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DIE FURCHE 15.05.2024

DIE

DIE FURCHE · 20 6 International 16. Mai 2024 Von Philipp Fritz Zehntausende Menschen auf Anhieb auf die Straßen zu bringen, ist für niemanden ein leichtes Unterfangen. Für eine weitgehend unbekannte Person allerdings ist es nahezu unmöglich. Péter Magyar hat es dennoch geschafft. Im vergangenen April folgten in Budapest etliche Menschen dem Aufruf des 43-Jährigen, danach auch in anderen Städten, im ostungarischen Debrecen, sogar in der Provinz – wo eigentlich Dauerpremierminister Viktor Orbán einen Heimvorteil genießt. Doch gegen dessen Politik, gegen Korruption und Vetternwirtschaft, hat Magyar die Menschen mobilisieren können. Mit „diesem Mafia-Staat“, wie Magyar selbst sagt, kennt er sich aus. Er war viele Jahre ein Teil des Systems Orbán, trat früh in die spätere Regierungspartei Fidesz ein, arbeitete ab 2010 im Außenministerium, wurde wenig später als Diplomat nach Brüssel entsandt. Ab 2018 bekleidete er eine Managementposition in der staatlichen Ungarischen Entwicklungsbank (MFB). Im Februar erklärte Magyar in einem Beitrag auf Facebook, dass er von zwei Ämtern in staatlichen Unternehmen und auch von seinem Posten als Verwaltungsrat einer weiteren Bank, der MBH, zurücktreten werde. Es war das Ende seiner Fidesz-Karriere, der eines Parteigünstlings – und der Beginn eines rasanten Aufstiegs als Oppositioneller. Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt KLARTEXT Zuhören statt vertreiben Foto: APA / AFP / Attila Kisbenedek Lesen Sie dazu unter „Ungarn: Die Illusion des Wandels“ (23.1.2020) Ralf Leonhards Interview mit Kriszta Kovács, siehe furche.at. Péter Magyar mobilisiert Zehntausende gegen Viktor Orbán – und punktet dadurch, dass er selbst der Regierungspartei angehörte. Schaden könnte er aber auch Ungarns Opposition. Ein Porträt. Oppositioneller oder Opportunist? Die Fidesz sei immer noch seine „Familie“, sagt Magyar bisweilen. Aber die Dinge im Land würden nicht richtig laufen, erklärt er etwa in einem YouTube-Video. Unlängst noch erhielt Magyar als Parteigänger Orbáns stattliche Gehälter von Staatsunternehmen, heute unterschreibt er nach regierungskritischen Kundgebungen Autogramme: Es ist ausgerechnet dieser schnell erfolgte Seitenwechsel, der Magyar in den Augen vieler Wähler und Wählerinnen Glaubwürdigkeit verleiht. 13 bis 20 Prozent der Ungarn würden aktuellen Umfragen zufolge bei einer Wahl für den politischen Neuling stimmen, dessen Name Anfang des Jahres erst einigen wenigen bekannt war. Es ist freilich genau das, was Magyar möchte. Er hat vor, mit einer eilig gegründeten Partei zu den EU-Parlamentswahlen am 9. Juni anzutreten. „Ich traue ihm zu, dass er einige Sitze gewinnt und seine Partei in den Umfragen in Ungarn dauerhaft stabilisiert“, sagt Daniel Hegedüs, Ungarn-Experte bei der Denkfabrik German Marshall Fund (GMF). Wobei er jedoch anmerkt, dass Magyar ebenso das Potenzial habe, die Opposition zu schwächen. Tatsächlich übt Magyar nicht nur Kritik an Orbán und dessen Fidesz, sondern auch an einer angeblich gestrigen, verknöcherten und gleichzeitig elitären Opposition. Das hat bereits zu wütenden Kommentaren aus der pro-europäischen, Orbán-kritischen Demokratischen Koalition (DK) geführt. Schaden aber könnte Magyar ausgerechnet der liberalen „Momentum“-Partei, die erst 2017 gegründet wurde und der man kaum nachsagen kann, dass es sich bei ihren Mitgliedern um alte, ideenlose Eliten handle. „Momentum“ ist mit zwei populären Abgeordneten, Katalin Cseh und Anna Donáth, im EU-Parlament vertreten. Sie dürften im Fall eines Magyar-Erfolgs um ihre Sitze fürchten. Doch Magyar ficht das offenbar nicht an. In einem Interview mit dem britischen Guardian sagte er dazu: „Das ist nicht mein Problem.“ Insgesamt gehe er davon aus, dass 30 Prozent seiner Wähler Oppositionsanhänger seien. Von Julia Mourão Permoser Als ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal den Campus der UC Berkeley betrat, hat mich die allgegenwärtige Erinnerung an die Studentenproteste der 1960er-Jahre mit ihrem Eintreten für free speech am meisten beeindruckt. Überall wurden diese Proteste als große Errungenschaft gefeiert und als entscheidendes, ja identitätsstiftendes Moment für die Universität gewürdigt. In der Tat haben Universitäten in Sachen Meinungsfreiheit eine besondere Verantwortung. Sie sind schon immer Orte des Diskurses und des Dissenses gewesen – eine Rolle, die aber stark unter Druck gerät. Am 10. Mai betitelte die deutsche Bild-Zeitung einen ganzseitigen Bericht mit dem Spruch „Universitäter“. Darin wurde – in einem Fahndungsbrief-ähnlichen Stil – gegen Wissenschafter gehetzt. Einzelne Lehrende wurden namentlich aufgelistet. Ihr Verbrechen? Sie hatten einen Offenen Brief unterschrieben, in dem die Räumung eines pro-palästinensischen Studenten-Camps in Berlin kritisiert wurde. In diesem Brief verteidigten sie einen dialogischen Zugang. Sie kritisierten die Universitätsleitung dafür, die Räumung des Protestcamps veranlasst zu haben, ohne vorher ein Gesprächsangebot an die Studierenden gemacht zu haben. Zuhören statt vertreiben: Das scheint in der Frage Gaza-Krieg nicht mehr möglich zu sein. Kritik an Israel – sogar wenn sie von israelischen Bürgern kommt, wie zuletzt vom Philosophen Omri Boehm bei seiner „Rede an Europa“ (vgl. Seite 12 dieser FURCHE) – wird sofort mit Antisemitismus identifiziert und führt zu empörten Reaktionen. Selbstverständlich muss Judenhass aufs Schärfste bekämpft werden. Grenzwertige Aussagen sollten kritisiert werden und gegebenenfalls vor Gericht landen. Aber der Vorwurf des Antisemitismus darf nicht als Schutzschild gegen jede Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung dienen. Die Autorin ist Professorin für Migration und Integration an der Donau Universität Krems. „ In der Fidesz ist man nervös. Denn Péter Magyar zeigt, dass das Thema Korruption für die Ungarn eine sehr große Rolle spielt. “ Daniel Hegedüs, Denkfabrik German Marshall Fund Sorge davor, die Opposition könnte sich zerfleischen oder die Parteien könnten einander Stimmen wegnehmen, gibt es in Ungarn, seitdem Orbán wieder regiert – also seit 2010. Zu den zurückliegenden Parlamentswahlen 2022 taten sich deshalb sechs Oppositionsparteien zusammen, darunter so unterschiedliche wie „Momentum“ oder die rechtsextreme „Jobbik“. Sie nominierten gemeinsam Kandidaten in den Wahlkreisen und einen Spitzenkandidaten: den parteilosen Péter Márki-Zay. Er wurde, wie Magyar heute, von vielen Kommentatoren als Hoffnungsträger der Opposition gepriesen. Ihm wurde zugetraut, Milieus außerhalb der Städte anzusprechen, weil er als konservativ galt – wie Magyar. Umfragen sagten der sogenannten Oppositionsallianz ein knappes Rennen mit Orbán voraus. Tatsächlich erhielt dessen Wahlbündnis aus Fidesz und KDNP dann 54,13 Prozent der Stimmen – und konnte die Zweidrittelmehrheit im Parlament sogar ausbauen. Magyar wäre also nicht der erste, von dem viel erwartet wird – und der dann abstürzt. Auch Experte Hegedüs möchte ihn nicht verfrüht hochjubeln. Er sieht eine wesentliche Schwachstelle: „Magyars Erzählung verfängt, aber sie ist eigentlich nicht authentisch“, sagt er. Das könne ihm noch auf die Füße fallen. „Er war kein Fidesz- Insider, sondern eher jemand aus der dritten Reihe“, so Hegedüs. Verheiratet jedoch war Magyar mit jemandem aus der ersten Reihe: nämlich mit Judit Varga, bis Juli 2023 Justizministerin. Im Februar dieses Jahres wurde bekannt, dass Katalin Novák, seinerzeit Präsidentin, 2023 den stellvertretenden Direktor eines staatlichen Kinderheims in der Nähe von Budapest, welcher versucht hatte, Fälle von Kindesmissbrauch zu vertuschen, begnadigt hat. Varga zeichnete in ihrer Funktion als Justizministerin das Begnadigungsschreiben gegen. Der Fall löste Massenproteste aus. Beide, Novák und Varga, erklärten schließlich ihren Rücktritt. Varga legte ihr Mandat als Abgeordnete nieder und verzichtete darauf, für das EU-Parlament zu kandidieren. Shooting- Star Der 43-jährige Péter Magyar könnte Viktor Orbán gefährlich werden. Für ihn selbst sind freilich auch die Debatten um seine Ex-Frau, Judit Varga (bis 2023 Justizministerin), riskant. Der Missbrauchsskandal erschüttert immer noch das Land. Und er setzt der Fidesz schwer zu. Denn die Partei gibt vor, die Rechte von Kindern besonders zu schützen. In diese ohnehin aufgeheizte Stimmung stößt Regierungskritiker Magyar mit seinen Anklagen über Korruption und Vertuschung vor. Es ist eine Erklärung dafür, warum er so viele Menschen mobilisiert. Dass Magyar bis 2023 in einer Beziehung mit Varga war, mit der er drei Kinder hat, ist dabei mehr als ein pikantes Detail. Es trägt zu seinem Image als jemand bei, der das Innere des Systems Orbán kennt. Böse Zungen in Budapest hingegen sagen, dass der Kontakt zu seiner Frau auch schon alles sei, was ihn als Fidesz-Insider auszeichne. Sie, Varga, habe im Rampenlicht gestanden, er, Magyar, wäre ohne sie heute unbekannt. Ehekrach als Zünglein an der Waage Als ob all das nicht genug wäre, veröffentlichte Magyar am 26. März eine Audiodatei, die Korruption in höchsten Fidesz-Kreisen belegen soll. Zu hören sind ausgerechnet er selbst und seine Ex-Frau. Varga behauptete darauf, dass Magyar sie während ihrer Ehe psychisch und auch physisch misshandelt habe. Die Aussagen aus der Aufnahme habe sie lediglich getätigt, weil sie sich von ihm bedroht fühlte. Daniel Hegedüs vom GMF glaubt, dass dieser offen ausgetragene Ehekrach Magyar als seriösen Akteur disqualifizieren könnte. Er habe schließlich, so Hegedüs, seine eigene Frau heimlich aufgenommen. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte chaotisch und so, als könnte sie Magyar entgleiten. Anders sieht das Bálint Ruff, ungarischer Experte für politische Kommunikation. „Er muss sich darauf mindestens einige Jahre vorbereitet haben. Jetzt hat er seine Gelegenheit zuzuschlagen gefunden – in Form des Rücktritts seiner Ex-Frau“, so Ruff im Podcast des polnischen Politikberaters Wojciech Przybylski. Ähnlich bewertet das auch Hegedüs. Er verweist auf die professionellen Auftritte Magyars und dessen gezielt eingesetzte Kampagnen in sozialen Netzwerken. „In der Fidesz ist man nervös“, sagt er. „Der Grund dafür ist, dass Magyar zeigt, dass das Thema Korruption für die Ungarn eine sehr große Rolle spielt.“ Das sei neu und könne Orbán tatsächlich gefährlich werden.“

DIE FURCHE · 20 16. Mai 2024 Religion/International 7 Das Gespräch führte Victoria Schwendenwein Am 29. Mai wählt Südafrika ein neues Parlament. 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist das Sozialsystem des Staates so gut wie inexistent. Das bestätigt der deutsche katholische Priester Stefan Hippler, der mit der NGO „HOPE Cape Town Trust“ zu den Vorkämpfern in der AIDS/HIV-Hilfe beziehungsweise -Prävention in Südafrika zählt. Mit 8,3 Millionen HIV-Positiven im Land (rund zwölf Prozent) ist die Zahl mittlerweile stabil, der Weg hin zu einer gerechten Gesellschaft bleibt laut Hippler aber gerade in Zeiten des Wahlkampfes eine Herausforderung. Ein Gespräch über die Rolle von NGOs, das Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit und Veränderung, die von innen kommt. DIE FURCHE: Sie haben jahrzehntelang in Südafrika gearbeitet. Wo steht das Land im Moment? Stefan Hippler: Wir haben jetzt 30 Jahre neues demokratisches Südafrika hinter uns. Der ANC (der von Nelson Mandela gegründete Afrikanische Nationalkongress, Anm.) hat das Land als Regierungspartei ziemlich gegen die Wand gefahren, das muss man sagen. Es ist ein Land mit unheimlichen Ressourcen und einer unglaublichen Armut, das eigentlich vor dem Abgrund steht. Die positive Seite ist: Südafrika hat es schon oft genug geschafft, vom Abgrund wegzugehen. Ich bin daher überzeugt, dass Südafrika auf Dauer eine gute Zukunft hat. DIE FURCHE: Sie engagieren sich seit zwei Jahrzehnten in der AIDSbzw. HIV-Hilfe. Welche Rolle spielen NGOs für die wirtschaftliche Entwicklung – wie auch für das Gesundheitssystem? Hippler: Man kann das nicht trennen. Das wäre sehr europäisch gedacht. Als die HIV-Pandemie auf dem Höhepunkt war – also 2001 bis 2003 – musste ich Vertretern von Wirtschaftsdelegationen erklären, welches Risiko sie eingehen, wenn sie betroffene Mitarbeiter anstellen. Wir können ein Land nur hochbringen, wenn wir Wirtschaft und Soziales oder Gesundheit zusammen denken Mein Credo ist daher: NGOs müssen immer mit Wirtschaft verbunden sein. Ohne NGO-Arbeit sähe Südafrika in vielen Bereichen ganz anders aus. NGOs tragen zu oft eine Verantwortung, die der Staat tragen sollte. DIE FURCHE: Was bedeutet das für die „Entwicklungshilfe“ aus dem reichen, globalen Norden? Hippler: Wir sehen „Entwicklungshilfe“ allzu oft als Entwicklung zu dem, wo wir stehen. „Die anderen“ sollen dasselbe Niveau erreichen wie „wir“. Wenn man sich den Zustand der Welt und der Umwelt ansieht, müssen wir das aber neu definieren. „Entwicklungshilfe“ ist oft nur ein Pflaster, Foto: Getty Images / Per-Anders Pettersson Seit fast 30 Jahren engagiert sich der deutsche Priester Stefan Hippler in der AIDS/HIV-Hilfe in Südafrika. Im Interview spricht er über die Situation des Landes vor den Wahlen – und die Rolle der katholischen Kirche. „Überzeugend ist nur die Tat“ das man auf noch immer stattfindende wirtschaftliche Ausbeutung klebt – und dann tut man so, als ob das die Welt verändern würde. Wir müssen endlich verstehen, dass „Augenhöhe“ kein abstrakter Begriff ist, sondern etwas, das man auch praktisch anwenden muss. DIE FURCHE: Gleichzeitig betonen Sie das Potenzial dieses Landes... Hippler: 2050 werden die meisten jungen Menschen dieser Welt „ Wir können als Katholikinnen und Katholiken sagen, man darf dies und das und jenes nicht. Aber wir müssen doch die Realitäten sehen. “ auf dem afrikanischen Kontinent leben. Das heißt, Konsum und Wertschöpfung werden hier stattfinden. Wir müssen daher dafür sorgen, dass die Menschen dementsprechend ausgerüstet sind. DIE FURCHE: Krisen gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch in der katholischen Kirche. Wie sehen Sie diese als katholischer Priester? Hippler: Bei all den Diskussionen über den Synodalen Weg und darüber, wie sich die Deutschen und die im Vatikan Verantwortlichen die Köpfe darüber einschlagen: Ich glaube, dass die christliche Soziallehre der Weg aus all diesen Krise ist. Glaubensvermittlung ist nicht nur die Predigt Stefan Hippler (63) ist katholischer Priester aus Trier. Mittlerweile in Pension, setzt er sich als Vorsitzender der NGO „HOPE Cape Town Trust“ weiter für AIDS-Hilfe ein. Infos unter hopecapetown.org Foto: HOPE Cape Town Trust am Sonntag, sondern muss praktisch spürbar sein. Für mich ist meine Arbeit in Südafrika Verkündigung, die die Menschen verstehen – ohne sie zu zwingen, katholisch oder christlich zu werden. Das, was Caritas, also Nächstenliebe, ausmacht, ist aus meiner Sicht der einzige Weg, wie wir als Kirche auf Dauer überleben können. Das einzig Überzeugende ist, was man praktisch tut. Alles andere ist Schall und Rauch. DIE FURCHE: Sie haben die katholische Kirche immer wieder in der Frage der HIV-Prävention kritisiert. Wieso sind Sie trotzdem Priester geblieben? Hippler: Dass ich mit der Kirche hadere, heißt das ja nicht, dass ich austreten muss. Ich denke, man kann Kirche nur von innen verändern. Als ich mit der HIV/AIDS- Hilfe angefangen habe, war mir sehr bewusst, dass das ein Thema ist, mit dem in der katholischen Kirche eine Karriere sofort ausgeschlossen ist. Natürlich hat es da gekracht. Mein Vertrag als Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde ist damals auch nicht verlängert worden. Man findet ja immer nette Worte, wenn man jemanden vor die Tür setzt. Aber es nützt ja nichts: Eine Theologie, die nicht den Menschen in ihrer Situ- Kollektives Versagen Staat und Kirche versagten lange im Kampf gegen AIDS. Bereits 2001 forderte die Treatment Action Campaign (TAC) die Behandlung HIV-positiver Mütter. Lesen Sie dazu auf furche.at auch „Südafrika auf der Anklagebank“ (3.9.1987) von Franz Schneider, Amnesty International. ation sieht, kann keinen Bestand haben. Wir können also als Katholiken sagen, man darf dies und das nicht, aber wir müssen doch Realitäten sehen; und bei einer Pandemie, die junge Menschen umbringt, kann doch nicht das Verbot der Empfängnisverhütung stehenbleiben. Das geht nicht. DIE FURCHE: Die Lebenserwartung bei HIV ist in Südafrika in zwei Jahrzehnten von unter 50 Jahren auf über 60 Jahre gestiegen. Wie schwierig war es, gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen? Hippler: Als ich mit der HIV-Hilfe angefangen habe, war der offizielle Konsensus der Nationalen Gesundheitsministerin noch, rote Rüben, Süßkartoffeln und einen Esslöffel Olivenöl als HIV-Gegenmittel zu nutzen. Für sie waren es die westlichen Medikamente, die die Menschen umbrachten. Wir waren nach „Ärzte ohne Grenzen“ die zweite Organisation, die mit Medikamenten behandeln durfte. Die ersten Kinder, die in Südafrika behandelt worden sind, haben wir betreut. Es hat viele Jahre gebraucht, bis der Staat anfing zu behandeln, und selbst dann blieb die Perversität, dass die Menschen erst richtig krank werden mussten, bevor sie behandelt wurden. Dadurch haben wir viele Menschen verloren. DIE FURCHE: Mittlerweile sind die HIV-Zahlen stabil. Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind aber geblieben. Mit Blick auf die Wahl Ende Mai: Wie ist ein Neuanfang möglich? Hippler: Der Staat ist an sich sehr schwach und korrupt. Ich glaube aber in der Tat, dass der Aufbau einer gerechten Gesellschaft von innen heraus erfolgen muss. Deswegen sind kleine NGOs für mich so wichtig, die wirklich in einer Community wirken können. Wenn man den Menschen, gerade in den ärmeren Gebieten, eine Chance gibt, kann man fast Wunder vollbringen – und zwar in relativ kurzer Zeit. Die Kunst besteht darin, dass mehr und mehr dieser kleinen und mittleren NGOs in der Lage sind, eine Bewegung im Land zu initiieren. Und dieses Potenzial ist da. VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at

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