn/Schnellstraße durchs Land und so weiter. Die Kehrseite der Ära Kery, die bis 1987 währte und mit einer Reihe von Skandalen endete, war eine Unterwerfung weiter Teile des Landes unter die Kuratel der lokalen Sozialdemokratie. Posten im öffentlichen Dienst und auch Mittelvergabe standen im Geruch der Parteibuchwirtschaft. Die SPÖ war auch nach Kerys Abgang vor 37 Jahren im Burgenland nie von den Futtertrögen der Macht abgeschnitten. Man sollte sich – gerade angesichts der aktuellen paternalistischen Landespolitik, die sich auch als Füllhorn-Ausschütterin ans Landesvolk geriert – an Theodor Kery erinnern. Gerade dann, wenn sein Nachnachnachnachfolger zum Marsch auf Wien geblasen hat. Otto Friedrich

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