DIE FURCHE · 7 6 International 16. Februar 2023 Von Otmar Lahodynsky Bei seiner ersten Rede zu seinem Wahlsieg als neuer Staatspräsident Tschechiens wandte sich der 61-jährige ehemalige Armeegeneral Petr Pavel in seiner nüchternen, besonnenen Art an all jene, die ihn nicht gewählt hatten. Gewonnen hätten „Werte wie Wahrheit, Würde, Respekt und Demut“, so Pavel. „Und das sind Werte, die die meisten von uns teilen.“ Bei der Siegesfeier in Prag gratulierte ihm als Überraschungsgast die Staatspräsidentin der Slowakei, Zuzana Čaputová. 33 Jahre nach der Samtenen Revolution in Tschechien standen erstmals zwei Kandidaten mit kommunistischer Vergangenheit in der Stichwahl. Die Ökonomin Danuse Nerudová war im ersten Wahlgang überraschend weit abgeschlagen auf dem dritten Platz gelandet. Von ihrer kommunistischen Vergangenheit hatten sich sowohl der frühere Premierminister Andrej Babiš wie auch der ehemalige Chef des Generalstabs Pavel distanziert. In TV-Debatten warfen sich die beiden aber gegenseitig Verstrickung im kommunistischen System vor. Der Milliardär und Populist Babiš bezichtigte Pavel einer Karriere als „kommunistischer Spion“. „Ich bin Diplomat, kein Soldat“ stand auf Wahlplakaten von Babiš, der Pavel vorwarf, Tschechien in einen Krieg gegen Russland hineinziehen zu wollen. „ Mit der neuen Staatsspitze werden auch die Beziehungen zur Regierung normalisiert. Zeman war bekannt für seine Querschüsse und die Nähe zu Russland. “ Pavel wiederum hatte seine Tätigkeit im Militär bewusst betont. Als ehemaliger General werde er für „Ruhe und Ordnung“ sorgen und „Chaos beenden“. Im Wahlkampf hatten seine Gegner sogar gefälschte Einberufungsbefehle für den angeblichen Einsatz in der Ukraine – angeblich verschickt von Petr Pavel – in Umlauf gebracht. Babiš hatte in TV-Debatten versucht, Pavel als Kriegstreiber darzustellen. Die Frage, ob Tschechien im Falle eines Angriffs Russlands auf Polen oder die baltischen Länder den Verbündeten mit eigenen Truppen beistehen sollte, beantwortete er mit einem klaren „sicher nicht“. Er wolle „Frieden, keinen Krieg“. Nach heftigen Reaktionen der NATO-Partner ruderte Babiš zurück. Er habe die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrags nicht in Frage stellen wollen, obwohl er genau dies getan hatte. Babiš war vor den Wahlen von einem tschechischen Gericht von Korruptionsanklagen um sein mit EU-Mitteln errichtetes Hotel „Storchennest“ freigesprochen worden. Das EU-Verfahren auf Rückzahlung von zu Unrecht bezogenen Subventionen läuft freilich weiter. Als Oppositionsführer im Parlament hatte Babiš, Chef der populistischen Partei ANO, auf die Unterstützung Pavels durch die konservativ geführte Regierungskoalition, die er gerne als Am 9. März wird Petr Pavel als neuer Staatspräsident der tschechischen Republik angelobt. Der Ex-General steht für die feste Verankerung des Landes in EU und NATO. Soldat statt Diplomat ZEMANS PROVOKATIONEN „Vertreibung milder als die Todesstrafe“ Foto: APA / AFP / Michal Cizek „asozial“ bezeichnete, hingewiesen. Die Regierung von Premierminister Petr Fiala hatte im zweiten Halbjahr 2022 einen erfolgreichen EU-Vorsitz absolviert und knapp vor Weihnachten auch einen EU-weit geltenden Gaspreisdeckel gegen Putins Kriegskasse durchgesetzt. Doch der Milliardär Babiš inszenierte sich als Verteidiger der Interessen der sozial Schwachen und versprach Einsatz gegen hohe Energie- und Lebensmittelpreise, von denen der Eigentümer von Agrarkonzernen aber freilich selbst profitierte. Seinen Kontrahenten Pavel bezeichnete er häufig als „Kandidaten der Regierung“, um dessen Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Pavel wurde zwar tatsächlich von Regierungspolitikern unterstützt, aber nicht durch eine Partei nominiert, sondern mit den Unterschriften von mehr als 80.000 Bürgerinnen und Bürgern. Babiš wiederum genoss die Unterstützung des scheidenden Staatschefs Miloš Zeman, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte. Mit Pavel an der Staatsspitze Tschechiens werden auch die Beziehungen zur Regierung normalisiert. Denn unter der Präsidentschaft Zemans kam es oft zu unwürdigen Angriffen. Da der Staatspräsident nach der Verfassung in der Außenpolitik mitreden darf, etwa bei der Bestellung von Botschaftern, nützte der ehemalige Sozialdemokratische Parteichef sein Amt oft und gerne für Querschüsse. Bis zum Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine lobte Zeman sogar die Politik des Kremlchefs, den er in den vergangenen Monaten dann auch als „verrückt“ bezeichnete und von ihm abrückte. In der EU herrscht Erleichterung Dennoch herrscht in der EU Erleichterung über die Ablöse Zemans, der oft mit Alleingängen überrascht hatte. Schon als Premierminister hatte er 2002 in einem aufsehenerregenden Interview für das Magazin Profil mit seltsamem Lob für die Vertreibung der Sudetendeutschen für viel Entrüstung – vor allem in Deutschland – gesorgt (siehe Kasten). Pavel gilt als überzeugter Befürworter von Tschechiens Mitgliedschaft in EU und NATO. Trotz seiner Tätigkeit als hoher Offizier der Armee in der kommunistisch geführten ČSSR machte er nach der Wende 1989 weiter Karriere und brachte es in der NATO sogar zum Chef des Militärausschusses – einer der höchsten Posten für Militärs im westlichen Bündnis. Nach Václav Havel, Václav Klaus und Miloš Zeman wird Petr Pavel am 1. März als vierter Präsident der demokratischen Tschechischen Republik in das Büro auf dem Prager Hradschin einziehen. Für die Unterstützung der Ukraine hat er sich bereits letzte Woche in einem Interview für die BBC ausgesprochen. Das Land kämpfe stellvertretend für alle, verteidige westliche Werte und brauche daher auch Rüstungsgüter „praktisch ohne Beschränkung“. Nach dem Krieg habe die Ukraine „moralisch und praktisch einen Platz in der NATO“. Zudem sei die ukrainische Armee „dann die wohl erfahrenste Armee in Europa“. Der Autor ist Ehrenpräsident der „Association of European Journalists“ (AEJ). Ende Februar tritt Miloš Zeman als Staatspräsident Tschechiens zurück. Mit provokanten Aussagen wurde er auch in Österreich bekannt. Als Premierminister gab Miloš Zeman 2002 Otmar Lahodynsky (damals Autor bei Profil) ein vielbeachtetes Interview. Darin bezeichnete er die Sudetendeutschen als 5. Kolonne Hitlers. Und er erklärte Ungeheures: Ihre Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg sei milder als die Todesstrafe gewesen, die den Sudetendeutschen nach damaligem Recht gedroht hätte. Zeman: „Vergessen Sie nicht, dass diese Sudetendeutschen vor dem Überfall Hitlers tschechoslowakische Staatsbürger waren. Nach tschechischem Recht haben viele von ihnen Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde. Auch in Friedenszeiten. Wenn sie also vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe.“ Der Wirbel darüber war vor allem in Deutschland sehr groß. Alle großen Tageszeitungen und TV-Stationen berichteten über Zemans Aussagen. Aufgrund der Statements sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Besuch in Prag ab. Und es gab darüber eine „Aktuelle Stunde“ im Bundestag. „Also das kommt schon einer Verhöhnung gleich“, erklärte auch der damals für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günther Verheugen. Weiters kritisierte Zeman Österreich „als ersten Verbündeten Hitlers“ und Österreichs Haltung zum AKW Temelin. „Die Österreicher stehen unter dem Druck der Populisten und ökologischen Fundamentalisten. Österreich importiert sogar Strom aus Atomkraftwerken. Ihr Österreicher seid so etwas wie Molières Tartuffe.“ Später schlug er sogar provokant vor, dass Tschechien das stillgelegte AKW in Zwentendorf kaufen und in Betrieb nehmen würde. Den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider bezeichnete er als „populistischen Pro-Nazi-Politiker“. Die FPÖ hat damals bei Erscheinen des Zemann-Interviews das Temelin-Volksbegehren durchgeführt. (ol)
DIE FURCHE · 7 16. Februar 2023 International 7 Die OSZE wurde geschaffen, um den Graben zwischen Russland und dem Westen zu überbrücken, sagt Karl Schwarzenberg. Ein Gespräch über neue Zäune in Europa, den Krieg in der Ukraine, der Atomkrieg-Drohung aus dem Kreml und Österreichs Neutralität. „Russlands Delegation soll kommen“ Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Beim letzten FURCHE-Interview mit Karl Schwarzenberg in Prag 2018 sagte dieser, dass in Tschechiens Politik die „ganze Maschine“ ausgetauscht gehöre. Fünf Jahre und eine Präsidentenwahl später zeigt sich der tschechische Außenminister a. D. über die Neuaufstellung Tschechiens erfreut. DIE FURCHE: Herr Schwarzenberg, nach der Wahl von Petr Pavel zum Präsidenten Tschechiens war von einem „Aufatmen in Europa“ die Rede, haben Sie auch aufgeatmet? Karl Schwarzenberg: Ja, tief! DIE FURCHE: Was hätte Ihnen bei der Wahl von Andrej Babiš zum Präsidenten den Atem verschlagen? Schwarzenberg: Dass sich das Regime einer etwas dubiosen Gestalt fortsetzt. Eines Mannes, der als Ministerpräsident Sachen aufführte, wo man nicht wirklich begeistert sein konnte. Eines Mannes, der in kürzester Zeit mit merkwürdigen Methoden ein gigantisches Vermögen erworben hat. Das allein gibt schon zu denken. Aber es wurde ein neuer Präsident gewählt, Gottseidank ein guter. DIE FURCHE: Welche Rolle spielte in Kriegszeiten dabei die berufliche Vergangenheit des neuen Präsidenten als General und hoher NATO-Vertreter? Schwarzenberg: Das war sicher eine gewisse Empfehlung. Denn jemand, der es bis zu einem Oberkommandanten der NATO schafft, wurde wohl von allen Geheimdiensten der Vereinigten Staaten und Europas gecheckt. Der kann verlässlich sein. DIE FURCHE: Als verlässlich pro-europäisch hat sich Tschechien während seiner EU-Ratspräsidentschaft voriges Jahr gezeigt. Wie passt das zur EU-Skepsis der Tschechinnen und Tschechen? Schwarzenberg: Diese Skepsis ist in Böhmen geringer als man glaubt. Das Image wurde weitgehend von den beiden Präsidenten Václav Klaus und Miloš Zeman geprägt. Klaus war ausgesprochen anti-europäisch und Zeman äußerst skeptisch gegenüber der EU. Das bedeutet nicht, dass die Majorität der Bevölkerung diese Ansicht teilt. DIE FURCHE: War es ein Glücksfall, dass Tschechien genau zu der Zeit die Ratspräsidentschaft hatte, als es darum ging Einigkeit gegenüber Russland herzustellen? Schwarzenberg: Ja, weil die Tschechen hundertprozentige Verbündete der Ukraine sind und das eisern durchgehalten haben. Gottseidank. DIE FURCHE: Tschechien gehört wie Ungarn zur Visegrád-Gruppe. Ist dieser oft anti-europäische Zusammenhalt mit Russlands Krieg gegen die Ukraine Geschichte? Schwarzenberg: So Gott will nicht. Leider ist die Visegrád-Gruppe durch den Einfluss von Viktor Orbán zu einem dummen Ruf gekommen. An und für sich ist Visegrád eine höchst nützliche Zusammenarbeit mitteleuropäischer Staaten. So wie die Benelux-Länder, so wie die Skandinavier. Die eigentliche Zusammenarbeit wird ja zwischen den Institutionen der Länder geleistet. Die Bemerkungen Orbáns, manchmal hat er auch Babiš dazu gebracht, waren natürlich unglücklich. Aber jetzt hat sich die Sache verändert. DIE FURCHE: Das Problem Orbán ist für die EU gleich geblieben. Schwarzenberg: Das ist ein großes ungarisches Problem für Europa. Die einzige Hoffnung ist, dass er abgewählt wird, was jetzt nicht geschehen wird. DIE FURCHE: Orbán war mit der Errichtung eines Zauns an der ungarischen Grenze zu Serbien Vorreiter eines Trends, der jetzt auch bei anderen europäischen Regierungen… Schwarzenberg: …wieder in Mode kommt. DIE FURCHE: Sie haben Ihr Leben lang gegen Mauern und Zäune in Europa gekämpft. Schwarzenberg: Das ist richtig. Umgekehrt ist mir durchaus klar, dass wir eine wilde Immigration nicht zulassen dürfen. Das geht nicht. DIE FURCHE: Sind dafür Zäune die geeignete Methode? Schwarzenberg: Wissen Sie eine bessere, dann sagen Sie sie mir! DIE FURCHE: Eine europäische Migrationspolitik, die legale an berufliche Kriterien geknüpfte Möglichkeiten der Einreise nach Europa schafft und damit das Asylsystem entlastet. Schwarzenberg: Bringen Sie das einmal in der politischen Praxis durch! DIE FURCHE: Daran scheitert die EU aufgrund des Widerstands einiger Mitglieder schon lange. Schwarzenberg: Eben. DIE FURCHE: Bleiben die Zäune? Schwarzenberg: Wahrscheinlich ja. DIE FURCHE: Apropos niemanden reinlassen. Österreich will seine Visa-Kriterien für Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien nicht ändern. Geht man so mit Nachbarn in Not um? Schwarzenberg: Ich sehe nicht ganz den Sinn dieser Maßnahme, außer dass man mit dem Vorschlag in die Zeitungen kommt. DIE FURCHE: Der Sinn ist, dass Erdbebenopfer nicht im Winter auf Schuttbergen hausen müssen. Auch das kann man wieder Symbolpolitik nennen, aber was ist schlecht daran? Schwarzenberg: Dann muss das Symbol einen Sinn haben, nicht nur eine Show sein. Wir sind auch untereinander nicht immer sehr menschlich, warum sollen wir es zu jemanden anderen sein. Es wäre schön, aber das braucht lange Erziehung. Abgesehen davon, es gibt immer Grenzen. Denken Sie an Schweden. Die sind weiß Gott mit ihrer Ausländerpolitik höchst offenherzig umgegangen. Dann sind es zu viele geworden, und jetzt haben sie ein Problem. Man muss auch da immer Maß und Ziel haben, weil wenn man es übertreibt, geht es in die verkehrte Richtung. Der Mensch ist halt so, dass er zunächst einmal das Fremde ablehnt. Leider. DIE FURCHE: Bis hin zu den Auslassungen eines niederösterreichischen Landesrats, dass ohne Schülerinnen mit Migrationshintergrund Wien noch Wien wäre. Schwarzenberg: Fremdenfeindlichkeit gab es immer. Aus der ganzen Monarchie hat es schon Migration in die Hauptstadt gegeben. Die Zuwanderung war die größte Wohltat für Wien, wenn wir bedenken, dass es eine Zeit gab, wo in einer Matura-Klasse zwei künftige Nobelpreisträger saßen. DIE FURCHE: Nobelpreisträger sind Sie nicht, aber ein gutes Beispiel für einen gelungenen Mix aus Böhmen und Österreich. Schwarzenberg: Ich erlaube mir den Luxus, in zwei Ländern zuhause und Patriot zu sein. DIE FURCHE: Fällt das immer gleich leicht oder schwer? Schwarzenberg: Es gibt Causen, wo ich einmal mehr auf der tschechischen und das andere Mal mehr auf der österreichischen Seite stehe. Die totale Ablehnung der Kernkraft in Österreich halte ich zum Beispiel für den falschen Weg. Denn ohne die Kernkraft werden wir die Klimaziele nicht schaffen. DIE FURCHE: Haben Sie auch Verständnis für die Klimaschutz-Aktionen der „Letzten Generation“? Schwarzenberg: Ich habe absolutes Verständnis. Ob es sinnvoll ist, sich auf die Straße zu kleben, ist eine andere Sache. Doch ihre Ziele verstehe ich, ich war seinerzeit ja selber bei den Grünen. Foto: Wolfgang Machreich DIE FURCHE: Stimmt, die tschechischen Grünen haben Sie zum Außenminister nominiert – waren die für Atomkraft? Schwarzenberg: Sie waren im Prinzip dagegen, aber nicht vehement. Wir haben genau gewusst, dass Böhmen ohne Kernkraft nicht durchkommt. Wir haben keinen ungarische Steppe, wo genug Wind weht, von Sonne nicht zu reden. DIE FURCHE: Der Atommüll, um nur ein Argument gegen Atomkraft zu nennen, stört Sie nicht? Schwarzenberg: Den kann man so tief in der Erde vergraben, dass der kein Problem ist. Aber wenn ich mir in der FURCHE diese respektlose Bemerkung erlauben darf: Es ist leichter im Vatikan die Jungfräulichkeit der Muttergottes zu bezweifeln, als in Österreich das Verbot der Kernkraft zur Diskussion zu stellen. „Da wirken uralte Vorurteile“, erklärte Karl Schwarzenberg am 11. Jänner 2018 das distanzierte Verhältnis Österreichs zu Tschechien; nachzulesen unter furche.at. Seit den 50er-Jahren liest Karl Schwarzenberg die FURCHE. Er habe den „großen Friedrich Funder“ selbst noch getroffen, erzählt er. Der alte Herausgeber habe sich aber für den jungen Leser nicht interessiert. Weil er nicht ahnen konnte, dass aus ihm der Fürst Schwarzenberg wird. „Es ist leichter, im Vatikan die Jungfräulichkeit der Muttergottes zu bezweifeln, als in Österreich das Verbot der Kernkraft zur Diskussion zu stellen. “ DIE FURCHE: Amen! Jedes Land hat heilige Kühe, wir haben zwei: Eine ist gegen die Atomkraft, die andere ist für die Neutralität. Schwarzenberg: Aus Indien weiß ich, dass auch heilige Kühe mit der Zeit sterben. DIE FURCHE: Von welcher Kuh würden Sie sich wünschen, dass sie stirbt. Schwarzenberg: Beide! Aber Österreich kann auch, wenn es die Neutralität ernst nimmt, manchmal nützlich sein. DIE FURCHE: Sind wir jetzt mit unserer Auslegung der Neutralität nützlich? Schwarzenberg: Ich bin kein so präziser Völkerrechtler. Da braucht es eine gründliche Untersuchung, was man als neutrales Land noch machen kann und was nicht. Aber sagen wir es so, momentan wären wir mit einer etwas aktiveren Politik vielleicht nützlicher. DIE FURCHE: Kommende Woche findet die Parlamentarische Versammlung der OSZE in Wien statt. Abgeordnete aus 20 Ländern, darunter auch Tschechien, fordern von Österreich, den russischen Delegierten keine Visa auszustellen. Teilen Sie diese Meinung? Schwarzenberg: Davon bin ich kein wirklicher Anhänger. Man muss im Gespräch bleiben. Die offizielle Delegation soll kommen. Die OSZE wurde gegründet, um genau diesen Graben zu überwinden. Aber wenn Putin nicht will, dann wird es sehr mühsam. Putin sucht kein Gespräch. Und wenn er nicht will, dann gibt es kein Gespräch. DIE FURCHE: Stattdessen gibt es immer mehr Waffen. Schwarzenberg: Wissen Sie eine Alternative, ich weiß keine. Denn was als sogenannter Kompromiss angeboten wird, heißt letztlich: Damit wir Ruhe haben, wird die Ukraine aufgeteilt. Das ist unmöglich. Das ist unzulässig. DIE FURCHE: Wo ziehen Sie die rote Linie für Waffenlieferungen an die Ukraine? Schwarzenberg: Bei Kernwaffen. DIE FURCHE: Die Atomkrieg-Drohungen aus dem Kreml fürchten Sie nicht? Schwarzenberg: Ich bin außerstande, in das Gehirn des Wladimir Wladimirowitsch Putin zu blicken. Schon der Beginn des Kriegs gegen die Ukraine war vom russischen Standpunkt aus ein Wahnsinn. Daran wird auch das Putin-Regime wahrscheinlich zu Grunde gehen. Es gibt in jedem Land manchmal sehr unglückliche Entwicklungen. Das hat es in Deutschland gegeben, aber das wurde beendet mit der totalen Niederlage 1945. Und auch Russland muss besiegt werden. DIE FURCHE: Was heißt besiegt? Schwarzenberg: Russland muss zumindest die ganzen ukrainischen Gebiete verlassen. Das sollte genügen, um Putin zu stürzen. DIE FURCHE: Sie haben schon ein autoritäres Regimes stürzen sehen. Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, der 29. Dezember 1989, als Václav Havel zum tschechischen Präsidenten gewählt wurde, war der glücklichste Tag ihres Lebens. Schwarzenberg: Weil ich gewusst habe, jetzt ist das Regime zu Ende, jetzt ist das Land wirklich frei und es gibt einen bemerkenswerten Präsidenten. DIE FURCHE: Irgendwann wendet sich die Geschichte. Schwarzenberg: Immer. Manchmal ist man dann nur selber nicht mehr dabei.
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