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DIE FURCHE 16.02.2023

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6 · 9. Februar 2023

6 · 9. Februar 2023 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 4,– Es bestürzt, dass dieses Wissen in aktueller Politik so gut wie keinen Niederschlag findet: Im Agieren der ÖVP spürt man immer noch die Abneigung gegen die „roten Gfrieser“, die die Partei anfällig für rechten Populismus macht, welchen die FPÖ aber hundertmal besser umzusetzen weiß. Von Otto Friedrich Und die einstmals staatstragende SPÖ verzettelt sich in internen Grabenkämpfen sowie verbeißt sich darin, ÖVP-Affären, die as ist der Unterschied zwischen Populismus und Po- zu reiben. Denn die Landbauers und Waldger zu stellen. Aber die Demokratiefeinde pörten an der Impertinenz der Populisten natürlich unappetitlich sind, an den Pranlitik? Letztere sollte, ideal- häusls, die, wie zuletzt festzustellen war, sitzen anderswo und werden nicht dadurch typisch, das Zusammenleben in der Gesellschaft wissen: Ihre verbalen Ausritte werden nicht SPÖ – in deren Richtung nach Themen und ein Viertel des Wahlvolks hinter sich haben, bekämpft, dass man – bei der ÖVP wie der im Blick haben und Lösungen für Probleme und Konflikte erarbeiten und angehen. Doch nicht nur die Politik läuft Gefahr, nur nicht bekämpft, sondern sogar goutiert. Kooperationen schielt. Ersterer bedient die Empörung und nimmt Ein schockierender Befund mit Blindheit geschlagen zu sein. Auch die durchaus reale Probleme zum Anlass, um Das mag ein schockierender Befund sein. Zivilgesellschaft taugt zurzeit nicht als Menschen gegeneinander aufzubringen. Aber Politik wie Zivilgesellschaft müssen lernen, damit umzugehen. Man hatten. Die Pandemie hat hier die Schwächen Korrektiv, denn sie ist ebenfalls tief gespal- Die Lehrbeispiele in Populismus sind zurzeit unübersehbar: Der niederösterreichische FPÖ-Landesrat richtet Schülerinnau 30 Jahre vergangen, seit Jörg Haider schonungslos ans Licht gebracht: Dass auch te eigentlich Zeit genug dafür: Es sind ge- von Demokratie wie von freier Gesellschaft nen vor laufender Kamera ins Angesicht und die damalige FPÖ mit dem „Ausländervolksbegehren“ erstmals Gesetze forderten, die Coronamaßnahmen, über die man ge- Intellektuelle und Vordenkende rund um aus, sie seien, weil Nachfahrinnen von Migranten, hierzulande unerwünscht. Sein die sich gegen Menschen in diesem Land wiss unterschiedlicher Meinung sein kann Landesparteivorsitzender und Sieger der richteten. Das „Lichtermeer“ dagegen war und die im Nachhinein betrachtet anders jüngsten Wahl legt noch einiges an Schäbigkeit drauf, indem er die drei Millionen ran, dass die Tabus, die damals gebrochen oder „Freiheitsberaubung“ sprachen, ist 1993 eindrucksvoll, änderte aber wenig da- hätten ausfallen können, von „Diktatur“ Euro Katastrophenhilfe für die Erdbebenopfer in Klein asien als Verschwendung von Seither saß die FPÖ zweimal im Bund in cher Diktaturen. Sondern spielt den rechten wurden, heute längst keine mehr sind. nicht nur eine Verhöhnung der Opfer wirkli- Steuergeldern zuungunsten der Armutsbekämpfung in (Nieder-)Österreich kritisiert. kann, das Regieren und eine Politik, die Herbert Kickl und die Seinen schauen fuß- der Regierung und bewies, dass sie es nicht Populisten auch hierzulande in die Hände. Zwei Beispiele für aktuelle Empörungsrituale, wo das „gute“ Österreich reagiert, danach, dass Haider und sein FPÖ-Ableger sam in die Luft fliegt. Als ob man hierzulan- dem Land und seinen Menschen nutzt. Auch frei zu, wie die etablierte Demokratie lang- indem es „Rassismus!“ und „Verhetzung!“ das Land Kärnten wirtschaftlich ruinierten und Österreichs Steuerzahlern Milliarde aus der Geschichte nichts gelernt hätte. schreit. Die Mechanismen der Auseinandersetzung sind längst vorhersehbar, und es den abverlangten, um das südliche Bankendesaster zu sanieren, kräht kein Hahn mehr. otto.friedrich@furche.at nützt wenig, sich wohlig in der Blase der Em- @ofri_ofriedrich Hunderter-Jahrestage pflastern diese FURCHE-Ausgabe: Den 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen nehmen Martin Tauss und Victoria Schwendenwein im Fokus zum Anlass, um – von Röntgens bahnbrechender Entdeckung ausgehend – Highlights und Lowlights bildgebender Verfahren nicht nur in der Medizin zu beleuchten. Das Feuilleton wartet gleich doppelt mit Hundertern auf: Vera Ferra- Mikura (von Christa Gürtler gewürdigt) hätte dieser Tage solch runden Geburtstag ebenso begangen wie Schriftsteller kollege Reinhard Federmann, den Brigitte Schwens-Harrant dem Vergessen entreißt. Auch im Journal gibt es ein Doppel – in unserer Reihe „Krieg & Frieden“: Während Brigitte Quint aus ethischer „Ver-Antwortung“ die Frage nach dem Tyrannenmord stellt, hat sich Wolfgang Machreich über die Ausbildung am Leopard-Panzer in Österreich kundig gemacht. Andreas G. Weiß analysiert danach im Kompass die hierarchischen Grabenkämpfe in der katholischen Kirche, und die Soziologin Jessica Pidoux zeigt Gefahren auf, die von Dating-Apps ausgehen. Schließlich bewerten die christlich-jüdischen Dialogpartner Martin Jäggle und Willy Weisz die Kritik an der aktuellen Ausstellung „100 Missverständnisse“ im Jüdischen Museum Wien: Der runden Zahl entkommt die FURCHE diesmal einfach nicht. (ofri) Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 DIE FURCHE · 7 16 Forum 16. Februar 2023 DIE FURCHE EMPFIEHLT Liessmann: Lauter Lügen LESUNG UND GESPRÄCH Fake News, Kriegspropaganda, oder „nur“ Euphemismen: Unser Alltag ist von kleineren und größeren Lügen durchsetzt. Philosoph Konrad Paul Liessmann liest in Graz aus seinem neuen Buch „Lauter Lügen“. Darin zeichnet er das Bild einer Gesellschaft voller Selbsttäuschungen und Irrtümer. Moderiert wird der Abend von der Philosophin Lisz Hirn. Lauter Lügen 9. März 2023, 19 Uhr, Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30 literaturhaus-graz.at William Garfield Walker in Wien KONZERT Der junge amerikanische Dirigent William Garfield Walker und das erst 2020 gegründete Nova Orchester Wien geben im Konzerthaus Wien Tschaikowsky, Schostakowitsch, Tailleferre und eine eigene Komposition Walkers zum Besten. Als Gastsolist spielt der armenische Cellist Narek Hakhnazaryan, der 2011 den Tschaikowsky-Preis gewonnen hat. Unverwechselbare Stimmen 11. März 2023, 19.30 Uhr Konzerthaus Wien konzerthaus.at Atelier Bauhaus Wien AUSSTELLUNG Knallige Farben, Raumökonomie und geometrische Formen zeichnen das Bauhaus aus. Die beiden Wiener Bauhaus-Schüler Friedl Dicker und Franz Singer wirkten in den 1920er- und 30er-Jahren durchaus erfolgreich, in der NS-Zeit mussten sie ihre Zusammenarbeit beenden. Die Ausstellung holt zwei zu Unrecht vergessene Künstler zurück in die Öffentlichkeit. Atelier Bauhaus, Wien Kuratorenführung: 19.2, 15 Uhr Ausstellung noch bis 26. März wienmuseum.at IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Präzise und aufregend Allgemein zur Nr. 6 sowie zu Mit Blindheit geschlagen von Otto Friedrich und Durchleuchtete Körper von Martin Tauss und Victoria Schwendenwein DIE FURCHE ist immer lesenswert, aber mit der letzten Ausgabe haben Sie sich selbst übertroffen. Auf dem Titelblatt die präziseste politische Analyse seit langem, gefolgt von mehreren Seiten aufregender, aber nicht vergötzender Wissenschaft. Aus dem Intro weiß ich, dass noch viele weitere spannende Themen auf mich warten. Peter Markom via Mail Austritt aus dieser Kirche Im K(r)ampf der Hierarchie Von Andreas G. Weiß Nr. 6, Seite 7 Dieser Artikel beeindruckt mich in seiner Klarheit, wonach die Diktion Roma locuta causa finita heutzutage nicht mehr funktioniert. Beginnend von Altbischof Helmut Krätzls Buch „Im Sprung gehemmt“ über jahrzehntelange erfolglose Bemühungen von kirchenkritischen Stellungnahmen, verlassen viele Menschen die römisch-katholische Kirche aus Überzeugung. Der Kirchenaustritt von mehr als 90.808 Menschen anno 2022 ist multifaktoriell bedingt: Die starre Haltung gegenüber Frauen, das wiederholte Negieren, bei Kindesmissbrauch aktiv zu werden, die heuchlerische Einstellung zum Pflichtzölibat und schließlich die hausgemachten Grabenkrämpfe tragen dazu bei, dass sich reflektierende christliche Menschen nicht mehr angenommen fühlen. Für mich war das seelsorgliche Versagen der katholischen Priester am Beginn der Pandemie der letzte, ausschlaggebende Grund für meinen Kirchenaustritt. Kein einziger Priester hat öffentlich am Höhepunkt der Covid-Pandemie ein Veto ausgesprochen, als von der Erzdiözese ein Betretungsverbot für Krankenhäuser, Pflegeheime, Palliativ- und Hospizstationen ausgesprochen wurde. Schwer kranke, sterbende Menschen wurden folglich digital „versorgt“. Es starben vor allem alte Menschen ohne ihre Angehörigen, aber auch ohne seelsorgliche Begleitung. Viele von ihnen hatten wahrscheinlich das seit ihrer Kindheit verinnerlichte Bild vom strafenden Gott mit Bedrohung durch Fegefeuer und Hölle in sich. Wie belastend muss das Sterben für sie gewesen sein – ohne die Möglichkeit einer Aussprache bzw. eines Beichtgespräches? Dr. Renate Müller 2522 Oberwaltersdorf Ausgrenzung in Pandemie Die große Amnesie Von Doris Helmberger. Nr. 5, Seite 1 Ich stimme Ihnen zu, dass das Schlagwort „Niemals vergessen“ mit Aufrufen zu revanchistischem Handeln abzulehnen ist – und ein Missbrauch im Ausspielen der sonst geläufigen Verwendung! Zugleich ist es mir wichtig, für Menschen einzutreten, die den Druck der Impfpflicht als gewaltsam, freiheitseinschränkend und tief zerstörerisch erfuhren und das Festmachen eines Pandemie-Hauptproblems auf „Patriarchale Apps“ Kontroverse um „100 Missverständnisse“ Zeitgenossen Online-Dating verstärkt gesellschaftliche Stereotype. Martin Jäggle und Willy Weisz, christlich-jüdische Vor 100 Jahren wurden Vera Ferra-Mikura und Ein Gespräch mit der Soziologin Jessica Pidoux Dialogexperten, über die aktuelle Ausstellung im Reinhard Federmann geboren. Ihre Literatur gilt es anlässlich des Valentinstags. · Seite 8 Jüdischen Museum Wien. · Seite 11 wiederzuentdecken. · Seiten 13–14 Bild: iStock/loveguli (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Das Thema der Woche Seiten 2–4 Es nützt nichts, sich in der Blase der Empörten an der Impertinenz der Populisten zu reiben. Anmerkungen zur aktuellen Schwäche von Politik und Demokratie in Österreich. Mit Blindheit geschlagen W „ Auch die Zivilgesellschaft taugt zurzeit nicht als Korrektiv, denn sie ist ebenfalls tief gespalten. “ Über eine heimische Panzerschule und die Option Tyrannenmord. · Seiten 5–6 Vor 100 Jahren starb Wilhelm Conrad Röntgen. Seine Entdeckung realisierte die Vision vom durchsichtigen Menschen. Wie die Bildgebung zu einer revolutionären Kraft wurde. INTRO furche.at die Impfunwilligen als ausgrenzend wahrnahmen! Leider wurden da nachhaltige Verletzungen erfahren! Und leider habe ich miterlebt, wie leicht Ihr Artikel mit emotional-belasteter Gefühlslage aus der Pandemie-Akutzeit missverstanden werden kann: Ihre Bewertung des „Niemals Vergessen“ mit „Chuzpe“ ist dann (traurigerweise) als Beschimpfung bzw. auch als Verbot gesehen worden, eigenes Leiden am kürzlich Passierten zur Sprache zu bringen. Regina Leodolter-Wogrolly Krankenhausseelsorgerin, 1150 Wien Über den Tellerrand wie oben In Ihrem Leitartikel haben Sie die aktuelle innenpolitische Lage glasklar analysiert und – was die FPÖ betrifft – mutig dargestellt. Vor allem zeigen Sie auch einen Hoffnungsschimmer auf, wie die Antwort auf rechtslastige Politik lauten kann und soll. Dies und viele weitere, gut recherchierte Berichte beweisen mir, dass ich mit meinem FURCHE-Abo eine sehr gute Wahl getroffen habe. Bitte weiter so mutig und optimistisch bleiben! Wolfgang Gaube 8700 Leoben Totale Kakophonie „Demokratie ist nicht einfach“ Interview mit Peter Kaiser Nr. 5, Seiten 6–7 Was spräche gegen ein SP-Team mit Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil, Andreas Babler, Julia Herr – und Christian Kern (der sich einst Hals über Kopf aus dem Staub gemacht und die Partei im Stich gelassen hatte), fragt sich Kärntens konsensbemühter Landeshauptmann kurz vor seinen Landtagswahlen. Die Antwort ist recht simpel: totale Kakophonie und Beliebigkeit – und noch mehr Stimmen für Herbert Kickl. Lic. phil. Emanuel-Josef Ringhoffer 1040 Wien „Missbrauch“ des Islam? Aufstand, auch gegen Islam von Ebrahim Afsah sowie Muslime: Kinder ihrer Zeit von Mounir Regragui Nr. 3, Seiten 10–11 Ich gratuliere zum Artikel von Ebrahim Afsah, einem absoluten Spitzenmann. Imam Mounir Regragui möchte hingegen, wie viele andere westliche Islamfunktionäre und -intellektuelle, möglichst viel Unangenehmes aus dem Islam wegrelativieren, auch wenn es 1400 Jahre lang gegolten hat. Mit der kühnen Behauptung, dass es den Islam und die Scharia nicht gebe, lässt sich jede Kritik elegant zurückweisen. Da lobe ich mir Herrn Erdoğans ehrliches Statement: „Es gibt nur einen Islam!“ Natürlich hängt die inferiore Stellung der Frau im Iran und vielen anderen muslimischen Ländern mit den Quellen des Islam zusammen – vom berüchtigten Prügelvers in Sure 4:34 bis zu Mohammeds Abschiedspredigt. Auch die islamischen Demokratien, in denen der Islam „demokratisch gelesen“ wird, gibt es nicht. Das gepriesene Indonesien ist das einzige mehrheitlich islamische Land, dem der Demokratieindex des Economist immerhin den Status einer „unvollständigen Demokratie“ zugesteht. Ende! Regragui will auch nicht wahrhaben, dass der Islam sowohl eine Jenseitsals auch eine Diesseitsideologie ist. Seine traditionelle Verschränkung mit staatlicher Macht ist kein Missbrauch des Islam, sondern dessen Wesen. Mag. Karl Steinkogler 4802 Ebensee „Geht’s noch?!“ „Ja“ als klare Antwort der Leitbetriebe Österreichische Lotterien erfolgreich rezertifiziert. Startevent 2023 im Zeichen von Tatkraft und Innovationsorientierung. Die Österreichischen Lotterien erhielten beim Jahresevent von Leitbetriebe Austria die Rezertifizierungsurkunde, Generaldirektor Erwin van Lambaart nahm die Auszeichnung am 24. Jänner im Casino Baden von Monica Rintersbacher, Geschäftsführerin der Leitbetreibe Austria, entgegen. Die anwesenden Vertreter:innen der Leitbetriebe stellten beim Blick auf das Jahr 2023 ganz klar den Optimismus in ihren Fokus. Das Motto des Abends, „Geht´s noch?!“ – Wie geht es mit der österreichischen Wirtschaft weiter?“ wurde mit einem klaren „Ja, jetzt erst recht!“ beantwortet. Van Lambaart brachte die Vorhaben der Casinos Austria und Österreichische Lotterien Gruppe auf den Punkt: „Es ist jetzt wichtiger als je zuvor, dass Ziele und Werte definiert und Tag für Tag verfolgt werden. Gemeinsam können wir den Wirtschaftsstandort stärken, denn wir haben nachhaltige Konzepte, um verantwortungsvoll zu handeln.“ Die Österreichischen Lotterien wurden erstmals im Jahr 2020 als Österreichischer Leitbetrieb zertifiziert. Ausgezeichnet werden dabei vorbildhafte Unternehmen der, die sich zu konsequenter Orientierung an einem nachhaltigen Unternehmenserfolg und gesellschaftlicher Verantwortung bekennen und den Herausforderungen der Zeit mit innovativen Konzepten begegnen. GD Erwin van Lambaart übernimmt das Zertifikat von Monica Rintersbacher Foto: © Sabine Klimpt IN KÜRZE RELIGION ■ Bischof Álvarez/Nicaragua RELIGION • GESELLSCHAFT ■ Rupert Lay SJ, 1929–2023 GESELLSCHAFT ■ Sozialleistungskürzungen GESELLSCHAFT ■ Equal Pay Day Papst Franziskus hat den Umgang mit Angehörigen von Kirche und Opposition in Nicaragua verurteilt. Mit Sorge denke er an den Bischof von Matagalpa, Rolando Álvarez, sowie an die Menschen, die in die USA abgeschoben wurden, so der Papst am Sonntag auf dem Petersplatz. Álvarez war in einem Schnellverfahren zu mehr als 26 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Richter bezeichnete ihn als „Landesverräter“, der sich des „Ungehorsams“ schuldig gemacht, die nationale Sicherheit untergraben und „Fake News“ verbreitet habe. Álvarez stand seit August unter Hausarrest; er hatte wiederholt die Zustände in Nicaragua angeprangert. Der langjährige Professor für Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie an der Jesuitenhochschule Frankfurt/St. Georgen verstarb im 94. Lebensjahr. Lay wurde vor allem über seine Bücher („Dialektik für Manager“, „Manipulation durch Sprache“, „Führen durch das Wort“, „Ethik für Manager“) sowie als Coach und Psychotherapeut einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Nach Auseinandersetzungen um sein Buch „Das nachkirchliche Christentum“ (1996) und als bekannt wurde, dass er Vater eines Sohnes war, zog sich Lay aus dem aktiven Dienst der Jesuiten zurück, er blieb aber weiter Ordensangehöriger und Priester. In einem Interview mit dem Kurier erklärte Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am 14. Februar, er wolle Vollzeitjobs stärken und Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit kürzen. Dies führte zu breiter Kritik. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) stellte klar, dass Menschen mit Betreuungspflichten nicht betroffen sein dürften. Kocher relativierte später, es gehe nicht um Kürzungen, sondern darum, den Teilzeitaspekt bei neuen Maßnahmen stärker zu berücksichtigen. Für Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) stehen Kürzungen nicht zur Debatte, Kritik hagelte es auch von der Opposition, vom Katholischen Familienverband, der GPA uvm. Bis zum 16. Februar haben Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen dieses Jahr 47 Tage gratis gearbeitet. Die Einkommenssituation habe sich seit dem Vorjahr verschlechtert, so Sandra Konstanzky, Präsidentin der Arbeiterkammer. Mehr Einkommenstransparenz werde auch von der Gleichbehandlungsanwaltschaft gefordert. Zwar waren die Bruttobezüge 2021 laut Statistik Austria so hoch wie nie zuvor, profitiert haben mit 60 Prozent aber vor allem Männer. Bei gleichbleibenden Bedingungen werde die Einkommensgleichstellung in Österreich erst 2076 erreicht, warnt die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

DIE FURCHE · 7 16. Februar 2023 Kunst 17 Übersetzungshilfen Tastreliefs, wie jenes zum ferraresischen Hofnarren Gonella des Künstlers Jean Fouquet im KHM, helfen sehbeeinträchtigten Menschen, Kunstwerke kennenzulernen. Von Theresa Steininger Der Mann mit der dunklen Sonnenbrille fährt vorsichtig mit den Fingerspitzen über die stark hervortretenden Linien der Tafel vor ihm. Was auf seinem Schoß liegt, ist das Tastrelief von Jean Fouquets „Der ferraresische Hofnarr Gonella“. Der Mann ist blind, aber er kann erfühlen, wie dick die Nase des von dem französischen Künstler verewigten Spaßmachers ist und wie gedrungen die Gestalt wirkt. Es ist Freitagnachmittag, der so genannte „inklusive Freitag“ im Kunsthistorischen Museum. Gerade läuft eine Führung für Sehbeeinträchtigte und Blinde. Jede Woche gibt es im Haus eine inklusive, barrierefreie Vermittlungsaktivität, schließlich hat sich das KHM als Pionier in Sachen Entwicklung von Angeboten für Menschen mit Beeinträchtigungen einen Namen gemacht. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet man – unter anderem in Kooperation mit dem EU-geförderten, internationalen Projekt „ARCHES“ – daran, Besucherinnen und Besuchern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen wie Gehörlosigkeit, Sehbeeinträchtigungen und Demenz einen für sie passenden Kunstgenuss zu ermöglichen. Rotraut Krall, zuletzt Leiterin der Abteilung für Kunstvermittlung im Kunsthistorischen Museum, jedoch seit dem Jahreswechsel in Pension, gilt als die Expertin zum Thema. Nicht von ungefähr sieht man sie im Video des Kunsthistorischen Museums zum Thema Führungen für blinde Menschen einen sehbeeinträchtigten Mann von einem Kunstwerk zum anderen geleiten: Ein veritables Heranführen an die Kunst, unabhängig von jeglichen Beeinträchtigungen, war über all die Jahre ihr Ziel. Vielfalt an Hilfsmitteln Zu diesem Zweck hat sie beispielsweise drei Tastrefliefs anfertigen lassen, wie sie diese auch bei Recherchen im Ausland kennenlernte. So kann neben dem Hofnarren auch Raffaels „Madonna im Grünen“ und Albrecht Dürers „Maria mit Kind“ durch Entlangfahren der Linien mit den Fingerspitzen erlebt werden. Die gewonnenen Eindrücke werden durch zusätzliche Erklärungen von Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittlern noch verstärkt. Außerdem gibt es Bildbeschreibungen in Brailleschrift, die nicht nur einfach das wiedergeben, was in einer herkömmlichen Objektinformation vorkommt: Vielmehr sind es eigenes für blinde Menschen entworfene Texte. Nicht genug, haben die Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittler bei den Führungen gerne auch das eine oder andere Objekt zum Angreifen mit dabei, sei es ein Stück Fell wie der Mantelkragen im betrachteten Kunstwerk. „Diese taktilen Erfahrungen vertiefen die gewonnenen Eindrücke noch mehr“, sagt Rotraut Krall. Foto: KHM-Museumsverband Das Vermittlungsangebot für Menschen mit Beeinträchtigungen im Museumsbereich wächst. Eine Vorreiterrolle nimmt das Kunsthistorische Museum Wien ein, das Kunst möglichst allen zugänglich machen will. Gemeinsam anders sehen Alle Angebote sind in Zusammenarbeit mit Vereinen für Menschen mit Beeinträchtigungen entstanden, „denn auch wir mussten erst lernen, was die verschiedenen Gruppen alles brauchen“, sagt Krall. „Und wir hörten, dass es für blinde Menschen vor allem interessant ist, die grobe Komposition zu erfahren, nicht so sehr jedes einzelne Detail.“ Nicht selten sieht man auch offensichtlich blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen auf den Couches in der Gemäldegalerie sitzen und mit den Fingern die Zeilen und Linien eines dicken Buches entlangfahren. Denn in Kooperation mit den Vereinen ist darüber hinaus ein inklusives Museumsbuch entstanden, das während eines Besuchs im Kunsthistorischen Museum am Infostand ausgeborgt werden kann. In diesem gibt es nicht nur angepasste Werkbeschreibungen, sondern für weniger stark sehbeeinträchtigte Besucherinnen und Besucher Vergrößerungen von Ausbildungsdetails, Darstellungen in verstärkten Kontrasten und abermals Folien, auf denen die Benutzer Umrisslinien von Figuren, die auf Gemälden dargestellt sind, erfühlen können. Die Folien sind transparent, das Werk also für jene, die nicht blind sind, dahinter sichtbar, gleichzeitig kann man beispielsweise Haare oder Kopf des gemalten Mädchens mit dem Finger entlanggleiten. Einen lebendigen Einblick in die Sammlungen gibt man in Sonderführungen auch in die Kunstkammerobjekte, wenn Gold, Bergkristall, Kokosnuss, ein Haifisch- oder Elefantenstoßzahn in die Hand genommen werden dürfen. Rotraut Krall beschreibt: „Ob wir nun in den Führungen die Möglichkeit bieten, ein Gemälde wahrzunehmen, obwohl man es nicht sieht, oder ein Kunstkammerobjekt anzugreifen, ob wir den Menschen etwas zum Riechen in die Hand geben, das zum Werk passt, oder einen Fächer, der jenem auf dem Bild ähnelt – es geht uns immer darum, Kunst erlebbar zu machen und dem Motto ‚gemeinsam anders sehen‘ zu folgen.“ In Zukunft soll es im Kunsthistorischen Museum auch eine permanente multisensorische, interaktive Station geben. Offenheit als Ausgangspunkt Während bei den allwöchentlichen Führungen an einem Freitag im Monat sehbeeinträchtigte Menschen im Fokus stehen, gibt es alternierend dazu auch eine Führung in Gebärdensprache, eine in einfacher Sprache und eine speziell für Menschen mit demenziellen Erkrankungen und Vergesslichkeit. Bei letzterer geht es vor allem darum, die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse hervorzuholen, da man weiß, dass man so das Langzeitgedächtnis viel besser aktivieren kann als das Kurzzeitgedächtnis. Was alle eint, sei die „spontane Reaktion der Teilnehmer“, wie Krall beschreibt. „Die Offenheit, die die Besucher der inklusiven Führungen haben, ist beeindruckend. Und es ist nicht nur einmal passiert, dass jemand sagte: ‚Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben darf.‘ Das gibt unglaublich viel zurück“, so die Kunstvermittlerin. „ In Zukunft soll es im Kunsthistorischen Museum auch eine permanente multisensorische, interaktive Station geben. “ Während das Kunsthistorische Museum weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt, wurden auch andere Museen rund um den Globus mit der Zeit hellhörig. Oftmals hat Krall ihre Erkenntnisse auf internationalen Kongressen vorgestellt und Nachahmer gefunden. Auch hierzulande ist das Kunsthistorische Museum nicht allein, was das Engagement für Menschen mit Beeinträchtigungen in Museen betrifft. So bietet unter anderen die Albertina barrierefreie Führungen für blinde und sehschwache Besucherinnen und Besucher an, bei denen Wissenswertes rund um den Bestand des Hauses „wie im Radio“ vorgestellt wird. Darüber hinaus hat man eine Rätselrallye für Menschen mit Trisomie 21 oder anderen besonderen Bedürfnissen entwickelt. Das Belvedere offeriert beispielsweise Multimedia-Guides für Gehörlose und Führungen für Betroffene von Demenz sowie Rundgänge in einfacher Sprache. Und man hört aus zahlreichen Museen, dass inklusive Projekte geplant sind. Eine Frage der Willkommenskultur „Auch wenn einige große Häuser nun schon zahlreiche zielgruppenspezifische Führungen und Workshops anbieten und technische Hilfsmittel wie Tastreliefs und spezielle Apps, die je nach Behinderung Unterstützung geben, gängiger werden, können auch kleine Museen aktiv werden“, ermutigt Krall Kollegen. „Oft geht es noch gar nicht um den großen Aufwand, sondern einfach um eine Willkommenskultur. Wie man als Menschen mit Behinderung im Eingangsbereich aufgenommen wird, macht schon viel aus.“ Welche Ausstellungshäuser welche Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen machen, hat Autorin Doris Rothauer zuletzt für einen neuen Guide gesammelt, der im Februar im Medianet Verlag herauskommt. In Kooperation mit ICOM Österreich hat sie alle Museen mit dem Museumsgütesiegel angeschrieben und ersucht, von barrierefreien Eingängen bis zu speziellen Führungen und Workshops alles zu melden, was Menschen mit Beeinträchtigungen weiterhilft. Fazit: „Museen tun schon sehr viel in Sachen Inklusion, aber die Zielgruppe weiß oft nicht, was alles angeboten wird“, sagt Rothauer. Und sie ist derselben Meinung wie Krall: „Nicht jeder schafft einen solchen Aufwand wie das Kunsthistorische Museum, aber es geht im ersten Schritt um eine bestimmte Haltung und um das Signal, dass Menschen mit Behinderungen willkommen geheißen werden. Damit werden Zeichen gesetzt für eine offene Museumskultur, die neue Varianten des Besuchs ermöglicht.“

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