DIE FURCHE · 7 14 Diskurs 16. Februar 2023 ALSO SPRACH „ Wir befinden uns schon lange nicht mehr in einer politischen Debatte, sondern am Rande des konstitutionellen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs. “ Israels Präsident Jitzchak Herzog in einer TV-Ansprache. Die Regierung von Benjamin Netanjahu plant eine Justizreform, die unter anderem dem Parlament die Macht geben würde, Urteile des Höchstgerichts aufzuheben. Über 100.000 Menschen protestierten in den letzten Tagen gegen das Gesetzesänderungsvorhaben – Verfassungsexperten, Geheimdienstler und Unternehmer sprachen sich gegen die Reform aus. Dass der israelische Präsident die Tagespolitik kommentiert, kommt nur äußerst selten vor. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Wolfgang Machreich Nr. 44/1. November 2001 Modrow zur Berlin-Wahl Vergangene Woche fand in Berlin eine Wahlwiederholung statt, weil die Wahl von 2021 wegen zu vieler Pannen vom Verfassungsgericht aufgehoben worden war. Eine Woche nach der Berlin-Wahl 2001 gab Hans Modrow, letzter Regierungschef der DDR, der FURCHE ein Interview. Am 11. Februar ist er 95-jährig verstorben. DIE FURCHE: Trotz des guten Abschneidens Ihrer Partei, der PDS, bei den Wahlen in Berlin, deutet alles darauf hin, dass die regierende SPD einer Koalition mit FDP und Grünen den Vorzug geben. Fürchten Sie dann auch, wie Ihr Berliner Parteifreund Gregor Gysi, um die innere Einheit der Stadt? Modrow: Die Kluft zwischen West und Ost in Deutschland wird unter solchen Bedingungen auf jeden Fall größer und nicht kleiner werden. Denn wenn man das für die PDS eindeutige Wahlergebnis im Osten Berlins in dieser Weise ignoriert, wird zwangsläufig das Gefühl darüber, dass Biographien, Leben, Lebensleistungen, die aus dem Osten Deutschlands kommen, geringere Bedeutung haben, nicht nur in Berlin vorherrschen, sondern auch auf andere Bundesländer übergreifen. DIE FURCHE: Wie würden Sie selbst die PDS charakterisieren? Modrow: Wenn man den östlichen Teil Deutschlands und damit auch die PDS begreifen will – und das gilt meiner Meinung nach im Besonderen auch für Österreich –, dann muss man den Blick auf alle mittel- und osteuropäischen Staaten richten. [...] Links neben der Sozialdemokratie ist in den westeuropäischen Demokratien immer noch Platz für eine weitere politische Kraft gewesen. Wir sind aus diesem Entwicklungsprozess [...] eben als PDS hervorgegangen. Wir sind eine politische Kraft, die [...] auch in der Bundesrepublik zum politisch-gesellschaftlichen System gehören sollte. Lesen Sie hier den ganzen Text: NACHRUF Friedrich Cerha: die Avantgarde als Lebensinhalt Junges Wohnen muss gefördert werden! STADLERS MARKTFORUM Wilfried Stadler Herausgeber Wie mehrheitlich erwartet, hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen neuerlich um 0,5 auf nunmehr drei Prozent erhöht. Ob diese – wohl noch nicht letzte – Anhebung den erhofften Zweck erfüllt, die Inflation dauerhaft einzudämmen, bleibt offen. Zumal deren eigentliche Ursachen weniger mit zinspolitischen Maßnahmen zu tun haben als mit den Lieferketten-Spätfolgen der Coronakrise und den kriegsbedingten Energiekostenproblemen. Fest steht jedoch die konjunkturdämpfende Wirkung dieser Zinsentscheidung, da Kredite nun empfindlich teurer werden. Diese deutlich höheren Kreditkosten bringen all jenen, die sich um Darlehen zur Anschaffung von Wohnraum bemühen, jedenfalls beträchtliche Erschwernisse. Zumal bereits seit dem vergangenen Sommer von der Finanzmarktaufsicht verordnete, restriktive Regeln gelten, die ein Mindesteigenkapital von 20 Prozent vorschreiben und die Höhe der Kreditraten mit 40 Prozent des Netto-Haushaltseinkommens begrenzen. Nun kommen die gestiegenen Zinslasten noch oben drauf. „ Es wäre hoch an der Zeit, Konzepte für den Ersterwerb von Wohnungseigentum für die junge Generation zu erarbeiten. Das populäre Instrument des Bausparens böte sich dafür an. “ Foto: APA / AFP / Joe Klamar Drei Tage vor seinem 97. Geburtstag ist Friedrich Cerha in Wien gestorben. Wer hat die Klangflächenkomposition erfunden: Krzysztof Penderecki, György Ligeti oder Friedrich Cerha? An solchen Spielchen hat sich Friedrich Cerha nie beteiligt. Selbst wenn er mitunter schmunzelnd erzählte, dass ihm sein lebenslanger Freund Ligeti einst über die Schulter geschaut und gemeint habe, er komponiere gerade sein Stück. Cerha ging stets seinen eigenen Weg. „Was ich angestrebt habe, ist eine in sich möglichst homogene Sprachwelt bei möglichster Vielfalt der Aussageweisen“, erklärte er gegenüber dem besten Kenner seines Œuvres, Lothar Knessl, die Grundintention seines Schaffens. Eine Komponistenkarriere strebte Cerha nicht an. Aber einige für sein Instrument (Geige hatte er bei einem der großen Violinisten seiner Zeit, Váša Příhoda, an der Wiener Musikakademie studiert) komponierte Stücke gefielen so, dass er nach neuen Werken gefragt wurde. So verschob sich der Fokus des promovierten Germanisten, der seine Berufslaufbahn als Lehrer an Wiener Musikschulen begann, bald in Richtung Komposition, Programmgestalter, Ensembleleiter. 1958 zählte er zu den Mitbegründern des Ensembles „die reihe“, deren Konzerte er jahrzehntelang leitete und mit deren Programmen die Neue Musik hierzulande erst ihren Einzug hielt. Mit den üblichen Schwierigkeiten, denen sich Pioniere wohl überall konfrontiert sehen. Gegen diese musste sich der damals längst arrivierte Wiener Hochschulprofessor auch wehren, als er sich an die Fertigstellung des dritten Aktes von Alban Bergs „Lulu“ machte. Spätestens nach der glanzvollen Premiere dieser nunmehr dreiaktigen Oper, 1979 an der Pariser Oper, war Cerha weltweit zum Begriff geworden. Selbst wenn der damalige Dirigent Pierre Boulez – auch er ein enger Cerha-Weggefährte –, später zuweilen darauf hinweisen musste, dass Cerha schon vor diesem Berg-Projekt eine Größe der Gegenwartsmusik war, dabei stets eigene Vorstellungen konsequent verwirklicht hat. Und zwar egal, ob in seiner Vokal- oder Kammermusik, in seinem Orchesterschaffen, wovon eines seiner prägnantesten Beispiele, „Spiegel I-VII“, über ein Jahrzehnt der Uraufführung harren mussten, oder in seinem Opernschaffen: Uraufführungen fanden an so prominenten Orten wie den Wiener Festwochen („Netzwerk“), den Salzburger Festspielen („Baal“), der Grazer Oper („Der Rattenfänger“), der Wiener Staatsoper („Der Riese vom Steinfeld“) oder dem Münchner Prinzregententheater („Onkel Präsident“) statt. Nicht zuletzt geprägt durch seine Erfahrungen im NS-Regime, die ihn in den Widerstand trieben, bildete das vielschichtige Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, wie es sich auch in seinen Opern-Libretti dokumentiert, das philosophische Leitmotiv des hochgebildeten Friedrich Cerha. Neben dem Komponieren widmete er sich an seinen beiden Wohnsitzen, in Wien und in Maria Langegg, auch dem Zeichnen, Malen und der Skulptur. Am 14. Februar ist er, bis zuletzt ungebrochen neugierig und ein tatkräftiger Förderer junger Talente, in Wien gestorben. (Walter Dobner) Ansparhilfe statt Schein-Förderung Es wäre deshalb hoch an der Zeit, Konzepte für den Ersterwerb von Wohnungseigentum zu erarbeiten, die der jungen Generation den Einstieg erleichtern. Ein in früheren (Hochzins-)Jahrzehnten bewährtes und seit Generationen populäres Instrument, das während der vergangenen Nullzinsjahre in den Hintergrund gedrängt wurde, böte sich dafür an: das Bausparen. Unglaubliche 3,5 Millionen Bausparverträge gibt es noch in Österreich. Das sind zwar um zwei Millionen weniger als vor einem Jahrzehnt – aber doch so viele, dass man darüber nur staunen kann. Bei näherem Hinschauen zeigt sich nämlich die ernüchternde Tatsache, dass der Fördernutzen dieses geradezu folkloristischen Traditionsprodukts extrem gering ist. Der in Aussicht gestellte jährliche Zuschuss von 1,5 Prozent der Höchstansparsumme von 1200 Euro beträgt nämlich ganze 18 Euro! An die Stelle dieser Schein-Förderung sollte nun ein wirksames Unterstützungsprogramm treten, das nicht nur deutlich höhere Ansparhilfen gibt, sondern auch staatliche Garantieprogramme für Eigenmittel-Ersatzdarlehen vorsieht, die den Einstieg in langfristige, zinsgünstige Wohnbaudarlehen ermöglichen. Woher das Geld dafür nehmen? Nun, der eben erst beschlossene Ausbau der Energiehilfen für Unternehmen auf insgesamt nun schon sieben Milliarden Euro scheint ja leistbar zu sein. Und nicht weniger als 95 Millionen sind allein in diesem Jahr für den Ankauf von E-Autos budgetiert. Ganz unabhängig von der Einkommenssituation der Käufer(innen) beträgt der großzügige Zuschuss pro Ankauf satte 5000 Euro. Der Kauf von E-Motorrädern wird ebenfalls mit bis zu 1900 Euro subventioniert. Offensichtlich werden Förderentscheidungen mitunter reichlich unproportioniert und aus dem Ärmel heraus gefällt. Eine wohlüberlegte, noch dazu den Wohnbau und dessen Arbeitsplätze ankurbelnde Initiative zugunsten junger Darlehensnehmer(inne)n in einer Größenordnung von zumindest 100 Millionen Euro würde sich davon wohltuend abheben. Medieninhaber (Verleger): Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Herausgeber: Prof. Heinz Nußbaumer, Dr. Wilfried Stadler Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Anzeigen: Georg Klausinger (01) 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Aboservice: (01) 512 52 61-52 aboservice@furche.at Alle: 1030 Wien, Hainburger Straße 33 (01) 512 52 61-0; vorname.nachname@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Das Abonnement kann frühestens zum Ende der Mindestbezugs dauer – unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist – jederzeit schriftlich abbestellt werden. Wenn keine entsprechende Kündigung erfolgt, dauert das Abonnement ein weiteres Jahr bzw. im Falle eines Halbjahresabos weitere sechs Monate. Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. www.furche.at
DIE FURCHE · 7 16. Februar 2023 Diskurs 15 „Zu vielen ist das Lachen vergangen“, meinten Martin Jäggle und Willy Weisz über die vieldiskutierte Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“ im Jüdischen Museum Wien. Eine Replik. Das Hinterfragen von Klischees soll falsch sein? Aus den zahlreichen und teilweise heftigen Reaktionen auf diese Ausstellung schließe ich, dass hier „alte weiße Männer“ jederlei Geschlechts eine Art von kultureller Aneignung versuchen: Nur ihre Sichtweise auf Antisemitismus und den Umgang mit dem Gedenken an die Schoa sei legitim. Ich bin selbst ein alter weißer Mann (72) und Sohn von Schoa-Überlebenden – und wehre mich ganz entschieden gegen diesen Versuch der Vereinnahmung. Natürlich ist die Rezeption der Ausstellung auch davon abhängig, in welcher Weise die eigene Familiengeschichte verarbeitet oder nicht verarbeitet wurde. Trotzdem ist die hochgradig unjüdische Humorlosigkeit, mit der diese Ausstellung zum Teil wahrgenommen wird, für mich nicht nachvollziehbar. Die umstrittenen Ausstellungsobjekte stammen von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern und haben daher auch einen selbstironischen Anteil. Das scheint manche Kritiker zu überfordern. Wer erinnert sich etwa noch an den Sturm im Wasserglas, als „Der jüdische Witz“ von Salcia Landmann erschien? Friedrich Torberg z. B. warf ihr vor, antisemitische Vorurteile zu befördern und nannte das Buch 1961 einen „beunruhigenden Bestseller“. Vielleicht hatte die Autorin, die zwar 1911 in Galizien geboren wurde, aber bereits seit 1914 mit ihrer Familie in der Schweiz lebte, einen vollkommen anderen Zugang zum Thema als Nachkommen von Schoa-Überlebenden? Neue Wege des Gedenkens Das trifft wohl auch auf einen Teil der Künstlerinnen und Künstler zu, die in dieser Ausstellung vertreten sind. Die Frage ist also: Ist die Sichtweise von Schoa-Überlebenden und ihren Nachkommen die einzig zulässige? Können Juden, die seit vielen Generationen in anderen Kulturkreisen leben, nicht einen völlig anderen Zugang haben? Und sind diese Zugänge zum Thema nicht genauso legitim? Im Gegensatz zu vielen Kritikern gehen Martin Jäggle und Willy Weisz in ihrem letztwöchigen FURCHE-Gastkommentar auf einzelne Objekte der Ausstellung ein, gleich als erstes auf eine Videoperformance von Jane Kor- NACHRUF „Erst Österreich, dann lang nix!“ Foto: Pprivat man (2010). Darin tanzt der Auschwitz-Überlebende Adolek Kohn mit seiner Tochter (Korman) und seinen Enkelkindern zu Gloria Gaynors „I Will Survive“ vor den Toren des Vernichtungslagers, das er überlebt hat. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass durch diese Darstellung eine Haltung der Gleichgültigkeit gegenüber der Schoa entstehen kann. Nachdem kaum noch Zeitzeugen leben (vgl. S. 24), verstehe ich das viel eher als den Versuch, neue Wege des Gedenkens und Erinnerns zu suchen. Auch der Falter stellte jüngst die Frage, wer in Auschwitz tanzen darf. Jane Korman hat die Antwort längst gegeben: Auschwitz-Überlebende. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Georg Stern „ Andere Sichtweisen sind legitim, vor allem wenn sie so respektvoll und klug präsentiert werden wie hier. “ Diese Performance ist für mich genauso stimmig wie das Statement des in Wien geborenen Eric Pleskow anlässlich eines Interviews zu seinem 95. Geburtstag im Kurier: „Dass meine Eltern und ich uns vor den Nazis retten konnten, dass ich noch lebe und Kinder und Enkelkinder habe – das ist meine Rache an Hitler.“ Oder als Erica Freeman anlässlich eines Besuchs in Wien auf dem Altan der Neuen Burg stand und in der Wiener Zeitung meinte: „Das ist meine Rache an Hitler. Eine jüdische Rache, kein Blut, nur Freude, Freiheit und Hoffnung.“ Was kann man also an der Lichtinstallation „Endsieger sind dennoch wir“ von Sophie Lillie und Arye Wachsmuth nicht oder falsch verstehen? Foto: APA / Helmut Fohringer Es ist sehr einfach, Kritik an der Ausstellung und ihrem Konzept zu äußern, indem man die Objekte aus dem Kontext stellt. Auch dazu ein Beispiel: Der Wandtext zum Objekt „Hitler als Kaminvorleger“ von Boaz Arad lautet „,Auge für Auge, Zahn für Zahn‘ fordert zur Rache auf“ und nennt damit eines der besagten Missverständnisse: Die von Luther vorsätzlich falsche Übersetzung „Auge um Auge“ sollte die Juden als rachsüchtiges Volk darstellen. Tatsächlich meint der Bibelvers aus Exodus (Ex 21,23-25) aber genau das Gegenteil: So wie schon im Babylonischen Recht geht es gerade darum, Rache und Selbstjustiz zu vermeiden und Schadenersatz in geordnetem Rahmen zu leisten. Man mag das Ausstellungsobjekt als geschmacklos empfinden, aber es gibt wohl kaum ein drastischeres Bild, um sich an der falschen Bibelübersetzung zu „rächen“. Familiengeschichten einfließen lassen Andere Sichtweisen aus der eigenen und anderen Kulturen sind demnach ebenso legitim, vor allem wenn sie so respektvoll, klug, durchdacht, humorvoll präsentiert und kontextualisiert werden, wie das in dieser Ausstellung der Fall ist. Die Familiengeschichten der Künstlerinnen und Künstler finden sich immer in irgendeiner Art in ihren Werken. Wobei es sicher beim Verständnis des jeweiligen Zugangs zu einem Thema geholfen hätte, wenn man diese Familiengeschichten in die Präsentation oder in den Katalog hätte einfließen lassen. Verwunderlich, dass keiner der vielen Kritiker der Ausstellung gegen die Klischees protestiert, die in „The Nanny“, „The Marvelous Mrs. Maisel“ oder in der „Soiree bei Tannenbaum“ transportiert werden. Aber wenn eine Ausstellung diese und andere Klischees witzig und intelligent hinterfragt, dann soll das falsch sein? Nein, das beweist nur, dass es mehr als 100 Missverständnisse gibt – und so wird die Ausstellung auf ganz einmalige Weise interaktiv. Hingehen, anschauen, Meinung bilden! Der Autor war über 30 Jahre in leitender Funktion im Springer Verlag tätig. Seit 2013 ist er ehrenamtlich tätig, von 2014 bis 2020 als Obmann der Vinzenzgemeinschaft Hl. Elisabeth, die in Simmering einen Sozialmarkt betreibt. Wolfgang Schallenberg (1930–2023), rot-weiß-roter Spitzendiplomat mit langer Familientradition. Botschafter Wolfgang Schallenberg war nicht zu übersehen. Er war groß und mit seiner hohen Stirn und seinem nach hinten wallenden Haar ein echter Blickfang. Und zu überhören war er noch weniger. Nicht weil er laut redete, sondern weil er etwas zu sagen hatte. Für heutige Message Control-Zeiten wäre er sicher zu „outspoken“, was aber gegen diese Zeiten und für Wolfgang Schallenberg und sein offenes Wort spricht. Beispiele dafür liefert der FURCHE-Navigator: 1994, der Österreich-Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng stand vor der Tür, antwortete er als Generalsekretär des Außenministeriums auf die Frage, ob und wie die Menschenrechtssituation in China ein Thema sei: „Wir werden uns nicht verschweigen, aber auf den Tisch hauen werden wir nicht, das können wir nicht.“ Genauso frank und frei sagte er der FURCHE im Mai 1987, als die USA gerade Bundespräsident Kurt Waldheim auf die Watchlist gesetzt hatten: „Es ist schmerzlich, dass in befreundeten Ländern trotz des positiven Kulturimages in anderen Bereichen Vorurteile bestehen. Überspitzt formuliert könnte das so lauten: Die Österreicher sind grausliche Nazis, aber sie tanzen sehr gut.“ Der Tanzpalast des in der Vorwoche 93-jährig verstorbenen Schallenberg war zeitlebens das diplomatische Parkett. Von 1953 bis 1995 arbeitete er für 14 Außenminister – von Karl Gruber bis Wolfgang Schüssel –, auf Posten in Neu Delhi über Paris bis zum Minoritenplatz. Da wie dort transponierte er die Textzeile der Wiener Lied- Legende Hermann Leopoldi in sein Diplomatenleben aus Leidenschaft: „Erst kommt Österreich – und dann kommt lang nix.“ So setzte er eine Familientradition voller Diplomaten fort, die bis ins 16. Jahrhundert reicht und mit Schallenbergs Sohn Alexander als jetzigem Außenminister in die nächste Generation weitergeht. Was einst und jetzt und immer gilt, ist Schallenbergs Auftrag an Österreichs Außenpolitik, den er in der FURCHE so formulierte: „So wichtig sind wir nicht. Wir müssen vielmehr immer wieder aufzeigen und sagen: Hier sind wir, das können wir, wir wollen mitspielen. Wir müssen im eigenen Interesse solidarisch sein und konstruktiv mitarbeiten, vor allem innerhalb der Europäischen Union.“ (Wolfgang Machreich) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Perfidie der Gegenwart Die These, dass Aliens mit den UFOs über Nordamerika etwas zu schaffen haben, ist so was von stimmig. Mich erinnert das Himmelsphänomen in Übersee an diese Arbeitsblätter in der Schule. Man sollte Bildchen, die thematisch zusammenpassten, einkreisen und einen Überbegriff finden. Schreibtisch, Regal, Drucker, Bleistift, Leselampe ergaben „Büro“ oder „Arbeitszimmer“. Moos, Blätter, Wurzeln, erdige Luft, Tausendfüßer wurden zum „Wald“. Captain Hook, Dschafar, Scar, die böse Stiefmutter und Ursula gruppierte man unter „Disneys Bösewichte“. Corona, Krieg, Klimawandel, Erdbeben-Katastrophe – Außerirdische. Aliens sind das fehlende Glied in dieser Reihung. Mit Aliens wird die Perfidie der Gegenwart vervollständigt. Wir Menschen dachten, es sei genug des Desasters. Irgendwann müsse die Kette an Heimsuchungen ein Ende haben. Irrtum. Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommen Aliens daher! Sie sind die Leselampe unseres Arbeitszimmers. Sie erhellen es. Endlich. Diese Außerirdischen, die gerade Nordamerika ansteuern (auch wenn es die Amerikaner noch nicht wahrhaben wollen), die übernehmen die Macht auf unserem Planeten. Danach werden sie Putin, Assad, Erdogan, Xi Jinping, Kim Jong-un, Raisi (inklusive deren Gefolgschaft versteht sich) in eines ihrer mysteriösen zylinderförmigen Flugobjekte stopfen und in ein Paralleluniversum schießen. Hauptsache weit weg. Als erste Tranche. Ein Bösewicht nach dem anderen wird peau à peau verbannt. Danach bekommen wir Menschen eine Gelegenheit zur Einkehr. Katharsis, Korrektur, Erkenntnis, Läuterung, Fortentwicklung. Überbegriff: „die letzte Chance“. Jane. Ein Malheur Österreichs angesagtester Parvenü muss Federn lassen. Offenbar hatte Richard Lugner – altersmäßig verständlich – nicht die Kraft, sich durch die 685 Seiten des Exklusivvertrages zu wälzen, mit dem er die auch nicht mehr jugendliche Öko-Emanze Jane Fonda an sich und den diesjährigen Opernball zu binden suchte. Nur so konnte es geschehen, dass statt der Original Easy-Rider-Harley-Davidson von Janes verblichenem Bruder Peter nur eine Stretch-Limousine aus dem Lugneruhrpark zur Verfügung stand, die die Diva aber laut Vertrag eben nicht besteigen musste. Eigentlich biss sich Richie auf die Zunge, war ihm doch um eine siebenstellige „Spende“ der Fiat Uno, mit dem Papst Franziskus auf seinen Reisen kutschiert wird, angeboten worden, was der knausrige Baumeister aber ausgeschlagen hatte. Dass Lady Jane, auch das steht im Vertrag, nur über einen roten Teppich aus Fairtrade-Naturkokos in den berühmtesten Ballsaal der Nation defilieren würde, hatte er ebenso überlesen wie die verlangte Auskleidung der Lugner-Loge mit nachwachsenden Rohstoffen und deren Drapierung durch garantiert raupenfreundlich und ohne Kinderarbeit hergestellte Seide. Das Vermögen, das allein dies kostete, wird „Mörtel“ noch auf Jahre hinaus belasten. Otto Friedrich
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE